MAX JOSEPH 2/2019 | Verfassung

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A   M Joseph X

Das Magazin der Bayerischen Staatsoper Spielzeit 2018 / 19 ALLES WAS RECHT IST № 2: Verfassung

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Amalia Ulman, Stop Worrying About How You Won’t Get MONEY, 2016, Courtesy the artist and Deborah Schamoni

Editorial „In welcher Verfassung waren Sie heute?“ Unsere Künstlerinnen und Künstler beantworten diese Frage unmittelbar nach Ende der Aufführung, an der sie gerade mitgewirkt haben. Oft erschöpft, sogar beseelt, immer voller Emotion wird dieser Moment in Wort und Bild festgehalten. Das Thema Verfassung liegt den meisten Beiträgen der vorliegenden Ausgabe von Max Joseph zugrunde und entfaltet dabei seine ganze Tragweite: vom persönlichen Zustand bis hin zu rechtsstaatlichen Grundsätzen von Gesellschaftsverträgen. Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, zeigt in seinem Essay die Folgen aktueller Verfassungsänderungen in Osteuropa: Wird die Verfassung als Fundament der Gesellschaft auf der Idee des „Volkes“ gebaut, so kann jedes positive Recht mit Verweis auf diese ideologisch gesetzten Prinzipien ausgehebelt werden. Eine historisch-politische Perspektive bieten Herfried Münkler und Marina Münkler in ihrem gemeinsamen Aufsatz: Sie nehmen die Premiere von Ernst Kreneks Karl V. zum Anlass, um diese historische Figur und seine Pläne für ein geeintes Europa zu beleuchten und zu fragen, welche der damaligen Ideen für unser heutiges Europa noch von Relevanz sind. Karl V., die erste Oper, die vollständig auf einer Zwölftonreihe komponiert wurde, ist Ausgangspunkt für mehrere so unterschiedliche wie erhellende Beiträge. So verrät Bariton Bo Skovhus, warum die Operette für den Sänger oft herausfordernder ist und was er an Partien schätzt, „die sonst niemand singen möchte“. Der Musikwissenschaftler Matthias Henke schreibt über die Geschichte der verhinderten Uraufführung von Karl V. im österreichischen Ständestaat. Der folgenden Opernpremiere, Giacomo Puccinis La fanciulla del West, sind drei Begegnungen mit beteiligten Künstlerinnen und Künstlern gewidmet. Anja Kampe, die in der Neuproduktion Minnie singen wird, setzt sich mit der Rolle einer Frau in einer Männergesellschaft auseinander, während sich Dirigent James Gaffigan beim Fotoshooting und im Künstlergespräch dem Wechselspiel von Kunst- und Arbeitswelt stellt. Andreas Dresen wiederum spricht im Interview über Ostdeutschland-Klischees, Authentizität und Kunst und berichtet über eine Tätigkeit, für die er weniger bekannt ist: jene als Laienrichter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Wenn wir uns heute mit Verfassung als Zustand und als Gesellschaftsgrundlage auseinandersetzen, müssen wir uns manchmal vielleicht in die Ironie retten, unbedingt aber die Fantasie zu Rate ziehen. In seiner Vorläufig endgültigen Verfassung für das richtige Leben im falschen, die er für diese Ausgabe verfasst hat, schreibt der Schriftsteller Jochen Schmidt: „Was unser Land auszeichnet, ist eine von Herzen kommende, ansteckende Freundlichkeit im zwischenmenschlichen Bereich. Die dadurch stetig wachsende Beliebtheit unseres Landes in der ganzen Welt nutzen wir, um für unsere Lebensform zu werben, wobei wir unsere Augen im Ausland offenhalten und unsere Ohren spitzen, um uns zu weiteren Verbesserungen inspirieren zu lassen.“ Solche Worte und Gedanken müssen nicht unbedingt Verfassungsrang erhalten. Wir tun auch so gut daran, sie uns zu Herzen zu nehmen, um am Abend jedes Tages auf die Frage „In welcher Verfassung waren Sie heute?“ eine Antwort zu haben, mit der wir zufrieden sein können.

Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper

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A M Joseph X

Inhalt

Das Magazin der Bayerischen Staatsoper

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Editorial Von Nikolaus Bachler

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Contributors / Impressum

10 Verfassung Gestaltet von Andreas Neumeister 14 Verfassungen des Populismus Über Sinn und Wert heutiger Verfassungen schreibt Ulrich Schmid

Spielzeit 2018 / 19

22 Leidenschaft und Pflicht des Künstlers ⁂ Bariton Bo Skovhus singt die Titelpartie in Karl V. Ein Porträt

ALLES WAS RECHT IST

30 Karl V. und das Europa unserer Tage ⁂ Das europäische Projekt Karls V. erklärt von Herfried Münkler und Marina Münkler

Hell Gette

№ 2: Verfassung

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Ulrich Brüschke

Cover Bureau Borsche

36 Vorläufig endgültige Verfassung für das richtige Leben im falschen (VeVfdrLif) Ein Vorschlag von Jochen Schmidt


40 „Ohne die weibliche Komponente funktioniert die menschliche Gemeinschaft nicht“ ⁂ Anja Kampe singt Minnie in La fanciulla del West und spricht über Geschlechterrollen 44 Kunst und Arbeit ⁂ James Gaffigan, Dirigent von La fanciulla del West, über Lohn und Trost in der Musik

74 Verhandeln im Krieg Im Interview berichtet die Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini über verbindliche Regeln 80 Der sterbende Seneca und die Autonomie des Rechts Carolin Behrmann bespricht aus Anlass der Themenkonzerte Rubens’ Meisterwerk 82 Eine großartige Friedensbitte Beethovens Missa Solemnis im 4. Akademiekonzert Von Hans-Joachim Hinrichsen

Foto Robert Fischer

86 Dialog statt Spaltung ⁂ Spanien heute und zu Zeiten Karls V. in den Worten von Regisseur Carlus Padrissa

60 Die erstickte Mahnung ⁂ Die Entstehungsgeschichte von Ernst Kreneks Karl V. Von Matthias Henke 66 Privilege Ein Portfolio von Amalia Ulman

Lita Cabellut

52 „Die Decke der Zivilisation ist verdammt dünn“ ⁂ Zur Premiere von La fanciulla del West spricht Regisseur Andreas Dresen über seinen Blick auf die Gesellschaft

90 „In welcher Verfassung waren Sie heute?“ Davon berichten unsere Künstlerinnen und Künstler nach der Vorstellung

Agenda 96 Spielplan 102 ALLES WAS RECHT IST: Erst das Grundrecht, dann die Meinung Folge 2 der Rechtskolumne von Andreas Spickhoff

Amalia Ulman

104 Vorschau

⁂ Zur Premiere

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Erleben Sie Wasserstoff. In einer kraftvollen Inszenierung von Linde. Welches Aussehen hätten Gase, wenn sie sichtbar wären? Und wie würden sie klingen? Wir wollten es wissen und haben typische physikalische Eigenschaften wie Elektronenzahl oder Siedepunkt in Töne und Farben gekleidet. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Wir begleiten die Bayerische Staatsoper im Rahmen unseres Kulturengagements als Spielzeitpartner.

Spielzeitpartner 2018/2019


Hâ‚‚ Wasserstoff


Impressum

Amalia Ulman Seite 66

Max Joseph

Amalia Ulman nutzt Social-Media-Plattformen für ihre Arbeiten und

www.staatsoper.de/maxjoseph

verbindet diese mit Performance, Video und Installation zu einem

Max-Joseph-Platz 2, 80539 München

künstlerischen Konzept. Die Bilder aus ihrer Instagram-Performance

T 089 – 21 85 10 20 F 089 – 21 85 10 23

Privilege zeigen, wie Arbeit und das Arbeitsumfeld den modernen

maxjoseph@staatsoper.de, www.staatsoper.de

Magazin der Bayerischen Staatsoper

Menschen bestimmen. Die gebürtige Argentinierin hat am Central Saint Martins College of Art and Design in London bildende Kunst studiert.

Herausgeber Staatsintendant Nikolaus

Ihre Arbeiten wurden etwa in der Tate Modern in London (2016) gezeigt.

Bachler (V.i.S.d.P.)

Courtesy Amalia Ulman

Contributors

Redaktionsleitung Maria März, Dr. Verena Hein Michael Kraske Seite 52 Chef vom Dienst Christoph Koch Im Interview spricht Andreas Dresen über seine Arbeit als Schöffe, über ostdeutsche Sichtweisen und die soziale Substanz von Puccinis La fanciulla del West. Der Journalist und Autor Michael Kraske lässt daraus ein Porträt sowohl des politischen Menschen als auch des Künstlers Dresen entstehen. Kraske schreibt für Die Zeit, Stern und Spiegel Online. Er veröffentlichte u. a. Ich bin dann mal drüben. Von einem, der auszog,

Redaktion Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Lukas Leipfinger, Benedikt Stampfli, Nikolaus Stenitzer, Sabine Voß Bildredaktion Dr. Verena Hein Schlussredaktion Katja Strube

den Osten zu lieben (2009) und den Roman 24 / 7 (2018). Gestaltung Bureau Borsche – Mirko Borsche, Hell Gette Seite 30

Kormann, Katharina Nejdl

Hell Gette bezeichnet ihre Malerei als „Landschaft 3.0“, ihre Arbeitsweise

Autoren Carolin Behrmann, Alexandra Maria

als „Pingpong zwischen digital und analog“. Ihre Bilder begleiten den

Dielitz, Matthias Henke, Gabriela Herpell,

Text über Karl V. und das heutige Europa. Die Künstlerin erhielt 2018

Hans-Joachim Hinrichsen, Michael Kraske,

den Debütantenpreis der Akademie der Bildenden Künste München.

Herfried und Marina Münkler, Carlus Padrissa,

Ihre Werke sind in der Hubert Burda Sammlung vertreten und sind in

Alexandra Rojkov, Ulrich Schmid, Jochen

der Galerie Karl Pfefferle in München zu sehen.

