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„EIGENTLICH KANN MAN NUR OPTIMISTISCH SEIN“

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Editorial

Editorial

Die Digitalisierung hat die Gesellschaft verändert, alles ist mit allem vernetzt. Diese Konnektivität verlangt nicht nur ein Umdenken in der Technologie, sondern auch im sozialen Miteinander. Zukunftsforscher Tristan Horx findet: eine Chance für einen ganzheitlichen Umbruch.

Herr Horx, Zukunftsforscher: Das klingt nach einem spannenden Beruf. Was genau machen Sie?

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TH: Ich würde mich am ehesten als Wanderprediger bezeichnen. Das bedeutet, dass ich viel unterwegs bin und Vorträge halte, um Menschen davon zu überzeugen, dass Zukunft gestaltbar ist und sie auch besser wird, wenn man sie gestaltet.

Eines Ihrer Themen sind die Megatrends. Was ist damit gemeint?

TH: An meinem Institut machen wir tagein, tagaus nichts anderes, als Trends zu analysieren. Dazu gehören eben auch die Megatrends. Um als solcher zu gelten, müssen sie 50 Jahre plus laufen. Deswegen werden sie auch „Lawinen in Zeitlupe“ genannt. Weil sie so extrem lange laufen, verpassen wir sie manchmal. Gerade in der Aufmerksamkeitsökonomie ist es ja so, dass wir Sachen, die nicht sehr laut sind, schnell übersehen. Megatrends müssen in allen Lebensbereichen messbar sein, sie sind Gegenwartsphänomene, die man belegen kann. Und sie müssen global zu finden sein. Natürlich haben wir dabei eine sehr europäische Sicht auf die Welt, global gesehen sind die schon unterschiedlich ausgeprägt.

Seit wann ist die Konnektivität Thema bei den Megatrends?

TH: Seit 15 bis 20 Jahren. Das Phänomen gibt es aber schon länger, man denke an die Brieftaube oder das Telegramm. Schließlich geht es um die Verbindung von Menschen und Informationen. Natürlich wissen wir mittlerweile, dass die Digitalisierung den Großteil der Konnektivität ausmacht, aber das ist eben auch nicht alles.

Ist Deutschland schon bereit für Konnektivität?

TH: Dass wir da ein bisschen hintendran sind, ist kein Geheimnis. Ich finde nur, dass man sich auch den Grund dafür anschauen muss. Deutschland ist mit dem Fokus auf die Industrie lange unglaublich gut gefahren. Es ist natürlich eine Tragödie, wenn man dann den Vorsprung, den man sich in diesem Zeitalter aufgebaut hat, nicht nutzt, um ins nächste zu kommen. Aber es ist technisch lösbar und daran wird jetzt gearbeitet.

Welche Baustellen in Bezug auf Konnektivität gibt es noch?

TH: Je schneller wir in den sozialen Medien angemessene Umgangsformen miteinander finden, desto besser. Weil Konnektivität ja am Ende heißt: Menschen miteinander verbinden. Wir sind aber nicht gebaut für 5.000 Verbindungen. Diese Überforderung gepaart mit der Anonymität im Netz führt zu brutalen Auseinandersetzungen. Ich glaube, diese kulturelle Frage beim Thema Konnektivität ist spannender als die technische.

Was kann man als Einzelner ausrichten?

TH: Es gibt eine Formel, die besagt: Wenn 3,5 bis fünf Prozent einen Trend vorleben oder eine neue Verhaltensweise zeigen, kann er mehrheitsfähig werden. Das Schöne an der Konnektivität ist ja, dass sich Ideen und Konzepte exponentiell verteilen können. Das haben wir etwa bei Fridays for Future erlebt. Das bedeutet, dass dieses „Ich alleine als Person kann nichts ändern“ einfach nicht stimmt.

Das heißt, dass wir Individuen auch bei der Konnektivität eine große Rolle spielen?

TH: Wir sind die Konnektivität. Ohne Menschen, kein Internet. Das gibt einem auch eine Form von Selbstwirksamkeit. Wir brauchen und suchen gerade, dass das, was man sagt und macht, nicht einfach nur untergeht, sondern auch etwas bewirkt. Diese Macht haben wir durch die Kraft des Internets. Wenn wir unsere Zeit nicht damit verbringen, anderen digital eins reinzuhauen. Das wiederum ist Zeitverschwendung.

Kann Konnektivität auch eine Brücke schaffen zwischen den Generationen?

TH: Ja, sie kann aber auch trennen. Mich besorgt, dass wir keinen intergenerationalen Austausch in den sozialen Medien haben, weil sich jede Generation ihre eigene Plattform gesucht hat. Die Älteren, die Boomer, sind auf Facebook, die Millennials auf Instagram und die Generation Z, also Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden, auf Tiktok. Wenn man Generationen hingegen in echt zusammensetzt, nimmt das Ängste und Feindseligkeit. Das ist wichtig, um zu verstehen, dass die Ressentiments, die man sich aus dem Konstrukt der anderen Generation schafft, so gar nicht existieren.

Ist es mit der Konnektivität auf dem Land einfacher als in der Stadt, wo vieles sehr anonym abläuft?

