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MEHR ALS NUR EIN HINGUCKER
Ein spannendes Gebäude auf den Marktplatz bauen und dann läuft es? Wie zeitgenössische Architektur bei der Wiederbelebung einer Region helfen kann und man dabei aber trotzdem den eigenen Wurzeln treu bleibt.
Das Versprechen ist groß: Eine ganze Stadt soll durch die Hilfe von einem einzigen Gebäude aktiviert werden. Der spektakuläre Bau verspricht Leben zu generieren, wo früher Leere war, mit einem Kulturangebot, neuen Begegnungsstätten und einer Architektur, die weit über die Ortsgrenzen hinaus für Aufsehen sorgen soll. Kurz: Der Neubau hat die Aufgabe, den Impuls für eine bessere Zukunft der Stadt zu setzen.
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Die Rede ist hier nicht von Lichtenfels und seinem Archiv der Zukunft auf dem Marktplatz, sondern vom GuggenheimMuseum in Bilbao. Das bis heute so futuristisch schimmernde Gebäude, das mit seiner Form eher an einen Ozeandampfer in Silberfolie als an ein Kunstmuseum erinnert, landete vor gut 25 Jahren in der baskischen Hafenstadt. War Bilbao bis dahin eher als eine wenig attraktive Industriestadt im Abstiegskampf bekannt, schien das GuggenheimMuseum die Entwicklung mit einem Schlag umzudrehen: Die Besucher*innen kamen in Massen, die Billigfluglinien nahmen die Stadt ins Programm auf und das Who’s who? der internationalen Architekturszene verewigte sich mit ebenfalls aufsehenerregenden Hotel und Büroneubauten. Bilbao stieg wie der urbane Phönix aus der Asche zur internationalen Touristendestination auf.
Dass es für diese Genese mehr brauchte als ein einzelnes Gebäude, haben mittlerweile nicht nur unzählige Studien zur Entwicklung der baskischen Metropole aufgezeigt, sondern das mussten auch zahlreiche Städte leidvoll selbst erfahren, die auf den „BilbaoEffekt“ setzten, spektakuläre Bauten bei bekannten Architekten in Auftrag gaben – und dann enttäuscht waren, dass der Wandel aus und die aufregende architektonische Hülle nach der ersten Begeisterung leer blieb.
Was also braucht es, damit Architektur tatsächlich zum Motor für einen nachhaltigen Umbau werden kann und die Stadt der Zukunft dabei entsteht? Damit ein Gebäude – egal ob Museum, Rathaus oder Bibliothek –wirklich dazu beiträgt, dass die Menschen dort besser leben? Weil attraktive Treffpunkte entstehen, wo früher Ödnis war. Weil Firmen sich ansiedeln und Arbeitsplätze dauerhaft geschaffen werden. Weil sich ein Kultur, Gastro und Freizeitangebot etabliert, das zum Ort passt. Und vor allem: weil sich der Entwurf der gewaltigen Verantwortung stellt, die die Gegenwart heute an die Architektur heranträgt. Zum Klimawandel sind in den vergangenen drei Jahren noch eine Pandemie, ein Krieg, gestörte Lieferketten und enorm gestiegene Kosten für Materialien und Energie gekommen. Dass ein Bauen, wie wir es kannten, darauf nicht mehr die richtigen Antworten liefern kann, dürfte sicher sein. Weltweit stellen sich deswegen Städte die Frage, wie sie sich umbauen müssen, damit sie eine Zukunft haben.
Wobei der Fokus auf die (Groß)Stadt trügerisch ist. Seit 2008 leben zum ersten Mal mehr Menschen in Metropolen als auf dem Land, was jedoch im Umkehrschluss bedeutet, dass eben immer noch knapp die andere Hälfte der Menschheit auf dem Land und in Kleinstädten lebt. Dass der ländliche Raum für den Umbau zu einer besseren
Zukunft tatsächlich gar nicht so schlecht aufgestellt ist, hat jüngst eine Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt bewiesen, indem sie mit 70 Beispielen aus ganz Europa zeigte, wie „Architektur zu einem guten Leben auf dem Land beitragen kann“. Der Titel „Schön hier“ klang selbst etwas erstaunt darüber, wie viele herausragende Bauten man dafür fand – stilecht in einer alten Scheune im Freilichtmuseum Hessenpark präsentiert. Die Bandbreite der Projekte reichte dabei vom Rathaus Maitenbeth in Südostbayern des Münchner Büros Meck Architekten, das trotz seiner so zeitgenössisch skulpturalen Form passgenau auf die historischen Gebäude ringsum antwortet und den Dorfkern so mit einem öffentlichen Platz wiederbelebt, bis hin zur Kegelbahn Wülknitz in der sächsischen Provinz, wo das junge Büro KO/OK Architektur aus Leipzig aus einem Trainings und Vereinsgebäude gleich den Treffpunkt für ein ganzes Dorf gemacht hat.
