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SNCF weiblich

“SNCF WEIBLICH” – CHEFIN SUCHT MEHR MÄNNER

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UNBEDARFTE MÖGEN SICH FRAGEN: WEIBLICHE SNCF, WAS SOLL DAS. DÜRFEN DENN FRAUEN NORMALERWEISE NICHT MIT ZÜGEN DER FRANZÖSISCHEN STAATSBAHN FAHREN?

Ein Missverständnis — die Rede ist von einem Frauennetzwerk innerhalb der SNCF. Und das bekam eine neue Chefin, die jetzt auch verstärkt pro-feminine Männer sucht. Auf Französisch heißt das Netzwerk „SNCF au Féminin“. Die bahninterne SNCF-Zeitung Les Infos berichtete, dass an der Spitze zum 1. Oktober 2020 Francesca Aceto durch die 39-jährige Anne-Sophie Nomblot ersetzt wurde. Die neue „Féminin“-Chefin ist Absolventin der Wirtschaftskaderschmiede Edhec und SNCF-Mitarbeiterin seit 2008. Seit seiner Gründung 2012 engagiert sich Anne-Sophie Nomblot in dem weiblichen Unternehmensnetzwerk der SNCF, das etwa 8.500 Menschen umfasst, davon 17 Prozent Männer. Seit 2018 ist sie auch „Botschafterin“ — Leiterin einer der regionalen Ortsgruppen. Formell bezeichnet sich „SNCF au Féminin“ als das „gemischte Netzwerk der SNCFGruppe“ sowie „eines der führenden weiblichen Unternehmensnetzwerke in Frankreich“: „Das Netzwerk ist in allen Geschäftsbereichen, Niederlassungen und zahlreichen Tochtergesellschaften der SNCF präsent und steht allen Mitarbeitern, Frauen und Männern der SNCF-Gruppe offen. Es bringt diejenigen zusammen, die sich für die Förderung der Geschlechtervielfalt einsetzen und damit Veränderung, Innovation und die Werte des sozialen Fortschritts in den Dienst der Leistung der SNCF-Gruppe stellen.“ Als wichtig wird betont, dass die „femininen“ SNCF-Gruppen außerhalb eines hierarchischen Organisationssystems agieren und sich an den Kriterien Solidarität und gegenseitige Hilfe, Mut und Vertrauen orientieren. Gruppen-Mitglieder sollen „legitimer, selbstbewusster und entschlossener sein, ihre berufliche Laufbahn voranzutreiben“. Diesem Ziel dient ein seit 2013 betriebenes Mentoring-Programm, das in dieser Zeit etwa 400 Frauen und Männer mit offenbar hoher Zufriedenheitsrate auf beiden Seiten durchliefen. Vertrauen betrifft auch die Strukturen des eigenen Unternehmens. Dazu gehört, bei Treffen sowie auf den eigenen Webseiten Erfahrungen und Hintergründe auszutauschen und Verbindungen zwischen allen Einheiten der SNCF-Gruppe herzustellen.

Spezielle „SNCF au Féminin Think Tanks“ haben über sieben Jahre hinweg über 30 Projekte entwickelt, mit denen sie nach eigenem Bekunden zur Innovation des Unternehmens beitragen wollen. Gefördert wird seit 2017 die „Intrapreneurship“, das Verhalten der Mitarbeiter*innen als innerbetriebliche kreative, teamorientierte Unternehmer*innen mit Führungsqualitäten. Ale erstes konkretes Ergebnis wurde „ La Boutique Eco“ gegründet. Hier war die neue „SNCF Féminin“-Chefin Anne-Sophie Nomblot zu ihrer Zeit als Entwicklungsmanagerin bei SNCF Gares & Connexions bereits aktiv involviert. La Boutique Eco, das ist eine recht spezifische Adaptation von „Amazon-Second Hand-Kleinanzeigen“, gemünzt auf unternehmensinterne Belange. Über eine eigene Webseite können sich Abteilungen der SNCF registrieren und bei sich überflüssige gebrauchte Gegenstände anbieten oder auch von anderen Dienststellen erwerben. Der Wert sollte 500 Euro nicht überschreiten, sonst sind spezielle Formulare auszufüllen. Die abgebenden Bahnstellen können ihre überflüssigen Güter den anderen Dienststellen spenden oder verkaufen. Um den EU-Regeln des Verbots von Überkreuz-Verbindungen zu entsprechen, dürfen keine Händel zwischen Teilen der Infrastruktur und des Fahrbetriebs vermittelt werden. Gedealt wird mit allem, was nicht niet- und nagelfest ist: Sofas, Kühlschränke, Büromaterialien… Als offizielle Ziele der Boutique nennt die Staatsbahn „Begrenzung der Einkaufskosten und Abfallentsorgungskosten für die SNCF“ und die Leistung eines „Beitrags zur von der Gruppe verfolgten Politik der nachhaltigen Entwicklung“. Als „kollaborative Plattform für Spenden oder den Verkauf von professionellem Zubehör innerhalb der SNCF“ eignet sich La Boutique Éco auch für Smartphones. Angeboten werden Kleidung und persönliche Schutzausrüstung (PSA), Büromöbel, Elektronik, Büromaterial, Werkzeuge, Kommunikationsmedien, sogar kleine Haushaltsgeräte. Das Projekt floriert — offenbar macht es den Eisenbahnern Spaß, firmenintern auf Schnäppchenjagd zu gehen! (hfs)

FUSION ALSTOM-BOMBARDIER: GEHT WERK REICHSHOFFEN AN ŠKODA ODER CAF?

AM 16. SEPTEMBER 2020 GAB ALSTOM DIE FORMELLE UNTERZEICHNUNG DES VERTRAGS ZUR ÜBERNAHME VON BOMBARDIER TRANSPORTATION MIT BOMBARDIER INC UND DER CAISSE DE DEPOT ET PLACEMENT DU QUÉBEC (CDPQ) BEKANNT.

Dabei wurden die Bedingungen der Akquisition „angesichts der aktuellen Situation überarbeitet“. Die Preisspanne für den Erwerb aller Anteile an Bombardier Transportation „ohne zusätzliche Abwärtskorrekturen im Zusammenhang mit dem Mechanismus zur Anpassung der Netto-Barkassenposition“ betrage „5,5 bis 5,9 Milliarden Euro“. So wurde eine Reduzierung des Kaufpreises um 300 Millionen Euro vereinbart.

Die Zustimmung der EU zu dem Deal wurde unter Auflagen erteilt. Dazu gehört, dass das französische Alstom-Werk Reichshoffen (Département Bas-Rhin) einschließlich der dortigen Produktion der RégiolisTriebzüge für den französischen Markt (Coradia Polyvalent) sowie die in Hennigsdorf bei Berlin beheimatete Produktion des Bombardier-Triebzugs Talent 3 verkauft werden. Am Standort Reichshoffen beschäftigt Alstom derzeit 780 Mitarbeiter*innen, Kaufinteresse zeigten der russische Bahnhersteller Transmaschholding TMH und der spanische Bahnhersteller Talgo. Konkrete Absichtserklärungen für die Übernahme von Reichshoffen gaben der spanische Bahnproduzent CAF sowie der tschechische Bahnhersteller Škoda Transportation ab. Ende Oktober 2020 lud Alstom Škoda zu „privilegierten Verhandlungen“ ein. Die Tschechen seien auf dem französischen Markt ein weniger gefährlicher Konkurrent als die Basken. Genau deshalb präferieren die Gewerkschaften in Reichshoffen jedoch den Verkauf an CAF — dieses Unternehmen sei durch einen ersten Großauftrag für die SNCF bereits in Frankreich aktiv, was ihre Arbeitsplätze sicher mache. Škoda sollte bereits 2017 durch den chinesischen Weltkonzern CRRC übernommen werden, was nur an übertriebenen Forderungen der Chinesen an den tschechischen Staat scheiterte. In der Zukunft könnte der jetzige Eigentümer Petr Kellner Škoda an CRRC verkaufen, dann wären die Chinesen durch die Hintertür doch in Frankreich. Keine konkreten Auskünfte gibt es bisher zu einen möglichen Käufer der BombardierPlattform Talent 3 in Hennigsdorf. Dort sind etwa 200 Mitarbeiter*innen betroffen. Das gesamte Werk abgesehen von den Produktionsräumen des Talent 3 soll weiterhin durch den fusionierten Konzern genutzt werden. Die derzeit für den Talent 3 genutzte Produktionshalle befindet sich direkt inmitten der anderen Werksproduktion. Deshalb würden wohl die Produktionsanlagen des Talent 3 in eine andere Fertigungshalle am Rande des Werks verlagert, der Werkszaun wäre entsprechend umzubauen. Dann könnte der Zug weiterhin in Hennigsdorf entstehen, die Arbeitsplätze der jetzt dort eingesetzten Mitarbeiter*innen wären gesichert. (hfs)

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GROSSBRITANNIEN I: BREXIT? EGAL – INVESTIEREN SIE!

MIT EINEM WIRTSCHAFTSVOLUMEN VON UMGERECHNET 227,7 MILLIARDEN EURO UND 11,5 MILLIONEN EINWOHNERN SIND DIE MIDLANDS DIE BESTE INVESTITIONSMÖGLICHKEIT GROßBRITANNIENS, VERSICHERN DEM HANSE MEDIEN-VERLAG ZWEI MANAGER STAATLICHER ANSIEDLUNGSGESELLSCHAFTEN DER REGION.

bahn manager Magazin: Großbritannien verlässt die Europäische Union – was sollte EUInvestoren jetzt noch zu Investitionen in Ihrem Land bewegen? David Fisken: Die Region Midlands war seit viktorianischen Zeiten im 19. Jahrhundert immer in den Schienenverkehr involviert und hat sich weiterentwickelt, wir sind auch die Heimat von Herstellern wie Bombardier. Wir sind die Heimat innovativer Forschung und Entwicklung zur Unterstützung des Schienenverkehrssektors und der Lieferkette durch unsere Universitäten.

Würde ein potenzieller Investor eher Waren und Dienstleistungen hauptsächlich für Großbritannien produzieren und anzubieten, oder wäre es auch möglich, Exporte zu tätigen, da wir nicht wissen, was die Zukunft bezüglich Umsatzsteuer und Zollregeln bringen wird? David Fisken: Die Stärke der Investitionspipeline im britischen Eisenbahnsektor bietet so bedeutende Chancen, dass wir ein großes Interesse von Unternehmen aus dem Ausland sehen. Im Eisenbahnsektor gibt es eine Investitionspipeline von über 200 Milliarden Pfund, durch Großprojekte wie High Speed 2 (HS2), Europas größtes Infrastrukturprojekt. Es gibt Projekte im Bereich Stadtbahn. In Großbritannien investieren wir mehr in Schienenfahrzeuge und Neufahrzeuge. Etwa 6000 Fahrzeuge sollen auf die Strecke gehen, es gibt weitere Pläne. Daher sind für die nächsten Jahre die Chancen beispiellos für Unternehmen mit Zugang zum britischen Markt.

Hätten Produkte, die den europäischen ENNormen entsprechen, zukünftig auf Ihrem Markt noch eine Chance? Wird es keine spezielle neue Kommission für britische Normen geben, was alles schwieriger machen würde? David Fisken: Ich denke, dass die britische Regierung die Interessen der Wirtschaft sowohl in Großbritannien als auch innerhalb der EU so berücksichtigt, dass wir unser Geschäft fortsetzen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass wir alles zu einer britischen Version machen werden, da dies die laufenden Exportmöglichkeiten aus Großbritannien und die Investitionsattraktivität Großbritanniens beeinträchtigen würde. Wenn etwas funktioniert, würden wir uns nicht dafür entscheiden, es zu zerbrechen. Ian Flynn: So groß ist schließlich der Handel mit Schienenfahrzeugen aus Europa. Ein Großteil der Technologie ist europäisch. Also müssen wir alle dafür sorgen, dass es funktioniert.

David Fisken: Im Rahmen des HS2-Projekts haben wir zum Beispiel festgestellt, dass wir in Großbritannien nicht genügend Kompetenzen für dieses Projekt haben. Daher wurde ein neues National College für Hochgeschwindigkeitszüge eingerichtet mit einem Campus in Birmingham und in Doncaster in Yorkshire. Das zeigt, dass wir die nächste Generation von Eisenbahningenieuren für solch bedeutende Projekte ausbilden müssen. Darüber hinaus benötigen wir Fachwissen von außerhalb Großbritanniens, um einige der Gelegenheiten für dieses Projekt zu erfüllen, bei denen Unternehmen in die Region Midlands kommen, um sich Vertragsmöglichkeiten zu verschaffen, um vor Ort Zugang zu Arbeitslosen zu erhalten und unsere Wirtschaft vor Ort zu stärken. Auch wenn wir die EU verlassen, verschwinden die Marktchancen für europäische Unternehmen in Großbritannien nicht, sie nehmen sogar zu.

Was ist mit den Preisen für Räumlichkeiten in den Midlands, für ein Büro oder eine Werkstatt? Ian Flynn: Wir haben günstige Preise. Die Midlands und der Norden Englands sind sicherlich preisgünstiger als London und der Südosten.

Vielen Dank und viel Glück!

Das Interview führte Hermann Schmidtendorf IAN FLYNN & DAVID FISKEN

Ian Flynn arbeitet in der Investorenaquise des Warwickshire County Council und dessen Partner in der Organisation Midlands Engine. David Fisken arbeitet für Business Birmingham, einen Partner von Midlands Engine.

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GROSSBRITANNIEN II: MIT HIGH SPEED 2 IN DIE NEUZEIT

AM 11. FEBRUAR 2020 VERKÜNDETE DER BRITISCHE PREMIERMINISTER BORIS JOHNSON, DAS PROJEKT HIGH SPEED 2 – KURZ HS2 – WERDE JETZT ENDGÜLTIG UMGESETZT.

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Damit ist die erste Phase bis Birmingham gesichert und finanziert, die Inbetriebnahme in Stufen zwischen 2028 und 2031 geplant. Das seit langem größte Infrastrukturprojekt auf der britischen Insel soll zunächst eine 220 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen den Stationen London Euston und Birmingham Curzon Street schaffen. In Phase 2a und 2b entsteht eine Y-Struktur. Der westliche Ast mit Anschluss nach Liverpool führt ab 2035 von Birmingham nach Crewe (69 Kilometer) und weiter bis nach Manchester (82 Kilometer). Ein östlicher Ast wird zwischen 2035 und 2040 von Birmingham über die East Midlands und South Yorkshire nach Leeds führen (198 Kilometer).

Realisiert werden soll das Projekt durch die 2009 gegründete staatliche Projektgesellschaft High Speed Two Ltd., die Strecke soll auf 400 km/h ausgelegt werden bei einer Regelgeschwindigkeit der Züge von 360 km/h. Über ein Zehntel der Strecke soll durch Tunnels verlaufen. Planungsverzögerungen führten dazu, dass Ende 2019 die Gesamtkosten mit mehr als 106 Milliarden Pfund Sterling beziffert wurden (121 Milliarden Euro) — fast dem Doppelten der in 2015 erwarteten Kosten. (hfs)

GROSSBRITANNIEN III: ENDE DER BAHN-PRIVATISIERUNG – NOTVERORDNUNG STATT WETTBEWERB

AM 21. SEPTEMBER 2020 VERKÜNDETE DER BRITISCHE STAATSSEKRETÄR FÜR TRANSPORT GRANT SHAPPS VOR DEM PARLAMENT DEN BANKROTT DES BRITISCHEN PRIVATISIERUNGSMODELLS IM BAHNWESEN. JETZT ZIEHT DER STAAT WIEDER DAS GESAMTE BAHNWESEN AN SICH.

Beendet wird das komplizierte und offenbar untaugliche „Franchising-System“, bei dem Betriebsrechte auf einzelnen Strecken zeitweilig an private Unternehmen verpachtet werden. Das eigenwillige Ausschreibungssystem wurde vom konservativen Premierminister John Major mit dem Railways Act 1993 eingeführt. Aus ideologischen Gründen wurde das gesamte zuvor staatliche Bahnwesen zerschlagen. Vergeblich hatte seine des Sozialismus unverdächtige Vorgängerin Margaret Thatcher gewarnt, eine derartige Privatisierung ginge „too far“, zu weit. Die neu geschaffenen privaten Firmen sollten gewinnorientiert arbeiten, zugleich aber miteinander konkurrieren und dabei noch billiger, zuverlässiger, effizienter und pünktlicher den Zugverkehr betreiben als die vorherige Staatsbahn British Rail.

Die Quadratur des Kreises misslang. Es entstand das wohl ineffizienteste und teuerste Bahnsystem Europas. Ein Zugunglück bei Hatfield mit vier Toten wegen schadhafter Gleise bewies im Jahr 2000: So geht es nicht. Die Schienen-Infrastruktur wurde wiederverstaatlicht. Sie wird seit 2002 durch das nicht gewinnorientierte Unternehmen Network Rail betrieben, für das 116 meist öffentlichrechtliche Körperschaften bürgen. Eine teure Transaktion — Network Rail hatte 2020 immer noch umgerechnet rund 60 Milliarden Euro Verbindlichkeiten, welche den Staatsschulden zugerechnet werden. 2018 hatte das Unternehmen seine Verschuldungsgrenze erreicht, konnte zur Finanzierung von Streckenmodernisierungen keine eigenen Kredite mehr aufnehmen und begann, in großem Stil Bahnimmobilien zu verkaufen.

EVU ALS GOLDGANS DES STAATES

Doch auch der Bahnbetrieb als solcher klappte nicht. Der Staat teilte das Bahnstreckennetz in kleinere Teilnetze ein, die sogenannten Franchises. Um diese hatten sich 25 neu zu schaffende EVU zu bewerben, die Anzahl der Bewerber ist bis heute durch Umgruppierungen und Fusionen auf 17 geschrumpft. Der Finanzminister überzeugte seinen Premier, nicht das Funktionieren des Bahnwesens stehe an erster Stelle, sondern der maximale Profit für die Staatskasse. Grundlage für die Kalkulationen bei Ausschreibungen sollten unter anderem Schätzungen der Ticketeinnahmen sein. Doch diese erwiesen sich als trügerisch. Zu oft beruhten EinnahmeSchätzungen auf der Annahme, dass das Infrastrukturunternehmen das Schienennetz ordentlich in Schuss hält und geplante Modernisierungen auch termingerecht und qualitativ hochwertig durchführt. Wenn das nicht stattfand, generierten die Franchise nehmenden EVU Verspätungen und Zugausfälle, mussten Strafzahlungen an den Staat leisten. So spricht es für den Unternehmergeist der britischen EVU, dass sie trotz widriger Umstände die Passagierzahlen verdoppeln konnten. Hilfreich waren gewiss die Einführung der Londoner Stadtmaut für Pkw und das Drängen vieler Briten in günstigere Wohnungen an den Stadträndern, was sie automatisch zu Pendlern macht. Doch zu welchen Kosten verrichten die Franchisenehmer ihren Dienst! Sie müssen ja auch noch mit zusätzlicher Konkurrenz auf „ihrem“ gepachteten Streckennetz zurechtkommen. Der es gibt ja den „open access“ — freien Zugang für alle Fahrwilligen. Da wirft so mancher Franchisenehmer vorzeitig das Handtuch.

STAATLICHE „NOTNAGEL“-MASSNAHMEN

Bereits 2009 gründete das britische Transportministerium (Department for Transport DfT) das EVU Directly Operated Railways Ltd. (DOR), welches den Bahnbetrieb in Teilnetzen aufrechterhalten sollte, wenn ein privater Franchisenehmer finanziell oder organisatorisch ins Straucheln gerät. 2015 übernahm diese Funktion die ministerielle Gesellschaft DfT OLR Holdings Limited. OLR steht für eine geradezu lyrische Begrifflichkeit, den “operator as last resort”. Doch wenn ein Staat ein eigenes Letzter-Ausweg- oder Notnagel-EVU braucht, um den Bahnbetrieb aufrechtzuerhalten, wäre dann nicht eine erneute komplette Verstaatlichung oder jedenfalls durchgreifende echte Reform unerlässlich? Bislang wurde die Notnagel-Lösung vierfach angewandt: bei South Eastern

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Trains (2003 bis 2006), East Coast (2009 — 2015), sowie London North Eastern Railway LNER seit 2018 und der ARRIVA-Franchise Northern Trains seit Beginn 2020. In all diesen Fällen gaben die EVU der mangelhaften Schieneninfrastruktur maßgebliche Schuld an ihrem Unvermögen, einen attraktiven Service zu bieten. Während der Corona-bedingten Sperrung Ende März und April 2020 sank der englische Schienen-Personenverkehr auf nur fünf Prozent des Vorpandemieniveaus. Damit war das Franchising-Modell vollends obsolet. Zunächst sprang das Transportressort den finanziell ins Bodenlose fallenden EVU durch eine staatliche Kostendeckungszusage bei. Am 21. September 2020 erklärte jetzt Staatssekretär Grant Shapps dieses Subventionsmodell für weitere 18 Monate zur Regel: „Heute erneuern wir diese Unterstützung durch neue Vereinbarungen, sogenannte Emergency Recovery Measures Agreements (ERMAs), um die Erholung in Großbritannien zu unterstützen und den Kampf gegen die Pandemie fortzusetzen. Diese Verträge, die eine Laufzeit von bis zu 18 Monaten haben, sollen das Eisenbahn-Franchise-System beenden. Im Rahmen der neuen Notfallregelungen wird das DfT die Verluste der Eisenbahnunternehmen weiterhin decken und ihnen eine feste Gebühr von bis zu 1,5% der Betriebskosten vor der Pandemie zahlen.“

Wie es danach weitergeht mit den britischen Bahnen, soll ein jetzt bestelltes Weißbuch klären. Die Problematik gilt eigentlich nur für England — im Rahmen der Dezentralisierung haben die schottische Regierung mit ScotRail und die walisische Regierung mit Wales & Borders eigene Bahnorgane. Auch der Bürgermeister von London hat seit 2001 mit Transport for London TfL eigene Entscheidungsmacht. Dazu zählen Busnetze, die U-Bahn sowie die sogenannten oberirdischen Züge, London Overground. Derzeitiger alleiniger Betreiber von London Overground ist die Deutsche-BahnTochter Arriva. Diese Nahverkehrs-Metropolenbahn befördert 180 Millionen Fahrgäste pro Jahr. Und — dank anderer Regeln als im sonstigen englischen Reich klappt es erheblich besser.

VERSTAATLICHUNG ALS BESTER AUSWEG?

Es ist denkbar, dass für Englands Bahnwesen am Ende ein Konzessionssystem nach Londoner Modell die bisherigen Franchise-Ausschreibungen ersetzen wird. Dann trägt der Staat die Kosten des Bahnwesens und zahlt den jeweiligen privaten Betreibern einen moderaten Aufschlag. Ob das noch für private Investoren reizvoll sein wird? Ob der Staat sich dann mehr als bisher um die Infrastruktur kümmern wird? Zweifel bleiben. Der Labour-Schattenverkehrsminister Tan Dhesi grollte ebenso wie Generalsekretär Mick Cash von der National Union of Rail, Maritime and Transport Workers RMT, der britischen Gewerkschaft der Bahn-, Seefahrt- und Transportarbeiter, der konkludierte: „Covid-19 hat bewiesen, dass die privaten Eisenbahnunternehmen Zeit- und Geldverschwendung sind und keinen Platz in einer zukunftsfähigen Eisenbahn haben.“ Doch erst einmal rettet die jetzige Übergangslösung die Bahnunternehmen vor dem Ruin. Daher gab sich Paul Plummer, Geschäftsführer der Interessenvertretung Rail Delivery Group von 23 britischen Eisenbahngesellschaften, optimistisch: „Diese Übergangsverträge sollten ein Sprungbrett für eine bessere Eisenbahn sein.“ (hfs)

18. SALZBURGER VERKEHRSTAGE: ÖBB ERWEITERN NACHTZUGANGEBOT

DIE 18. SALZBURGER VERKEHRSTAGE IN SALZBURG STANDEN UNTER DER PRÄMISSE „MOBILITÄT GESTALTEN – KLIMANEUTRAL & SOZIAL VERTRÄGLICH“. IM RAHMEN EINER PODIUMSDISKUSSION KÜNDIGTEN DIE ÖBB MIT IHREN KÜNFTIG MODERNEN NACHTZÜGEN DEN FRÜHFLÜGEN DEN KAMPF AN.

Die ÖBB bedienen jetzt schon — nach Rückzug der DB AG — 40 Prozent des Nachtzugmarktes in Deutschland und haben längst schon ihre Fühler auch nach Italien ausgestreckt. Zudem sei man ständig auf der Suche nach weiteren Destinationen. Unter anderem war von ÖBB-Chef Andreas Matthä Paris zu hören. Die ÖBB wickeln diesen Nischenverkehr noch mit älterem, klassischem Wagenmaterial durch. „Die allgemeine Klimadiskussion hat dazu geführt, daß wir fast eine Verdoppelung unserer Passagierzahlen erleben konnten vor Corona“, so der ÖBBChef.

POLITISCHE RÜCKENDECKUNG UND STAATSHILFE

Weil die Deutsche Bahn AG sich vor Jahren vom Nachtzuggeschäft praktisch trennte, will die ÖBB hier auch mit Staatshilfe ihr Angebot kräftig ausweiten: „Wir investieren in den nächsten Jahren zusätzlich 500 Millionen Euro in neue Nachtzüge, wir arbeiten an neuen Verbindungen, gerade im Fernverkehr. Wir haben eine Herausforderung mit der Klimakrise und müssen klimafreundliche Alternativen finden“, sagte die Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) als Stargast während der 18. Salzburger Verkehrstage. Die neuen Nachtzüge der ÖBB sollen ab dem Winterfahrplan 2022/23 zum Einsatz kommen. Corona-bedingt war die Salzburger Traditionsveranstaltung, veranstaltet von Forum Mobil unter ihrem Obmann Mag. Peter Haibach, besonderer Gesundheitsvorsorge unterworfen. So fand nur ein Teil der

Teilnehmer im geräumigen Saal des Wirtschaftsförderungsinstituts Salzburg (WIFI) Platz. Den Regeln der Nachverfolgbarkeit wurde durch Platzierung auf zugewiesenen Sitzen Genüge getan. Die Veranstaltung wurde nach Art einer Video-Konferenz auf Bildschirme unter anderem im Foyer des WIFI übertragen.

