5 minute read

Künstlerin aus Afghanistan: Nabila Horakhsh im Exil

Nicht nur an der Staffelei thematisiert die Malerin Nabila Horakhsh die Folgen von Unterdrückung und Gewalt.

Advertisement

»Sie haben mich umgebracht«

Als Kind musste Nabila Horakhsh vor den Taliban fliehen. Zurück in Afghanistan wurde sie eine erfolgreiche Künstlerin und Kuratorin, vertrat ihr Land auch auf internationaler Bühne. Dann kehrten die Taliban zurück. Von Cornelia Wegerhoff

Es sind Erinnerungsfotos aus besseren Tagen. Sie zeigen Nabila Horakhsh, damals Anfang 20, im Kreise anderer Künstler*innen in Kabul. Die jungen Leute sitzen entspannt nebeneinander auf einem Teppich oder stehen diskutierend vor frisch bemalten Leinwänden, die an den Wänden lehnen. Sie alle waren kurz zuvor, im Jahr 2009, in der Finalrunde für den afghanischen Preis für zeitgenössische Kunst: Sieben Männer und drei Frauen. »Wir beschlossen danach, als Gruppe weiter künstlerisch zusammenzuarbeiten«, berichtet Nabila Horakhsh heute. »Zeitgenössische Kunst war in Afghanistan noch neu, wir wollten unsere Ideen austauschen.« Die Nationalgalerie in Kabul stellte eigens einen Raum zur Verfügung, in dem sich Künstler*innen treffen konnten. 2011 fand im Goethe-Ins titut Kabul die erste gemeinsame Ausstellung statt. »Wir wollten auch anderen Mut machen, ebenfalls ihre Gemälde, Plastiken und Installationen öffentlich zu präsentieren«, erzählt Horakhsh. Dafür gründete die Gruppe die Berang Arts Organization. Jahr für Jahr stießen mehr aufstrebende afghanische Künstler*innen dazu.

Die Powerpoint-Präsentation springt zu den nächsten Fotos. Im Kleinen Hörsaal der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg gibt Nabila Horakhsh deutschen Studierenden im Schnelldurchlauf einen Einblick in ihr »altes« Leben. Mit der erneuten Machtergreifung der Taliban am 15. August 2021 kam die pulsierende Kulturszene Kabuls abrupt zum Stillstand. Wie Horakhsh sind viele Kulturschaffende außer Landes geflohen, andere tauchten unter. Derzeit ist die Malerin Gastkünstlerin an der HFBK und hat ein Stipendium der Martin-Roth-Initiative des Instituts für Auslandsbeziehungen und des Goethe-Instituts. Sie sei sehr dankbar, dass sie zusammen mit ihren zwei kleinen Kindern und ihrem Mann in Deutschland aufgenommen wurde, sagt die 34-Jährige im Gespräch. Dann fügt sie bitter an: »Für mein eigenes Land wurden all meine Hoffnungen zerstört.«

Als die Taliban vor den Toren der afghanischen Hauptstadt standen, nahm Nabila Horakhsh bei sich zu Hause sämtliche Gemälde aus den Rahmen, rollte die Leinwände zusammen und versteckte sie. Ausstellungsberichte und andere Dokumente ihrer Arbeit verbrannte sie. Was der Terror der Islamisten in ihrem Land anrichtet, hatte die Künstlerin schon Jahre zuvor zum Thema gemacht. Der Schutz der Menschenrechte stand auf der Agenda der von ihr mitgegründeten Berang Arts Organization. Und auch an der Staffelei widmete sich die Malerin den Folgen von Unterdrückung und Gewalt.

Nabila Horakhsh in ihrem Hamburger Atelier.

Foto: Tim Albrecht

Feuerrot leuchtet der Himmel auf einem ihrer Gemälde. Die Landschaft im Vordergrund besteht aus halb brennenden, halb verkohlten Bäumen. Die sich windenden Stämme im Inferno ähneln menschlichen Gestalten. Explosionen, Selbstmordattentate – all das gehörte schon in den vergangenen Jahren wieder zum afghanischen Alltag, erzählt die Malerin. In Moscheen wurden Betende getötet, auf Märkten Menschen, die nur Gemüse kaufen wollten. In Schulen starben Kinder beim Lesenlernen. »Die Taliban nahmen alles und jeden ins Visier, nur um unsere Regierung zu stürzen«, sagt Horakhsh. Mit dem Islam habe das nichts zu tun, betont sie. Die Taliban seien nur Terroristen, die sich zurück an die Macht gebombt hätten.

