5 minute read

Frauen in Afghanistan: Zarifa Ghafari setzt sich für gleiche Rechte ein

Eine für alle

»Es ist kein Verbrechen, eine Frau zu sein.« Mit diesen Worten wurde Zarifa Ghafari eine der ersten Bürgermeisterinnen in der Geschichte Afghanistans. Sie machte Politik auch für Frauen und musste daher nach der erneuten Machtübernahme der Taliban fliehen. Im deutschen Exil setzt sie sich weiter für Frauenrechte ein. Von Till Schmidt

Advertisement

Im August 2021 gingen dramatische Bilder um die Welt: Sie zeigten, wie Tausende Menschen in Kabul versuchten, sich in die Evakuierungsflugzeuge zu retten. Weltweit wurde darüber diskutiert, wer und wie viele Menschen unter welchen Bedingungen mitgenommen werden können. Zarifa Ghafari war eine derjenigen, die es an Bord eines Flugzeugs schafften.

Um ihre Fluchtroute zu verschleiern, hatte sie einschlägige Online-Posts gelöscht. In letzter Minute war es ihr gelungen, sich einen Teil ihres Gehalts auszahlen zu lassen. Am Kabuler Flughafen herrschten chaotische Zustände. Dank guter Kontakte stand Ghafari mit ihrer Familie auf mehreren Evakuierungslisten. Doch auch die Taliban hatten Listen angelegt: Mit gerissenen Tricks versuchten die Islamisten, bekannter Flüchtender habhaft zu werden.

Auf zahlreichen Gebäuden wehte bereits die weiße Taliban-Flagge, die Straßen waren von Checkpoints unterbrochen. »Glückwunsch zum Sieg!«, johlten die Islamisten süffisant, als sie einen Konvoi US-amerikanischer und afghanischer Militärfahrzeuge durchließen. Es entging ihnen, dass Ghafari dies alles aus dem Fußraum eines Autos beobachtete. Der Flughafen war ihre letzte Möglichkeit, zu entkommen. Auch sie stand im Fadenkreuz der alten wie neuen Machthaber.

Wie viele andere kritisierte auch Ghafari den Abzug der US-Truppen offen. So etwa, als US-Außenminister Antony Blinken die US-Botschaft in Kabul im April 2021 besuchte. Blinken tat damals ihre stichhaltigen Einwände ab und antwortete: »Wir haben alles unter Kontrolle.« Auch im US-Außenministerium äußerte sich Ghafari kritisch, als sie im Jahr 2020 den »International Women of Courage Award« des Ministeriums erhielt – kurz nach dem Rückzugsabkommen mit den Taliban. Damals sagte sie: »Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung, damit der Friedensprozess in Afghanistan nicht die Errungenschaften zunichtemacht, die seit den dunklen Tagen des Taliban-Regimes erlangt wurden.«

Sie hatte auf konkrete Probleme hingewiesen wie das Recht von Frauen auf Bildung und Beschäftigung, die Gesundheit von Müttern oder die Einflussnahme Pakistans. Ghafaris USA-Reise erregte in afghanischen Medien Aufmerksamkeit. Dadurch geriet sie allerdings noch stärker in den Fokus der Taliban und ihrer Helfershelfer*innen: »Ich konnte ihre Blicke in meinem Rücken förmlich spüren«, schreibt Ghafari in ihrer Autobiografie, die nun auf Deutsch erschienen ist.

Von Mai 2018 bis Juni 2021 war Zarifa Ghafari Bürgermeisterin von Maidan Shar, der Hauptstadt der Provinz Wardak westlich von Kabul, die zum Stammland der Taliban zählt. Ins Amt gelangte sie über Eignungstests, die die Zentralregierung eingeführt hatte, um Geld zu sparen, gegen Vetternwirtschaft vorzugehen und Anschläge auf unliebsame Kandidat*innen zu verhindern. Von Anfang an kämpfte die damals 26-Jährige mit massiven Widerständen. So gab es Versuche, ihren rechtmäßigen Amtsantritt zu verhindern, Schmutzkampagnen, Intrigen und Gewaltdrohungen. Ghafari ließ sich jedoch nicht einschüchtern und nutzte auch die internationale Öffentlichkeit, um ihr Amt zu verteidigen, für das sie sich als dritte Frau in der Geschichte ihres Landes qualifiziert hatte. In einem offenen Brief an den afghanischen Präsidenten drohte sie, sich selbst zu verbrennen: »Es ist mein Recht, das Amt anzutreten, doch mein Geschlecht hindert mich daran. Es ist kein Verbrechen, eine Frau zu sein.«