TH: Ja. Es gibt kleine Gemeinden, die Lust auf Zukunft haben, weil sie verstanden haben, dass sie im Kleinen den Wandel und den Fortschritt schneller durchbringen können. Das liegt vor allem daran, dass man jetzt ortsunabhängig arbeiten kann. Diesen frischen Wind muss das Land nutzen. Ich habe mal die jüngste Bürgermeisterin Österreichs kennengelernt, damals war sie 21. Sie hat noch vor der Pandemie in ihrem Dorf mit 20.000 Einwohnern ein Co­Working­Space bauen lassen. Das fanden viele ätzend. Doch inzwischen, wo so viele Menschen aufs Land ziehen wollen, ist das Space ein super Magnet für den Ort. Das Land braucht junges Blut. Das Blöde ist nur: Wer einmal etwas vergeigt, kann es an den Haken hängen. Dabei gehört Scheitern dazu.

Was brauchen Kleinstädte, um attraktiv für verschiedene Generationen zu sein?

TH: Es gibt ein paar Grundvoraussetzungen wie funktionierendes Internet und eine intakte Umwelt, denn ein großer Teil der Menschen, die aus der Stadt ziehen, suchen ja explizit die Nähe zur Natur.

Spätestens seit der Pandemie ist New Work ein großes Thema geworden. Viele wollen etwas Sinnhaftes machen, anstatt nur Erfolg zu haben. Wie kann Konnektivität diese Entwicklung beeinflussen?

TH: Die Welt von New Work wird schnell nur mit Homeoffice assoziiert, aber das war nur der symptomatische Durchbruch. Dahinter stecken viel tiefere Mechanismen, die Prozesse hinterfragen, zum Beispiel: Ist man unproduktiv, wenn man nicht fünf Tage die Woche acht Stunden am Tag arbeitet? Nein. Alle Produktivitätsstatistiken zeigen, dass man zwischen 2,5 und 4,5 Stunden am Tag produktiv ist. Weitere Stunden schafft das Hirn einfach nicht. Das ging früher vielleicht, als man zur Zeit der Industrialisierung sehr oft dasselbe hintereinander gemacht hat. Aber gerade die kreative, digitale Arbeit, die sich ja immer mehr durchsetzt, kann man nicht endlos lange durchziehen. Das gilt es zu akzeptieren.

Kommt darauf an, wie viel Erfüllung man in seinem Job hat. Ist es ein Privileg, das so zu sehen?

TH: Ich finde es gefährlich, Lebensglück, Arbeitsglück und die Sinnsuche als Klassenfrage zu kategorisieren. Denn damit sagt man vielen Menschen, die Jobs haben, die sie nicht so mögen und die nicht gut bezahlt sind: Ist halt so. Ich glaube, wir Menschen haben als Wesen ein großes Bedürfnis, unser Umfeld und die Gesellschaft zu verbessern. Wenn man das nutzt, indem man etwas macht, was man wirklich gerne macht, braucht man den Begriff Work­Life­Balance nicht, weil dann nicht etwas Gutes mit etwas Schlechtem balanciert werden muss. Die Zukunft liegt im sogenannten Work­Life­Blending, in der Vermischung aus Arbeit und Leben. So wie im Agrarsektor, da kann man Arbeit und Leben ja auch nicht trennen.

Wie kann Konnektivität den Fachkräftemangel beeinflussen?

TH: Wichtig zu verstehen ist: Der Fachkräftemangel liegt nicht daran, dass die junge Generation nicht mehr arbeiten will, sondern weil die Bevölkerungspyramide als solche nicht mehr existiert. Da hat man zwei Hebel: Zum einen kann man die Konnektivität nutzen, um Fachkräfte aus anderen Ländern zu gewinnen. Zum anderen muss man verstärkt Frauen in die Arbeitswelt bringen. Das funktioniert nur, wenn es eine durchgehende Tagesbetreuung von Kindern gibt. Und dann hat man noch die Automatisierung und Digitalisierung. Den Beruf des Kassierers oder der Kassiererin wird es in 25 Jahren fast nicht mehr geben. Das heißt aber nicht, dass diese Person verschwindet, sondern die berät dann vielleicht die Kunden im Geschäft.

Viele Menschen haben Angst, dass ihre Jobs von KI-Chatbots übernommen werden.

TH: Ein gewisser Prozentsatz an Jobs wird von Chatbots gefressen werden. Doch das ist nichts Schlechtes. Vielmehr muss man sich die Frage stellen: Was kann ich, was der Chatbot nicht kann? Der Wandel kommt bestimmt, aber was ist mein Alleinstellungsmerkmal gegenüber der KI? Das Zwischenmenschliche, Nahbare, Empathische: Darauf muss man setzen.

Ein weiteres Stichwort aus der Wirtschaft heißt: Shareconomy, also das Teilen von Autos, Arbeitsplätzen, Kleidungsstücken. Kann Konnektivität diese Wirtschaftsform effektiv unterstützen?

TH: Das muss sie. Es heißt zum Beispiel immer: Auf dem Land muss jede Person einen Pkw besitzen. Dahinter steckt ein rein ökonomisches Interesse. Wenn ein Auto aber 90 bis 95 Prozent der Zeit stillsteht, kann man es effizienter nutzen, wenn man eine gute Dorfgemeinschaft hat, die sich zusammenschließt. Beispiel Ridehailing: Da fährt eine Person sechs ältere Menschen, wohin sie müssen. Das Geschnatter auf der Rückbank: So schafft Mobilität auch einen sozialen Ort.

Zum Schluss: Haben Sie als Zukunftsforscher Angst vor der Zukunft?

TH: Nein. Die verschiedenen Stärken der unterschiedlichen Generationen muss man zusammenbringen, denn wir sind eine gut informierte, intelligente, immer weiblicher werdende Gesellschaft. Da kann man eigentlich nur optimistisch sein.

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