Schmidt, Andreas Spickhoff, Heidi Tagliavini

Foto Courtesy Hell Gette

Moritz Fuhrmann, Robert Gutmann, Raffael

Fotografen & Bildende Künstler Alighiero Boetti, Ulrich Brüschke, Lita Cabellut, Herfried und Marina Münkler Seite 30

Andreas Chwatal, Damien Florébert Cuypers, Robert Fischer, Yvonne Gebauer, Hell Gette,

Europa zu einen, war ein Projekt Kaiser Karls V. Aber warum scheiterte er? Und was lernen wir daraus für unsere Zukunft? Die Literaturwissen-

Jörg Koopmann, Bruce Nauman, Andreas Neumeister, Kati Szilágyi, Amalia Ulman

schaftlerin Marina Münkler und der Politikwissenschaftler Herfried Münkler gehen für Max Joseph diesen Fragen nach. Von Herfried Münkler erschien zuletzt Der dreißigjährige Krieg (2017), von Marina Münkler Marco Polo. Leben und Legende (2015). Gemeinsam veröffentlichten sie

Marketing Laura Schieferle T 089 – 21 85 10 27 F 089 – 21 85 10 33 marketing@staatsoper.de

Die neuen Deutschen. Ein Land vor seiner Zukunft (2016). Anzeigenleitung Karla Hirsch Alexandra Maria Dielitz Seite 22 Über ein Vorsingen im Strickpullover, eine Höllenfahrt ins professionelle

T 089 – 21 85 10 39 karla.hirsch@staatsoper.de Lithografie MXM Digital Service, München

Leben, die Aktualität von Karl V. – u. a. darüber hat Alexandra Maria Dielitz mit Bo Skovhus gesprochen, der an der Staatsoper in der Titelpartie von Ernst Kreneks Bühnenwerk zu sehen sein wird. Unsere

Druck und Herstellung Gotteswinter und Aumaier GmbH, München ISSN 1867-3260

Autorin ist Redakteurin bei BR-Klassik, schreibt Beiträge etwa für Programmhefte der Münchner Philharmoniker sowie Werkkommentare für Plattenlabels.

In eigener Sache: Nach der Planung für diese Ausgabe ging Redaktionsleiterin Maria März in Elternzeit. Die Leitung für die Produktion von Max Joseph 2 hatte Dr. Verena Hein kommissarisch inne, bevor für Max Joseph 3 Sarah-Maria Deckert die Vertretung übernimmt.

Fotograf, Kurator, Künstler, Radiohörer, Atheist, Zugfahrer und Radfahrer. So beschreibt Jörg Koopmann sich selbst. Er arbeitet hauptsächlich

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Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung.

in den Bereichen Reportage und Dokumentation. Seine Fotografien sind

Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle

im ZEIT-Magazin, im SZ Magazin oder in Spex erschienen. Aktuell

Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu

leitet er die Münchner Ausstellungshalle für internationale Gegenwarts-

erreichen waren, werden zwecks nachträglicher

kunst Lothringer13. Für uns hat er den Bariton Bo Skovhus porträtiert.

Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Max

Er lebt und arbeitet in München und Kopenhagen.

Joseph wird auf Bio Top Naturpapier gedruckt.

Foto Jörg Koopmann

Jörg Koopmann Seite 22


Jahre

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VERFASSUNG

23rd Grants the District of Columbia electors (the number of electors being equal to the least populous state) in the 2ND AMENDMENT DAY is a public Electoral awareness day observed in the College United States. Its purpose is to raise awareness of and support 1960/1961, 286 days for the fundamental right to keep and bear arms, which is codified in the Second Amendment to the United States Constitution. This amendment, along with the nine others ratified on December 15, 1791, comprises the Constitution’s Bill of Rights.

Bad Book In der Spielzeit 2018 / 19 gestaltet Andreas Neumeister, Schriftsteller und bildender Künstler, für jede Ausgabe ein Eröffnungsbild. Nach Skandal im ersten Heft steht nun das Thema Verfassung zur Diskussion. Neumeisters Augenmerk gilt dabei der amerikanischen Verfassung, der Bill of Rights, deren Artikel und Ergänzungen er hinterfragt. Neumeister arbeitet mit gefundenem Material, sein Bildarchiv ist immens; durch Kombination verschiedener Bildmotive und einer eigenständigen textlichen Ebene entsteht ein enges Netz an Assoziationen und neuen Zusammenhängen. Bildunterschriften und Überschneidungen unterstreichen seine kritisch-reflektierende künstlerische Haltung.

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2nd

5th

1st

Protects the right to keep and bear arms

Sets out rules for indictment by grand jury and eminent domain, protects the right to due process, and prohibits self-incrimination and double jeopardy

Prohibits Congress from making laws impending free exercise of religion, abridging the freedom of speech, infringing on the freedom of the press, interfering with the right to peaceably assemble

1789/91, 2 years, 81 days

Good Book

1789/91, 2 years, 81 days

1789/91, 2 years, 81 days

7th

6th

Provides for the right to trial by jury in certain civil cases, according to common law

Protects the right to a Places restrictions on fair and speedy public the quartering of trial by jury, including soldiers in private homes the rights to be notified of the accusations, to 1789/91, 2 years, 81 days confront the accuser, to OBSERVANCES: obtain witnesses and to Oklahoma observes 2nd Amendretain counsel ment Day on June 28. Pennsylvania observes 2nd Amendment Day 1789/91, 2 years, 81on days the fourth Tuesday of May. South Carolina legislators passed the Second Amendment Education Act, which is a two-fold move to protect gun rights in state schools. First, it would establish Second Amendment Awareness Day each year on Dec. 15. The day would be highlighted by a poster and essay contest in which students of all grades would be encouraged to submit entries on the theme of “The Right to Bear Arms; One American Right Protecting 8th 9th All Others.” From the submissions, Prohibits excessivethe finesSouth Carolina Legislative Protects rights not Sportsmen’s Caucus would select and excessive bail, as enumerated in the statewide winners. well as cruel and Constitution unusual punishment 1789/91, 2 years, 81 days 1789/91, 2 years, 81 days

1789/91, 2 years, 81 days

10th Reinforces the principle of federalism by stating that the federal government possesses only those powers delegated to it by the states or the people through the Constitution 1789/91, 2 years, 81 days

3rd


15th

SOUTH CAROLINA GENERAL AS13th SEMBLY 121st Session, 2015-2016 SECTION 1. This act must be Revises presidential Abolishes slavery, and known and may be cited as the election procedures by involuntary servitude, „Second Amendment Education having the president and except as punishment Act of 2015“. vice president elected for a crime SECTION 2. Article 1, Chapter together as opposed to 29, Title 59 of the 1976 Code is the vice president being 1865, 309 days amended by adding: the runner up in the „Section 59-29-25. (A) To recopresidential election gnize the importance of the Second Amendment to our funda1803/04, 89 days mental rights as Americans, December fifteenth of each year is designated and must be recognized as ‚Second Amendment Awareness Day‘ in South Carolina. On Second Amendment Awareness Day, schools shall conduct poster or essay contests themed ‚The Right To Bear Arms; One American Right Protecting All Others‘ for 12th

Prohibits the denial of the right to vote based on race, color or previous condition of servitude 1869, 342 days

17th

18th

21st

Establishes the direct election of United States Senators by popular vote

Prohibited the manufacturing or sale of alcohol within the United States

Repeals the 18th Amendment and makes it a federal offense to transport or import intoxicating liquors into U.S. states and territories where such transport or importation is prohibited

1912/13, 330 days (Repealed December 5, each grade level and in which stu1933, via the 21st dents of all grade levels may parAmendment) ticipate. The purpose of the poster or essay contest is to encourage students to exercise their 1917/19, First 1 year, 29 days Amendment right to freedom of speech to express their views about the Second Amendment and its role in protecting other Constitutional rights. Each school shall select first place, second place, and honorary mention winners for each grade level. (B) Within thirty days of the enactment of this statute, the State Superintendent of Education shall adopt a curriculum developed or recommended by the National Rifle Association 4th or its successor organization. At a minimum, this curriculum Prohibits shall unreasonable require a scholarly analysis of the searches and seizures Second Amendment including, but and sets out requirements for search warrants based on probable cause 1789/91, 2 years, 81 days

1933, 288 days

intelligent design 27th Delays laws affecting Congressional salary from taking effect until after the next election of representatives 1789/1992, 202 years, 223 days


11th

26th

16th

Makes states immune from suits from out-ofstate citizens and foreigners not living within the state borders; lays the foundation for sovereign immunity

Prohibits the denial of the right of US citizens, eighteen years of age or older, to vote on account of age

Permits Congress to levy an income tax without apportioning it among the various states or basing it on the United States Census

1971, 100 days

stupid design

1794/95, 340 days

1909/13, 3 years, 206 days

22nd

23rd

24th

Limits the number of times that a person can be elected president: a person cannot be elected president more than twice

Grants the District of Columbia electors (the number of electors being equal to the least populous state) in the Electoral College

Prohibits the revocation of voting rights due to the non-payment of a poll tax or any other tax

1947/51, 3 years, 340 days

25th Addresses succession to the Presidency and establishes procedures both for filling a vacancy in the office of the Vice President, as well as responding to Presidential disabilities 1965/67, 1 year, 219 days

1960/1961, 286 days

1962/64, 1 year, 131 not limited to: days (1) a thorough analysis of the language of the prefatory clause and operative clause of the amendment, and discussion of how the right to keep and bear arms under the Second Amendment is not limited solely to citizens who are members of a militia but also applies to people for self defense; (2) a definition of the term ‚arms‘ in the context of the Second Amendment, including a discussion of whether arms that are limited to the types of weapons that were available to the people who wrote the Second Amendment in 1789 or whether the term arms also antici20th 14th pated evolutions in weaponry to include modern day handguns and citizenship, Changes the date on Defines other weapons that are protected which the terms of the contains the Privileges under the Second Amendment president and vice or Immunities Clause, president and of memthe Due Process Clause, bers of Congress end the Equal Protection and begin (to January 20 Clause, and deals with and January 3 respectipost–Civil War issues vely) 1866/68, 2 years, 26 days 1932/33, 327 days


Alighiero Boetti, Tutto, 1988, Courtesy Hauser & Wirth and Sammlung Goetz, München, Foto: Genevieve Hanson © VG Bild­Kunst, Bonn 2019

Verfassungen des Populismus

Welchen Stellenwert haben Verfassungen heute? Angesichts des Aufstiegs von Rechtsaußen­ parteien in ganz Europa stellt sich diese Frage dringender denn je. 14