Der Ort Krumbach im Bregenzer Wald bat international gefeierte Architektenbüros um Entwürfe für ihre sieben Bushaltestellen. Herausgekommen ist etwa der Stangenwald des Japaners Sou Fujimoto.
Wie man sich am besten die Wartezeit versüßt, haben die beiden norwegischen Architekten der Haltestelle Moos gleich mitgedacht: Vom ersten Stock aus kann man direkt auf einen Tennisplatz gucken.
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Überrascht, was im ländlichen Raum mit zeitgenössischer Architektur zu gewinnen ist, dürften nicht nur die Ausstellungsmacher im DAM gewesen sein: Sehr lange konzentrierte sich die Architekturwelt in ihrer Auseinandersetzung mit dem eigenen Fach auf Großstädte. Wo die bekanntesten Architekturbüros ihren Sitz haben, die nächste Generation Architektinnen und Architekten heranwächst, die teuersten Hochglanzbauten entstehen und die lautesten Debatten zur gebauten Zukunft geführt werden, schien es sich zwangsläufig abzuzeichnen, in welche Richtung die eigene Zunft geht. Dass in einer Kleinstadt ein einzelnes Gebäude eine viel stärkere Wirkung, ja Strahlkraft erzeugen kann als im dicht bebauten Raum einer Metropole, wurde dabei lange übersehen. Und auch, dass die Freiheit im ländlichen Raum oft größer ist, weil der ökonomische Druck in der Regel kleiner, die Vorgaben weniger und das Engagement einzelner Akteure oft stärker ausgeprägt ist.
Peter Haimerl weiß das. Der Münchner Architekt, der das Archiv der Zukunft in Lichtenfels entworfen hat, ist längst Profi im Sichtbarmachen, was jenseits der Großstädte möglich ist – und schickt gerade deswegen angehende Architekten aufs Land. Nicht, weil sie sich dort nicht anstrengen müssen, sondern weil sie dort mehr machen können als in den umkämpften Metropolen. Haimerl selbst hat es geschafft, mit einem Bau in der Provinz einen Begriff zu prägen, der wie der „BilbaoEffekt“ bei Bauherren ein Leuchten in den Augen erzeugt. Wird doch Haimerls so kühn geformtes Konzerthaus im Bayerischen Wald, das 2014 eröffnete, gerne als das „Wunder von Blaibach“ angekündigt. So als hätten eher Stoßgebete und Rosenkränze zum Konzerthaus geführt als architektonische Überzeugungsarbeit. Die Medien jedenfalls konnten nicht genug bekommen vom vermeintlichen Kontrast zwischen dem mondänen Betonkubus und der traditionellen Tracht seiner zukünftigen Benutzer. Doch was braucht es, damit ein solch bauliches Kleinod auch dann noch funkelt, wenn das Blitzlichtgewitter verebbt? Anders formuliert: Wie gelingt es, dauerhaft für die Belebung eines Ortes zu sorgen und nicht Gefahr zu laufen, dass ein solches Gebäude am Ende ungenutzt oder falsch bespielt wird?
Am besten erklärt das vielleicht der Blick auf eine Region, die seit Jahren auf eindrucksvolle Weise vormacht, wie es geht. Wie man sich also durch zeitgenössische Architektur wiederbeleben und seinen Wurzeln trotzdem treu bleiben kann. Die Rede ist vom Bregenzerwald in Österreich. Wie hart das Leben in der abgelegenen Bergregion ehemals war, das beschreibt die österreichische Schriftstellerin Monika Helfer in ihren Romanen meisterhaft. Mit ihren Geschichten im Kopf fällt der Kontrast zu heute noch stärker auf. Denn abgelegen ist die Region nur noch geografisch. Es gibt aufregende Lokale, ein spannendes Kulturprogramm, interessante Hotels und eben eine zeitgenössische Architektur, die absolut State of the Art ist: Da sieht man wunderschöne alte Bauernhäuser, die mit klar zeitgenössischer Handschrift weitergebaut werden. Man sieht Holzschindeln so hell wie Honig, weil sie neu angebracht wurden, während daneben die alten in Würde dunkel schimmern dürfen, was bedeutet, dass man in der Holzbautradition auch der Vorstellung treu bleibt, dass Holz altern darf. Und man sieht Neubauten, die nicht nur Architekturfans, sondern auch Klimaschützer glücklich machen, weil selbst in einem 1000SeelenDorf wie Krumbach kompakt im Ortskern und damit ressourcenschonend gebaut wird anstatt auf einer grünen Wiese.
