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ICE-Restaurantwagen
WAS BRAUCHT ES IM ZUG FÜR EINE ENTSPANNTE REISE? EINEN BEQUEMEN SITZ – UND EINEN SPEISEWAGEN!
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2002 wollte der damalige Deutsche BahnChef Hartmut Mehdorn den defizitären ICESpeisewagen an den Kragen. In über 100 Intercity-Zügen wurden die traditionsreichen Verköstigungsstätten durch blaugrüne Bistro-Wagen ersetzt, auch 54 ICE 3-Züge erhielten bei Umbaukosten von jeweils etwa 400.000 Euro platzsparende Stehbistros. Ein Desaster! Bundesverbraucherministerin Renate Künast prangerte den „Mitropa-Mord“ an, Verbraucherzentralen und der Fahrgastverband Pro Bahn agitierten mit Erfolg durch Solidarisierungsfrühstücks, genannt „Eatins“, wobei spektakulär auch mal ein verbliebener Speisewagen „besetzt“ wurde. Unter dem Mehdorn-Nachfolger Rüdiger Grube, privat mit einer veritablen Köchin verheiratet, hieß es deshalb „Finger weg vom Bordrestaurant!“ Und auch den aktuellen DB-Lenker Richard Lutz outet sein Unternehmen als Freund des Essens auf Rädern: „Solange ich Bahnchef bin, wird’s Gastronomie in den Zügen geben, das ist gar keine Frage.“
SEELE BAUMELN LASSEN
Gut so! Tatsächlich erinnert selbst Speisewagen-Abstinenzler die bloße Existenz dieser Refugien daran, dass Langstreckenfahrten einen Hauch von Luxus, von Entspannung und baumelner Seele in sich tragen. Was wären der legendäre Orient-Express und seine Nachfolger ohne glänzend geputzte Bestecke, Gläser, Teller, mit welchen livriertes Personal an plüschig-behäbigen Sitzplätzen Gaumenkitzler des Chefkochs serviert. Voraussetzung war damals die Entwicklung der Durchgangswagen — alle Mitreisenden mussten während der Fahrt Zugang zum Speisetempel haben. Gekocht wurde zunächst auf Kohleöfen, das Kühlen besorgten massive Eisblöcke, die unterwegs nachgeliefert wurden.
Später erleichterten Gas und Strom die Küchenprozedur. Verfeinerte Bahnnormen trieben die Kosten in die Höhe — wird im Speisewagen noch „echt“ gekocht, ist ein eigener hygienisch überwachungspflichtiger Kreislauf mitsamt Waschbecken für Trinkwasser vorzuhalten. Das ist heute vielen Bahnverwaltungen Europas ebenso zu teuer wie die Einstellung gelernter Köche, die ja auch zyklische Gesundheitsuntersuchungen nachweisen müssen und obligatorisch ein eigenes Personal-WC bekommen. So wird vor allem noch in tschechischen, polnischen oder ungarischen Zügen vor Ort gekocht, doch deutschsprachige Bordküche stammt aus dem Aufwärm-Convenience-Bereich. Ausgerechnet die Nation des kulinarischen Himmels auf Erden setzt in ihren TGV vor allem auf pappig-bröselige Snacks à la Croissant im Take Away-Modus — dégoutant!
