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„Digitale Kunst holt einen aus der Komfortzone“
Extended Reality im Museum: Der Künstler Manuel Rossner arbeitet analog und digital – und erschließt dabei neue Räume für Kunst und Kultur.
Kann man mit XR-Kunst die Realität erweitern?
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MR: Mich interessiert, wie man diese Grenze aufheben kann. In meinen Arbeiten frage ich mich: Wie gehen wir mit Raum um? Wenn man mit Extended Reality arbeitet, wird das Bild, das man betrachtet, etwa 60 Mal pro Sekunde aktualisiert. Als Künstler habe ich also theoretisch pro Sekunde 60 Möglichkeiten, etwas zu verändern. In physischen Räumen kostet jeder Eingriff Zeit und Geld oder ist gar nicht umsetzbar. Diese grundlegend andere Herangehensweise finde ich spannend.
Sie arbeiten mit Institutionen wie der Hamburger Kunsthalle, dem Kunstforum NRW und auch mit dem Archiv der Zukunft Lichtenfels zusammen. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
MR: Zuerst schaue ich mir ganz genau an, womit ich es in der Realität zu tun habe. Ich messe Räume aus und fertige exakte Modelle davon an, die ich dann digital erweitere. Manchmal läuft es aber auch umgekehrt, und ich hole digitale Objekte in die reale Welt, die dann physisch in einer Galerie gezeigt werden können.
Wie sind Sie dazu gekommen, digital zu arbeiten?
MR: Angefangen habe ich eigentlich mit Computerspielen. Irgendwann war es mir aber zu langweilig, dauernd in ähnlichen Kulissen Shooter zu spielen. Also habe ich mich in die ModSzene eingearbeitet, das sind Gamer, die Spiele selbst verändern und modifizieren. Da habe ich gelernt, wie ich die Spiele selbst anpassen kann. Vermutlich hat sich damals der Gedanke bei mir verfestigt, dass ich in der digitalen Welt alles machen kann, was ich möchte. Das war 2003. Und 2012 habe ich mit der „Float Gallery“ meinen ersten digitalen Ausstellungsraum ins Leben gerufen, den man über eine Website anschauen konnte.
Dass Sie aus der GamingWelt kommen, kann man an einigen Ihrer Werke erkennen: Für die Hamburger Kunsthalle haben Sie das Museum zum Spiel umgewandelt und ein digitales Abbild des Museums geschaffen, das man als Spieler*in besuchen konnte.
MR: Das Spannendste daran war, wie unterschiedlich die Menschen darauf reagiert haben. Ich habe einigen GamerFreund*innen die Arbeit gezeigt, und ihr erster Reflex war: Alles kaputt machen, was ich digital aufgebaut habe. Sie sind eben wie Gamer an die Sache herangegangen. In einer realen Ausstellung hingegen gilt: Ist ein Picasso kaputt, dann ist er schlicht kaputt. Das kann in der digitalen Welt nicht passieren.
Wie reagieren die Museen auf den spielerischen Ansatz von XR?
MR: Die Anerkennung dafür wächst, auch wenn wir noch nicht bei den alten Meistern im Museum angekommen sind. Manchmal stößt man weiterhin auf Reaktionen, an denen man merkt, dass jemand nicht wirklich überzeugt ist. Man hat ja kein klassisches Objekt, sondern in erster Linie SoftwareAusgaben. Ich finde die Skepsis aber total legitim: Digitale Kunst holt einen aus der Komfortzone, darauf muss man sich einlassen können. Ich beobachte aber, dass XRKunst mit den Jahren mehr und mehr Anerkennung bekommt und es sich mittlerweile für die Künstler*innen lohnt, dem Medium treu zu bleiben. Das war vor zehn Jahren noch nicht der Fall. Ich persönlich habe damit vor allem positive Erfahrungen gemacht, auch mit großen Institutionen wie dem Kunstforum NRW oder dem Kunsthaus Zürich.
Worin sehen Sie die größten Potenziale für erweiterte Realität in der Kunst?
MR: In Kombination mit künstlicher Intelligenz oder auch BlockchainTechnologie, die den Handel mit digitalen Kunstwerken ermöglicht, wird vieles hinterfragt, was in der Kunstwelt immer als gegeben galt: die Verfügbarkeit, die Ausstellungsräume und die Art, wie Kunst gemacht wird. Durch digitale Räume ist sie für jeden und jederzeit zugänglich. Ich denke, dass die Kunst dadurch ein Stück weit demokratisiert wird.
Manuel Rossner hat Kunst an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, der École des ArtsDécoratifs Paris und dem Tongji College for Design and Innovation Shanghai studiert. Seit 2012 befasst er sich mit den Wechselwirkungen digitaler und analoger Räume. In der Vergangenheit hat er mit Institutionen wie der Kunsthalle Zürich, der Kunsthalle Hamburg, der König Galerie und dem Kunstforum NRW zusammengearbeitet. In Lichtenfels ist sein Werk „Yellow Spatial Painting“ in der Bamberger Straße via Augmented Reality zu sehen.
Interventionen: Die Kunstwerke von Manuel Rossner sind fest mit den rea
Die Realität als Spielplatz für virtuelle len Orten verbunden, auf die sie reagieren. Die aus Blasen und Linien bestehende Skulptur „Hotfix“ etwa umschlingt den Berliner Fernsehturm. Sie ist beim Spaziergang vor Ort mithilfe des Smartphones sichtbar.
In Metaversen, also virtuellen Welten, wie Decentraland, Sandbox oder Roblox, können sich Besucher*innen mit ihren digitalen Identitäten, den Avataren, bewegen und sie individuell gestalten. Diese Modelle wurden von den Schweizer Digital Artists Kylan Luginbühl und Basil Denereaz für Joytopia entworfen, einem Metaverse der BMW Group.
Schon um die halbe Welt getourt ist das Werk der Künstlerin Koo Jeong A. Ihre Objekte, wie dieser schwebende
Eiswürfel, reagieren auf die jeweilige Umgebung, indem sie diese widerspiegeln oder durchscheinen lassen. Die Koreanerin nutzt digitale Technologien als poetische Ausdrucksform.
Ørb gehört in eine neue Kategorie digitaler Geräte, die nur virtuell existieren. Es ist ein Fahrzeug, das Avataren zukünftig das Reisen zwischen den Metaversen ermöglicht. Das Projekt der kanadischkoreanischen Künstlerin
Kim bietet Beweglichkeit im dezentral organisierten „Web 3 der Zukunft“.
Krista
Mixed Reality ermöglicht es Teammitgliedern, in einem physischen Raum von verschiedenen Orten aus zusammenzuarbeiten. Das Projekt „Magic Rooms“ von Meta (Facebook) hat das Ziel, dabei allen Teilnehmenden das Gefühl zu geben, gleichermaßen präsent zu sein –ob als Avatar oder Videopräsenz, an realen oder virtuellen Objekten.
Für eine AugmentedRealityAusstellung holte Lichtenfels für zwei Monate junge internationale Künstler*innen in die Region.
Nadine Kolodziey beispielsweise ließ ihre digitale Skulptur direkt vor dem Stadtschloss lebendig werden. Mit eigenem InstagramAccount und Smartphone geht das auch hier im Magazin: einfach den QR-Code mit der Kamera scannen.
Für die Architektur bietet die virtuelle Realität völlig neue Möglichkeiten, mit ihrer Hilfe entstehen Gebäude, vir tuelle Kunstmuseen und Galerien. In dem Ausstellungsraum des internationalen Architekturbüros Zaha Hadid werden Gedankenspiele für Technologien und Gebäude der Zukunft heute schon real und begehbar.