Berührende Geste des Verlusts

Auf einem Gemälde aus dem Jahr 2018 hat die Malerin fünf afghanische Frauen dargestellt. Sie stehen in ihren blauen Gewändern vor einem ebenfalls feuerroten Hintergrund. Schmerzgebeugt halten sie die Fotos ihrer Angehörigen umschlungen – eine berührende Geste des Verlusts. Der Raum, in dem die Trauernden stehen, ist von leuchtenden Blumen umrankt. Ein Motiv, das sich in Horakhsh’ Werken wiederholt. Es erinnert an die folkloristi-

Als die Taliban vor den Toren Kabuls standen, versteckte die Künstlerin ihre Leinwände.

schen Stickereien, die sie bei Verwandtenbesuchen in den Dörfern sah. »Ich hörte mir die traurigen Geschichten der Frauen an, wie sie litten, wie sie kämpfen muss ten, umgeben vom Terror. Und dennoch war ihr Zuhause wunderschön dekoriert. Die Frauen haben ihre eigene bunte Welt geschaffen, ihre eigene Energie«, sagt Horakhsh. Sie sei unendlich stolz auf die tapferen afghanischen Frauen, die es sogar wagten, öffentlich gegen die Taliban zu demonstrieren.

Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef ist es derzeit rund drei Millionen Mädchen in Afghanistan untersagt, eine weiterführende Schule zu besuchen (siehe auch Graphic Report, Seite 38). Die meisten Schülerinnen, die früher zu den gemischten Kunst- und Musikklassen von Berang Arts kamen, müssen jetzt zu Hause bleiben. Als Nabila Horakhsh ein Mädchen war, drohte ihr das gleiche Schicksal. Als die Taliban 1996 zum ersten Mal Kabul eroberten, packten ihre Eltern die Koffer und zogen mit der Familie zunächst nach Masar-i-Scharif im Norden. Als die Taliban auch diese Region eroberten und ihre großen Schwestern aus der Schule nach Hause geschickt wurden, flohen sie ins benachbarte Pakistan. Erst 2002 wagte sich die Familie zurück in die Heimat. Nabila Horakhsh studierte in Kabul Literatur und entdeckte ihre Leidenschaft für die Kunst.

Ihren eigenen Kindern habe sie eine Flucht unbedingt ersparen wollen. Aber zu bleiben sei zu gefährlich gewesen. Horakhsh gehörte zu den ersten Frauen Afghanistans, die im Center for Contemporary Arts Afghanistan (CCAA) ihre Werke präsentierten, war Teilnehmerin der ersten Ausstellung nur mit weiblichen Künstlerinnen. 2012 gehörte sie zum Projektteam, das die afghanische Teilnahme an der documenta 13 realisierte. Mehrfach vertrat Nabila Horakhsh ihr Land bei Gruppenausstellungen im Ausland. Nach dem Einmarsch der Taliban habe sie nachts vor Angst kaum noch geschlafen, sagt sie. Im Februar 2022 gelang ihr und ihrer Familie schließlich die Flucht.

Neben ein paar aufgerollten Leinwänden hat die Afghanin einige der Zeichnungen mit nach Hamburg gebracht, die entstanden, als sie sich zu Hause versteckt hielt. Ein Bild zeigt eine Frau mit geschlossenen Augen, der Mund fehlt. Der Körper der Frau scheint wie in einer Grube versunken. In unzähligen schwarzen Linien zerfließen Kopftuch, Haare, Körperumrisse mit dem Erdreich. Zwei Vögel hocken schon obenauf, aus dem Boden starren Augenpaare. Dutzende Male steht in Farsi zwischen dem Linienknäuel geschrieben: »Sie haben mich umgebracht.«

Diese Zeichnung sei kurz nach dem 15. August 2021 entstanden, erläutert Nabila Horakhsh. Alle, die sich bis dahin in Afghanistan für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit stark machten, hätten so viele Opfer gebracht. Und nun zerstörten die Taliban alles Erreichte. »Sie haben mich tatsächlich umgebracht«, betont die afghanische Künstlerin und Kuratorin. Sie sage das nicht nur so daher: Ihr altes Leben werde sie nie wieder zurückbekommen. ◆

This article is from: