Engelsloge n°50

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Oper

Selbstständiges Denken und Individualität: Darauf setzt das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper beim Nachwuchs. Die Talente dürfen in einer Neuproduktion der Oper L’infedeltà delusa um die Wette funkeln. Die Tage sind durchgetaktet. Opern­ vorstellungen, Liederabende, Spon­ sorenveranstaltungen, Meisterklas­ sen – das alles neben dem regulären Unterricht, Gesangsklassen, Atem­ technik, Schauspielstunden, Rollen­ studium, Sprachunterricht. Um 15 Uhr kommt der Plan für den nächsten Tag, 10 Uhr antreten, vorsingen, proben bis in den Abend. – So viel zum militäri­ schen Teil. Alles weitere erledigt die Karriereturbomaschine wie von selbst: oben Gesangstudierende rein, unten heraus kommen die Opernstars von morgen. Zack, fertig? Mit viel Wille zur Dystopie könnte man sich das Opern­ studio der Bayerischen Staatsoper ungefähr so vorstellen. Die Staatsoper ist ein hochgeschätztes Haus, an das sich enorme Erwartungen richten. Seite an Seite singen hier die ganz Großen mit den Großen von morgen. Wieviel Frei­ heit, wieviel Raum für individuelle Unterstützung für junge Sänger:innen kann es in einem solchen Betrieb geben? Aus acht­ bis neunhundert Bewerbungen bekommen je­ des Jahr vier bis sechs Sänger:innen einen Platz im Opern­ studio. Oft sind sie Mitte zwanzig und haben gerade einen Abschluss gemacht. Zwei von ihnen sind in dieser Spielzeit die Sopranistin Jasmin Delfs und der Tenor Granit Musliu. „Es ist ein großer Traum, der in Erfüllung geht“, sagt Jasmin. Sie hat im Sommer ihren Bachelor bei Manuela Uhl an der Musikhochschule Lübeck abgeschlossen. Granit hat in Prishtina und Hamburg studiert. Er ist überwältigt, die nächsten zwei Jahre in München verbringen zu dürfen.

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„Was wir denken und fühlen in Bewe­ gung, Schauspiel und Gesang umzu­ setzen, die Menschen zu berühren mit dem, was wir tun – das ist die Kunst und alles, was mich an Oper begeistert. Das Opernstudio in Mün­ chen ist bekannt als eines der besten weltweit. Dass ich angenommen wur­ de, ist das Tollste, das mir je passiert ist!“ Eine der ersten Produktionen, die Granit auf der Nationaltheaterbühne singt, ist Schostakowitschs Die Nase, Jasmin ist für die Papagena in Mozarts Die Zauberflöte be­ setzt. „Ich mache mir im Voraus natürlich Ge­ danken über die Stoffe und Charaktere. Ich ver­ suche aber, ganz offen nach München zu gehen und viel mitzunehmen von den hochkarätigen Künstler:innen, die uns unterrichten und mit denen wir auf der Bühne stehen“, erzählt sie. Das Opernstudio ist ein zweijähriges Pro­ gramm, das die Stipendiat:innen auf den Berufs­ alltag vorbereiten soll. Es geht darum, Praxiser­ fahrung zu sammeln, um den künstlerischen Feinschliff, die Sicherheit im Auftreten, und auch um das Vernetzen mit Kolleg:innen, Agenturen und Veran­ stalter:innen. „Die künstlerische Persönlichkeit ausbilden, das ist für uns das Wichtigste“, sagt Tobias Truniger. Er lei­ tet das Opernstudio seit 2009 musikalisch, 2017 hat er die künstlerische Gesamtleitung übernommen. Die Sänger:in­ nen sollen lernen, ihre Stärken und Schwächen einzuschät­ zen, und sich darüber bewusst zu sein, was sie vermitteln möchten. Denkende Künstler:innen sein – keine gehorsa­ men Knetsoldaten. „Wer beschließt, was ein schöner Ton ist? Ich finde man fühlt, welcher Ton einem etwas vermit­ telt. Es gibt viele Beispiele in der Sängergeschichte, wo Leute mit weniger wohltemperiertem Stimmklang eine irr­ sinnige Karriere gemacht haben. Maria Callas ist ein ganz großes Beispiel. Im Endeffekt betritt eine Künstlerpersön­ lichkeit die Bühne. Es ist wirklich so: Einzig und allein zählt, ob man mit dem fesseln kann, was man zu sagen hat.“ Die Förderung junger Sänger:innen geht an der Bayeri­ schen Staatsoper auf die 1960er Jahre zurück. Ehemalige

Engelsloge

FOTOS: PRIVAT

KUNST ERFAHREN, FÜHLEN, WERDEN

Lernen den Opernalltag von den besten ihres Fachs: Granit Musliu, Jasmin Delfs, Andrew Hamilton und Eliza Boom (von links oben nach unten).


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