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Klangbrücken zwischen den Kulturen
Für ihr neues Album »Roya« hat die israelisch-iranische Sängerin Liraz Charhi heimlich Musiker*innen aus dem Iran nach Istanbul geholt. Das Resultat ist versöhnender globalisierter Pop. Von Thomas Winkler
Liraz singt auf Farsi und Hebräisch.
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Foto: Renaud Monfourny/Leextra via opale.photo/laif
Die Entstehungsgeschichte von »Roya« ist erstaunlich: Die Musiker*innen standen sich gegen über, sahen sich in die Augen und musizierten im selben Raum, als sie das Album aufnahmen. In diesem Fall ist dies keine Selbstverständlichkeit, denn Sängerin Liraz Chari ist israelische Staatsbürgerin, die Musiker*innen, mit denen sie ihr Album aufgenommen hat, leben jedoch im Iran. Israel und die Islamische Republik sind bekanntlich alles andere als freundschaftlich verbunden.
Die Aufnahmen in Istanbul waren höchst gefährlich, die Namen der aus Teheran angereisten Musiker und vor allem der Musikerinnen müssen bis heute geheim bleiben. »Ich kann mich nur noch fragmentarisch erinnern«, erzählte Liraz in einem Interview. »Die Angst und die Sorgen, als sie sich auf den Weg machten. Die Tränen der Freude und der Erleichterung, als wir uns endlich umarmen konnten. Und die Musik, die wir zusammen machten. Was für eine Musik!«
Man hört »Roya« seine dramatische Entstehungsgeschichte durchaus an, vor allem in Balladen wie »Tanha« oder »Gandomi«, die Elemente der klassischen persischen Musik aufgreifen. Daneben überraschen aufgeräumte Lieder wie »Mimiram« mit sommerlichem Pop, durch den nur eine sanfte Melancholie weht. Und »Junoonyani« flattert nervös wie ein hochmodernes K-Pop-Stück, konterkariert dies aber mit Harmonien aus der persischen Tanzmusik. Das Ergebnis ist globalisierter Pop, der Zwischentöne und Verschiedenheiten nicht übertüncht, sondern miteinander versöhnt.
Das musikalische wie politische Versöhnungsprojekt scheint bereits in der Biografie der heute 44-jährigen Liraz angelegt zu sein: Ihre Eltern, sephardische Juden, wanderten als Teenager in den späten 1960er Jahren aus dem Iran nach Israel aus. Ihre Tochter wurde in Ramla geboren und wuchs mit Liedern, Geschichten und Filmen aus dem Iran auf, den die Familie nach der Islamischen Revolution 1979 nicht mehr besuchen durfte: »Ich fühlte mich sehr iranisch, gleichzeitig aber auch sehr israelisch«, sagt Liraz. »Wenn ich von zu Hause zur Schule ging, fühlte ich mich, als reiste ich in ein anderes Land.«
Nach dem Militärdienst und einem Schauspielstudium reüssierte Liraz zuerst als TV- und Filmschauspielerin, bevor sie sich der Musik zuwandte. Schon auf ihrem ersten Album »Naz« verarbeitete sie ihr familiäres Erbe, ließ sich von iranischer Musik inspirieren und schlug Klangbrücken zwischen den beiden Kulturen. Statt auf Hebräisch sang sie in ihrer Muttersprache Farsi (siehe auch Amnesty Journal 02/2021).
Das Album fand nicht nur Fans in Israel, sondern auch im Iran. Dort lebende Musiker*innen, die zum großen Teil im Verborgenen, in ständiger Angst vor einer Entdeckung durch den Geheimdienst arbeiten müssen, nahmen mit ihr Kontakt auf. Weil Popmusik im Iran einer strengen Zensur unterliegt und Frauen nicht als Solistinnen auftreten dürfen, plante Liraz ihr zweites Album deshalb als virtuelle Zusammenarbeit mit den neuen Kolleg*innen: E-Mails gingen hin und her, über Skype wurde konferiert, die Musik fand durchs Netz zusammen, aber getroffen hatten sich die Beteiligten nicht, als »Zan« vor zwei Jahren erschien.