UNSICHERHEIT DURCH CORONA

Die Auswirkungen der Pandemie werden im Verkehrsbereich noch lange spürbar sein, sorgten sich übereinstimmend mehrere der Vortragenden. Während des Lockdowns seien die Reisendenzahlen zusammengebrochen. Aber auch jetzt nehmen deutlich weniger Personen die Öffentlichen als zuvor. Teilweise fielen durch Arbeit von Zuhause Fahrten weg, teilweise würde eher das eigene Kraftfahrzeug genützt. Noch habe sich das Personal weitgehend halten lassen, aber wie lange noch, falls sich der Trend nicht verbessere? Ein düster-graues Gemälde zeichnete Ludwig Richard, Inhaber und Geschäftsführer von Dr. Richard. Das zweitgrößte Busunternehmen Österreichs und zugleich größte eigentümergeführte Busunternehmen im deutschsprachigen Raum betreibt im Auftrag von Flixbus unter anderem die Fernbuslinien Berlin—München—Zürich und München—Innsbruck. Es fährt im Auftrag der Wiener Linien auch auf zahlreichen Stadtlinien der Bundeshauptstadt. Derzeit seien 250 Busse abgemeldet, so Richard — sie hätten keine Arbeit. Auch ein so prominentes Unternehmen wie Flixbus sei unter solchen Vorzeichen insgesamt gefährdet, falls die zahlreichen mittelständischen Partner taumelten. Wolle die Politik günstige Busangebote, brauche es auch in diesem Bereich eine Förderung der Republik. Das gelte auch für den Güterverkehr, bei dem sich insbesondere Einzelwagenverkehr und Verschub derzeit verteuern. Zugunternehmen mit Bruttoverträgen kämen derzeit noch über die Runden. Problematisch seien aber Nettoverträge, sie generierten derzeit nicht die nötigen Einnahmen. Wegweisende Worte gab die Präambel der Salzburger Verkehrstage. Dort heißt es unter anderem: „Der Klimawandel wird immer spürbarer und auch sichtbarer. Der durch fossile Brennstoffe befeuerte Verkehr führt zu Landflucht und auswuchernden Städten. Er beschleunigt den Siegeszug der Großkonzerne gegen die schwer unterlegene regionale Wirtschaft, wo doch regionale Wirtschaftskreisläufe als Maß der Dinge für nachhaltige Entwicklung gelten.“ Die Corona-Pandemie decke zwar jetzt viele andere Herausforderungen zu — doch die Krise könne „ein neues Momentum der Veränderung auslösen. Aber nur dann, wenn sie — wie die „Friday for Future“-Bewegung es nennt — als „erste und letzte Möglichkeit in diesem Jahrzehnt erkannt wird, an großen Rädern zu drehen“. Manche zurück, die richtigen nach vorne — der öffentliche Verkehr darf auf keinen Fall als Verlierer aus dem Wettbewerb und den Verteilungskämpfen hervorgehen! Es ist die Zeit gekommen, ein neues Verkehrssystem anzusteuern.“ In diesem Sinne gelte es, Versäumnisse der Vergangenheit zu richten, die teilweise 20 bis 30 Jahre zurücklägen. Dazu gehöre eine Raumordnungspolitik, welche die Zentren zuungunsten der ländlichen Fläche bevorzugte. Im Schülerverkehr müsse eine zeitliche Entzerrung stattfinden, damit die Überbesetzung von Schulbussen zu den Spitzenzeiten vermieden werde und die CoronaSchutzabstände einzuhalten seien. Es brauche auch mehr Busse zu diesem Zweck.

Mag. Markus Inderst, Fachjournalist, Wien/Tirol

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