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Feministischer US-Punk: The Linda Lindas

Mit Wutund Leichtigkeit

Ihre energiegeladene Punk-Hymne »Racist, Sexist Boy« machte The Linda Lindas schlagartig bekannt. Mittlerweile haben die Nachwuchsmusikerinnen ihr Debütalbum veröffentlicht und spielen Konzerte in aller Welt. Von Tobias Oellig

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Energiegeladen wie ein Tornado: Die Musikerinnen Bela Salazar, Lucia de la Garza, Eloise Wong und Mila de la Garza (v.l.n.r.).

Foto: Krista Schlueter/The New York Times/Redux/laif

Rund zwei Minuten dauert das YouTube-Video zum Song »Racist, Sexist Boy«, das im Frühjahr für The Linda Lindas alles ins Rollen brachte. In dem Clip stehen vier Mädchen mit ihren Instrumenten und Verstärkern in einer Bibliothek. Mit wenigen Worten kündigt die damals neunjährige Drummerin Mila de la Garza den Song an: »Kurz vor dem Lockdown kam ein Junge aus meiner Klasse zu mir und meinte, sein Vater habe ihm gesagt, er solle sich von Chines*innen fernhalten«, erzählt sie. »Als ich ihm gesagt habe, dass ich Chinesin bin, ist er auf Abstand gegangen. Eloise und ich haben dann diesen Song darüber geschrieben.« »Das geht an alle rassistischen, sexistischen Jungs da draußen!«, ruft ihre Bandkollegin und dann rocken die vier Teenagerinnen mit Wucht los, brüllen wütend in die Mikrofone, schrammeln auf ihren Gitarren und dreschen auf die Drums ein. »Du bist ein rassistischer, sexistischer Junge«, schreien sie. Und: »Wir bauen wieder auf, was Du zerstörst!«. Schlussakkord, schüchternes Lächeln –Ende der Durchsage! Kaum zwei Minuten lang, ist dieses Video so energiegeladen, als würde ein Tornado durch die Buch reihen wüten.

Ebenso stürmisch wie ihr Auftritt war die Resonanz im Netz. Nachdem die L.A. Public Library das Video mit dem Kommentar »Legt euch bloß nicht mit den Linda Lindas an« veröffentlicht hatte, wurde der Song millionenfach geklickt. Musikerkolleg*innen twitterten begeis tert über den Auftritt in der Bücherei. Tom Morello, Gitarrist von Rage Against The Machine, kürte »Racist, Sexist Boy« zu seinem »Song des Tages«. Auch jenseits der Musikszene nahm man Notiz von den Kalifornierinnen: Überregionale US-Medien berichteten über die Linda Lindas, und der vietnamesisch-amerikanische Autor und Pulitzer-Preisträger Viet Thanh Nguyen lobte: »›Racist, Sexist Boy‹ ist das Lied, das wir gerade brauchen.«

Damit bezog er sich auf die seit Beginn der Corona-Pandemie (und noch immer) wachsende Zahl an Hassverbrechen gegen asiatischstämmige Menschen in den USA. Traurige Höhepunkte dieser Entwicklung waren im Frühjahr 2021 ein Amoklauf in Atlanta, bei dem acht Menschen getötet wurden, darunter sechs asiatischstämmige Frauen, sowie der Mord an Yao Pan Ma, einem 61-jährigen Einwanderer aus China, der seinen schweren Verletzungen erlag, nachdem er im April in New York auf der Straße zusammengeschlagen worden war.

In diese Zeit fiel die Veröffentlichung des Konzertmitschnitts der Linda Lindas. Mit ihrem rohen Punksound fingen sie nicht nur den kollektiven Schmerz ein, sondern setzten gleichzeitig ein wütendmelodisches Statement gegen den Hass. Eine antirassistische Hymne, der trotz aller Schwere des Themas Leichtigkeit innewohnte, die etwas Hoffnung und Zuversicht in düsteren Zeiten verbreitete. Ziemlich viel für ein paar Nachwuchspunkerinnen, die gerade mal zwischen elf und 16 Jahre alt waren.