Staaten sind, wie die englische, französische oder italienische Sprache wissen, vor allem Zustände. Die Stabilität dieses Staatszustands will geregelt sein. Die meisten republikanisch organisierten Staaten sind Resultate von Revolutionen, die zunächst auf die Zerstörung von politischen Ordnungen abzielten. Nach dem erfolgreichen Sturz des Ancien Régime muss aber auch die Revolution wieder angehalten werden, wenn sie sich nicht selbst zerstören soll. Dieses Anhalten der Revolution geschieht mit der Verfassung eines Staates, oder pointiert ausgedrückt: mit dem schriftlichen Festhalten eines historischen Zustandes. Die meisten Autokratien brauchten keine Verfassungen. Ihre Verfassung war die Bibel, und zwar jene Stelle aus dem Römerbrief (13,1), die besagt, alle Macht komme von Gott. Allerdings bedeutete diese Legitimation gerade nicht, dass die Monarchen absolut frei entscheiden konnten. Im März 1917 wurde etwa dem letzten Zaren Nikolaus II. vorgeworfen, dass er gar nicht das Recht gehabt habe, auf den Thron zu verzichten. Das Gottesgnadentum der Macht schloss nämlich mit ein, dass der Herrscher sich nicht aus der Regierungsverantwortung verabschieden konnte. Auch Republiken weisen das Problem des Ursprungs ihrer Legitimation auf. Die normierende Kraft von grundlegenden Rechtstexten ist nicht das Resultat einer Herleitung, sondern einer Setzung. Der berühmte Anfangssatz „We the People“ aus der amerikanischen Verfassung wurde letztlich in höchster Anmaßung von einer kleinen Gruppe von 39 Revolutionären in Philadelphia geäußert. Auch sonst ist die demokratische Legitimation der meisten republikanischen Verfassungen überschaubar. Die erste europäische Verfassung wurde in der polnischen Adelsrepublik am 3. Mai 1791 ausschließlich von Magnaten angenommen. Die konstituierende Versammlung, die exakt vier Monate später die französische Verfassung verabschiedete, umfasste immerhin 1.315 Mitglieder, die allerdings hauptsächlich aus den privilegierten Gesellschaftsschichten stammten. Auf besonders drastische Weise setzte Präsident Jelzin die auch heute noch geltende russische Verfassung im Oktober 1993 mit Panzergranatenschüssen auf das Parlamentsgebäude durch. Angesichts solch prekärer Startbedingungen stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Status von Verfassungstexten. Begründen sie erst die Rechte, die sie den Bürgern geben? Oder sind diese Rechte immer schon da gewesen und werden nun in der Verfassung gewissermaßen nachträglich verschriftlicht? Diese Frage ist nicht trivial. Sie zieht eine Grenze zwischen Naturrecht und positivem Recht. Die britische Staatsrechtslehre geht davon aus, dass gerade die ungeschriebene britische Verfassung Ausdruck der immer schon geltenden Rechte der Bürger gegenüber dem Staat ist, während das kontinentale Rechtsverständnis den Bürgern diese Rechte erst mit der Verabschiedung der Verfassung zugesteht. Vor allem in Deutschland rührt diese Frage an die Grundfesten der Gesellschaft. Das deutsche Grundgesetz schützt neben dem föderalen demokratischen Rechtsstaat auch die Menschenrechte mit einer Ewigkeitsklausel. Gerade vor dem Hintergrund der katastrophalen Erfahrungen des sogenannten Dritten Reichs wurde durch den Grundsatz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ positives Recht gewissermaßen in den Status von Naturrecht überführt. Die Ewigkeitsklausel besagt implizit, dass dieser Grundsatz zwar erst jetzt Verfassungsrang erhält, aber eigentlich schon immer gegolten hat – gerade weil er in der Vergangenheit aufs Schwerste verletzt wurde.

Text Ulrich Schmid

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Mit dem Erstarken der populistischen Bewegungen in Europa stellt sich die Frage nach dem Stellenwert der Verfassung erneut. In Polen führte die Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) bereits im Jahr 2005 Wahlkampf mit der Forderung nach einer „Vierten Republik“. Die Nummerierung der Republiken in Polen weist einige Schwierigkeiten auf. So gilt die litauisch-polnische Adelsrepublik, die in der Zeit der Teilungen am Ende des 18. Jahrhunderts unterging, als Erste Republik. Von 1795 bis 1918 musste die polnische Nation ohne eigene Staatlichkeit überleben, während die Kultur eine Blütezeit erlebte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Zweite Republik gegründet, die de facto mit dem deutschen Überfall am 1. September 1939 endete, de jure aber weitere fünfzig Jahre von der polnischen Exilregierung in London repräsentiert wurde. Die Volksrepublik Polen kommt in der Zählung der Republiken nicht vor und gilt als fremde Besatzung. Die Dritte Republik entstand aus den Ruinen der sozialistischen Herrschaft 1989 und besteht bis heute. In den Augen der PiS-Partei gibt es allerdings eine verhängnisvolle Kontinuität zwischen der Volksrepublik und der Dritten Republik, die sich etwa in der Person des ehemaligen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski zeige. Kwaśniewski war noch in der letzten sozialistischen Regierung Jugendminister, bevor er 1995 zum Präsidenten gewählt wurde und zehn Jahre im Amt blieb. Jarosław Kaczyński, der Chef der PiS-Partei, äußerte sich wiederholt sehr skeptisch über Kwaśniewski und bezeichnete ihn als „Vertreter einer zwar weichen, aber doch höchst schädlichen Form des Postkommunismus“. Das Projekt einer „Vierten Republik“ war explizit gegen die angebliche Verwurzelung der politischen Eliten im „kommunistischen System“ gerichtet. Im März 2005 präsentierte Kaczyński den Entwurf einer neuen Verfassung, die den Vorstellungen seiner PiS-Partei entsprach. Der Verfassungsentwurf für eine „Vierte Republik“ beginnt mit einer Invocatio Dei und bestimmt das „polnische Volk“ als Souverän. Explizit wird die Befreiung von Fremdherrschaft und Kommunismus in der Präambel dem gnadenhaften Handeln der göttlichen Vorsehung zugeschrieben. Besonders betont wird die Wichtigkeit einer klaren „Nationalstaatsidee“, die sich auf konservative Werte stützt. An erster Stelle in der Aufzählung der Staatsaufgaben steht die „Sorge um die Entwicklung des Volkes“. Konkret soll das traditionelle Familienmodell gefördert werden. Als grundlegendes Element der „Identität des Volkes“ wird die polnische Sprache definiert. Während eine neue Verfassung in Polen bisher nur Projekt geblieben ist, hat die Regierung Orbán in Ungarn schnell gehandelt. Nach dem Erdrutschsieg der Fidesz-Partei im Jahr 2010 wurde in kürzester Zeit ein neues Grundgesetz ausgearbeitet, das am 1. Januar 2012 in Kraft trat. Die augenfälligste Neuerung ist die Änderung des Staatsnamens von „Republik Ungarn“ zu „Ungarn“. Damit gewinnt neben dem republikanischen Staatsverständnis die traditionelle Reichsidee an Relevanz. In der umfangreichen Präambel wird die Heilige Stephanskrone und die ununterbrochene tausendjährige Staatlichkeit Ungarns angerufen, die natürlich weit über die aktuellen Grenzen Ungarns ausgreift. Nach wie vor stellt der Verlust von zwei Dritteln des ursprünglichen Staatsgebiets, den die Siegermächte im Vertrag von Trianon 1920 dekretierten, ein nationales Trauma dar. Der Anspruch auf ein größeres Ungarn findet sich in etlichen Verfassungsbestimmungen verklausuliert wieder. So ist der Staat auch für das „Schicksal der außerhalb der Landesgrenzen lebenden Ungarn“ und die „Wahrung des Ungarntums“ im Ausland verantwortlich. Ebenfalls neu geregelt wird der Erwerb der ungarischen Staatsangehörigkeit, der durch den Nachweis ungarischer Vorfahren und Sprachkenntnisse

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erfolgen kann. Bis heute haben 300.000 ethnische Ungarn in Rumänien, 130.000 in Serbien und 120.000 in der Ukraine von dieser Bestimmung Gebrauch gemacht. Mittlerweile hat die EU gegen Polen sowie Ungarn Verfahren wegen Verstößen gegen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien eingeleitet. Innerhalb des Rechtssystems der EU gilt die Anwendung des Artikels 7 des Unionsvertrags als „nukleare Option“, die theoretisch zu einer Suspendierung der EU-Mitgliedschaft der betroffenen Staaten führen kann. Allerdings ist für eine solche Maßnahme Einstimmigkeit erforderlich. Warschau und Budapest haben bereits angekündigt, sich gegenseitig den Rücken freizuhalten. Immerhin zeigt die scharfe Reaktion der EU, dass Angriffe auf zentrale Institutionen des Rechtsstaates nicht einfach hingenommen werden.

Die Regierung Orbán hat schnell gehandelt. Nach dem Sieg der Fidesz-Partei 2010 wurde in kürzester Zeit ein neues Grundgesetz ausgearbeitet, das am 1. Januar 2012 in Kraft trat. Die augenfälligste Neuerung ist die Änderung des Staatsnamens von „Republik Ungarn“ zu „Ungarn“. Damit gewinnt neben dem republikanischen Staatsverständnis die traditionelle Reichsidee an Relevanz. Die populistischen Regierungen in Warschau und Budapest haben ein ambivalentes Verhältnis zum Recht. Zwar tragen beide Regierungsparteien juristische Kernkonzepte in ihrem Namen: „Recht und Gerechtigkeit“ und „Fidesz“ – also „Treu und Glauben“. Allerdings steht in einem populistischen Staatsverständnis das Volk über dem Recht. Die Argumentationsfigur ist einfach: Das Volk ist souverän und setzt alles Recht – oder in den Worten des konservativen Abgeordneten Kornel Morawiecki, dem Vater des amtierenden polnischen Ministerpräsidenten: „Recht ist wichtig, aber das Recht ist nicht heilig. Über dem Recht steht das Wohl des Volkes. Recht, das nicht dem Volk dient, ist unrechtmäßig.“ In solchen Formulierungen äußert sich das politische Grundverständnis vieler populistischer Parteien. Die Gesellschaft wird unterteilt in eine korrupte Elite, die in die eigene Tasche wirtschaftet, und das „Volk“, das um seine angestammten Rechte geprellt wird. Diese Konzeption kann besonders glaubwürdig vertreten werden, solange sich die populistischen Parteien wie in Frankreich oder Deutschland in der Opposition befinden. Sowohl die PiS-Partei als auch Fidesz haben aber mittlerweile Regierungsverantwortung übernommen. Damit können sie

Bilder Alighiero Boetti

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Alighiero Boetti, Tutto, 1987, Centre Pompidou, Paris, bpk / CNAC-MNAM / Philippe Migeat © VG Bild-Kunst, Bonn 2019


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nicht mehr die etablierten Eliten für Missstände im Land verantwortlich machen. In der Kampfrhetorik beider Regierungsparteien rückt nun vor allem die EU in die Rolle des Feindes. Sogar die Aufsichtsmaßnahmen der EU werden als indirekter Beweis für das mutige eigene Engagement dargestellt. Gerade das Abweichen vom angeblich elitären Konsens über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU bezeugt aus der Sicht Budapests und Warschaus, dass man sich auf der richtigen Seite befinde – nämlich der des „Volks“, das die höchste Wahrheit verbürgt. Rechtliche Schranken, die insbesondere durch völkerrechtliche Verträge bestehen, sind nur schädlich. Das Recht wird so zum Instrument in den Händen der populistischen Politiker, die für sich beanspruchen, die Interessen des gesamten Volks zu vertreten. In Österreich hat diese Verblendung im Jahr 2016 den FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer möglicherweise sogar den Wahlsieg gekostet. In einer Fernsehdiskussion kündigte er an, dass er seine Kompetenzen als Bundespräsident weit auslegen werde und aktiv in den Gesetzgebungsprozess eingreifen werde. Wörtlich sagte er: „Sie werden sich wundern, was alles gehen wird!“ In der Schweiz lancierte die populistische Schweizer Volkspartei eine Selbstbestimmungsinitiative, die den Vorrang von Volksrecht vor Völkerrecht forderte. Auch hier erhielten die selbsternannten Tribune einen Dämpfer: Im November 2017 lehnte das Schweizer Volk seine eigene juristische Superprivilegierung an den Urnen ab. Aus der historischen Erfahrung heraus ist man in Deutschland viel misstrauischer gegenüber dem „Volk“. Wahlen können auch prekäre Mehrheitsverhältnisse hervorbringen und finstere Figuren an die Macht bringen. Die Bestimmungen des Grundgesetzes über das Amt des Bundespräsidenten haben die Lehren aus der Geschichte gezogen. Der Präsident ist kein „Ersatzkaiser“ mehr wie in der Weimarer Republik, sondern eine eigene Gewalt, die das Funktionieren des Staates auch in Krisenzeiten sicherstellen soll. Aus populistischer Sicht ist das Volk die oberste Rechtsquelle. Die Demokratie kann aber nur in einem rechtlichen Rahmen funktionieren, der selbst nicht dem politischen Tagesgeschäft unterworfen ist.

Ulrich Schmid ist Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politik und Medien in Russland und Nationalismus in Osteuropa. Er schreibt regelmäßig für das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung. Seit 2011 koordiniert er ein internationales Forschungsprojekt zum Regionalismus in der Ukraine. Zuletzt erschienen von ihm De profundis. Vom Scheitern der russischen Revolution (Hrsg., 2017) und Technologien der Seele. Vom Verfertigen der Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur (2015).

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LEIDENSCHAFT UND PFLICHT DES KÜNSTLERS

Bariton Bo Skovhus singt und verkörpert die Titelpartie in der Neuinszenierung von Ernst Kreneks Karl V. Ein Porträt des charismatischen Sängerdarstellers.

Weihnachten 1987: Nach einer durchfeierten Nacht wird ein Gesangsstudent in Kopenhagen von einem Anruf in deutscher Sprache aus dem Schlaf gerissen. Er versteht kein Wort, glaubt an einen Scherz und legt wieder auf. Kurz darauf klingelt das Telefon erneut: Es ist die Wiener Volksoper, die den 25-jährigen Bariton vom Konservatorium weg zum Vorsingen einlädt – kein Scherz. Bo Skovhus kommt, singt den Don Giovanni und startet eine Weltkarriere. Ziemlich genau einunddreißig Jahre später erzählt er davon in einem Münchner Café. Obwohl das Interview direkt im Anschluss an das Fotoshooting für Max Joseph stattfindet und er in wenigen Stunden auf der Bühne des Nationaltheaters stehen wird, blickt der sympathische Hüne kein einziges Mal auf die Uhr und wirkt zutiefst entspannt. Ein echter (Wahl-)Wiener eben. EINE TUBA UND DAS MEER Das Märchen begann in einem kleinen Städtchen in Jütland, wo Bo Skovhus 1962 das Licht einer ruhigen dänischen Provinzwelt erblickte. In den Ferien ging es mit dem Camper eine Stunde nach rechts zur

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Ostsee oder eine Stunde nach links zur Nordsee. Viel Meer, Sand und Dünen. Oper war hier ein Fremdwort, aber immerhin gab es eine Blaskapelle. Man drückte dem Neunjährigen ein nicht ganz altersgerechtes Instrument in die Hand: „Die Tuba war fast größer als ich und viel zu schwer – ich musste sie immer auf einen umgekehrten Mülleimer stellen, sonst konnte ich im Sitzen das Mundstück nicht erreichen.“ Und doch führte sein Weg auf die Bühne über dieses riesige Blasinstrument. Denn die Freude am Musizieren war geweckt und wurde in der Schule intensiv gefördert. „Ich habe Glück gehabt, dass ich fantastische, inspirierende Musiklehrer hatte, sonst wäre ich sicher nicht da, wo ich heute bin.“ Sie waren es auch, die auf seine Stimme aufmerksam wurden und zum Gesangsstudium rieten. Eigentlich wollte Bo Skovhus Medizin studieren, aber da er durch die Lateinprüfung gerasselt war und wenig Lust hatte, sie zu wiederholen, dachte er über den Vorschlag nach. Bis heute liest man daher verschiedentlich, der Däne sei „aus Faulheit“ Sänger geworden. Tatsächlich gab eine Rigoletto-Schallplatte mit dem großen amerikanischen Bariton Leonard Warren

Premiere Karl V.




den Ausschlag für die Musik. „Dann musste ich meinen Eltern erzählen, dass ich Opernsänger werden will. Undenkbar in so einem kleinen Dorf! Mein Vater meinte: ‚Warum machst du nicht eine Bank­ lehre, da hast du auch eine Pension. Niemand kann leben vom Singen, das sage ich dir!‘“ Bo Skovhus ignorierte diese Warnung und studierte Gesang in Aarhus, Kopenhagen und New York. CHAMPAGNERARIE IM STRICKPULLOVER Bei einem Sommerkurs in Dänemark fiel der legen­ dären Sängerin Sena Jurinac der junge Bariton auf. Sie empfahl ihn ihrem Kollegen Eberhard Waech­ ter, der soeben sein Amt als Direktor der Wiener Volksoper angetreten hatte. So kam es zu der über­ raschenden Einladung zum Vorsingen, die Green­

HÖLLENFAHRT INS PROFESSIONELLE LEBEN „Ich habe wie verrückt an Don Giovanni gearbeitet. Sehr schwer waren für mich die ganzen Rezitative auf Deutsch, wie es an der Volksoper üblich war. Aber ich dachte mir: ‚Wenn diese blöde Premiere vorbei ist, dann kannst du wieder anfangen zu leben.‘ Es war eine großartige Inszenierung von Marco Arturo Marelli mit einer spektakulären Höllenfahrt: Ein fünf Meter langer Tisch kippte, ich versuchte, daran hoch­ zukrabbeln, und rutschte dann in die Unterbühne – direkt in die Verdammnis sozusagen. Und als ich un­ ten angekommen war, begann ich zu grübeln, wo ich zu spät gewesen war, wo ich besser aufpassen und wo ich den Dirigenten anschauen musste. Das professionelle Leben fing mit dieser Erkenntnis an: dass man sich nie zurücklehnen kann und nie zufrieden sein wird.“

„Natürlich gehe ich nicht auf dem Eisbach surfen vor einer Vorstellung. Aber ich möchte so normal wie möglich leben und mich nicht abschotten von den Leuten.“ horn Skovhus sich erst im Nachhinein erklären konnte. Wie vieles andere auch: „Ich bin da hinge­ fahren in meinem Strickpullover und hatte keine Ahnung, wie man das macht. Viele andere Baritone haben vor mir gesungen und die haben am Schluss von Don Giovannis Champagnerarie immer ganz wahnsinnig gelacht. ‚Das gehört wahrscheinlich so‘, dachte ich und machte es genauso – völlig blödsin­ nig!“ Trotzdem wurde Bo Skovhus umgehend zur Direktion beordert und las auf dem Türschild den Namen Eberhard Waechter. „‚Ist ja komisch‘, dach­ te ich mir, denn ich hatte viele Schallplatten mit ei­ nem Eberhard Waechter, den ich als authentischen Sänger mit toller Stimme sehr schätzte. In meiner Weltfremdheit hielt ich das aber für eine zufälli­ ge Namensgleichheit. Ich trat ein, sah einen Herrn und begrüßte ihn radebrechend: ‚Freut mich, Sie kennenzulernen. Haben Sie auch vorgesungen für den Don Giovanni?‘“ Der doppelte Tritt ins Fett­ näpfchen wurde zum Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Bo Skovhus und Eberhard Waechter, der den unerfahrenen Kollegen in sein Ensemble und unter seine Fittiche nahm.

Bo Skovhus

Bei aller Professionalität wurde aus Bo Skovhus aber nie einer jener Sänger, die zur Stimmbandschonung tagelang nur über handgeschriebene Zettel kom­ munizieren, einzig ihre Rollen im Kopf haben und ein asketisch­eremitisches Leben führen. Ganz im Gegenteil: Sein erlesen befüllter Weinkeller macht ihm „irrsinnig Freude“, und auf das abendliche Glas Bordeaux verzichtet er nur in Ausnahmefällen. Dass er bei unserem Treffen auf eine Coke Zero zurück­ greift, ist dem bevorstehenden Auftritt geschuldet. Andernfalls würde er für diese Tageszeit zu einem deutschen Riesling raten – das nächste Mal vielleicht! Überhaupt wirkt der Gesangsstar kein bisschen abge­ hoben. „Ich habe mir ganz früh schon gesagt: Ich lebe vom Singen, nicht fürs Singen. Natürlich gehe ich nicht auf dem Eisbach surfen vor einer Vorstellung. Aber ich möchte so normal wie möglich leben und mich nicht abschotten von den Leuten.“ Das Alleinsein ist für den Familienvater trotzdem auch eine wichtige Inspira­ tionsquelle. Eine weitere: die moderne Malerei, der sei­ ne Sammelleidenschaft gilt. Das investitionsintensive Hobby ist vermutlich ein Erbe seiner Mutter, die mit zeitgenössischer dänischer Kunst handelte. Er geht auch

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gern in Galerien und Ausstellungen – oder hört Musik: „Aber nichts mit Gesang, wenn ich nicht muss! Lieber Jazz, einfach zum Relaxen. Und obwohl, oder vielleicht gerade weil ich so viel moderne Musik mache, höre ich wahnsinnig viel Bach. Das ist so strukturiert und gibt einem irgendwie Halt.“

Muse einführte. „Im Musikstudium in Dänemark wurde die Operette nicht ernst genommen. Sie galt als Genre für zweitklassige Sänger. Dabei ist sie schwieriger als jede Oper. Man muss wirklich spielen können und auch imstande sein, Dialoge so zu sprechen, dass die Pointen passen. Das können nicht viele.“

GEGENWART UND GEGENSATZ

RAUM FÜR FANTASIE

Schönberg, Berg, Schreker, Britten, Henze, Reimann, Rihm, Jarrell – Musik der Moderne und Gegenwart ist ein unübersehbarer Schwerpunkt im Repertoire von Bo Skovhus: „All das, was niemand singen möchte“, meint er verschmitzt. Tatsächlich meiden viele seiner Kollegen jegliche Form von Avantgarde aus Furcht vor Stimmschäden. „Das ist Blödsinn“, findet Skovhus, „mit der richtigen Technik können einem auch Nonen- und Septimsprünge nichts anhaben. Man muss anders singen, wenn man moderne Musik macht. Man muss herausfinden, wie man schreien oder sprechen kann, ohne die Stimme zu ruinieren. Außerdem halte ich es für die Pflicht eines Künstlers, sich

Durch Statur, Ausdruckskraft und Stimme scheint er wie geschaffen für die großen Leidenschaften der Opernbühne. Aber auch die intime Gattung des Liedes hat es Skovhus seit seiner Studienzeit angetan. Besonders hingezogen fühlt er sich zum deutschen Kunstlied von Schumann, Strauss, Wolf, Brahms und natürlich Schubert. Dessen drei große Liedzyklen hat er jüngst mit seinem langjährigen Klavierpartner Stefan Vladar eingespielt. Die schöne Müllerin und Schwanengesang hatte er bereits vor zwanzig Jahren mit Liedbegleiter-Legende Helmut Deutsch aufgenommen, die Winterreise war eine Premiere: „Bevor ich fünfzig wurde, fand ich keinen Zugang zu diesem