CORONA = SELBSTBEDIENUNG
Zu Zeiten von Corona fungieren Österreichs Railjet-Restaurants nur als Verkaufsstellen für Speis und Trank zum Verzehr am eigenen Sitzplatz. Die Öffnungszeiten sind von 6 bis 19 Uhr, in deutschen ICEs klappen die Restaurant-Counter immerhin erst zwischen 22 und 23 Uhr zu. Schweizer SBB-Restaurant- und Bistrowagen sind von 6.30 bis 21 Uhr geöffnet. Der Verfasser dieser Zeilen fand es rührend, wie uns Reisenden trotz aller Beschwerlichkeiten trotz allem noch zum Speiseerlebnis verholfen wird. „Sie dürfen hier sitzen, aber das Restaurant ist wegen Corona geschlossen“, erklärte uns bei einer kürzlichen ICE-Fahrt ein Zugbegleiter. Aha, also gibt es keine warmen Speisen? „Doch doch, es gibt alle Speisen, aber das Restaurant ist zu.“ Erst langsam fiel bei uns der Groschen, will sagen Euro-Cent. Restaurant, das ist der Zugang zur Bordküche von den Speisewagen-Sitzplätzen aus. Tatsächlich, der war zu. Doch Reisende können das zum 2.-Klasse-Bereich weisende Verkaufsfenster aufsuchen und nehmen sich dann eigenhändig Speisen und Getränke an den Sitzplatz — auch denjenigen im vormals Restaurant genannten Bereich. Die Träne im Knopfloch: Verkauft wird jetzt in Einweg-Pappschalen mit Plaste-Deckel. Erst kommt Corona, dann die Umweltschutz-Moral… Vor dem im November 2020 eingeführten Lockdown-Light hatten sich die ICE-Oberen als Technologie-Primus versucht. Bitte nicht! Wer sich zum Speisen platzieren wollte, sollte sich zuvor mit eigenem Smartphone Corona-zünftig wo auch immer „anmelden“. Das doch ebenso amtliche DEHOGA-Corona-Meldeformular für Restaurant-Besuche, wir tragen es stets am Körper, wurde teils abgelehnt. Was soll das? Kein Smartphone, kein Schmaus? Bei aller Liebe zur Technik, man kann es auch übertreiben… Eine Überraschung anderer Art erlebte im Sommer 2020 der FDP-Bundestagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecher seiner Fraktion Torsten Herbst. Er hatte beim Verkehrsministerium um Angaben zum Einsatz der ICE- und IC-Speisewagen gebeten, doch Staatssekretär Enak Ferlemann musste auf Geheiß seines Dienstherren antworten: Das ist ein Staatsgeheimnis!
KAFFEEMASCHINEN TOP SECRET?
Konkret wollte der FDP-Abgeordnete wissen, „welchen Anteil aller Entfernungskilometer“ die Fernzüge der Deutschen Bahn AG von 2016 bis Mitte 2020 „mit geschlossenem bzw. nicht vollständig funktionsfähigem Bordrestaurant“ erbrachten und welche Einnahmen es in diesem Zeitraum durch den Betrieb der Bordrestaurants gab — sprich, wie viel Geld der DB durch defekte Speisewagen durch die Lappen gingen. Eine einfache Sache, würde der naive Beobachter denken. Sollte die Fehlerquote geringer sein als von manchen Fahrgästen geschätzt, müsste es doch eine Freude sein, die subjektiven Eindrücke der Reisenden zu korrigieren und zugleich durch Hinweis auf objektive Schwierigkeiten beim Betrieb dieser Wagen um Verständnis zu werben. Doch Deutsche Bahn und das Bundesverkehrsministerium machten es exakt andersherum — und provozieren dadurch Widerspruch.