Nicht rumsitzen, sondern mitmischen

Seit 2018 spielen die vier Linda Lindas zusammen: die heute 12-jährige Mila de la Garza (Gesang & Schlagzeug), ihre 15jährige Schwester Lucia de la Garza (Gesang & Gitarre), ihre Cousine Eloise Wong (14 Jahre alt, Gesang & Bass) und die gemeinsame Freundin Bela Salazar (Gesang & Gitarre), die gerade 18 geworden ist. Im politisch-gesellschaftlichen Diskurs mitmischen zu wollen, hat sich die Band schon früh auf die Fahnen geschrieben. Vor den letzten US-Wahlen forderten sie mit dem Song »Vote!« Erwachsene dazu auf, wählen zu gehen, und ließen in den Liedzeilen unmissverständlich ihr Bandcredo aufblitzen: »If you don’t speak/ You’ll never be heard/So shout and scream.«

Nicht einfach rumsitzen und auf bessere Zeiten warten, sondern: sich nichts gefallen lassen, die Stimme erheben, oder besser noch: schreien! Damit stehen sie in gewisser Weise in der Tradition der Riot Grrrls, einer in den 1990er Jahren in der US-amerikanischen Hardcore-PunkSzene entstandenen emanzipatorischen und feministischen Bewegung. Die Riot Grrrls rebellierten gegen mangelnde Gleichberechtigung, die Dominanz männlicher Musiker und den Sexismus in der Punkszene und deuteten »weibliche« Rollenmuster radikal um.

Zu den frühen und prägenden Vertreterinnen der Bewegung zählt die US-amerikanische feministische Aktivistin Kathleen Hanna, Sängerin der Band Bikini Kill und Gründerin der Electropunkband Le Tigre. Hanna nahm früh Notiz von den Linda Lindas und engagierte sie bereits 2019 als Vorband für einen Auftritt von Bikini Kill im Hollywood-Palladium vor mehreren Tausend Zuschauer*innen. Und für das Netflix-Comedy-Drama »Moxie« (2021) coverten die Linda Lindas »Rebel Girl«, einen der bekanntesten Bikini KillSongs: »When she walks, the revolution is coming/In her hips, there’s revolution/ When she talks, I hear the revolution/In her kiss, I taste the revolution.«

Ihr roher Punksound setzt ein wütendmelodisches Statement gegen den Hass.

Ganz so selbstgemacht wie bei den All-Girl-Bands in den 1990ern geht es bei den Linda Lindas allerdings nicht zu. Während die Riot Grrrls auf Selbstverwaltung und alternative Produktions- und Vertriebsstrukturen Wert legten, sorgen im Hintergrund der Linda Lindas professionelle Kräfte für Rückenwind. Der Vater von Mila und Lucia, Carlos de la Garza, hat als Produzent schon mit Bad Religion, Jimmy Eat World und den Musikerinnen und LGBTI+-Aktivistinnen Tegan And Sara im Studio gestanden. Dass die Linda Lindas nun bei Epitaph Records unter Vertrag stehen, dem Label von Bad ReligionGitarrist Brett Gurewitz, hat sicher auch mit dem Einfluss von Carlos de la Garza zu tun. In dieser kreativen kalifornischen Umgebung ist auch die Mutter von Gitarristin Bela Salazar unterwegs, die Mode macht. Der Vater von Eloise war in den 1990ern Mitbegründer des Indie-Magazins »Giant Robot«, das aus der asiatischamerikanischen Künstlerszene berichtete.

Seit der Bandgründung 2018 haben The Linda Lindas etliche Singles und eine EP veröffentlicht, derzeit sind sie mit ihrem Debütalbum »Growing Up« weltweit auf Tour. Es erzählt vom Aufwachsen inmitten der Corona-Pandemie, als Schulen geschlossen waren und man von Freun d*innen getrennt war, was die übliche Einsamkeit und Verwirrung des Teen agerdaseins noch verstärkte. Die Linda Lindas singen über Desillusionierung und Selbstakzeptanz, Ungewissheit und Leichtigkeit, Rassismus oder einfach über ihre Katze (»Nino«). Mal rotzig anklagend – »you think it’s fine, you say it’s fine, you tell us it’s fine, It’s not fine!« – mal unbeschwert und poppig. Immer mit eingän gigen Refrains und mit viel Zuversicht: »Maybe tomorrow will be bigger, brighter, bolder.«

Den überwältigenden Problemen unserer Zeit haben die Linda Lindas einiges entgegenzusetzen: spielfreudigen Punk und die frohe Botschaft des Titeltracks »Growing up«: Letztlich wissen wir ohnehin nicht, wohin es mit uns geht – also halten wir besser zusammen und passen gut aufeinander auf. ◆

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