„Ich bezweifle, dass es gelingen wird, Karl V. positiv darzustellen.“ mit dem auseinanderzusetzen, was heute geschrieben wird.“ Belcanto als reiner Schöngesang ist nicht seine Sache. Kunst darf und soll für ihn ein gewisses Maß an Provokation enthalten, was selbstverständlich auch für Operninszenierungen gilt. Mit konventionellem Rampentheater kann er nichts anfangen, während er für modernes sogenanntes Regietheater gerne an seine Grenzen geht – sofern das Konzept ihn überzeugt. Regisseure wie Peter Konwitschny, Claus Guth, Willy Decker, Stefan Herheim oder Romeo Castellucci regen auch zu neuen Perspektiven auf seine „traditionellen“ Baritonpartien an, deren Bandbreite erstaunlich ist: Wer als leidender Gralskönig Amfortas genauso überzeugt wie als arroganter Dandy Onegin, als sozialer Underdog Wozzeck, als wahnsinniger König Lear, als brutaler Eifersuchtsmörder Šiškov in Aus einem Totenhaus oder champagnisierender Graf Danilo in Die lustige Witwe, der hat es sich offenbar nicht in einer stilistischen Nische bequem gemacht. Dass in seinem kaleidoskopischen Repertoire auch die Operette einen Ehrenplatz einnimmt, ist übrigens seinem Mentor Eberhard Waechter zu verdanken, der Skovhus in den Wiener Jahren in die Kunst dieser gar nicht leichten

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Werk. Ich glaube, man muss an einem Punkt im Leben angekommen sein, wo man etwas zu erzählen hat. Sonst bleibt es oberflächlich. Wenn man älter wird, reflektiert man mehr.“ Lebenserfahrung und geistige Reife weisen den Weg in Schuberts lyrische Welt, übertriebene ästhetische Scheu führt jedoch in die Irre: Skovhus will das Lied nicht als elitäre Kunstgattung verstanden wissen, die nur einem intellektuellen Kreis von Eingeweihten zugänglich ist. Es geht auch in der Winterreise nicht um poetischen Okkultismus, sondern um eine elementare Erfahrung wie Liebeskummer, und davon singt Skovhus unverschnörkelt und unsentimental, mit berührender Schlichtheit und geradezu besessener Wortnuancierung. Im Grunde will er „nur“ eine Geschichte erzählen, doch genau das ist heutzutage nicht leicht: „Wir sind derart visualisiert, dass es wahnsinnig schwierig ist, die Leute zu fesseln, wenn sie sich nur auf den Hörsinn konzentrieren müssen – sonst passiert ja nichts. Wir werden im täglichen Leben von den Medien derart überfüttert mit Bildmaterial in schnellen Sekundenschnitten, dass es überhaupt keinen Raum mehr gibt für eigene Fantasien. Die braucht man aber


in einem Liedrecital, um das Gehörte in Bilder umzusetzen.“ World Wide Web, Medienpräsenz und Marketingstrategie – gewissen Erscheinungen der Gegenwart scheint Bo Skovhus ein gesundes Misstrauen entgegenzubringen. Eine topgestylte Homepage mit Bildergalerie und Videostrecke hat er jedenfalls nicht – wozu auch? KRENEK UND SEIN KAISER Ernst Krenek ist Bo Skovhus schon lange vertraut: Bei den Wiener Festwochen 1990 sang er die Uraufführung des Oratoriums Opus sine nomine und lernte dabei den im Folgejahr verstorbenen Komponisten noch persönlich kennen. 2002 gab er an der Wiener Staatsoper den schwarzen Jazzband-Leader Jonny in Kreneks sensationellem Erfolgsstück der 1920er Jahre Jonny spielt auf. Genau dieses Werk mit seiner Weltoffenheit, Technikbegeisterung und frechen Satire war es, das den Komponisten für die Nationalsozialisten zum Inbegriff „entarteter“ Kunst machte. So hatte auch Kreneks Oper Karl V. schon 1934 keine Aufführungschance mehr, obwohl sie im Auftrag der Wiener Staatsoper entstanden war

[siehe auch S. 60, d. Red.]. Es steht außer Zweifel, dass Mitte der 1930er Jahre Kreneks Oper über eine der mächtigsten Herrscherfiguren der Geschichte eine eminent politische Bedeutung hatte. Weniger eindeutig ist Kreneks Bewertung des Habsburg-Kaisers, den er als gescheiterten alten Mann vor den Trümmern seines christlich-katholischen Weltreichs zeigt. „Karl V. war eine bedeutende Figur und hat viel Gutes bewirkt“, findet Bo Skovhus, „aber ich bezweifle, dass es gelingen wird, ihn positiv darzustellen. Denn da steht, besonders für die Deutschen, Martin Luther im Weg. Die Reformation wurde von Karl V. bekämpft, denn Glaubensfreiheit war für ihn undenkbar – wie noch heute in vielen Ländern der Erde.“ Die Inquisition rechtfertigte Gewalt gegen Protestanten, Juden und Muslime sowie selbstverständlich auch gegen die „Heiden“ in den überseeischen Kolonien. „Es ist unglaublich, wenn man sich vor Augen führt, dass sich in den vergangenen 500 Jahren nichts verändert hat. Was die weltweiten Religionskriege betrifft, sind wir noch keinen Schritt weitergekommen. Wenn es einen Konflikt gibt, geht es immer darum, anderen einen Glauben aufzuzwingen. Das ist eine furchtbare Aktualität.“ Neben der inhaltlichen

Text Alexandra Maria Dielitz

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„Was die weltweiten Religionskriege betrifft, sind wir noch keinen Schritt weitergekommen. Wenn es einen Konflikt gibt, geht es immer darum, anderen einen Glauben aufzuzwingen. Das ist eine furchtbare Aktualität.“ Deutung ist auch die szenisch-musikalische Realisierung des gewaltigen Werks eine Herausforderung. Es ist weniger als Oper denn als musikalisches Theater mit epischen Bestandteilen konzipiert: „Ich muss als Karl wahnsinnig viel sprechen, in einem ziemlich altmodischen Deutsch. Das ist schon sehr kompliziert, und ich kann mir vorstellen, dass auch das Zuhören einige Konzentration erfordern wird.“

Bo Skovhus studierte Gesang am Musikinstitut Aarhus, an der Königlichen Opernakademie in Kopenhagen und in New York bei Oren Brown. 1988 begann er seine Karriere in Wien, seitdem führten ihn Engagements regelmäßig an die dortige Staatsoper, das Konzerthaus und den Musikverein. Er gastierte an zahlreichen Opernhäusern, u. a. in London, Chicago, Los Angeles, Sydney,

VON ZERLINA ZU LULU

Paris, Brüssel, Amsterdam, Berlin, Hamburg, Dresden und

Zur Hölle fährt er schon seit einiger Zeit nicht mehr: Die Partie des Don Giovanni hat der 56-jährige Bo Skovhus mittlerweile abgelegt, obwohl seine Erscheinung nach wie vor keiner Zerlina gleichgültig wäre. Auch nicht aus stimmlichen Gründen: „Ich könnte einen Don Giovanni locker singen, aber das wäre nicht mehr kongruent mit Mozarts sprudelnder, kraftvoller und wahnsinnig vitaler Musik. Die Figur muss jung sein und aus dem Bauch heraus agieren. Wenn einem da das Nachdenken dazwischenkommt, funktioniert sie nicht mehr.“ Auf die Frage, welche neuen Rollen er stattdessen gerne angehen würde, schmunzelt Skovhus zunächst: „Es gäbe da schon einige, die ich interessant fände, aber meistens in Opern, die nie gespielt werden.“ Von einem Rückzug ins bewährte Repertoire kann offenbar nicht die Rede sein. Die Partie des Dr. Schön in Alban Bergs Lulu war ein großer Wunsch, den ihm die Bayerische Staatsoper 2015 erfüllte. Sehr spannend fände Skovhus auch Paul Hindemiths Cardillac: „Ein tolles Stück über einen Künstler, der sich von seinem Werk nicht trennen kann. Er wird sogar zum Mörder, um das von ihm Geschaffene wieder in seinen Besitz zu bringen. Vielleicht kommt das irgendwo. Ansonsten warte ich einfach ab: Es werden ja immer wieder die merkwürdigsten Stücke ausgegraben, und da fragt man ganz sicher wieder mich.“ Worauf man getrost eine Flasche Bordeaux verwetten kann!

Düsseldorf sowie bei den Salzburger Festspielen. Sein Repertoire umfasst Partien wie Nick Shadow (The Rake’s Progress), Amfortas (Parsifal), Dr. Schön (Lulu) sowie die Titelpartien in Don Giovanni, Wozzeck und Lear. In dieser Spielzeit sang er an der Bayerischen Staatsoper Šiškov (Aus einem Totenhaus) und ist nun in der Titelpartie von Karl V. zu erleben. Bo Skovhus wurde von Jörg Koopmann im Münchner Dom Zu Unserer Lieben Frau fotografiert. 1530 war Karl V. auf seiner Reise nach Augsburg in München zu Gast, im Rahmen dieses festlichen Empfangs besuchte er auch einen Gottesdienst in der Frauenkirche.

Karl V. Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen Von Ernst Krenek Premiere am Sonntag, 10. Februar 2019, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 23. Februar 2019, auf www.staatsoper.tv

Mehr über die Autorin und den Fotografen auf S. 8

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Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

Fotografie Jörg Koopmann


Tradition since 1774.

Romany Pajdak — Primaballerina des The Royal Ballet, London, trägt ihre schwarzen Sydney aus Leder, gekauft 2003. Fotografiert in London, 2018.

www.birkenstock.com


Hell Gette, #

(#strangerthings)“, 2k18, Courtesy die KĂźnstlerin

Karl V. und das Europa unserer Tage


Kaiser Karl V. ist in der Ahnengalerie der EU nicht zu finden – anders als Karl der Große. Aber woran ist das europäische Projekt Karls V. gescheitert? Und welche Lehren lassen sich daraus ziehen?

