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Deniz Yücel im Gespräch
»Gute Geschichten muss man erzählen«
Deniz Yücel über die Türkei, ihr Verhältnis zu Deutschland, seine Zeit in Haft und sein Buch.
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Berlin aufs Dach gestiegen. Auch der Springer-Konzern machte im Jahr 2017 bei der Solidaritätskampagne mit.
Der Blick reicht weit über Berlin, doch das Gespräch wird die Stadt schnell verlassen und sich dem großen Gegensatz zwischen Freiheit und Unfreiheit zuwenden. Wir, das sind Deniz Yücel, Markus Bickel und Maik Söhler, treffen uns im 19. Stock des Axel-SpringerHochhauses in Berlin-Kreuzberg. »Es ist übrigens ein merkwürdiges Gefühl, dass einer meiner Ausbilder mich jetzt interviewt«, sagt Yücel zu Beginn des Interviews zu Maik Söhler. Er erinnert daran, dass die drei sich seit über 20 Jahren kennen und regt an, auch im veröffentlichten Interview beim »Du« zu bleiben. Diesen Wunsch wollen wir Deniz nicht abschlagen.
Auf vielen Fotos der »Free-Deniz-Kampagne« warst du mit einer Zigarette im Mundwinkel zu sehen und in deinem Buch »Agentterrorist« beklagst du dich bitter, dass du im Polizei - gewahrsam nicht rauchen durftest. Nun sitzen wir in einer Raucherlounge und du rauchst nicht. Was ist da los?
Im Polizeigewahrsam habe ich 13 Tage verbracht und durfte nur selten rauchen. Die reingeschmuggelten Nikotinpflaster waren kein adäquater Ersatz. Ich rauche gerne. Und habe trotzdem jetzt aufgehört. Seit Neujahr. Wenn ich an der Bushaltestelle neben Rauchern warten muss, stelle ich mich gerne in den Wind und schnuppere ein bisschen mit. Ich habe viel geraucht und im Alter von 46 Jahren ist es an der Zeit gewesen, aufzuhören.
Wir sehen Nikotinkaugummis vor dir auf dem Tisch und in deiner Hand eine Gebetskette.
Es sind die stärksten Nikotinkaugummis, die es gibt. Im Knast hatte ich auch eine Gebetskette, die habe ich aber verschenkt. Jetzt habe ich wieder eine, die mir beim Nichtrauchen hilft. Nochmal kurz zum Polizeigewahrsam im Jahr 2017. Man sperrt mich ein, nimmt mir die Freiheit, und ich als Raucher erfahre eine weitere Unfreiheit, weil ich die ganze Zeit ans Rau
Du bist jetzt seit zwei Jahren wieder in Freiheit. Wie verändert sich da der Blick auf die Zeit im Gefängnis?
Direkt nach dem Gefängnis gab es Situationen, die ich sehr genossen habe. Den Nachthimmel und die Sterne nach einem Jahr wieder anzusehen. Über einen Markt zu laufen. Alkohol zu trinken. Alltägliche Sachen, deren Qualität man erst bemerkt, wenn man sie vermisst. Aber so, wie man sich daran gewöhnt, eingesperrt zu sein, gewöhnt man sich auch wieder daran, in Freiheit zu sein. Dieses »Wow«-Gefühl habe ich mittlerweile seltener, zuletzt hatte ich es, als Dilek und ich unsere Hochzeit nachgefeiert haben. Wir haben im Hochsicherheitsgefängnis unter Bewachung geheiratet. Das in Freiheit und mit vielen Freunden nachzufeiern, war einfach toll.
»Ich wollte so erzählen, wie es war. Auch detailliert und persönlich, aber nicht indiskret.«
gute Geschichte. Und zum Einmaleins des Journalismus gehört die Erkenntnis: Gute Geschichten muss man erzählen. Als ich die erste Fassung des Buches gelesen habe, gab es einige Passagen, bei denen ich gestaunt habe und vor mir selbst erschrocken bin.
Ein Jahr unschuldig im Knast – wie viel ist noch da von der Wut und der Empörung, ins Gefängnis gesteckt worden zu sein, nur weil du deinen Job ausübtest?
