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Filme aus Hongkong: Nur noch Standbilder

Nur noch Standbilder

Hongkongs Filmindustrie war einst die drittgrößte der Welt. Schon vor der Niederschlagung der Demokratiebewegung litt die Branche unter Zensur und Selbstzensur. Aber einige Filmemacher*innen machten mit kritischen Dokumentationen weiter. Damit ist es nun vorbei. Von Felix Lee

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Es ist noch nicht lange her, da genossen Filme aus Hongkong einen legendären Ruf. Neben atmosphärisch dichten Spielfilmproduktionen und Kampfsportfilmen fanden sich auch Dokumentarfilme zu politischen Themen. In Abgrenzung zum chinesischen Festland ging es um Freiheit, um Bürgerrechte, um alternative Lebensweisen. Ein Beispiel ist der Film »Lost in the Fumes« der Filmemacherin Nora Lam von 2017. Sie porträtiert darin den Politiker Edward Leung, der wegen seiner Teilnahme an Demokratieprotesten im Gefängnis sitzt. Auf dem Dokumentarfilmfestival in Taiwan 2018 erhielt das Werk einen Preis.

Die vitale Filmszene, die solche Werke hervorgebracht hat, ist jedoch seit einem Jahr ausgelöscht. Produktionen, die sich mit Demokratieprotesten und Polizeigewalt beschäftigen, wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Und auch keine anderen Filme, die der chinesischen Obrigkeit missfallen. Denn seit August 2021 gilt ein Zensurgesetz, das alle Inhalte verbietet, die von den Behörden als Aufrufe »zur Spaltung, zum Umsturz, zum Terrorismus oder als geheime Absprachen mit ausländischen Kräften« gedeutet werden. Das Gesetz gilt sowohl für Neuerscheinungen als auch für ältere Filme. »Jeder Film, der öffentlich gezeigt wird, muss genehmigt werden«, bestätigte Hongkongs Handelsminister Edward Yau bei der Verkündung des Gesetzes vor einem Jahr.

Die Neuregelung hatte genau die verheerende Wirkung, die befürchtet worden war: »Independent-Filme aus Hongkong sind quasi tot«, sagt Chris Berry, Filmwissenschaftler an der University of London, der auf Produktionen aus China, Hongkong und Taiwan spezialisiert ist. Das Zensurgesetz ist Teil des umfassenden Nationalen Sicherheitsgesetzes, das die chinesische Führung in Peking im Juli 2020 beschlossen hatte und das in Hongkong seither so ziemlich alles kriminalisiert, was Hongkongs Regierung und die Volksrepublik kritisiert.

Die Bestürzung war umso größer, als Hongkonger Filmschaffende kurz vorher noch einmal richtig nachgelegt hatten. Das Drama »No. 1 Chung Ying Street« beispielsweise räumte beim Osaka Asian Film Festival in Japan 2018 die wichtigste Ehrung ab. Der angesehene Hongkonger Regisseur Derek Chiu vergleicht darin die Proteste von 1967 gegen die Kolonialmacht Großbritannien mit den Protesten von 2014 und 2015 gegen China. Auch dieser Film darf in Hongkong nicht mehr gezeigt werden.

Der Vergleich tut China weh, stilisiert es sich doch als Befreier vom Kolonialis mus. Bis 1997 war Hongkong eine britische Kronkolonie. Nach der Übergabe an die Volksrepublik wurde ihren Bürgerinnen und Bürgern völkerrechtlich zugesichert, 50 Jahre lang Rechte wie Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit weiter ausüben zu dürfen – so wie sie es unter britischer Verwaltung gewohnt waren. Doch schon kurze Zeit nach der Übergabe unterhöhlten pekingtreue Kräfte in Hongkong den Autonomiestatus und begannen damit, die Stadt den Verhältnissen der autoritären Volksrepublik anzupassen.

Gegen den wachsenden Einfluss der Pekinger Führung hat es in Hongkong seither immer wieder Wellen von Massenprotesten gegeben. Mehr als eine Million Menschen gingen bei den sogenannten Regenschirmprotesten 2014 und 2015 auf die Straßen. Zehntausende blockierten wochenlang das Hongkonger Regierungs- und Finanzviertel. Regenschirme dienten den Demonstrant*innen zur Abwehr gegen Wasserwerfer – daher die Bezeichnung.

Hartes Vorgehen der Behörden

Mit dem Sicherheitsgesetz setzte die Führung in Peking der Demokratiebewegung in Hongkong ein abruptes Ende. Denn es erlaubt den Behörden ein hartes Vorgehen gegen alle Aktivitäten, die nach Auffassung der chinesischen Führung die Sicherheit der Volksrepublik bedrohen. Davon betroffen sind auch Forschung, Bildung und Medien. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Gesetz auch auf die Künste ausgeweitet werden würde – und damit auch auf den Hongkonger Film.

