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vor dem islamistischen Regime

Diva sticht Ajatollah

Die iranische Pop-Ikone Googoosh flüchtete vor dem islamistischen Regime in Teheran. Auf ihren Konzerten zeigt sie sich solidarisch mit der Opposition. Von Till Schmidt

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Der Countdown läuft. Und dann erklingen die ersten Takte von »Talagh«, ein rhythmisch vorantreibender Song, der nach einigen Sekunden von pointierten, dramatisch wirbelnden Streichersätzen dominiert wird. Schließlich betritt Faegheh Atashin unter ohrenbetäubendem Jubel die Bühne. Unzählige Smartphones werden gezückt, um den Song per Live-Video mit jenen zu teilen, die es nicht zum Konzert geschafft haben. Es ist ein besonderes Ereignis, wenn die legendäre iranische Pop-Diva Googoosh in die Stadt kommt.

Während des gesamten Konzertes in Hamburg laufen auf der Bühne Musikvideos und Fotos, die die 70-Jährige als junge Frau zeigen. Nicht wenige der mehr als 3.000 Menschen im Publikum dürften diese Aufnahmen noch aus ihrer Jugend kennen. Doch auch die Jüngeren sind mit Googooshs Repertoire vertraut und singen sowohl die Balladen als auch die stilistisch hybriden Up-Beat-Stücke textsicher und voller Stolz mit. Es ist auffällig, dass fast nur iranischstämmige Menschen in die Barclaycard-Arena gekommen sind. Googoosh spricht zu ihrem Publikum ausschließlich auf Persisch. »Auch ich bin mit der Musik von Googoosh groß geworden«, erzählt die Schriftstellerin Roya Hakakian. »Googoosh war im Iran in den 1960er und 1970er Jahren der absolute Superstar.« Hakakian emigrierte 1984 aus Teheran in die USA und veröffentlichte 2004 ihre Memoiren. Googooshs facettenreiche, äußerst moderne Mischung aus persischer Dichtung, Blues, Latin, Pop, Rock und Disco sei für die iranische Gesellschaft damals etwas vollkommen Neuartiges gewesen.

Dazu kamen ihr unkonventionelles Auftreten auf der Bühne, ihre Frisur und ihr Kleidungsstil. »Googoosh verkörperte im kulturellen Bereich, dass Frauen nun wichtige und öffentlich sichtbare Akteure in der iranischen Gesellschaft geworden waren«, erzählt Hakakian. Viele junge Frauen fanden in Googoosh ein neues Rollenvorbild: »Wir wollten uns nach unseren eigenen, modernen Vorstellungen kleiden, ohne permanent als ›unzüchtig‹ deklariert zu werden«, sagt Hakakian, die damals zu den vielen Iranerinnen gehörte, die sich den stilprägenden Bob von Googoosh schneiden ließen.

Auch Sama Maani kennt Googooshs Musik seit Kindheitstagen. Der in Teheran aufgewachsene Psychoanalytiker und Schriftsteller glaubt, die bis heute andauernde Popularität der Sängerin hänge auch damit zusammen, dass ihre Songs und Auftritte eine Nostalgie bezüglich der Zeit vor der Revolution 1979 freisetzten. Diese Nostalgie lasse die repressive Islamisierung der iranischen Gesellschaft zumindest für einen Moment vergessen, ist Maani überzeugt. Diese sei auch unter jungen Iranern anzutreffen, die zur Zeit der Revolution noch gar nicht geboren waren.

Googoosh erfuhr am eigenen Leib, wie die von Ajatollah Khomeini angeführten Islamisten in allen Bereichen der Ge - sellschaft die Macht übernahmen. Nachdem die Sängerin 1979 für drei Monate im Exil gelebt hatte, kehrte sie in ihr Heimatland zurück, wurde dort aber sofort inhaftiert und anschließend unter Hausarrest gestellt. »Ich wurde gezwungen, eine Erklärung zu unterzeichnen, nie wieder in der Öffentlichkeit aufzutreten. Das hat sich angefühlt, als wäre mir die Luft zum Atmen genommen worden«, erzählt sie im Interview mit dem Amnesty Journal.

Während des Verhörs wollten die Revolutionsgarden Googoosh zu der Aussage zwingen, dass alles, was sie zuvor getan hatte, moralisch falsch gewesen sei. Dazu zählte nicht nur ihre Karriere als Musikerin, sondern auch ihr Wirken als Schauspielerin – sie war 1972 in »Bita« als erste weibliche Protagonistin in einem iranischen Film aufgetreten. Bis Googoosh 2000 eine Ausreiseerlaubnis erhielt, trat sie nicht wieder auf. Die Sängerin, die seit Kindheitstagen auf der Bühne gestanden hatte, wurde konstant überwacht und lebte 21 Jahre im »Wartezustand«, wie sie es nennt.

Im US-amerikanischen Exil veröffentlichte Googoosh mit »Zoroaster« schon bald ein neues Album und ging mit 50 Jahren auf Comeback-Tour. Zu ihrem ersten Konzert in Toronto sollen etwa 15.000 Menschen gekommen sein. Später kamen weitere neue Songs sowie mehrere Best-Of-Alben mit Stücken aus den 1960er und 1970er Jahren dazu. Inzwischen wurde Googooshs Musik von Megastars wie Kanye West, aber auch von Underground-Musikern wie dem israelischen Rapper Nechi Nech aka Ravid Plotnik gesampelt. Beyoncé und Jay-Z haben sie öffentlich geteilt.

Googooshs Lyrics sind in den vergangenen Jahren politischer geworden. Darunter fällt etwa »Behesht«, eine romantische Ballade, deren Text subtile Bezüge zu homosexueller Liebe enthält. Im dazugehörigen Video brach Googoosh ein im Iran geltendes Tabu und ließ die Geschichte eines lesbischen Liebespaars erzählen. »Freiheit zu lieben für alle«, ist am Ende des am Valentinstag 2014 veröffentlichten Videos zu lesen. Offizielle iranische Nachrichtenseiten diffamierten das Video als regierungsfeindlich, propagandistisch und dekadent. »Die Queers in meinem Team haben vor Freude geweint, als ‚Behesht‘ ausgestrahlt wurde«, erzählt Googoosh. Homosexuellen drohen im Iran Peitschenhiebe und schlimmstenfalls die Todesstrafe.

Während der aktuellen Konzerte werden immer wieder Fotos aus dem politischen Zeitgeschehen im Iran eingeblendet, darunter Porträts von Protestierenden, die durch das Regime ermordet wurden. Ebenfalls gezeigt wird das ikonische Bild von Vida Movahed. Während der Proteste 2018 hatte die damals 31- Jährige ihren Hijab öffentlich und demonstrativ abgelegt und war an einer belebten Teheraner Kreuzung auf einen Stromkasten gestiegen. Anschließend befestigte sie das Kopftuch wie eine Fahne an einem Stock und streckte es weit von sich. Dutzende Frauen taten es ihr gleich. Googoosh ist sich sicher: »Wenn es zum Wandel im Iran kommt, dann werden die Frauen die zentrale Rolle spielen.«

Googooshs Musik ist im Iran offiziell verboten, wer sie hört, dem drohen 80 Peitschenhiebe. Ihr Schaffen widerlegt auch das im Westen vorherrschende Klischee, das den Iran und seine Geschichte auf den Islam reduziert. Googooshs Biografie und Karriere machen hingegen die säkulare und feministische Seite des Landes deutlich.

»Nie wieder in der Öffentlichkeit aufzutreten. Das hat sich angefühlt, als wäre mir die Luft zum Atmen genommen worden.«

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