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Deutsche Exporte nach MexikoWaffenhandel
Wo eine Waffe ist, ist auch ein Weg
Hat der deutsche Waffenhersteller Sig Sauer deutsche Exportbestimmungen verletzt, indem er Rüstungsgüter über eine Schwesterfirma in den USA nach Mexiko lieferte? Ein Dokumentarfilm des Regisseurs Daniel Harrich geht diesem Verdacht nach. Von Wolf-Dieter Vogel
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Die Marinesoldaten waren gut vorbereitet. Die Sturmgewehre im Anschlag, vermummt mit olivfarbenen Tüchern und in Kampfausrüstung stürmten die Männer den Schrottplatz »Yonke Pepes«. »Die Soldaten drohten, mich zu töten«, erinnert sich Erika Castro an jenen 16. Mai 2018. Ein Video, das sie auf ihrem Handy gespeichert hat, zeigt Kinder, die völlig verstört vor den Uniformierten stehen und heulen. Und Männer, die gezwungen werden, auf den Boden zu liegen.
Der Spuk in der mexikanischen Stadt Nuevo Laredo im Bundesstaat Tamaulipas dauerte mehrere Stunden. Als sich die Bewaffneten zurückzogen, nahmen sie Castros Lebenspartner José Luis Bautista Carrillo mit. Die Mexikanerin ging zur Kaserne, um nach ihm zu suchen, doch niemand half ihr weiter. Seither ist der damals 32-Jährige nicht mehr aufgetaucht. Er ist einer von über 61.000 Menschen, die in Mexiko als verschwunden gelten.
Nuevo Laredo liegt an der Grenze zu den USA und zählt deshalb zu den besonders gefährlichen Städten. Kriminelle Banden liefern sich blutige Kämpfe um die Kontrolle des Drogenschmuggels. Wie in vielen Regionen Mexikos sind dort Soldaten, Beamte und Polizisten in illegale Geschäfte involviert. Häufig ist unklar, in wessen Interesse sie vorgehen. Außer Frage aber steht: Bei ihren Einsätzen verüben die Sicherheitskräfte oft schwere Menschenrechtsverletzungen. Menschen verschwinden, werden getötet. Insbesondere Marinesoldaten fallen immer wieder wegen ihres brutalen Vorgehens auf. Dass ehemalige Soldaten nun im Rahmen der neugeschaffenen Nationalgarde polizeiliche Funktionen übernehmen, ist daher besonders besorgniserregend.
So auch in den ersten Monaten des Jahres 2018 in Nuevo Laredo. Mit der Begründung, gegen die Mafiaorganisation »Los Zetas« vorzugehen, griffen Marineeinheiten mehrmals Bürgerinnen und Bürger an. Mindestens 33 Menschen verschwanden, während sie sich in den Händen von Soldaten befanden. Die Strafverfolgung ermittelt deswegen gegen 257 Angehörige der Marine. Fotos und Videoaufnahmen des Angriffs auf »Yonke Pepes«, die Amnesty International vorliegen, belegen: Die Soldaten trugen Gewehre des deutschen Unternehmens Sig Sauer.
Das Bundesausfuhramt (BAFA) hat nach Angaben der Bundesregierung Sig Sauer zwar seit 2000 keine Exporte von Pistolen und anderen Waffen mit Endbestimmung Mexiko erlaubt. Doch deren Schwesterfirma in Exeter im US-Bundesstaat New Hampshire ist in den vergangenen Jahren zu einem der größten Rüstungslieferanten des lateinamerikanischen Landes geworden. Denn im Gegensatz zur in Eckernförde ansässigen Firma darf Sig Sauer Inc. die gefährlichen Waren von den USA aus gemäß US-Gesetzen ohne Einschränkungen ins Nachbarland liefern.
Dokumenten des US-Außenministeriums zufolge wurde dem Unternehmen der Verkauf von Gewehren und Pistolen im Wert von 266 Millionen US-Dollar genehmigt. Nach Einschätzungen der US-Friedensorganisation AFSC bedeutet das grünes Licht für die Ausfuhr von 300.000 bis 400.000 Feuerwaffen. Die Genehmigung gelte bis 2024, erklärt AFSC-Aktivist und Rüstungsexperte John Lindsay-Poland und spricht von einer »beispiellosen Menge für die USA und Mexiko«.
Nach Angaben des mexikanischen Verteidigungsministeriums liefert Sig Sauer Inc. bereits seit 2007 zunehmend mehr Pistolen und Gewehre in das Nachbarland. Just in diesem Jahr geriet der Konkurrent Heckler & Koch (HK) in die Schlagzeilen, weil der Waffenbauer illegal Sturmgewehre vom Typ G36 nach Mexiko exportiert hatte. Daraufhin genehmigte das BAFA keine weiteren Ausfuhren von HK-Kleinwaffen in das Land. »Sig Sauer hat einfach den Markt von Heckler & Koch in Mexiko übernommen, als dieser wegen der Skandale nicht mehr liefern durfte«, schlussfolgert Waffenexperte Lindsay-Poland. »Sig Sauer sahnt da richtig ab.« Unabhängig davon, wo die exportierten Pistolen und Gewehre hergestellt wurden, profitiert Sig Sauer von den todbringenden Produkten. Schließlich ist das in New Hampshire ansässige Schwesterunternehmen zu hundert Prozent im Besitz des deutschen Mutterkonzerns, der L & OHolding mit Sitz im nordrhein-westfälischen Emsdetten.