Für die einst florierende Filmszene in der chinesischen Sonderverwaltungszone ist das ein Schock. Hongkongs Filmindustrie war zeitweise eine der größten und vielfältigsten weltweit. Und sie blickt auf eine lange Tradition zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen zahlreiche chinesische Filmemacher nach Hongkong, die vorher in Shanghai – bis dahin das »Hollywood Asiens« – gearbeitet hatten. Auf dem chinesischen Festland siegten die Kommunist*innen, Schauspie ler*in -

nen und Filmemacher*innen wurden als »bourgeois« gebrandmarkt und flohen nach Hongkong. Auch die Kapitalflucht reicher Investoren begünstigte den Aufbau einer Filmindustrie in der britischen Kronkolonie.

In den folgenden Jahrzehnten belieferte die Hongkonger Filmbranche zunächst die Klientel in den Chinatowns Südostasiens und Nordamerikas. Stars wie Bruce Lee und seine Kung-Fu-Filme wurden rasch auch in anderen Kreisen populär. Und die Hongkonger Filmproduzent*innen waren fleißig. Mitte der 1960er Jahre produzierten sie mehr Filme als Deutschland und Frankreich zusammen. Während in den 1970er Jahren viele nationale Filmindustrien in die Krise gerieten und von den Hollywood-Blockbustern überrollt wurden, drehten die Filmstudios in Hongkong munter weiter.

In den 1980er und 1990er Jahren wagten sich die Hongkonger Filmemacher auch an komplizierte Genres heran: Regisseur John Woo etwa, der mit sozialkritischen Gangsterfilmen weltweit bekannt wurde. Andere Regisseure wie Wong KarWai berührten ab den 1990er Jahren auch Themen, die in weiten Teilen Asiens Tabu waren: Homosexualität, psychische Krankheiten, Gewalt in der Familie. Dann folgte die Beschäftigung mit Demokratiebestrebungen. Innerhalb der Hongkonger Filmbranche entstand eine eigene IndieSzene mit Filmemacher*innen, die sich weltweit einen Namen machten.

Zugleich holte die Filmwirtschaft der Volksrepublik im Zuge der Öffnungspolitik zumindest kommerziell rasch auf. Hongkongs Filmbranche verlor daher an Bedeutung. Wurden Anfang der 1990er in Hongkong pro Jahr noch fast 250 Filme fertiggestellt, waren es um die Jahrtausendwende nur noch ein paar Dutzend.

Rettung brachte 2003 ausgerechnet ein Gesetz in China. Um die heimische Filmindustrie zu fördern, erlaubt China bis heute in seinen Kinos nur eine begrenzte Anzahl an ausländischen Filmen. Um der Hongkonger Filmindustrie aus der Krise zu helfen, gab die Führung in Peking grünes Licht, deren Filme ebenfalls als inländische Produktionen anzusehen. Für die Hongkonger Filmindustrie eröffnete sich damit ein gigantischer Markt.

Zuletzt lieferte Hongkong angepasste Ware für den chinesischen Markt.

Einer hält noch die Stellung. Statue des Actionhelden Bruce Lee vor der Skyline von Hongkong.

Foto: Zoonar/pa

Aber was in der Volksrepublik laufen soll, muss an der Zensur vorbei. Hongkongs Filmindustrie hat sich darauf eingestellt und liefert angepasste Ware. Die meisten Produzent*innen verzichten von sich aus auf kritische Themen. Sie setzen auf seichte Stoffe wie Historiendramen, die zuweilen den chinesischen Nationalismus bedienen oder Action-Thriller, die völlig politikfrei sind. »Das chinesische Festland ist heute einer der größten und wertvollsten Kinomärkte der Welt, wahrscheinlich noch wertvoller als der der USA«, sagt Filmexperte Chris Berry. »Filme aus Hongkong sind heute ausschließlich Filme für China.«

Einige Filmschaffende in Hongkong haben sich ihre künstlerische Freiheit so lange wie möglich bewahrt. Dazu gehören Filmemacher*innen wie Nora Lam oder Derek Chiu. Sie zahlen jedoch einen hohen Preis: Ihre Werke werden seit Inkrafttreten des neuen Zensurgesetzes nun auch in ihrer Heimatstadt nicht mehr gezeigt. Bis 2020 hatte die IndieSzene noch ein jährliches Dokumentarfilmfestival, das die unabhängige Organisation Ying E Chi präsentierte. Seit 2020 ist auch das tot, die Webseite von Ying E Chi ist blank.

Viele kritische Filmschaffende haben Hongkong daher in den vergangenen Monaten verlassen. Allein nach London sind rund 80 von ihnen gezogen, schätzt Kit Hung. Der 45-jährige Drehbuchautor und Filmemacher lebt seit Ende 2021 in London. Er hatte unter anderem mit dem teils autobiografischen Film »Soundless Wind Chime« 2009 den Teddy-Award auf der Berlinale gewonnen. Nun unterrichtet er an der Film School der Westminster Universität in London. Ihm gehe es noch gut, sagt er, die Lage seiner Kolleg*innen sei viel schwieriger: »Viele sind nach London gekommen und wissen nicht, was sie tun sollen. Sie wissen nur, dass sie nicht nach Hongkong zurückkehren können.« ◆

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