Mit der Idee eines politisch geeinten Europas lassen sich keine anderen Kaiser des Mittelalters so gut in Verbindung bringen wie Karl der Große und Karl V.: Der Frankenkönig, mit dessen Krönung zum Kaiser im Jahre 800 die Institution des Kaisertums in Westeuropa wieder hergestellt wurde; und der habsburgische König von Spanien, der 1519 zum römisch-deutschen König gewählt und 1520 in Aachen zum „erwählten“ Kaiser gekrönt wurde. Beide verkörperten auf unterschiedliche Weise die Idee eines Europa unter einer einheitlichen Herrschaft. Anders als Karl der Große, der eher die Idee einer geeinten Christenheit unter fränkischer Herrschaft verfolgte, dachte Karl V. durchaus bereits in europäischen Kategorien. Dementsprechend wurden in seiner Umgebung Vorstellungen von einem politisch geeinten Europa entworfen: Erasmus von Rotterdam etwa favorisierte die Idee eines europäischen Friedens, der sicherstellen sollte, dass Kriege innerhalb der lateinischen Christenheit kein Mittel der Austragung von Interessenkonflikten mehr waren, und Mercurino Gattinara, der Großkanzler Karls V., entwarf sogar ein Programm zur politischen Integration Europas. All das ist gescheitert. Karl V. ist eher als tragische denn als glanzvolle Figur in die europäische Geschichte eingegangen. Das dürfte auch einer der Gründe dafür sein, warum er in der Ahnengalerie der Europäischen Union keine Rolle spielt – im Unterschied zu Karl dem Großen, der ein ums andere Mal apostrophiert wird, wenn es um die historischen Vorläufer der heutigen EU geht. Die Reiche des Karolingers und des Habsburgers hatten andere geographische Ausdehnungen, und auch die Zentren beider Reichsbildungen unterschieden sich voneinander. Unter Karl dem Großen lag der Mittelpunkt des Reichs im Nordwesten Europas, während Spanien das Machtzentrum im Reich Karls V. bildete. Spanien war jedoch eine Weltmacht, deren Blick nur zu einem Teil auf Europa, zum anderen Teil aber auf die gerade in Besitz genommene „Neue Welt“ gerichtet war. Der Aufstieg Karls des Großen vollzog sich im engen Bündnis mit dem Papst, der die treibende Kraft bei der Erneuerung des Kaisertums im Westen war, während Karl V. erst 1530, und damit ein Jahrzehnt nach seinem Herrschaftsantritt als Kaiser, in Bologna von Papst Clemens VII. zum Kaiser

gekrönt wurde. Dem vorangegangen waren mehrere Konflikte mit den Päpsten, deren Höhepunkt die Erstürmung Roms durch spanische Infanterie, deutsche Landsknechte und auch papstfeindliche italienische Söldner war, an die sich eine mehrtägige Plünderung der Stadt anschloss – der Sacco di Roma im Jahre 1527. Indes war auch Karl der Große kein Friedenskaiser; auch seine Herrschaft war von Kriegen und Massakern gekennzeichnet, am bekanntesten das bei Verden an der Aller, wo Karl die Führungsschicht der aufständischen Sachsen abschlachten ließ. Auch wenn beide in Europa mehrfach Kriege führten, bilden Karl der Große und Karl V. den Anfang und das Ende einer langen Epoche, in der die Vorstellung von der Einheit (West-)Europas immer wieder eine Rolle spielte. Diese Einheit konnte theologisch als Einheit der lateinischen Christenheit gegenüber dem byzantinisch-griechischen Christentum, aber auch gegenüber dem Islam gedacht werden, aber sie konnte auch politisch im Hinblick auf die gemeinsame Kriegsführung der Westeuropäer in den Kreuzzügen oder die Verteidigung Europas gegen Eroberungszüge aus dem Osten betrachtet werden. Die materiellen Ressourcen, auf die Karl V. zurückgreifen konnte, waren sehr viel größer als die Karls des Großen. Doch auch die Widerstände, gegen die der Habsburger zu kämpfen hatte, waren erheblich stärker als die, denen sich der Karolinger ausgesetzt sah. Das materielle Rückgrat der Macht Karls V. war das Silber aus der „Neuen Welt“, denn ohne die regelmäßig eintreffenden Flotten mit den Edelmetallen, die man in Mexiko und Peru geraubt oder durch Zwangsarbeit gefördert hatte, ließen sich die riesigen Armeen des Kaisers nicht finanzieren. Diese waren ein weiteres tragendes Element der spanisch-habsburgischen Herrschaft in Europa, und die Gefechtsdisziplin der spanischen Tercios sorgte neben dem wilden Ansturm der deutschen Landsknechte dafür, dass die kaiserlichen Heere von Sieg zu Sieg eilten. Und doch haben die militärischen Erfolge seiner Heere letztlich nicht gereicht, um die Oberhoheit Karls V. über (West-)Europa durchzusetzen. Als der Kaiser im Jahre 1556 abtrat und sich ins Kloster zurückzog, war dies auch ein Eingeständnis, dass sein Projekt einer Einigung Europas unter habsburgischer Herrschaft gescheitert war. Dass dieses Vorhaben über

Text Herfried Münkler und Marina Münkler

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Anachronistisch betrachtet ist Europa in der Ära Karls V. nicht an seinen äußeren Feinden, sondern an seinen inneren Konflikten gescheitert.

Jahrzehnte hinweg durch die Ausplünderung der „Neuen Welt“ finanziert wurde, dürfte ein weiterer Grund dafür sein, warum Karl V. in der Ahnengalerie der EU keinen Ehrenplatz gefunden hat. Aber woran ist das europäische Projekt Karls V. eigentlich gescheitert? Drei Hauptursachen lassen sich identifizieren: die Reformation in Deutschland, die Wei­ gerung der französischen Könige, sich der habsbur­ gischen Oberhoheit unterzuordnen, und schließlich der wachsende Widerstand der spanischen Bevölkerung ge­ gen die Kosten und Lasten dieses Projekts. Äußere Faktoren kamen hinzu, etwa die Kaperflotten der soge­ nannten Barbareskenstaaten in der Maghreb­Region oder die immer wieder erfolgenden osmanischen Vorstöße auf dem Balkan, die eine Konzentration der kaiserlichen Macht auf Europa verhinderten. Insgesamt spielten die Konflikte und Kriege innerhalb der lateinischen Christen­ heit jedoch eine größere Rolle als die Herausforderungen von außen. Diese Herausforderungen von außen führten auch nicht dazu, dass die europäischen Herrscher sich hinter dem Kaiser einten und gemeinsam gegen die äußeren Feinde vorgingen. Die meisten von ihnen anerkannten nicht einmal die Vorstellung einer europä­ isch­christlichen Einheit, sondern sahen entweder die Kon­ flikte innerhalb des Reichs als zentral an, wie dies bei den evangelischen Landesfürsten der Fall war, oder sie koope­ rierten, wie die französischen Könige, mit den Osmanen, um die kaiserlichen Machtressourcen des Habsburgers ihnen gegenüber zu schwächen. Anachronistisch betrachtet ist Europa in der Ära Karls V. also nicht an seinen äußeren Feinden, sondern an seinen inneren Konflikten gescheitert. Das macht Karl V., auch wenn er keinen Platz in der Ahnengalerie der EU gefunden hat, für die zukünftige Entwicklung des Europa­ Projekts aufschlussreich. Nicht für Narrative des poli­ tischen Fortschritts freilich ist Karl V. von Interesse, son­ dern für solche des drohenden Scheiterns. Welche Fehler hat der Kaiser gemacht? Welche waren vermeidbar, welche nicht? Wenn man sich an Karl V. auch nicht als historischen Vorläufer anlehnen mag, so lässt sich aus seinem Scheitern doch einiges für die Gegenwart und Zukunft Europas lernen. Karl der Große mag die Ahnengalerie der EU beherrschen;

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Karl V. aber ist die wohl wichtigere Gestalt im historisch­ politischen Lehrbuch Europas. Als Luther von einer innertheologischen Auseinander­ setzung zum offenen Widerstand gegen die Auslegungs­ macht des Papstes überwechselte und dabei auf die Unterstützung breiterer Kreise in Deutschland angewiesen war, bediente er sich auch der seit Längerem verbreiteten Klagen der Deutschen über ihre finanzielle Ausplünderung durch Rom. Protonationalistische Äußerungen und anti­ römische Affekte flossen in einigen von Luthers reforma­ torischen Schriften ineinander. Nach anfänglichem Zögern stellte sich Karl V. auf dem Reichstag in Worms 1521 auf die Seite der römischen Kirche und machte sich dadurch die reformatorische Bewegung zum Feind. Indem der Kai­ ser die Reichsacht über Luther verhängte und damit Glau­ bensfragen zum Politikum machte, führte die Reformation zur politischen Spaltung Europas. Die Historiker mögen darüber streiten, ob Karl nach dem päpstlichen Bann gegen Luther tatsächlich die Option hatte, die Angelegenheit als bloßen Theologenzwist zu behandeln. Fest steht: Indem er die Debatte politisierte, schwächte er seine Stellung. Daran änderte auch der Sieg seiner Truppen in der Schlacht bei Mühlberg nichts, die 1547 ein Koalitionsheer protes­ tantischer Landesherrn niederwarfen. Die Reformation war ein Gegner, den man nicht militärisch bezwingen konnte. Der Machtkonflikt mit dem französischen Königs­ haus hingegen war von Anfang an politischer Natur. Karl hatte ihn geerbt, als er spanischer König wurde, und seine Kaiserwahl 1519 gegen den französischen König Franz I. hat den Gegensatz weiter verschärft. Der Konflikt hatte 1494 mit der spanisch­französischen Auseinanderset­ zung um das Königreich Neapel begonnen und wurde während der 1520er Jahre in den großen Schlachten in Norditalien entschieden. In der Folge beherrschte das Haus Habsburg Italien, materiell gestützt auf die Leis­ tungsfähigkeit seines Militärs, ideell legitimiert durch den Kaisertitel und die mit ihm verbundenen Ansprüche auf die Oberhoheit über Italien. Aber die französischen Kö­ nige gaben nicht auf, und wenn sie auch die Stellung Karls V. nicht zu gefährden vermochten, so konnten sie doch für einen ständigen Kräfteverschleiß der kaiser­ lichen Macht sorgen. Zwar gab es einige Anläufe zur

Bilder Hell Gette


Hell Gette, #

“, 2k18, Courtesy die Künstlerin


Indem der Kaiser die Reichsacht über Luther verhängte und damit Glaubensfragen zum Politikum machte, führte die Reformation zur politischen Spaltung Europas.