Ich stehe jetzt vor der Aufgabe, das alles in mein Leben einzuordnen. Ich kann das nicht vergessen und andere Leute können das auch nicht vergessen. Ich war gerade für die Welt zur Berichterstattung auf einer Indymedia-Unterstützer-Demo in Leipzig. Zuerst finden sich ein paar Kollegen, die Selfies mit mir machen wollen. Dann wollen Demonstranten auch. Und am Bahnhof auch noch Bundespolizisten. Das zeigt, dass sich meine Rolle als Journalist offensichtlich verändert hat. Und es zeigt: Selbst wenn ich das Knastetikett ablegen könnte, machen andere das noch lange nicht.
Ist es überhaupt möglich, wieder als der Deniz Yücel journalistisch zu arbeiten, der du vor dem Jahr Gefängnis warst?
Nein, jedenfalls nicht uneingeschränkt. Ich bin für die taz als »Provo«-Reporter bei einer der ersten Pegida-Demos mitgelaufen, eine Deutschlandfahne in der Hand. Und in der Türkei habe ich in der Provinz gerne am örtlichen AKP-Parteibüro geklopft, um ins Gespräch zu kommen. Solche Sachen gingen heute nicht mehr. Dennoch: Der Anspruch muss sein, wieder so normal wie möglich als Reporter arbeiten zu können und einen selbstbestimmten Umgang mit dem Jahr im Gefängnis zu finden. Wenn ich das Jahr nicht abschütteln könnte, würde das ja auch bedeuten, dass die gewonnen hätten, dass ich den Knast weiter mit mir rumschleppe.
Welche Passagen waren das?
Alle, in denen ich kämpferisch und unbeugsam bin. Das war eine wichtige Botschaft im Gefängnis: Ich lasse mich nicht mundtot machen, ich lasse mich nicht unterkriegen, ich leiste Widerstand. Erst beim Lesen habe ich dann gemerkt, wie krass das war. Wie sehr ich manchmal meine Frau Dilek und meinen Anwalt Veysel Ok in Gefahr gebracht habe. Dabei war es nicht so, dass man mir das im Knast nicht gesagt hätte. Da habe ich diese Warnungen zur Kenntnis genommen und trotzdem nicht aufgehört. Dieser Drang, allen zu zeigen, ihr kriegt mich nicht klein, ihr Arschlöcher, das hatte eine Entschlossenheit, die auch als Rücksichtslosigkeit gelesen werden kann. Das fand ich erschreckend, ich kann auf viele meiner Kämpfe stolz sein, aber nicht auf alle. Das Buch hat mir sehr dabei geholfen, das zu verstehen.
Würdest du alles wieder so schreiben?
Ja. Ich wollte die Geschichte so erzählen, wie sie war – auch detailliert und persönlich, aber nicht indiskret. Denn in so einer Extremsituation kann jeder einmal etwas unüberlegt sagen, das
Dein Buch ist mittlerweile als Hörbuch erschienen, es gab eine Lesereise durch Deutschland. Welche Rolle spielen das Buch und das Lesen vor Publikum dabei, einen selbstbestimmten Umgang mit Haft und Repression zu finden?
Ich habe das Buch aus zwei Gründen geschrieben. Zuerst als Therapie. Ich habe schon im Knast gemerkt, dass Schreiben mir gut tut. Der zweite, wichtigere Grund war: Es ist einfach eine
Free Deniz und mehr. Amnesty-Aktion am Tag der Pressefreiheit 2017. Foto: Henning Schacht/Amnesty
möglich, auch um daraus Rückschlüsse für das eigene Verhalten ziehen zu können. Die Fragen waren ja immer: Wo steht die türkische Regierung gerade, was will sie, wie können wir, wie kann ich darauf reagieren? Da kann jede Information hilfreich sein, um Schlussfolgerungen zu ziehen, was ich machen kann und was meine Anwälte und Unterstützer machen können. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder zu einem Thema so gut auf dem Laufenden sein werde wie damals.
wiederzugeben für die Beteiligten bloßstellend sein könnte. Ich habe mit fast allen der im Buch Erwähnten die entsprechenden Stellen abgesprochen. Das gilt auch für Minister der Bundesregierung. Es gilt aber nicht für Erdoğan und seine Büttel, da fehlten mir die Kontaktadressen.
Da ist sie wieder, deine Ironie. Im Buch geht sie oft unter in all dem Chaos, das so passiert.