Das wurde für »Roya« nun nachgeholt. Die neue Nähe, die Intensität zwischen der Sängerin und ihrer anonymen Band kann man hören, das Album klingt organischer als seine Vorgänger, aber die Musik hat ihren brückenschlagenden Charakter erhalten. Was für ein Glück, was für eine Musik. ◆
FILM & MUSIK
Fluide Identitäten
Der Titel klingt nach einem popfeministischen Essay, aber stattdessen ist »Your Feminism Is Not My Feminism« eine verrauchte, mit Jazz-Klischees spielende Ballade auf »Stay Close To Music«. Das neue Album von Mykki Blanco ist ein typisches Beispiel für ihre Kunst. Die Musikerin, Dichterin und Aktivistin ist eine Verwandlungskünstlerin, die alles im Fluss hält. Ihr Erscheinungsbild, ihre Botschaft, ihr Geschlecht, die Musik sowieso, alles ist in stetem Wandel begriffen.
Geboren 1986 als Michael David Quattlebaum Jr. in Kalifornien, hat Mykki Blanco, die sich seit einigen Jahren als nonbinär identifiziert, als Kunstfigur verschiedene Aggregatzustände durchlaufen. In der Techno-Szene erregte sie Aufsehen als Drag Queen am Plattenteller, im testosteronsatten HipHop war sie –lange vor Lil Nas X – schwule Avantgarde, den Literaturbetrieb verschreckte sie als Poetin mit queeren Positionen, als Aktivistin schlüpfte sie in die Rolle einer braven weißen Hausfrau. Die New York Times beschrieb sie als »respekteinflößende Präsenz in der Kunst- und Cabaret-Szene«. Sie erregte dermaßen Aufsehen, dass Stars wie Kanye West, Charli XCX oder Madonna um Zusammenarbeit baten, Mykki Blanco blieb aber immer Außenseiterin, Subkultur, Anti-Mainstream.
Auf dem neuen Album reflektiert sie ihre vielen Rollen, erzählt im BekenntnisTrack »Carry On« vom Leben als Schwarzer Schwuler mit AIDS und fragt, weniger provokativ als eher neugierig: »What you see when you look at me?« (»Was siehst du, wenn du mich ansiehst«?) Die Antwort ist so komplex wie die Musik, die zwar eindeutig vom Dancefloor und Hip Hop kommt, aber auch vor Pop nicht zurückschreckt und sich längst aufgemacht hat in experimentelle Sphären zwischen Jazz und Klangkunst. »Stay Close To Music« ist ein Kaleidoskop, das zwar nicht alle, aber sehr viele Facetten einer kaum fassbaren Persönlichkeit abbildet.
Mykki Blanco: »Stay Close To Music« (PIAS/Transgressive/ Rough Trade) erscheint am 14.10.
Aufstehen!
Kali Akuno kämpft in den USA gegen Rassismus. Gemeinsam mit anderen versucht er, in seiner Kommune eine solidarische Ökonomie zu implantieren. Camila Cáceres bezeichnet ihr Heimatland Chile als Militärdiktatur mit WLAN. Ihr Ziel: Demokratie schaffen und die Welt verändern. Marlene Sonntag organisiert Hilfsgüter für die kurdische Autonomieregion Rojava und riskiert dabei ihr Leben: Rojava ist immer wieder Ziel türkischer Angriffe. Judith Braband, einige Jahre älter als die anderen, hat sich aktiv an der Demokratisierung der DDR versucht, musste dafür ins Gefängnis. Zur Wendezeit war sie politisch sehr aktiv, unter anderem als erste Geschäftsführerin der Vereinigten Linken in Deutschland. Shahida Issel war ANC-Aktivistin in Südafrika, hat ihr Leben dem Kampf gegen die Apartheid gewidmet.
Fünf Menschen, die exemplarisch soziale Kämpfe auf der Welt repräsentieren. Ein Team um den Filmemacher Marco Heinig porträtiert sie für den Film »Rise up« in ihrer Umgebung, mit ihren Ideen und Ansichten. »Heimgesucht von Albträumen auf der Suche nach Träumenden« lautet das Filmmotto. Welche Befürchtungen haben Menschen, die sich in soziale Auseinandersetzungen werfen? Wie können sie sie überwinden? »Angst ist okay«, sagt Marlene Sonntag, »aber sie sollte nicht das Leben bestimmen.« Obwohl alle Protagonist*innen mit misslichen Umständen zu kämpfen hatten, haben sie sich ihre positive Einstellung bewahrt – und Haltung entwickelt: »37 Prozent der englischen Arbeitnehmer halten das, was sie tun, für komplett sinnlos«, führt Cáceres aus. Das könne ihr nicht passieren, ihr Kampf gebe ihr Energie.
