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BLICK IN DIE ZUKUNFT
Extended Reality: Das klingt für viele nach ScienceFiction. Dabei werden heute damit längst schon Häuser geplant, komplizierte Operationen geübt und inspirierende Kunstwerke geschaffen. Ein Überblick
Stellen Sie sich vor, es gibt einen Raum, in dem Sie alles ausprobieren können: Dort können Sie Hochhäuser bauen, mit 350 km/h über die Autobahnen brettern, zum Mars fliegen oder eine komplizierte HerzOP durchführen. Die Extended Reality (kurz: XR) macht genau das möglich. Alice hat längst Gesellschaft im Wunderland bekommen.
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Dystopische ScienceFictionFilme wie „Matrix“ haben einst Misstrauen gegen die virtuelle Realität geschürt und Fragen eröffnet wie: Wer braucht diese synthetische Welt? Welche Vorteile hat sie? Kann sie bedrohlich werden? Dabei erschließen sich durch die Technologie völlig neue Möglichkeiten.
Virtuelle Realität (VR) meint eine von der analogen unabhängige Welt, die man mithilfe einer VR-Brille betreten kann. Sie ist vollkommen autonom von dem Raum, in dem man sich befindet, und beamt Nutzer*innen wohin sie möchten – ins Weltall, in die Antarktis oder in eine Fantasiewelt. Augmented Reality bezieht sich hingegen auf den analogen Raum, der mit digitalen Features ausgestattet ist, Beispiel: das Spiel „Pokémon Go“. In einer realen Umgebung kann man PokémonFiguren sammeln, die lediglich durch das Handy zu sehen sind und sich dabei hinter echtem Gebüsch und Gebäuden verstecken. Augmented Reality arbeitet also mit der eigenen Umgebung. Diese Technologie hat sich längst auch in den sozialen Medien etabliert, in denen uns der Filter Hundeohren an den Kopf klebt oder uns schlagartig 40 Jahre altern lässt. Aber auch Forschung und Industrie nutzen diese Technologie als eine Art Testwelt: Städteplanung und Bauwesen profitieren immens davon, dem digitalen Zwilling ihres Objekts einen Besuch abstatten zu können, noch bevor der erste Ziegel gesetzt wurde. Wie fällt das Tageslicht? Wie ist das Raumgefühl? Passt das Bauwerk in die Nachbarschaft? Unsere sinnliche Wahrnehmung wird durch eine begehbare Erfahrung stärker angeregt als durch ein 2D-Modell auf dem Bildschirm. Deshalb lernen Menschen in 3D-Welten auch effizienter. Eine Studie der University of Maryland zeigt, dass die Erinnerung an VR-Inhalte um neun Prozent präziser ist als bei Lernmethoden über einen 2D-Bildschirm.
Wer sich zum Beispiel im Medizinstudium die menschliche Anatomie über ein Lehrbuch beibringen will, musste sich bisher etwas in 2D einprägen, was es eigentlich nur in 3D gibt. Durch XR sparen wir uns in Zukunft diesen Dimensionswechsel, die Technologie spuckt ein menschliches Abbild aus, Muskeln, Knochen und Organe werden dreidimensional sichtbar. Vorteil: An dem Abbild kann nichts kaputtgehen. Mediziner*innen können komplizierte OPs im digitalen Raum üben, ohne Schaden anzurichten.
In der Neurologie wiederum forschen Expert*innen bereits an neuen Therapieformen: Menschen mit psychischen Erkrankungen kann die virtuelle Welt helfen, Ängste zu überwinden. Auch die Motorik nach einem Schlaganfall kann durch XR verbessert werden. Das liegt an der fast realen Optik der VR-Welten – unser Gehirn denkt, im Digitalen die Realität zu sehen. So wird der motorische Kortex angeregt, wenn Körperteile virtuell stimuliert werden. XR verfolgt also nicht bloß ein rein wirtschaft liches Interesse, sondern auch ein sehr menschliches: Die Technologie kann dafür sorgen, dass wir uns besser fühlen, fitter bleiben, wieder gesund werden.
Im Alltag soll in Zukunft das Metaverse der Ort für Arbeit, Spaß und Kultur sein. Die Idee stammt aus ScienceFictionFilmen: Digitale Räume sollen es uns ermöglichen, zusammenzuarbeiten, Hobbys nachzugehen und zu kommunizieren, obwohl man sich an unterschiedlichen Orten befindet. Eine Simulation der Realität, die deren physische Grenzen aufhebt. Die Entwicklung steht noch ganz am Anfang, gerade gleicht das Metaverse noch einer großen VR-Baustelle. Doch bald sollen dort Orte entstehen, an denen man via Avatar shoppen, Freunde treffen oder der Lieblingsband auf der Bühne zujubeln kann. Um das Metaverse für alle zugänglich zu machen, braucht es allerdings eine sehr hohe Rechenleistung, die für ein großflächiges Vorhaben noch nicht ausreichend verfügbar ist. Denn entscheidend ist die Latenzzeit: Wie lang dauert es, bis eine Bewegung auf das Bild übertragen wird? Expert*innen sprechen von elf Millisekunden, damit die virtuelle Realität echt erscheint. Je kürzer die Zeitspanne, desto realer die Erfahrung. Für einzelne Games ist das längst möglich. Bis sich jedoch mehrere tausend Menschen zeitgleich in einem virtuellen Raum aufhalten können, der sich wirklich real anfühlt, wird es noch ein paar Entwicklungsjahre brauchen. Auch die Hardware soll dafür noch nutzerfreundlicher werden: Seit der Entwicklung der ersten VR-Brille in den 1960erJahren hat sich einiges getan. Das Ziel: Gadgets so klein wie Kontaktlinsen zu schaffen, die uns eine neue Welt eröffnen.