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WOHER KOMMT DER PERSONALMANGEL?
Arbeitswelt im Wandel
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DEMOGRAFIE, WERTE, NEW WORK
GEBURTEN
EINWANDERER AUSWANDERER
STERBEFÄLLE
Panta rhei – Alles fließt. Was bereits der griechische Philosoph Heraklit lehrte, gilt heute mehr denn je: Unsere Welt unterliegt einem ständigen Wandel. Das zeigt sich zurzeit besonders akut am Arbeitsmarkt.
Kaum ein Thema beschäftigt unsere Branche aktuell so sehr wie der viel zitierte Fachkräftemangel. Viele Kollegen trifft die Personalnot hart und unerwartet, sodass mancherorts sogar gut laufende Filialen geschlossen bleiben müssen. Die Gründe für die derzeitige Situation sind vielfältig. Die neuen Lebensmodelle und die veränderten Werte tragen ebenso dazu bei wie der demografische Wandel. Es liegt nahe, dass sich die Lage unter gewissen Voraussetzungen sogar noch zuspitzen kann. Denn die Globalisierung, die wachsende Wirtschaft und Bevölkerung verknappen die Arbeitskräfte.
STATISTIK SPRICHT BÄNDE
Demografie-Experten wie Dr. Thomas Fent vom Vienna Institute of Demography (OeAW), Wittgenstein Centre (IIASA, OeAW, University of Vienna) kennen diese Entwicklung nicht erst seit gestern. Die Zahl der Geburten ist seit Jahrzehnten rückläufig. Die Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung (Statistik Austria) ergibt von 1902 bis 2022 einen durchschnittlichen Rückgang von 0,7 Prozent jährlich. Die Personen im erwerbsfähigen Alter – bei denen auch die Zuwanderung eine wesentliche Rolle spielt – steigen dagegen zwischen 1869 und 2022 nur um 0,5 Prozent pro Jahr. Die Lage am Arbeitsmarkt ist ebenso von Angebot und Nachfrage bestimmt: Qualifizierte Fachkräfte sind heiß begehrt, durch die sinkende Geburtenrate werden Nachwuchskräfte aber langfristig immer knapper.
WARUM SINKEN GEBURTENZAHLEN?
Der vielzitierte demografische Wandel bedeutet eine größere Veränderung in der Bevölkerungsstruktur. Dabei wird die Anzahl der Menschen, die Altersstruktur der Gesellschaft sowie die Hintergründe, Geburten- und Sterberaten sowie Zu- und Abwanderung betrachtet. Von einer „zweiten demografischen Transition“ spricht auch Fent im Rahmen seines Vortrags „Lebensmodelle verstehen, Arbeitsmodelle entwickeln“ beim diesjährigen Kolloquium der Vereinigung der Backbranche (VdB) in Schladming. Ihm zufolge spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle: Die Werte wandelten sich von postma-
terialistischen zu individualistischen Prioritäten. Auch die Familienstrukturen änderten sich und das Heiratsalter sowie das Alter bei der Geburt des ersten Kindes stieg an. Die Eheschließungen wurden weniger, zugunsten von nicht ehelichen Lebensgemeinschaften. Mehr und mehr ist nicht das Kind der Mittelpunkt der Familie, sondern das Paar. Ehescheidungen nahmen zu, ebenso wie die Zahl der Alleinerziehenden. Darüber hinaus sorgte der Übergang von präventiver Verhütung zu selbstverwirklichenden Empfängnis zum Rückgang der Geburtenrate.
NEUE WERTE
Nicht erst seit Corona haben sich die Prioritäten der Menschen im erwerbsfähigen Alter verändert. So zeigte sich bereits 2016 bei der europäischen Wertestudie, dass die Wichtigkeit von „Beruf und Arbeit“ in der Bevölkerung abnahm. Während sie 1986 noch bei 52 % lag, war der Wert 2016 nur noch bei 42 %. Was dagegen stark anstieg, war die Bedeutung sozialer Interaktionen: Die Wichtigkeit von Freunden stieg innerhalb von 30 Jahren von 27 % auf 41 % (2016). Die Studie ergab auch, dass den Menschen eine sichere Berufsstellung wesentlich wichtiger ist als ein hohes Einkommen oder Aufstiegsmöglichkeiten. Was besonders geschätzt wird, ist ein interessantes Aufgabengebiet und die Möglichkeit, selbständig arbeiten zu können. Generell sind die Ansprüche der Berufstätigen an ihre Arbeitsstelle stark angestiegen. Themen wie großzügige Urlaubsregelung, die Möglichkeit, etwas zu erreichen, Verantwortung, angenehme Arbeitszeiten werden neben der Bezahlung immer wichtiger.
Die europäische Wertestudie zeigte außerdem, dass sich auch die Werte, die Eltern ihren Kindern mitgeben wollen, wandeln. Im Vergleich von 1985 und 2017 blieb die Bedeutung von Verantwortungsgefühl und guten Manieren nahezu gleich hoch. Toleranz und Respekt gegenüber Mitmenschen wurde 2017 wichtiger eingestuft als noch im Jahr 1985. Ein Wert der wiederum in seiner Bedeutung abnahm, ist die Sparsamkeit: 1985 lag er bei 54 %, 2017 nur noch bei 37 %. Entschlossenheit und Ausdauer wurde 1985 mit 39 % beurteilt, 2017 mit 42 %.
BLICK AUF DEN ARBEITSMARKT
Das Zusammenspiel all dieser Faktoren beeinflusst die Lage am Arbeitsmarkt wesentlich, resümiert Fent in seinem Fachvortrag. Die Bedeutung von Beruf und Arbeit sinkt, während die Ansprüche an den Beruf zunehmen. Ebenso steigt die Bedeutung der Bezahlung und die Identifikation mit der Arbeit. Im sogenannten „war for talents“, also dem Kampf um die Nachwuchstalente sind Arbeitgeber gefordert, den Bewerbern möglichst viele Freiheiten zu bieten. Ein wichtiges Zukunftsthema ist es, die Arbeitszeiten so zu gestalten, dass auch vermehrt Frauen aus der Karenz wieder ins Berufsleben einsteigen können. Ein sicherer Job und das Interesse an der Arbeit zählen mehr denn je.
KREATIVE LÖSUNGEN GEFRAGT
Soziale Kontakte sind den Menschen auch nach Corona wieder wichtig. Sie sollen privat und beruflich die Möglichkeit erhalten, sich optimal zu entfalten. Auch unsere Backbran-
mche ist angehalten, mit kreativen Konzepten und flexiblen Arbeitsmodellen im „war for talents“ zu bestehen. Ebenso wichtig ist es, nicht auf die Stammmitarbeiter zu vergessen und diese durch Wertschätzung und Flexibilität langfristig zu binden. Unser Handwerk hat viel zu bieten: Ein spannendes und wichtiges Produkt, eine sinnstiftende Tätigkeit ebenso wie Kreativität bis hin zur Möglichkeit, eigene Rezepturen zu entwickeln. Zahlreiche Beispiele von Betrieben unserer Branche mit langjährigen Mitarbeitern und gutem Ruf als attraktive Arbeitgeber zeigen vor, dass es – trotz Nachtarbeit und Co – möglich ist.