Der Erfolg gebe den meisten Engagierten zudem Recht, wie es im Film heißt: »Wir leben in einem Zeitalter eingelöster Utopien« – Verfechterinnen des Frauenwahlrechts seien früher auch ausgelacht worden. »Rise up!« ist eine höchst interessante Reflexion über das soziale Engagement unserer Zeit.
»Rise up«. D 2022. Regie: Marco Heinig u.a. Kinostart: 27.Oktober 2022
Die Flucht in Öl auf Glas
»Das Haus beobachtet uns«: Die Geschwister Kyona und Adriel befinden sich auf der Flucht; sie sind ängstlich, seitdem ihr Dorf überfallen wurde. Die Familie war gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, wurde unterwegs getrennt. Nun schlagen sich die zwei Kinder allein durch. Der Krieg wird die beiden immer wieder einholen. Wo wird ihre Reise enden?
Kyona führt ein Skizzenbuch über ihr unfreiwilliges Unterwegssein, dieses bildet das märchenhafte Grundgerüst für den spektakulären Film »Die Odyssee«. Regisseurin Florence Miailhe will damit allen Kindern auf der Flucht ein Denkmal setzen. Und sie tut dies mit außergewöhnlichen Mitteln: Die einzelnen Szenen ihres Animationsfilms wurden mit Öl auf Glas gemalt. Zehn Jahre dauerte die Produktion. Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit mit der Kinderbuchautorin Mary Desplechin, die seit 30 Jahren Romane, Kurzgeschichten und Essays publiziert. Die ersten Entwürfe wurden auf eine Kassenzettelrolle gezeichnet, ein Stab von Künstlerinnen in Deutschland, Frankreich und Tschechien begab sich anschließend an die intensive Ausführung. Hanna Schygulla erzählt die spannende wie traurige Geschichte.
Ihre Familiengeschichte sei selbst eine von Krieg und Vertreibung, sagt Miailhe. Schon ihre Urgroßeltern seien zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus ihrer Heimatstadt Odessa vor antisemitischen Pogromen geflohen, die Großeltern mussten ebenfalls weg, versteckten die Kinder im Handgepäck. Miaihle: »Es braucht viel Einfallsreichtum und Hoffnung, um diese immensen und gefahrvollen Reisen auf sich zu nehmen«, sagt Miailhe.
Die Suche nach einem weniger feindseligen Land; der Entschluss, Meere und Kontinente zu überqueren, das alles sei Teil der Menschheitsgeschichte. Hinter den einfach gehaltenen Bildern des Films verbirgt sich eine universelle Geschichte. Eine beeindruckende künstlerische Arbeit.
»Die Odyssee«. CZE/Frankreich/ Deutschland 2021. Regie: Florence Miailhe. DVD. Im Handel ab 28.Oktober 2022
SCHREIBEN SIE EINEN BRIEF
Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Herkunft oder aus rassistischen Gründen inhaftiert, ermordet, verschleppt, oder man lässt sie verschwinden. AMNESTY INTERNATIONAL veröffentlicht an dieser Stelle regelmäßig Geschichten von Betroffenen, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu beenden. Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes.
• RIE F B E GEGEN DAS VE R GESSEN
Foto: Grzegorz Zukowski
POLEN JUSTYNA WYDRZYŃSKA
Die Menschenrechtsverteidigerin Justyna Wydrzyńska wurde wegen ihres Einsatzes für den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen angeklagt. Im Fall einer Verurteilung drohen ihr bis zu drei Jahre Haft. Die Anklagen gegen sie beruhen auf Artikel 152, Absatz 2 des polnischen Strafgesetzbuchs wegen »Hilfe bei der Durchführung einer Abtreibung« und Artikel 124 des Arzneimittelgesetzes wegen »Besitzes nicht zugelassener Arzneimittel mit dem Ziel, diese in den Verkehr zu bringen«. Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist in Polen stark eingeschränkt, und die Hilfe bei einem Schwangerschaftsabbruch außerhalb der begrenzten erlaubten Gründe ist eine Straftat. Die Anklagen gegen Justyna Wydrzyńska sind ein bewusster Versuch, ihren legitimen Aktivismus das Recht von Frauen und allen Menschen, die schwanger werden können, auf Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen in Polen zu unterbinden.
Bitte schreiben Sie bis 30.November 2022
höflich formulierte Briefe an den Generalstaatsanwalt von Polen und fordern Sie ihn auf, dafür zu sorgen, dass alle Anklagen gegen die Menschenrechtsverteidigerin Justyna Wydrzyńska unverzüglich fallen gelassen und keine weiteren Anklagen erhoben werden, die darauf abzielen, sie oder andere Aktivist*innen zu kriminalisieren, weil sie Menschen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen wollen, lebensrettende Hilfe leisten.
Schreiben Sie in gutem Polnisch, Englisch oder auf Deutsch an:
Prosecutor General Mr. Zbigniew Tadeusz Ziobro ul. Postępu 3 02-676 Warszawa, POLEN E-Mail: biuro.podawcze@pk.gov.pl (Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)
Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:
Botschaft der Republik Polen Herrn Paweł Sergiusz Gronow, I. Botschaftsrat (Geschäftsträger a. i.) Lassenstraße 19–21, 14193 Berlin Fax: 030-22313155 E-Mail: berlin.amb.sekretariat@msz.gov.pl (Standardbrief: 0,85 €)
CHINA ILHAM TOHTI
Der uigurische Wissenschaftler und Schriftsteller Ilham Tohti musste seinen Geburtstag am 25.Oktober 2022 erneut in Haft verbringen. Er wurde im September 2014 wegen »Separatismus« zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt, nur weil er den Umgang der chinesischen Regierung mit der vornehmlich muslimischen uigurischen Minderheit in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang kritisierte, den friedlichen Dialog förderte und sich gegen Unrecht und Diskriminierung einsetzte. Ilham Tohti ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der allein wegen der friedlichen Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung festgehalten wird. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat am 31.August 2022 einen lange überfälligen Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang veröffentlicht. Darin erheben die UN schwere Vorwürfe gegen China und sprechen von möglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Rahmen der Kampagne »Free Xinjiang gelmäßigen Kontakt zu seiner Familie und seinen Rechtsbeiständen haben. Fordern Sie den Präsidenten außerdem auf, die Freilassung aller Gefangenen zu veranlassen, die willkürlich in Internierungslagern und Gefängnissen in Xinjiang inhaftiert sind.
Foto: privat
Detainees« hat Amnesty International bis heute die Fälle von 120 Personen dokumentiert, die zu den mutmaßlich mehr als eine Million Menschen gehören, die willkürlich in Internierungslagern und Gefängnissen in Xinjiang inhaftiert sind.