Gegen viele Widerstände

Geboren 1992 in Kabul, wuchs Ghafari als Tochter eines hochrangigen Militärs und einer Physikerin auf. Ihre politische Karriere war ihr allerdings nicht in die Wiege gelegt. Vielmehr widersetzte sie sich mit Ausdauer und Zielstrebigkeit auch ihrer eigenen Familie. Bei einer Zufallsbegegnung mit einem afghanischen Parlamentsabgeordneten erfuhr sie von einem indischen Stipendienprogramm für junge Afghaninnen. Erst nach langer Diskussion erlaubte ihr Vater ein Studium an der Panjab University Chandigarh. »Im glücklichen, wohlhabenden Chandigarh, unter meinen liberalen Freundinnen und Freunden an der Universität, fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben sicher und als Frau wertgeschätzt«, schreibt Ghafari in ihrem Buch. Während ihres fünfjährigen Studiums gelang ihr auch die Emanzipation von ihrer Familie: »Die räumliche Entfernung (…) bewirkte nicht, dass ich sie weniger liebte, aber ich machte mir weniger

»Ich bin stolz darauf, was wir Frauen schaffen können.«

Zarifa Ghafari

Von den Taliban verfolgt. Die afghanische Frauenrechtlerin Zarifa Ghafari lebt derzeit in Deutschland.

Foto: Insa Hagemann/laif

Gedanken über ihre Reaktionen.« Ein Schlüsselerlebnis für Ghafaris Politisierung war 2015 die Ermordung von Farkhunda Malikzada in Kabul. Die 27-Jährige war auf einer Straße gelyncht worden, nachdem ein Mullah die Lüge verbreitet hatte, sie habe Seiten aus dem Koran verbrannt. Zusammen mit anderen Studierenden organisierte Ghafari auf dem indischen Campus Proteste und startete eine Petition an das afghanische Justizministerium. Rückblickend schreibt sie: »Afghanistan steckte noch tief im Zeitalter der Hexenverbrennungen. In meiner Wohnung in Indien, in einer moderneren Welt, sah ich diese Videos und weinte.«

Mit 22 Jahren schloss Ghafari ihr Studium mit einem Master in Wirtschaftswissenschaften ab und trat einen Verwaltungsjob bei der afghanischen Regierung an. Kurz darauf eröffnete sich ihr die Möglichkeit, in Maidan Schar einen selbstfinanzierten Radiosender zu gründen. »Hallo zusammen. Hier ist Peghla Radio. Wir befassen uns mit den Rechten von Frauen, und wir sind hier, um Sie über die Fakten zu informieren«, sagte sie Korruption vor, startete eine Müllvermeidungskampagne und eröffnete einen Markt nur für Frauen, der nicht nur Arbeitsplätze schuf, sondern für viele auch der einzige Zugang zu Hygieneprodukten war. »Ich bin stolz darauf, gezeigt zu haben, was wir Frauen schaffen können«, sagt Ghafari rückblickend.

Seit September 2021 lebt die Feministin nun in Deutschland und hat den von ihr gegründeten Verein »Assistance and Promotion of Afghan Women« wiederbelebt. »Ich bin auf einer Mission«, sagt sie. »Irgendwann werde ich hoffentlich dauerhaft nach Afghanistan zurückkehren.« ◆

selbstbewusst in der ersten Sendung. »Peghla« bedeutet auf Paschtu »junges Mädchen«. Das Programm richtete sich an Frauen, die damals in Afghanistan zu etwa 90 Prozent Analphabetinnen waren.

Anfängliche Probleme wie eine geringe technische Reichweite des Senders oder Finanzierungfragen meisterten Ghafari und ihr Mitstreiter, ihr späterer Ehemann Bashir, kreativ und schnell. Bei Peghla Radio berichteten Frauen aus der Region anonym von ihren alltäglichen Nöten. Ghafari scheute sich auch nicht, auf die Straße zu gehen, um mehr über die Situation und Probleme vor Ort zu erfahren. Irgendwann hefteten die Taliban einen Zettel an ihre Bürotür: »Wenn du diese Aktivitäten nicht einstellst, liegt alles, was dir oder dem Sender zustößt, in deiner Verantwortung.«

Auch als Bürgermeisterin erhielt Zarifa Ghafari Morddrohungen und überlebte mehrere Attentate. Dennoch verbot sie das Waffentragen im Gebäude der Kommunalverwaltung – als Maßnahme für eine demokratische Konfliktlösungskultur. Sie ging gegen die enorm verbreitete

zarifaghafari.com

Zarifa Ghafari mit Hannah Lucinda Smith: Zarifa – Afghanistan. Aus dem Englischen von Henriette Zeltner-Shane, Sylvia Bieker und Christiane Bernhardt. dtv Verlag, München 2022, 328 Seiten, 22 Euro

This article is from: