6 minute read
Interview: Marc Langenbrinck, CEO Mercedes-Benz Schweiz
from aFLEET 05/2021
«Ich erlebe Firmenkunden als äusserst progressiv»
Im Rahmen der Fahrpremiere der elektrischen Luxuslimousine EQS traf aboutFLEET Marc Langenbrinck zum Exklusivinterview rund um das Thema Elektromobilität. Dabei nahm der CEO von Mercedes-Benz Schweiz kein Blatt vor den Mund – denn bei der Ladeinfrastruktur läuft seiner Ansicht nach noch längst nicht alles rund.
aboutFLEET: Die S-Klasse wird intern gerne als «das beste Auto der Welt» bezeichnet. Wird der EQS demzufolge «das beste elektrische Auto der Welt»? Marc Langenbrinck: Wir vergeben das «S»-Kürzel nie leichtfertig. Wenn wir ein Fahrzeug mit «S» bezeichnen, ist es das Beste, was wir zurzeit haben und können. Der EQS ist ausserdem die erste vollelektrische Luxuslimousine – nicht nur bei Mercedes-Benz, sondern insgesamt. Sie ist absolut einzigartig in Design, Materialien, Ambiente, Verarbeitungsqualität und enthaltenen Innovationen. Zudem punktet der EQS mit dem besten cw-Wert (0,2) aller Limousinen. Auch fürs «autonome Fahren» sind einige Highlights verbaut. So beherrscht der EQS Stufe 3, also hochautomatisiertes Fahren, was ab 2022 in Deutschland auf gewissen Strecken möglich sein sollte. Dazu kommt, dass der EQS mit Hinterachslenkung vorfährt, was trotz der stattlichen Fahrzeuglänge eine unerwartete Praktikabilität und Wendigkeit mit sich bringt. Last, but not least ist der EQS ein Auto, welches mit seinen 780 Kilometern elektrischer Reichweite (WLTP) das Thema «Reichweitenangst» definitiv hinter sich lässt. Übrigens: Laut Statistik fahren Herr und Frau Schweizer täglich im Schnitt nur gerade 24 Kilometer. Ich persönlich habe
festgestellt: Beim elektrischen Fahren ist nicht das Fahrzeug limitierend, sondern die mangelnde Infrastruktur. Die junge, rein elektrische EQ-Familie von Mercedes-Benz wuchs innerhalb von rund zwei Jahren auf fünf Modelle an (EQA, EQB, EQC, EQS, EQV). Geht dieses Wachstum so rasant weiter? Bis 2022 wird Mercedes-Benz in allen Segmenten, in denen die Marke vertreten ist, batterieelektrische Fahrzeuge anbieten. Dazu kommen die momentan dreissig und später noch deutlich mehr Plug-in-Hybride. Das heisst: Das Steckerfahren ist bei Mercedes-Benz zentraler Pfeiler der Vision 2039, gemäss der wir künftig komplett CO2-neutral sein werden.
Viele der herkömmlichen Modelle sind mittlerweile auch, wie von Ihnen bereits erwähnt, als Plug-in-Varianten erhältlich. Ist diese Technologie in Ihren Augen mehr als eine mittelfristige «Brückentechnologie»? Der Plug-in-Hybrid ist ein sehr gutes Argument gegen die heute noch verbreitete Reichweitenangst. Er erlaubt die Kombination
Herstellern noch teurer sind als der vergleichbare Verbrenner. Da fragt sich der Kunde natürlich: Wieso soll ich eigentlich umsteigen?
Helfen würde da eine CO2-Gesetzgebung, die auf den eigentlichen Verursacher abzielt, wie das in anderen Ländern üblich ist. Hätte der Kauf eines Autos mit höherem CO2Ausstoss in Form einer Steuer Auswirkungen für den Käufer, wären Elektrofahrzeuge plötzlich auch preislich unschlagbar. Leider ist das in der Schweiz nicht so.
Gibt es Unterschiede beim Umstieg und beim Kaufverhalten betreffend PHEV- und BEVFahrzeugen zwischen Privat- und Firmenkunden? Falls ja, welche? Firmenkunden erlebe ich zurzeit als äusserst progressiv. Viele wollen einen Teil ihrer Flotte elektrifizieren. Sie sind auch meistens bereit, in lokale Ladeinfrastruktur zu inves-
Marc Langenbrinck, CEO Mercedes-Benz Schweiz
der Vorteile aus dem Elektro- und dem Verbrennerkonzept. Er ist eine notwendige Übergangstechnologie, bis Ladeinfrastruktur und Kundenbedürfnis so weit sind, dass wir nur noch elektrisch fahren. Insofern glaube ich sehr wohl, dass Plug-in-Hybrid-Modelle ihre Berechtigung haben.
Herr und Frau Schweizer wird nachgesagt, skeptisch bei neuen Dingen zu reagieren. Wie sieht dies beim Umstieg auf elektrifizierte Modelle aus? Wie erleben Sie die hiesigen Kunden und Kundinnen? Die Schweizerinnen und Schweizer erlebe ich grundsätzlich als sehr innovativ. Ich bin im Steuerungsausschuss von «digitalswitzerland» und wage die Aussage, dass es wohl nur ganz wenige Länder gibt, die bezüglich Innovation eine so gut funktionierende Kooperation zwischen Staat, Wissenschaft und Wirtschaft kennen wie die Schweiz.
