Jahresbericht 2019 Ärzte der Welt

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GESUNDHEITS­VERSORGUNG INLAND

EINSATZ IM ANKERZENTRUM – KATASTROPHALE BEDINGUNGEN Weil die schlechten Lebensverhältnisse vor Ort ein erfolgreiches Arbeiten verhinderten, musste Ärzte der Welt seinen Einsatz in einer bayerischen Unterkunft für Asylsuchende vorzeitig beenden. „Die Zustände in den Ankerzentren machen psychisch gesunde Menschen krank und psychisch Kranke noch kränker.“ So lautete das alarmierende Fazit der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Stephanie Hinum, die 2019 für Ärzte der Welt in einer solchen Einrichtung in Manching bei Ingolstadt tätig war. Kinder leiden

besonders unter den belastenden Bedingungen im Ankerzentrum. © Bayerischer Flüchtlingsrat

Die katastrophalen Bedingungen in der Unterkunft waren der Grund, dass Ärzte der Welt sich im September gezwungen sah, das gemeinsam mit Refugio München durchgeführte Projekt zur psychologischen und psychiatrischen Versorgung der Bewohner*innen vorzeitig zu beenden. Seit Januar hatte das Ärzte der Welt-Team in der ehemaligen Kaserne Sprechstunden angeboten.

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In die Sprechstunde kamen Menschen, die aufgrund von Erlebnissen wie Krieg, Vergewaltigung und anderen Gewalterfahrungen schwer traumatisiert waren. Unter den Patient*innen war zum Beispiel eine Frau, die auf ihrer Flucht in einem libyschen Foltergefängnis interniert war und unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Alles in der Einrichtung – die nicht abschließbaren Duschen, der Lärm, Auseinandersetzungen zwischen Bewohner*innen und Sicherheitsdienst, Polizeikontrollen – löste bei der Patientin Erinnerungen an ihre schrecklichen Erlebnisse aus. Für einen jungen Patienten, der unter anderem akustische Halluzinationen hatte, war schon das Essen im lauten Speisesaal eine Tortur. Doch auch für weniger stark belastete Bewohner*innen waren die Lebensbedingungen alles andere als gesund und wurden nationalen und internationalen Mindeststandards zur Unterbringung von Asylsuchenden nicht gerecht. Die Menschen lebten beengt, ohne Rückzugsräume oder Privatsphäre. Nachts kam es oft zu Ruhestörungen, und auch Kinder waren Gewaltszenen ausgesetzt, zum Beispiel bei Abschiebungen. Bewohner*innen


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