So war das auch. Das Buch zeigt gut, wie ich halt ticke. Und wenn ich so nicht tickte, hätte ich dieses Jahr nicht so überstehen können.
Ein entscheidendes Motiv des Buches ist das der Feindanalyse, die du von einem anderen Gefangenen lernst. Was ist das Ziel derer, die dich einsperren? Wie weit wollen sie es treiben? Du schreibst: Solche Fragen seien es, die dafür gesorgt hätten, dass du klarer siehst.
Ja. Und das bedeutet zuerst: recherchieren. Es gab keine Zeit, in der ich über das deutsch-türkische Verhältnis so gut im Bilde war wie in der Zeit im Knast. Zeitung lesen ist das eine, das andere sind Recherchen, die ich aus dem Gefängnis gemacht habe. Da gab es plötzlich diese »Terrorliste« – deutsche Unternehmen, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt werden. Daim ler und BASF standen drauf. Das war dann doch ein biss - chen viel, und die türkische Regierung hat das zurückgenommen. Eine Woche später hat dann Ministerpräsident Binali Yildirim die Vertreter deutscher Unternehmen zum Mittagessen eingeladen, und am Tisch saß auch, in anderer Funktion, einer meiner Anwälte. Ich wusste also auch, was dort gesprochen wurde.
Ein anderes Beispiel: Bevor ich in einem Text aus dem Knast den Bosch-Konzern dafür kritisiert habe, dass in seiner türkischen Niederlassung Mitarbeiter entlassen wurden, weil sie sich einer Gewerkschaft angeschlossen hatten, habe ich das aus dem Knast heraus nochmal überprüft. Ich war so gewissenhaft wie
Hilft diese Feindanalyse auch bei der Analyse der gegenwärtigen Situation in der Türkei?
Ich bin nicht länger Gegenstand des bilateralen Verhältnisses, also brauche ich die Feindanalyse nicht mehr. Ich verfolge die Ereignisse in der Türkei. Aber es ist ein Blick aus der Ferne. Als Korrespondent aus dem Exil kann und will ich nicht arbeiten. Ich glaube auch nicht, dass das geht. Klar, man kann von außen viel meinen und ständig Leitartikel schreiben. Aber ich will lieber Reisekosten verursachen. In die Türkei?
Derzeit nicht. Ich brauche weder Erdoğan noch die Türkei, um meinen Job zu machen. Ich wollte Journalist werden, seit ich mit 16 mein erstes Praktikum im Lokalteil der Mainzer Allgemeinen Zeitung gemacht habe.
Du hattest politische und diplomatische Unterstützung von Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Gerhard Schröder. Und du hattest mediale und gesellschaftliche Unterstützung. Wie unterscheidet sich diese Unterstützung?
Das war ein Orchester. Die Unterstützer hatten unterschiedliche Aufgaben, und das war auch gut so. Wenn es nach der Bundesregierung gegangen wäre, hätte man versucht, alles im Stillen zu lösen. Das habe ich am Anfang, als ich in die Residenz geflüchtet bin, auch versucht. Ich war nicht darauf aus, zum Posterboy der Pressefreiheit zu werden. Nachdem die Bemühungen der Bundesregierung um eine stille Lösung gescheitert sind, habe ich entschieden, selbst zur Polizei zu gehen. Mir war da bereits klar, dass dieser Schritt auch einer in den Knast sein könnte. Dennoch war das, so paradox es klingt, auch ein Schritt in die Freiheit. Als Gast der Bundesregierung in der Botschafterresidenz musste ich selbst für eine Pizzabestellung um Genehmigung fragen – die ich nicht bekam. Als ich die Residenz verließ, wusste ich: Jetzt kann mir niemand mehr vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe. Ein rauschendes Hochzeitsfest nachgefeiert. Deniz Yücel und Dilek Mayatürk. Foto: Michael Kappeler/dpa/pa
»Amnesty hat schnell eine Postkartenaktion gestartet. Die Karten sind nie bei mir angekommen.«
Jemand aus der Bundesregierung hat mir später gesagt, die »Free-Deniz-Kampagne« sei gut für die Pressefreiheit, aber schlecht für mich gewesen. Ich teile diese Einschätzung nicht. Selbst wenn es so wäre, dass ich ohne lautstarke mediale und gesellschaftliche Unterstützung kürzer im Knast gesessen hätte, dann hätte mir das mehr zu schaffen gemacht, als so, wie es gelaufen ist. Ich saß ja nicht wegen einer Kneipenschlägerei in Haft, sondern weil ich meinen Job als Journalist gemacht habe. Deswegen war die Angst, die jeder im Knast hat, nämlich vergessen zu werden, bei mir noch viel stärker. Es hätte mich fertig gemacht, wenn mich die deutsche Öffentlichkeit nicht unterstützt hätte. Aber passiert ist das Gegenteil, es gab eine großartige, überwältigende Anteilnahme, die zugleich riesigen Druck auf die Bundesregierung aufgebaut hat.