Aber zurück zur Elektromobilität: Wir erleben Herrn und Frau Schweizer als ausgesprochen neugierig auf unsere Fahrzeuge und Technik. Nach einer Probefahrt sind sie meist vollends überzeugt.
So weit, so gut – bis man auf das Laden und die dafür nötige Infrastruktur zu sprechen kommt. Wer weder zu Hause noch am Arbeitsplatz regelmässig laden kann und fürs Schnellladen an den wenigen öffentlichen Punkten anstehen muss, wird sich kaum für die Elektromobilität entscheiden. Kommt dazu, dass E-Fahrzeuge aktuell bei allen «Das Flottengeschäft ist ein People-Business. Hier zählen Klicks und E-Mails nur bedingt. Am Ende des Tages muss jemand den Kunden vor Ort beraten. Einmal, zweimal, dreimal oder bei Bedarf auch öfter.»
tieren. Leider müssen sie dann oftmals feststellen, dass das aktuelle Stromnetz hierfür gar nicht ausreicht. Mercedes-Benz etwa hat seinen Schweizer Sitz im Industriegebiet der Zürcher Agglomerationsgemeinde Schlieren. Trotzdem können wir keine zehn, geschweige denn zwanzig 160-kW-Charger installieren lassen. Bereits mit unseren aktuell zwei 50-kW-Stationen bringen wir die lokale Stromversorgung ans Limit.
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und bieten unseren Kunden mit dem EQS ein Auto an, für das sie 300 Kilometer Reichweite innert 15 Minuten laden können. Leider steckt die dafür notwendige Infrastruktur noch in den Kinderschuhen.
Apropos Firmen: Wie wichtig ist das FleetSegment für Mercedes-Benz? Sehr wichtig. Unternehmen und Einmannbetriebe machen den grössten Teil unseres Umsatzes aus.
Mercedes-Benz trägt aktuell den Titel «Schweizer Flottenmarke des Jahres». Worauf muss man bei diesen Kunden besonders achten? So banal es klingt, man muss sich gut um den Kunden kümmern. Man muss in der Lage sein, perfekt zugeschnittene Angebote zu offerieren – sowohl in der Fahrzeugkategorie als auch im Preis- und Kostenbereich. Firmenkunden beachten zudem seit Jahren, was Private gerne übersehen: die Total Cost of Ownership (TCO). Da haben wir einen grossen Vorteil, da wir bei Verbrauch, Versicherung und Restwert hervorragende Werte vorweisen können.
Das Flottengeschäft ist zudem ein PeopleBusiness. Hier zählen Klicks und E-Mails nur bedingt. Am Ende des Tages muss jemand den Kunden vor Ort beraten. Einmal, zweimal, dreimal oder bei Bedarf auch öfter. Genau hierfür haben wir unser Flotten-Key-AccountManagement-Team, welches sehr erfahren ist und einen kompletten Baukasten mit breit gefächerten Angeboten mit sich führt. Ich glaube, das macht die Qualität von MercedesBenz im Flottenbereich aus.
Mit einem rein elektrischen Kombi könnte man in der Flottenbranche sicherlich punkten. Gibt es bei Mercedes-Benz diesbezüglich Pläne oder ist der europäische Markt (und dessen Vorliebe für Kombis) schlicht zu klein und unbedeutend? Momentan haben wir zwei vollelektrische SUV, die ich gerne als moderne Kombis bezeichne. Seit Jahren wächst das SUVSegment stetig. Die Kombi-Sparte hingegen schrumpft – auch im gewerblichen Bereich. Aktuell ist kein explizites T-Modell ohne Verbrennungsmotor geplant, einen vollelektrischen Kombi will ich für die Zukunft aber nicht ausschliessen.
Könnten Sie uns zum Abschluss einen Einblick in die künftige Elektrifizierungsstrategie von Mercedes-Benz gewähren? Unsere Ambition ist es, dass wir 2039 CO2-neutral sein wollen. Von der Entwicklung über die Beschaffung und Produktion bis zur Vertriebsstruktur. Schon nächstes Jahr wird Mercedes-Benz in allen Segmenten, in denen wir vertreten sind, batterieelektrische Fahrzeuge anbieten. Ab 2025 werden alle neuen Fahrzeugarchitekturen ausschliesslich elektrisch sein. Und unsere Kundinnen und Kunden werden für jedes Modell eine vollelektrische Alternative zur Auswahl haben.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir heute einen existierenden Fuhrpark von über 3 Millionen Fahrzeugen in der Schweiz haben. Davon ist ein verschwindend geringer Teil elektrisch. Bis nur noch E-Autos auf unseren Strassen fahren, dürfte es noch einige Jahre dauern. Ich bin zu 100 % überzeugt, dass vollelektrische Fahrzeuge die Zukunftslösung sind – aber nur als funktionierendes Gesamtpaket mit der dazugehörigen Ladeinfrastruktur.