Bitte schreiben Sie bis 30.November 2022
höflich formulierte Briefe an den chinesischen Staatspräsidenten und bitten Sie ihn, die Freilassung von Ilham Tohti anzuordnen. Solange er sich noch in Haft befindet, darf Ilham Tohti weder gefoltert noch anderweitig misshandelt werden, er muss Zugang zu medizinischer Behandlung erhalten und re-
Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch an:
President Xi Jinping Zhongnanhai Xichangan’jie Xichengqu Beijing Shi 100017 VOLKSREPUBLIK CHINA Fax: 0086-1062381025 E-Mail: english@mail.gov.cn (Anrede: Dear President Xi Jinping / Sehr geehrter Herr Präsident) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)
Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:
Botschaft der Volksrepublik China S. E. Herrn Wu Ken Märkisches Ufer 54, 10179 Berlin Fax: 030-27588221 E-Mail: de@mofcom.gov.cn oder presse.botschaftchina@gmail.com (Standardbrief: 0,85 €)
MAROKKO OMAR RADI
Am 3.März 2022 bestätigte das Berufungsgericht in Casablanca die sechsjährige Haftstrafe, zu der der Enthüllungsjournalist Omar Radi wegen Spionage und Vergewaltigung verurteilt worden war. Das gesamte Verfahren gegen ihn war durch eklatante Verstöße gegen die Standards für faire Gerichtsverfahren gekennzeichnet. Als die marokkanischen Behörden im Juni 2020 damit begannen, gegen Omar Radi zu ermitteln, recherchierte der Journalist gerade zu unrechtmäßigen Enteignungen von Stammesland in Ouled Sbita. Bereits vor seiner Festnahme im Juli 2020 hatten die Behörden Omar Radi wegen seiner journalistischen Arbeit, in der er Menschenrechtsverletzungen kritisierte und Korruption aufdeckte, wiederholt schikaniert. Im Juni 2020 hatte ein Bericht von Amnesty
Bitte schreiben Sie bis 30.November 2022
höflich formulierte Briefe an den marokkanischen Premierminister und fordern Sie ihn auf, dafür zu sorgen, dass Omar Radi ein faires Gerichtsverfahren nach internationalen Standards erhält. Bitten Sie ihn außerdem, zu gewährleisten, dass Omar Radi sofort die Möglichkeit erhält, seine fortgesetzte Inhaftierung von einem Gericht prüfen zu lassen.
Briefentwürfe auf Englisch und Deutsch finden Sie unter www.amnesty.de/briefe. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie sie bitte an: info@amnesty.de
Foto: Fanny Hedenmo
International enthüllt, dass die Behörden Omar Radi mithilfe von Spionagesoftware des israelischen Unternehmens NSO Group ins Visier genommen hatten.
AMNESTY INTERNATIONAL
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin Tel.: 030 - 42 02 48 - 0, Fax: 030 - 42 02 48 - 488 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de
Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch an:
Aziz Akhanouch Palais Royal Touarga, Rabat 10070, MAROKKO Fax: 00212-537771010 E-Mail über Justizminister: contact@justice.gov.ma Twitter:@ChefGov_ma (Anrede: Your Excellency / Exzellenz) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)
Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:
Botschaft des Königreichs Marokko I. E. Frau Zohour Alaoui Niederwallstraße 39, 10117 Berlin Fax: 030-20612420 E-Mail: kontakt@botschaft-marokko.de (Standardbrief: 0,85 €)
Gegen die Gleichgültigkeit
Zum zwölften Mal hat Amnesty International den Marler Medienpreis Menschenrechte vergeben. Gewürdigt wurden Medienbeiträge, die sich auf herausragende Weise dem Thema Menschenrechte widmen. Von Stefan Wirner
Wassily Nemetz, der Vorstandssprecher von Amnesty International Deutschland, brachte es in seiner Einführungsrede auf den Punkt: »Ohne Öffentlichkeit wäre unsere Arbeit wirkungslos.« Deshalb ist es nur folgerichtig, dass Amnesty jedes Jahr Medienbeiträge auszeichnet, die sich auf außergewöhnliche Weise dem Thema Menschenrechte widmen und die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren. Am 24. September wurde der Marler Medienpreis Menschenrechte (m³) im Grimme-Institut in Marl zum zwölften Mal verliehen.
Die diesjährige Vergabe brachte einige Neuerungen mit sich. So wurden erstmals auch Printartikel, Podcast-Beiträge und medienübergreifende Projekte in die Auswahl einbezogen. Schirmherrin des Preises war Sonia Seymour Mikich, ehemalige Moderatorin des Politmagazins »Monitor« und frühere Chefredakteurin des WDR. Sie sagte in ihrer Videobotschaft: »Mag die Welt nicht einfacher und der Mensch nicht vernünftiger geworden sein, mag es nach wie vor ungerecht, gewalttätig, beschämend zugehen, der Reflex, dies nicht hinzunehmen, ist lebendig.« Sie forderte »einen aktiven, kämpferischen Journalismus, der keine Angst vor Konfrontationen hat«.
Die Jury wählte aus zahlreichen Vorschlägen Beiträge in den Kategorien »Information Video«, »Information Audio/Print« und »Fiktion« aus. Zusätzlich wurden erstmals ein Preis der AmnestyJugend und ein Ehrenpreis an die deutsch-iranische WDR-Journalistin Isabel Schayani vergeben.