Verständigung zwischen den Häusern Habsburg und Valois, aber von Dauer war keine. Hinzu kamen die wiederholten Aufstände in Spanien, in denen sich Teile der Bevölkerung gegen ihre beständige Inanspruchnahme durch die habsburgische Europa- und Weltpolitik zur Wehr setzten. Um das Kernland seiner Herrschaft zu befrieden, musste Karl Kompromisse eingehen und Konzessionen machen, die seine Handlungsfähigkeit einschränkten. Hier handelte es sich um ein strukturelles Problem, das bei fast allen Großreichsbildungen auftaucht: dass die Bevölkerung im Zentrum nach einiger Zeit nicht mehr bereit ist, die Hauptlast dieser Herrschaft zu tragen, also in öffentliche Güter zu investieren, deren Nutzen vor allem anderen zugutekommt. Sie rebelliert dagegen, und die Überschrift dieser Rebellion lautet regelmäßig, von jetzt an müsse sie zuallererst – und das heißt: ausschließlich sie – die Vorteile des Reichs genießen. In den demokratischen Ordnungen unserer Tage findet diese Weigerung nicht mehr in Rebellionen, sondern in Form der Wahl von Populisten statt, die auf diesen Vorteilen bestehen. Das Ergebnis ist dasselbe: Die einzelnen Territorien des Großraums streiten darüber, wer welche Last zu tragen habe und wer zu Unrecht von ihr profitiere – und darüber zerfällt die Ordnung allmählich in die Teile, aus denen sie zusammengesetzt worden ist. Am Schluss haben sich die Probleme im Reich Karls V. als zu groß und die möglichen Reaktionen auf sie als in sich zu widersprüchlich erwiesen. Also teilte Karl V. das Reich zwischen seinem Sohn Philipp II. und seinem Bruder Ferdinand I. auf und zog sich in ein neben dem Kloster Yuste für ihn gebautes Haus zurück. Damit wurde größere politische Flexibilität gewonnen. Der Preis dafür war jedoch das Ende des Projekts eines politisch geeinten Europas. Was mit der Reichsteilung von 1556 begann, war der Weg in ein Europa der nationalstaatlichen Konkurrenzen, Konflikte und Kriege. Ob eine andere Entwicklung wünschenswert gewesen wäre? Aus Sicht der Nachgeborenen, die den Preis dafür kennen, mag die Frage zu bejahen sein. Die Zeitgenossen sahen das anders: Sie weinten dem habsburgischen Großreichsprojekt keine Träne nach. Mehr über die Autoren und die Künstlerin auf S. 8

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Ernst Kreneks Bühnenwerk Karl V. Die zentrale Frage, die Ernst Krenek in seinem „Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen“ stellt, lautet: „Wie hätte ich [Karl V.] in diesem konkreten Fall unter all den angeführten konkreten Voraussetzungen anders handeln können?“ Die Oper ist als Lebensbeichte des Kaisers gegenüber seinem Beichtvater, dem jungen Mönch Juan de Regla, angelegt. Karl V. versucht, die Geschichte so darzustellen, als wäre sie aufgrund einer Naturnotwendigkeit genau so und nicht anders passiert. Sein Gesprächspartner weist immer wieder auf die Möglichkeit der freien Willensentscheidungen hin. Die geplante Uraufführung in Wien 1933 wurde aus politischen Motiven abgesagt – erst fünf Jahre später (der Komponist war inzwischen in die USA emigriert) wurde das Werk in Prag aus der Taufe gehoben. 1965 fand die Münchner Erstaufführung im Nationaltheater statt.

Karl V. Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen Von Ernst Krenek Premiere am Sonntag, 10. Februar 2019, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 23. Februar 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

Premiere Karl V.


6 Dez 2018 bis 22 Apr 2019

Alex Katz. Red Hat (Alba), 2013, Öl auf Leinwand, 213,36 x 152,4 cm, Privatsammlung © Alex Katz, VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Alex Katz


Vorläufig endgültige Verfassung für das richtige Leben im falschen (VeVfdrLif)

Ulrich Brüschkes Palmen aus Stahl entstanden 2012 als „Kunst am Bau“-Projekt zur Errichtung der BND-Zentrale an der Chausseestraße in Berlin. Jahrelang hielten sich Gerüchte, dass eine Abhöranlage in den beiden Palmen versteckt sei. Die Ähnlichkeit zu Mobilfunk-Sendemasten, die – als Palmen getarnt – in manchen Orten am Mittelmeer stehen, ist durchaus vom Künstler intendiert.

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Präambel

Wir, das Volk der Unvollkommenen, von der Absicht geleitet, uns zu vervollkommnen, das Unwirkliche zu verwirklichen, die Unsicheren zu sichern, die Unfreien zu befreien, die Glücklosen zu beglücken, die Sorgen zu entsorgen, das Wohl der Unwohlen zu wollen, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Utopia.

Artikel 1

Das Nationalemblem ist das Faultier. Die Hymne ist die Aria aus den Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach. Öffentlich gesungen wird sie nur von Fußballspielern. Der Wahlspruch lautet wahlweise „Morgen ist auch noch ein Tag“ oder „Tjolahopp!“

Artikel 2

Das Parlament ist ein Ort der inneren Einkehr. Entscheidungen werden durch Meditieren getroffen. Jeder Abgeordnete muss sich regelmäßig im Schachspielen üben, Jesper Juul studieren und im Parlamentsgarten arbeiten. Stinkstiefel, Finstermänner und Betonköpfe lernen durch Delfinschwimmen, ihr inneres Kind zu trösten.

Artikel 3

Jeder Bürger hat das Recht auf Mittagsschlaf, egal zu welcher Tageszeit. Auch morgens darf niemand geweckt werden, der noch nicht ausgeschlafen hat.

Artikel 4

Die Religionsausübung ist frei, insbesondere hat jeder das Recht, nicht an Gott zu glauben.

Artikel 5

Jeder Bürger hat das Recht, sein Nest zu beschmutzen.

Artikel 6

Der Wehrdienst wird jedem verweigert. Junge Männer und Frauen besuchen stattdessen Kurse in Gewaltfreier Kommunikation.

Artikel 7

Jeder Bürger hat das Recht, musikalisch, sportlich, intelligent und schön zu sein.

Artikel 8

Das wichtigste Produkt unserer Gesellschaft sind unsere Kinder. Wer sich mit Fürsorge und Hingabe der Beziehung zu seinen oder anderen Kindern widmet, bekommt diese Tätigkeit angemessen vergütet. Sie gilt zudem als Qualifizierungsmaßnahme, egal für welchen Beruf.

Text Jochen Schmidt

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Kinder haben ein Recht auf Langeweile. Jedes Kind darf ohne Bildschirme und Internet aufwachsen. Zum Lesen, Schreiben, Rechnen und Spielen wird an der Schule kein Strom verwendet.

Artikel 9

Die Schule ist ein Ort der Geborgenheit. Für Zensuren herrscht Zensur. Hausaufgaben gibt das Leben auf. Die Lehrer lieben ihren Beruf. Die Schulbücher sind von erstklassigen Illustratoren illustriert. Das Schulessen wird von leidenschaftlichen Köchen gekocht. Kein Schulweg ist so weit, dass man für ihn ein Auto bräuchte.

Artikel 10

Der öffentliche Nahverkehr ist gratis. Die Kosten dafür werden auf den Individualverkehr umgelegt. Demokratie ist nicht, wo die Armen Auto fahren, sondern wo die Reichen Bus fahren, weil es gemütlicher ist und schneller geht.

Artikel 11

Im Fernsehen und im Kino laufen alle Filme im Original mit Untertiteln.

Artikel 12

Auf jede Form von Werbung in der Öffentlichkeit kann verzichtet werden, da alle Produkte hervorragend gestaltet, nachhaltig produziert und von erstklassiger Qualität sind. Die Kosten dafür werden durch die Reduzierung des Sortiments erwirtschaftet. Jede Anschaffung ist eine Anschaffung fürs Leben.

Artikel 13

Die erste Pflicht der Ärzte ist, zuzuhören. Im Wartezimmer darf kein Dudelfunk laufen. Pünktlich erschienene Patienten werden pünktlich behandelt.

Artikel 14

Ampeln schalten auf Grün, wenn sich ihnen ein Fußgänger nähert.

Artikel 15

Jeder darf schreiben, wie er will, eine Rechtschreibung wird nicht benötigt, sie wird verkauft und das Geld in die Spielplatzforschung gesteckt. Andererseits wird von jedem großer Wert auf scharfes Denken, logische Argumentation und genaues, floskelfreies Beschreiben gelegt.

Artikel 16

Landwirte sind Umweltschützer, Dörfer sind Kulturstätten. Tiere haben die gleichen Rechte wie Menschen, wenn nicht sogar noch mehr. Es ist nicht gestattet, eine Biene zu belästigen.

Artikel 17

Der Wohnungsbau ist eine öffentliche Angelegenheit. Bei den Wohnungen für weniger Bemittelte wird mit besten Materialien gearbeitet und auf eine intelligente Architektur Wert gelegt. Die Planungen erfolgen partizipativ.

Artikel 18

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Artikel 19

Unser Land beteiligt sich nicht mehr an Olympischen Spielen und ähnlichen kommerziellen Großereignissen. Das gesparte Geld wird genutzt, um jedem Bürger eine lebenslange Mitgliedschaft in einem Yogastudio seiner Wahl zu ermöglichen.

Artikel 20

Die Agentur für Arbeit wird umgewandelt in eine Agentur für Spiel. Ihre Aufgabe ist die Bekämpfung der Spiellosigkeit, insbesondere der Langzeitspiellosigkeit.

Artikel 21

Was unser Land auszeichnet, ist eine von Herzen kommende, ansteckende Freundlichkeit im zwischenmenschlichen Bereich. Die dadurch stetig wachsende Beliebtheit unseres Landes in der ganzen Welt nutzen wir, um für unsere Lebensform zu werben, wobei wir unsere Augen im Ausland offenhalten und unsere Ohren spitzen, um uns zu weiteren Verbesserungen inspirieren zu lassen.

Jochen Schmidt ist Schriftsteller, Journalist und Übersetzer. Von ihm erschienen zuletzt der Reise-Essay Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland (2015), die Fußballprosa Ballverliebt (2016) und der Roman Zuckersand (2017). Er lebt mit seiner Familie in Berlin und ist aktives

Ulrich Brüschke, 0 Grad Breite, 2012, Bundesnachrichtendienst, Berlin © Ulrich Brüschke

Mitglied der Autorennationalmannschaft.