„Die erbetenen Informationen können nicht veröffentlicht werden, weil sie verfassungsrechtlich geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unternehmen berühren“, schrieb der Staatssekretär in Beantwortung der „Frage Nr. 387/August“. Gegenfrage: „DER“ betroffenen Unternehmen? Wer außer der DB ist denn noch betroffen? Stimmt es etwa, was gegenüber dem bahn manager Mitarbeiter in Bordrestaurants mutmaßten, dass nämlich die oft defekten Bordgeräte wie Kaffeemaschinen geleast sind? Wenn ja, haben dann nicht erst recht Parlamentarier und Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse an eventuellen unvorteilhaften Leasing-Verträgen, bei denen die Leasing-Objekte immer wieder mal ausfallen? Die Bundesregierung habe jedenfalls entschieden, so Staatssekretär Ferlemann, „die erbetenen Informationen als „VS-VERTRAULICH“ einzustufen und der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestags zu übermitteln. Dort könnten sie interessierte Abgeordnete „nach Maßgabe der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestags“ einsehen. „Grotesk!“ urteilt gegenüber dem bahn manager FDP-Parlamentarier Torsten Herbst. Auf der Webseite community.bahn.de/ questions/ unternahmen vor vier Jahren DBMitarbeiter den Versuch, das Problem mit den defekten Restaurant-Maschinen zu erklären. „Ein Ausfall der verschiedensten kundenrelevanten Komponenten (gesamter Wagen, WC, gastronomische Einrichtungen, etc.) ist für den Fahrgast ebenso ärgerlich wie für das Unternehmen“, schrieb da ein Tino Groß. „Sofern dieser Umstand von den zuständigen Werken an die Bereitstellungsleitung (BSL) übermittelt wurde, wird er in der Regel auch in die Systeme für die Kundenkommunikation eingespielt. In diesem Fall läuft auf den Anzeigen an Bahnsteigen in der sogenannten ’Tickerzeile’ auch der entsprechende Hinweis.“ Wenn also ein Defekt im Restaurantwagen schon vor Fahrtbeginn bekannt ist, werde dies am Bahnsteig verkündet, und Reisenden könnten sich schnell noch am Bahnhof Speis & Trank kaufen, sofern sie rechtzeitig den Hinweis mitbekommen. Aber manchmal träten „Fehler erst nach der Bereitstellung des Zuges bzw. bei der Zugfahrt auf. Dann muss das Zugbegleitpersonal eingreifen. In erster Linie bemüht man sich stets um eine Analyse des Fehlers und versucht diesen auch zu beheben. Hierbei wird intern noch kein elektronischer Zugbericht (EZB) versendet. Erst wenn man alle Möglichkeiten zur Fehlerbehebung erfolglos abgearbeitet hat, wird dies intern an die Verkehrsleitung (VL) kommuniziert. Diese pflegt wiederum diesen Qualitätsmangel in das ReisendenInformationsSystem (RIS) ein. Sie sehen also, es ist keine Absicht, wenn mitunter Informationen nicht rechtzeitig in den entsprechenden Kanälen zur Verfügung stehen.“
VERALTETE BORDTECHNIK, EINBAUFEHLER
Es gibt also ausführliche Fehlermeldungen. Warum nur in Lukullus‘ Namen ist dann ihr Umfang geheim? Näher an der Praxis war da wohl 2017 der SPIEGEL. In einer Reportage gab er Beispiele für „Rückstand bei der Digitalisierung oder bei Investitionen in den Wagenpark“: „Es fallen die Tiefkühlschränke an Bord aus, die Kaffeemaschinen versagen, Ware wird nicht geliefert.“ Der Leiter der DB-Warenlogistik in Berlin-Rummelsburg Frank Boenke sprach von Mängeln „in der grundsätzlichen Konzeption der teils betagten Wagen“ und der Bordküche: „Der Eisschrank ist für so häufiges Öffnen nicht gemacht. Der Steamer, ein Gerät zum Erwärmen von Speisen, befindet sich in manchen ICE-Baureihen direkt über der Kühltür. Kondenswasser tropft herunter, und der Schrank vereist.“ Eine Kaffeemaschine könne auch schon mal ausfallen, weil die Kollegen an Bord sie nicht rechtzeitig reinigen, dann verstopft sie. Also veraltete oder sogar generell borduntüchtige Technik, gekoppelt mit falscher Einbauposition und Personalmangel? Diese Probleme sind offenbar seit Jahren bekannt. Warum konnten sie dann nicht bei einem Retrofit gelöst werden? Und das ist ja nicht alles. Im Januar 2020 beklagte im SZ-Magazin Frederik Jötten, dass er im ICE Mitreisende um ein Stück Brot anbetteln musste, weil der offizielle Speisenverkäufer der DB keine EC-Karte zur Bezahlung annehmen konnte. Tatsächlich kann seit vielen Jahren in Bordrestaurants, Bordbistros und beim On-Board-Ticketkauf nur mit Bargeld oder Kreditkarten wie AMEX oder VISA bezahlt werden — Visa-oder Mastercard-Debitkarten sind ebenfalls technisch tabu. Auch das scheint absurd. Denn bei Kreditkarten muss die DB bei jeder Buchung an die Kartenemittenten erhöhte Gebühren zahlen. Der SPIEGEL berichtete 2017, dass von den Verkaufsrennern rund 200.000 Portionen Chili con Carne, knapp 230.000 Currywürste und mehr als 640.000 Flammkuchen jährlich verkauft wurden. Auch vegane Speisen und Bio-Produkte finden ihr Publikum. 1,2 Millionen Euro Umsatz soll die Bahn allein jährlich mit Chili con Carne machen, fast 22 Millionen Euro mit Kaffee in allen Variationen. Eine DB-Sprecherin habe die Jahresumsätze mit rund 80 Millionen Euro beziffert.