Die Themen der eingereichten Beiträge waren weit gefächert: Es ging etwa um illegale Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze, um Frauenmorde in der Türkei und um Todestrakte in den USA. Die prämierten Beiträge wurden jeweils von Amnesty-Aktivist*innen vorgestellt, die Teil der Jury waren.
In der Kategorie »Information Video« wurde die Dokumentation »Wikileaks –die USA gegen Julian Assange« (NDR/WDR) ausgezeichnet. Sie beschreibt über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren die Ereignisse um Julian Assange, wobei auch Filmmaterial aus der ecuadorianischen Botschaft in London verwendet wurde. Dort lebte der Whistleblower lange Zeit als politischer Flüchtling. Der Umgang mit Assange stelle eine »Gefahr für die Presse- und Informationsfreiheit« dar, hieß es in der Laudatio.
Das Radiofeature »Der letzte Tag – Das Attentat von Hanau« von Sebastian Fried rich (Deutschlandfunk Kultur/WDR/NDR) erhielt den Preis in der Kategorie »Information Audio/Print«. Es lässt Angehörige der Opfer und Überlebende des rassistischen Attentats im Jahr 2010 zu Wort kommen, bei dem neun Menschen ermordet wurden. Friedrich erzählte bei der Preisvergabe von den bewegenden Interviews, die er führte, und von der großen Offenheit seiner Gesprächspartner*innen.
In der Kategorie »Fiktion« gewann das Filmdrama »Was werden die Leute sagen« (ZDF/Arte). Es erzählt die fiktive Geschichte eines 15-jährigen Mädchens, das mit seiner pakistanischen Familie in Norwegen lebt. Die norwegisch-pakistanische Regisseurin Iram Haq verarbeitet darin eigene Erfahrungen mit Integration und interkulturellen Welten.
Der Preis der Amnesty-Jugend ging an »Ich bin Liv – Das Leben von Transkindern« von Jana Magdanz (WDR). In dem Podcast erzählt das Transmädchen Liv von Alltagserfahrungen und von der Unterstützung, die es von Familie und Freund*innen erfährt.
Höhepunkt der Veranstaltung war die Verleihung des Ehrenpreises an Isabel Schayani, die für ihr beispielhaftes menschenrechtliches Engagement gewürdigt wurde und persönlich nach Marl gekommen war. Auf die Frage, wie sie damit zurechtkomme, immer wieder erschütternde Geschichten zu recherchieren, sagte sie: »Wenn man einmal damit anfängt, fühlt man sich den Menschenrechten verpflichtet.« Außerdem gebe es »kleine homöopathische Dosen von Erfolg«. Der Marler Medienpreis wird auch künftig seinen Beitrag dazu leisten, dass aus diesen homöopathischen Erfolgen vielleicht größere werden. ◆
Ehrenpreisträgerin des Marler Medienpreises Menschenrechte. Isabel Schayani, Köln, 2021.
Foto: Geisler-Fotopress/pa
MENSCHENRECHTE! MENSCHENPFLICHTEN?
Von Markus N. Beeko
»Rules for living together« lautet die Überschrift auf dem Zettel an unserem Familienkühlschrank. Es folgen zwölf Regeln, darunter »if you open it, close it«, »if you move it, put it back«, »if you mess up, clean up« oder »if it belongs to someone else and you want it, get permission«. Es sind Regeln, die selbst- und allgemeinverständlich sind, die unabhängig von Zeit, Ort und Kulturkreis als »basics« oder »common sense« gelten dürften. »Basics«, um das Miteinander für jede und jeden Einzelnen erträglich und für die Gemeinschaft zuträglich zu halten.
Solche »Hausordnungen« regeln das gemeinsam angestrebte Verhalten der Hausgemeinschaft über geltende Gesetze und Rechtsordnungen hinaus. Und sie helfen der Hausgemeinschaft als konstituierendes, mitunter sogar als »identitätsstiftendes« Element. Eine Vereinbarung über »the way we do things here«. Eine Vereinbarung, zu der man sich bekennt und die sich alle zu eigen machen.