Wie hast du das Engagement von Amnesty International wahrgenommen?
Amnesty hat schnell eine Postkartenaktion gestartet. Das war schon toll. Diese Postkarten sind übrigens nie bei mir angekommen, die wurden einfach nicht weitergeleitet. In der Untersuchungshaft hat mich regelmäßig eine Anwältin von Amnesty besucht, weil sie wusste, dass ich in Isolationshaft sitze. Ich wuss te aber immer auch: Andere Häftlinge, deren Fälle weniger prominent waren als meiner, brauchten die Unterstützung von Amnesty dringender.
Druck aufgebaut. Autokorso 2018 in Berlin. Foto: Jarek Godlewski/Amnesty
DER MENSCH
Deniz Yücel, Jahrgang 1973, geboren in Flörsheim (Hessen), lebt in Berlin. Seit 2017 ist er mit der Dokumentarfilmerin und Lyrikerin Dilek Mayatürk verheiratet. Er hat Politikwissenschaft an der FU Berlin studiert.
DER JOURNALIST
Freier Autor seit 1999, 2002 bis 2007 Redakteur der Wochenzeitung Jungle World, 2007 bis 2015 Redakteur der taz, danach Türkei-Korrespondent der WeltN24-Gruppe und bis heute dort als Autor tätig.
DER FALL
Regierungstreue Medien in der Türkei griffen Yücel bereits im Jahr 2016 an. Damals waren in der Welt zwei Artikel von ihm erschienen über E-Mails von Berat Albayrak, Schwiegersohn des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und damaliger Energieminister, die vom türkischen Hackerkollektiv Redhack veröffentlicht worden waren. Daraufhin erging Ende 2016 ein Fahndungsbefehl gegen Yücel. Am 14.Februar 2017 ging Yücel aus freien Stücken in Istanbul zur Polizei. Die nahm ihn sogleich in »Gewahrsam«. Zwei Wochen danach verhängte ein Gericht wegen anderer Zeitungsbeiträge – zum Kurdenkonflikt und zum Putschversuch 2016 – Untersuchungshaft wegen »Terrorpropaganda« und »Volksverhetzung«. Fast ein Jahr, bis zum 16.Februar 2018, verbrachte er ohne formelle Anklage im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9, davon die längste Zeit in Isolationshaft. Später stufte das türkische Verfassungsgericht die Inhaftierung als rechtswidrig ein. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer bis zu 16 Jahren Haft gefordert. Die nächste Verhandlung ist für den 24.Juni angesetzt.
DAS BUCH
Mit »Agentterrorist« reagierte Yücel im Jahr 2019 auf sein Jahr in Haft. »Schreiben ist Selbsttherapie«, sagt er selbst über das Buch. »Agentterrorist« gehört eindeutig in die Kategorie »politisches Buch«. Denn der Autor verbindet auf jeder Seite seine Wochen in Haft und seinen Widerstand gegen die Repression mit den politischen Verhältnissen jener Zeit. So entsteht eine Machtanalyse des türkischen Staates und seiner Innen-, Justiz-, Außen- und Wirtschaftspolitik. Es ist eine Analyse, die sich zudem aus mehreren Perspektiven speist: Wo der Häftling Yücel Details genau beobachtet, analysiert der Intellektuelle Yücel die Großlage und der Journalist Yücel recherchiert die Fakten. »Agentterrorist« ist aber viel mehr als ein politisches Buch, es ist zugleich eine Liebeserklärung an die Liebe und an die Freiheit. Deniz Yücel: Agentterrorist. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 400 S., 22 Euro. Das Buch ist auch als E-Book und Hörbuch erhältlich.