GIROCARD UND DEBITKARTEN SIND TABU
Wie viele der Reisenden mit Kreditkarte zahlten und wie viele nicht zu Kunden wurden, weil ihre EC-Karte nicht angenommen wurde, ist unbekannt. Würden zehn Prozent der Umsätze mit Kreditkarten erwirtschaftet, hätte die DB etwa 160.000 Euro an Gebühren bezahlt, bei Zahlung mit EC/Girocard wären das nur 20.000 Euro gewesen. Ist das unwichtig angesichts der Tatsache, dass die DB sowieso jährlich geschätzt 80 Millionen Euro zuschießen muss, um den Personal- und Logistik-intensiven Speisebetrieb in
in 260 Restaurantwagen und 390 Bordbistros mit etwa 2.300 Mitarbeiter*innen an Bord und 450 Personen bei der Warenzulieferung am Laufen zu halten? Vielleicht nicht — allein, es ging bislang nicht anders. „Diese Restaurantkassen wurden wohl mit einem über 20 Jahre laufenden Leasingvertrag angeschafft“, berichtete dem bahn manager ein ICE-Restaurantmitarbeiter. „Und der Vertrag sah wohl nicht vor, dass die DB im Gegenzug für ihre laufenden Zahlungen auch mal ein technisch besseres Ersatzgerät bekommt.“ Eine schriftliche Anfrage des bahn managers zum Kassenthema an die DBPressestelle blieb leider unbeantwortet.
MIT HINDERNISSEN – ABER NEUE KASSEN KOMMEN
2017 verkündete die Webseite „inside.bahn.de“, die Warenbestellung laufe „in Echtzeit über eine Datenkasse, die mit dem zentralen Warenwirtschaftssystem der Logistik verbunden ist.“ „Unsere Kassen bestellen ausgehende Waren selbständig nach? Da haben Sie wohl eine Beschreibung der NEUEN Kassen gelesen, die wir erst noch bekommen sollen!“ erklärte uns 2019 ein Bord-Mitarbeiter. „Die Kassen sind ja jetzt gar nicht online, da können sie auch nichts melden. Also müssen wir Strichlisten machen und ab und zu zum Zentrallager mit Handy durchgeben, was an Bord fehlt. Gleichzeitig müssen wir bedienen, in der 1. Klasse am Sitzplatz, da klappt das mit der Meldung nicht immer rechtzeitig.“ Und auch „kluge“ Planer bei der DB helfen kräftig mit, auf dass der Nachschub manchmal stockt: „Das Warenlager in Frankfurt/Main wurde abgeschafft, jetzt wird uns aus Köln per Lkw (!) Nachschubware an den Bahnsteig in Frankfurt geliefert. Aber wenn der Lieferwagen im Stau steht, verpasst er unseren Zug, und schon können wir nichts mehr verkaufen.“ Ende 2020 scheinen die neuen GastroKassen, deren geplante Ankunft uns ein Bordrestaurant-Mitarbeiter schon 2015 avisierte, tatsächlich zumeist in den Speisewagen Einzug gehalten zu haben. Jetzt wird jede Bestellung fleißig in ein Tablet getippt. Hoffen wir also, dass der Warenbestand an Bord nunmehr leichter zu sichern ist!
HERMANN F. SCHMIDTENDORF
Chefredakteur beim Hanse-Medien Verlag.
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