Wie viele Organisationen und Unternehmen entwickelt Amnesty in Deutschland derzeit für sich eine solche Hausordnung, einen »Code of Conduct«. Er benennt über gesetzliche und betriebliche Regeln hinaus unseren Anspruch an eine offene, respektvolle, diskriminierungssensible und diskriminierungsarme Organisation. Und er nimmt uns alle in unserer Menschenrechtsorganisation als Ergänzung – nicht in Relativierung –Pflichten gegenüber den Mitmenschen zur Achtung und zum Schutz der Menschenrechte aller.
Dies wird verständlicher in der 1997 verfassten »inoffiziellen« Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten. Sie umfasst 19 Artikel, die Pflichten beschreiben, welche allen Menschen auferlegt sein sollen. Damit kommt die Erklärung einer uns alle ansprechenden »Hausordnung« für persönliches Verhalten gleich.
Wenn das deutsche Grundgesetz ein Bekenntnis formuliert (»Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt«) und in den folgenden Grundrechten den Staat in die Pflicht nimmt, so gibt die Erklärung der Menschenpflichten jede und jedem von uns persönlich direkte Handlungsanweisungen zum Schutz und zur Achtung der Menschenrechte mit auf den Weg.
Schauen Sie doch mal rein. ◆
Menschen in die Pflicht. Menschenrechte. Menschenpflichten?
Aleida Assmann, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, widmet sich in ihrem Buch »Menschenrechte und Menschenpflichten« der Frage nach diesen Pflichten. Wie ist der Zusammenhang und die Wechselwirkung mit den in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbrieften Menschenrechten? Sie räumt mit dem Missverständnis auf, dass die Einhaltung von Menschenpflichten durch einen Menschen zur Voraussetzung für dessen Menschenrechte gemacht werden kann. Für diese These wird oft Mahatma Gandhi bemüht, der auf eine Frage zu den Menschenrechten geantwortet haben soll: »Ich habe von meiner des Schreibens und Lesens unkundigen, aber weisen Mutter gelernt, dass alle Rechte, die wir verdienen und bewahren, aus gut erfüllten Pflichten stammen. So erwerben wir uns das Recht zu leben erst wirklich, wenn wir unsere Pflicht als Bürger der Welt erfüllen. Aus diesem fundamentalen Satz könnte man leicht die Pflichten von Mann und Frau ableiten und jedes Menschenrecht mit einer vorgängigen Menschenpflicht verbinden.«
Assmann betont, diese Worte Gandhis führten in die Irre; sie macht dagegen auf die wahre Beziehung zwischen Rechten und Pflichten aufmerksam: Menschenrechte bestehen aus garantierten (und gesetzlich verankerten) Forderungen an den Staat. Menschenpflichten definieren in
Amnesty / Foto: Bernd Hartung
Markus N. Beeko ist Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.
IMPRESSUM
Amnesty International Deutschland e.V. Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin Tel.: 030-420248-0 E-Mail: info@amnesty.de Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redak tion Amnesty Journal Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin E-Mail: journal@amnesty.de Adressänderungen bitte an: info@amnesty.de Redaktion: Maik Söhler (V.i.S.d.P.), Nina Apin, Anton Landgraf, Tobias Oellig, Pascal Schlößer, Uta von Schrenk, Lena Wiggers Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Markus N. Beeko, Marcel Bodewig, Hannah El-Hitami, Ann Esswein, Oliver Grajewski, Ben Gutberlet, Laurenz Hambrecht, Rouven Harms, Kristina Hatas, Christian Jakob, Jürgen Kiontke, Sabine Küper-Büsch, Felix Lee, Felix Lill, Katja Müller-Fahlbusch, Arndt Peltner, Tigran Petrosyan, Olalla Piñeiro Trigo, Wera Reusch, Bettina Rühl, Till Schmidt, Oliver Schulz, Julia Trampitsch, Silke Voss-Kyeck, Cornelia Wegerhoff, Natalie Wenger, Thomas Winkler, Stefan Wirner, Marlene Zöhrer Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk/schrenkwerk.de Druck und Verlag: Zeitfracht GmbH, Nürnberg Spendenkonto: Amnesty International Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE23 3702 0500 0008 0901 00 BIC: BFS WDE 33XXX (Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00) ISSN: 2199-4587
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