Aber wurden die Waffen ausschließlich in den USA produziert? Dieser Frage geht der vom SWR produzierte Dokumentarfilm »Tödliche Exporte 2« des Regisseurs Daniel Harrich nach, der Anfang April im Rahmen eines ARD-Themenabends ausgestrahlt wurde. Denn der Verdacht liegt nahe, dass die Rüstungsgüter zum Teil in Deutschland hergestellt und über die USA nach Mexiko geliefert wurden, um deutsche Exportbestimmungen zu umgehen. Das wäre nicht das erste Mal: Auf diese Art und Weise hat das Unternehmen bereits Pistolen in das damalige Bürgerkriegsland Kolumbien exportiert. Im April vergangenen Jahres verurteilte das Kieler Landgericht drei Sig-Sauer-Manager zu Bewährungsstrafen, weil sie für die illegale Lieferung
Hochgerüstet unterwegs. Patrouille von Marinesoldaten nahe der mexikanischen Stadt Nuevo Laredo, 2013.
von Pistolen via New Hampshire in das südamerikanische Land verantwortlich gemacht wurden. Unter ihnen Ron Cohen, der Geschäftsführer der US-Schwester Sig Sauer Inc.
Harrich und sein Team, das auch mit Amnesty International zusammenarbeitet, haben in Kolumbien und Mexiko Sig-SauerPistolen aufgetan, die auf eine Herstellung in Deutschland hinweisen. So steht auf einer Waffe sowohl »Made in Exeter« als auch »Made in Germany«, auf einer anderen verweist das sogenannte Beschusszeichen auf das zuständige Amt in Kiel. »Wenn welche dahin gekommen sind, muss das ein anderer Weg gewesen sein, jedenfalls einer ohne Genehmigung«, sagt der ehemalige BAFA-Präsident Arnold Wallraff.
Das US-Außenministerium bestätigt, dass die US-Behörden explizit auch die Produktion von Rüstungsgütern in Mexiko genehmigt haben. Ausgerechnet das für die Marine zuständige mexikanische Ministerium soll demnach Einzelteile erhalten, um die Sig-Modelle vom Typ SP2022, P224, P226, MK25 und P229 zusammenzubauen – Modelle, die teilweise ursprünglich in Deutschland entwickelt und produziert oder auf dieser Grundlage weiterentwickelt wurden. Eine Genehmigung für den Technologietransfer nach Mexiko gab es für Sig Sauer jedoch in den vergangenen 20 Jahren nicht, erläutert die Bundesregierung. Zugleich aber erteilten deutsche Behörden der Firma in diesem Zeitraum 26 Genehmigungen für die Technologieausfuhr in die USA. Handelt es also um eine illegale Lizenzproduktion? Solche Fertigungen dürften nur in dem Land stattfinden, für das sie genehmigt worden seien, betont der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. »Der Export müsste dann wieder bei uns genehmigt werden.«
Für Sig Sauer sind die Geschäfte der US-Schwester sehr lukrativ. Von New Hampshire aus liefert die Firma ihre Produkte in zahlreiche Länder, in denen die Menschenrechte regelmäßig verletzt werden, etwa nach Saudi-Arabien und auf die Philippinen. Einschränkungen hat die Rüstungsschmiede auch innerhalb Mexikos nicht zu befürchten. »Es gibt keine geografischen Restriktionen«, betont das US-Außenministerium. Das mexikanische Verteidigungsministerium bestätigt denn auch, dass ein großer Teil der importierten Schusswaffen in Bundesstaaten gegangen ist, in denen Polizisten und Soldaten besonders eng mit der Mafia zusammenarbeiten: Veracruz, Chihuahua, Sinaloa – und natürlich Tamaulipas.
Dort warten Erika Castro und viele Angehörige bis heute darauf, dass das Verschwinden ihrer Liebsten aufgeklärt wird. Bei der Aufklärung der Fälle habe sich nach zwei Jahren rein gar nichts getan, sagt Raymundo Ramón vom Menschenrechtskomitee Nuevo Laredo. Dann berichtet er von den neuesten Angriffen: Wenige Tage zuvor töteten Soldaten in der Stadt einen unbewaffneten jungen Mann, der auf die Straße gegangen war, um Bier zu kaufen. Die Uniformierten verfolgten den 27-Jährigen mit vier Fahrzeugen und schossen ihn nieder.