Der Grund für das Wunder des Bregenzerwaldes, das nicht so heißt, aber vielleicht doch eines ist: Es sind viele, die da an einem Strang ziehen. Es ist ein Miteinander zwischen den jungen Köpfen, die etwas Neues ausprobieren wollen, und denen, die der Tradition verhaftet sind. Und es gibt den Mut, die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Konkret: ein Bürgermeister, der mit gutem Beispiel vorangeht und selbst in ein kompaktes Mehrfamilienhaus zieht, weil er es falsch findet, immer neue Flächen zu versiegeln, und lieber auf die Verdichtung im Ortskern setzt. Architekten wie Bernardo Bader und Hermann Kaufmann, die mit Stolz in ihrer Heimat arbeiten, statt ihre Meisterschaft allein den Metropolen zugutekommen zu lassen, und die traditionelle Architektursprache neuinterpretieren. Keine Scheu, typisch Großstädtisches auch bei sich auszuprobieren, sei es, indem man sich vom Schweizer Architekten Peter Zumthor den mondänen, fast museumsartigen Werkraum bauen ließ, in dem heute die Handwerker aus der Gegend ihre besten Produkte ausstellen, oder ein Festival wie das „FAQ“, das jährlich Diskussionsreihen, Konzerte und Ausstellungen veranstaltet. Und nicht zuletzt: selbstbewusste Handwerker, die zusammen mit den Architekten den Holzbau in den vergangenen 30 Jahren so weiterentwickelt haben, dass er heute als Hightech durchgeht, und die mit ihren Produkten Baustellen in ganz Europa beliefern.
Die eigenen Wurzeln schätzen, aber keine Angst davor haben, sie in die Zukunft zu führen: Das könnte das Erfolgsrezept für die Stadt der Zukunft mit zeitgenössischer Architektur sein – auch in Lichtenfels. Während man seit Jahren vom Erfolg des 3D-Drucks in der Architektur theoretisch hört, wissen die Firmen hier, wie es praktisch geht. Die Tradition des Korbflechtens scheint für diese Technologie in gewisser Weise den Boden bereitet zu haben. Auch wenn die Weide vor dem Archiv der Zukunft aus statischen Gründen nun doch nicht 3Dgedruckt wurde: Diese Technologie ist gerade dabei, den Bau zu revolutionieren. Und das ist dringend notwendig, denn so wie die Bauindustrie heute baut, wird sie das nicht mehr lange tun können. Egal ob Sand oder Kies, die Rohstoffe werden weltweit knapp. Ganz zu schweigen von dem enormen Energieaufwand, den es braucht, um sie in Baustoffe zu verwandeln, etwa den CO2intensiven Beton.
Deswegen braucht die Architektur dringend Alternativen. Ökologisch nachhaltige Materialien wie Holz, aber auch Stroh und Lehm, immerhin die ältesten Baumaterialien überhaupt, müssen zum Standard werden und nicht mehr die Ausnahme bleiben. Das wird nur passieren, wenn endlich ehrlich gerechnet wird, sprich: Wenn zur Kostenberechnung der gesamte Lebenszyklus eines Baumaterials betrachtet wird und man sich ansieht, welche Umweltschäden es in diesem Zeitraum bewirkt. Heute noch billige Materialien werden dann schnell so teuer sein, wie sie der Umwelt heute schon kommen. Aber auch die Bauweisen selbst müssen sich ändern. Aktuell ist die Bauwirtschaft Ressourcenschlucker, Müllproduzent und Energieschleuder Nummer eins auf der Welt und damit einer der größten Klimasünder, die es gibt. Das könnte der 3D-Druck ändern, verspricht er doch nicht nur weniger Arbeitskraft zu brauchen, sondern auch deutlich weniger Material und gleichzeitig weniger Müll zu produzieren. Wenn dieses Versprechen tatsächlich irgendwann einmal im großen Maßstab eingelöst wird, stehen die Chancen nicht schlecht, dass in Lichtenfels gerade ein Schaufenster für eine Technologie entsteht, das die Zukunft für uns alle zeigt. Wirklich keine schlechten Aussichten.
Das Bushäuschen des chilenischen Architekten Smiljan Radic ist aus Glas, die Kassettendecke aus schwarzem Beton. Es soll an eine gemütliche Stube erinnern, dazu passen die bäuerlichen Stühle.
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Autorinnen
Tatjana Krieger arbeitet als freie Wirtschaftsjournalistin in München. Sie beschäftigt sich mit den Umbrüchen in der modernen Arbeitswelt und wie sie unser Leben beeinflussen.
Laura Weißmüller ist seit 2009 Architekturredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“. Außerdem lehrt sie an der TU München Architekturkritik und spricht im Radio und auf Podien über Architektur und Stadtplanung.
Elisabeth Krainer ist freie Journalistin in München und schreibt für unterschiedliche
Zeitschriften über alles, was den Kulturkosmos so besonders macht: Menschen, Filme, Bücher, Feminismus und das Internet.
Luisa Filip ist freie Autorin, Sprecherin und PodcastModeratorin und lebt in Erlangen. Sie arbeitet u.a. für den Deutschlandfunk, den Podcast der AOK Bayern und das Archiv der Zukunft Lichtenfels.
Fotografie
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Seite 28: Kylan Luginbühl, Basil Denereaz/ Journee.live
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Redaktion Und Text
Julia Rothhaas
Gestaltung Und Bildredaktion
Herburg Weiland, München
Katharina Thaler, Daniel Ober www.herburgweiland.de
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Herburg Weiland, München
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