Bilder Ulrich Brüschke

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„Ohne die weibliche Kom­ ponente funktioniert die menschliche Gemeinschaft nicht“

Anja Kampe singt Minnie in Giacomo Puccinis La fanciulla del West. Hier spricht die Sopranistin über Geschlechterrollen, die Prägung durch ihre Kindheit in der DDR und die Faszination für ihre Rolle. 40


Frau Kampe, Sie singen demnächst Minnie in der Oper La fanciulla del West von Giacomo Puccini. Eine Frau allein unter Männern, was ist das für ein Mensch? ANJA KAMPE Ich fand Minnie in gewisser Weise immer schon faszinierend, sie ist eine starke und gleichermaßen sensible Frau. Sie muss eine gewisse Härte haben, um sich in dieser männerdominierten Umgebung zu behaupten, und sie kennt die Schwächen der Männer gut. Sie ist gleichzeitig Ersatzmutter oder -schwester, denn diese Männer sind alle nicht bei ihren Familien. Die Geliebte ersetzt sie aber nicht, darauf achtet sie genau – bis Johnson auftaucht. Minnie ist auch nicht mehr ganz jung, hat aber die Liebe selbst noch nicht kennengelernt. Sie ist sensibel, aber sie kann das gut verbergen und so in dieser Wildnis bestehen. MJ Wie funktioniert so eine reine Männergesellschaft? AK Ich stelle mir vor, dass die Umgangsformen an sich rauer sind. Es gibt aber auch Momente in diesem Werk, in denen echtes Mitgefühl aufkommt: etwa in der Szene, in der einer der Männer sagt, er könne nicht mehr, und alle sammeln spontan Geld, damit er nach Hause kann. Männer sind nicht unsensibel, aber sie zeigen nicht gerne, dass sie auch Gefühle haben. MJ Das war so zu der Zeit, in der die Oper ursprünglich spielte. Der Regisseur Andreas Dresen zeigt eine moderne Version. Passt dieser Gedanke dann überhaupt? AK Die Männer sind doch immer noch ganz genauso. Wenn man sie besser kennt, zeigen sie schon was Weiches. Aber nach außen hin gibt der Mann immer noch lieber den Macho. Ich sehe schon, dass es heute sicher mehr Männer gibt, die sich zum Beispiel bereit erklären, Aufgaben zu übernehmen, die früher als typisch weiblich galten. Aber in der Auffassung des Ur-Männlichen und Ur-Weiblichen hat sich so viel noch nicht geändert. MJ Haben Sie Erfahrung mit männerdominierten Bereichen? Ist die Oper so eine Welt? AK Die Oper unterscheidet sich jetzt nicht so drastisch von unserer sonstigen beruflichen Umwelt. Man hat auch hier viel mit Männern in Führungspositionen zu tun, wenn auch nicht nur mit Machos. Es gibt inzwischen auch Frauen, die durchaus etwas zu sagen haben, aber das Verhältnis Mann-Frau ist natürlich auch im Opernbetrieb noch lange nicht ausgeglichen. MJ Sie kennen das anders, weil Sie im Osten aufgewachsen sind. AK Im Westen brauchten Frauen bis 1977 die Erlaubnis des Mannes, um eine Stelle annehmen zu können. Das

Illustration Damien Florébert Cuypers

MAX JOSEPH

ist heute kaum mehr zu glauben! Im Osten war es selbstverständlich, dass Frauen arbeiteten. Und klar: Die Frauen waren daher freier, zu bestimmen, wie sie leben wollten. Wenn eine Ehe nicht lief, konnten sie sagen, ich bin nicht abhängig, ich mache allein weiter. MJ Waren Männer und Frauen auf Augenhöhe? AK Ich bin mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Meine Mutter hat gearbeitet, stand mit beiden Beinen im Leben und hat ihre drei Kinder großgezogen. Natürlich kann eine solche Konstellation auch Nachteile für die Kinder haben. Aber eine alleinerziehende Frau wurde im Osten zumindest nicht schief angeschaut. MJ Haben Sie den Staat als unterdrückend empfunden, in dem Sie aufgewachsen sind? AK Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, das an den Kommunismus glaubte. Meine Mutter ist Anfang der 1950er Jahre vom Westen in den Osten gegangen. Sie war überzeugte Kommunistin und ging mit meinem großen Bruder, der gerade geboren war, und meinem Vater rüber. Für sie brach später eine Welt zusammen, zuerst, als ich ihr sagte: Mutter, ich gehe nach Italien, und dann, als kurz danach die Wende kam. Aber der Staat hatte neben seinen repressiven Seiten auch viel ermöglicht, etwa in der Talentförderung. Meine Mutter hätte sich meine musikalische Ausbildung nie leisten können. Ich habe ab meinem neunten Lebensjahr bis zum Abitur Stipendien bekommen, und diese Ausbildung war sehr gut. Oder die medizinische Versorgung, auf die sich jeder verlassen konnte. Heute machen sich viele Gedanken, wie sie ihre private Krankenversicherung bezahlen sollen, wenn sie eines Tages nicht mehr arbeiten können. MJ Wann haben Sie zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass das Wort einer Frau nicht so viel wiegt wie das eines Mannes? AK Gar nicht – denn ich war nie auf einen Mann angewiesen. In meinem Beruf nicht und auch sonst nicht. Ich war einige Jahre verheiratet ... MJ ... mit 21 Jahren. Mit einem Italiener, dem Prototyp des Machos. AK Ich weiß nicht, welche Erfahrungen Sie mit Italienern gemacht haben, aber mein damaliger Mann war das Gegenteil eines Machos. Er war ein äußerst sozial engagierter Mensch und überzeugter Kommunist ... MJ Kommunisten haben Frauen genauso unterdrückt wie Konservative. AK Ja, und umgekehrt! Nicht immer diese Klischees! Wir haben 1989 geheiratet, im Jahr der Wende. Da waren wir gleichberechtigt. Ich bin von ihm nie im Geringsten herablassend behandelt worden – und auch später nicht in meinem Beruf.

Premiere La fanciulla del West

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Für Sie ist also die noch nicht erreichte Gleich­ stellung der Frau etwas Theoretisches? AK Ich persönlich habe nie unter der Vormachtstellung von Männern gelitten. Aber ich befand und befinde mich zugegebenermaßen in einer privilegierten Situation. Im Übrigen ändert sich an der Oper mittlerweile sehr viel: Junge Dirigentinnen – ein Beruf, der früher ja nur und ausschließlich Männern vorbehalten war – behaupten sich zunehmend am Podium. MJ Ist es anders, mit Dirigentinnen zu arbeiten? AK Natürlich, und ich musste mich zunächst dran gewöhnen. Musik gemeinsam zu machen, ist an sich eine sehr intime Arbeit. Zumindest für mich war es einfacher, mit einem Mann zu arbeiten als mit einer Frau, da sich für mich mit einem Mann eine andere Art von Intimität herstellt als mit einer Frau. MJ Mit Intimität meinen Sie Erotik und nicht Vertrautheit? AK Beides natürlich! Erotik spielt immer mit in der Musik und in der Kunst ganz allgemein. Auch bei den meisten Themen an der Oper schwingt sie ganz selbst­ verständlich mit. Ich war mit Männern immer vertrau­ ter als mit Frauen und habe auch mehr männliche als weibliche Freunde. Aber das ist bei jedem sicher anders. Inzwischen komme ich auch mit Dirigentinnen sehr gut zurecht. Vielleicht habe ich mich mit dem anderen Geschlecht auch mehr beschäftigt als mit dem eigenen ... MJ Minnie hat sich so ausgiebig mit dem anderen Geschlecht beschäftigt, dass sie genauso gut schießt, zockt und trinkt wie die Männer. Das ist ja das, was viele beklagen: Frauen müssen in Männerdingen besser sein als die Männer, um akzeptiert zu werden. AK Wie ausgiebig sie sich mit Männern beschäftigt hat, geht weder aus der Oper noch aus der Romanvor­ MJ

lage hervor. Sie stammt aus dem Gastgewerbe, in ge­ wisser Weise liebt sie dieses Leben, und es ist ganz natürlich für sie. Sicher, sie nutzt dann diese Fähigkei­ ten, um sich durchzusetzen. Aber auf der anderen Sei­ te liest sie den Männern auch aus der Bibel vor, weil sie das eben wichtig findet. Sie beeinflusst sie dadurch auch. Das sind ja im Grunde einfache Typen: Arbeiter, die versuchen, ihr Glück zu machen. Raue Männer und oft nicht sehr gebildete. Minnie erzieht sie gewisserma­ ßen und fügt so eine kleine Portion Weiblichkeit hinzu. Denn ohne die weibliche Komponente funktioniert die menschliche Gemeinschaft nicht. MJ Aber Minnie weiß sehr genau, wo ihre Grenzen sind. AK Sie hat nicht großartig etwas für sich zu entschei­ den. Sie ist ja auch keine Konkurrentin der Männer. Sie passt auf ihr Gold auf, aber hat selbst keine Ambi­ tionen, Gold zu besitzen. Sie führt den Saloon mit fester Hand, und das ist es. Es wäre ja interessant, zu ergründen, warum sie sich überhaupt für so ein Leben entschieden hat. Eine enttäuschte Liebe kann es nicht gewesen sein. Liebe kannte sie von zu Hause zwischen ihren Eltern, und sie wartet auf eine solche Konstella­ tion für sich. Sie scheint keine Familie mehr zu haben, und vielleicht ist das auch ihre Ersatzfamilie. MJ Und dann verliebt sie sich ausgerechnet in einen Mann, der die ganze Zusammengehörigkeit gefährdet. Was bedeutet das? AK Sie kannten sich bereits. Sie waren sich schon begegnet, und da hat es gleich gefunkt. Aber sie kann mit ihm kein Leben in ihrer bisherigen Gemeinschaft führen. Sie folgt ihm in sein Leben, ohne zu wissen, was das genau bedeutet. Obwohl sie so stark ist, entscheidet sie sich dann doch wieder für ein Frauenschicksal.

Gabriela Herpell war Redakteurin bei Tempo, Glamour und

Anja Kampe erhielt ihre Gesangsausbildung in Dresden und

Emotion, sie ist heute beim SZ-Magazin und freie Journalistin.

Turin. 2002 war sie mit den Partien Freia und Gerhilde erstmals

Sie schreibt u. a. über Theater, Film, Literatur und Reisen.

bei den Bayreuther Festspielen zu erleben. Ihr internationales Debüt gab sie 2003 an der Washington National Opera als Sieglinde (Die Walküre). Gastengagements führten sie seither u. a.

La fanciulla del West

an die Opernhäuser von Mailand, London, Paris, Wien, Zürich,

Oper in drei Akten

Berlin, Los Angeles und Tokio sowie zum Glyndebourne Festival,

Von Giacomo Puccini

zur Ruhrtriennale und den Salzburger Osterfestspielen. Ihr Repertoire umfasste früher auch Partien wie Eva (Die Meister-

Premiere am Samstag,

singer von Nürnberg), Elisabeth (Tannhäuser) oder Elsa

16. März 2019,

(Lohengrin). Heute gastiert sie an den großen Opernhäusern der

Nationaltheater

Welt mit Isolde (Tristan und Isolde), Kundry (Parsifal) und Senta (Der fliegende Holländer), Sieglinde und Brünnhilde (Die Walküre)

STAATSOPER.TV

sowie die Titelpartien in Ariadne auf Naxos und Tosca. Seit

Live-Stream der Vorstellung am

Januar 2018 ist sie Bayerische Kammersängerin. Nach ihrer

Samstag, 30. März 2019,

umjubelten Sieglinde (Die Walküre) in der Spielzeit 2017/18 ist sie

auf www.staatsoper.tv

in der aktuellen Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper als Leonore (Fidelio), als Senta (Der fliegende Holländer) und als

Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

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Minnie (La fanciulla del West) zu erleben.

Interview Gabriela Herpell


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Kunst und Arbeit

Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, die Hoffnung auf den großen Coup: Die Ausgangslage der Goldgräber in Giacomo Puccinis La fanciulla del West ist der von Künstlern am Beginn ihrer Karriere nicht unähnlich. Vielleicht gibt es ja noch mehr Zusammenhänge zwischen Mine und Muse? Premieren­ dirigent James Gaffigan über Arbeit, Lohn und Trost in der Musik.

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Premiere La fanciulla del West



Statt in einer Goldmine, wie sie in La fanciulla del West vorkommt, hat Robert Fischer James Gaffigan in einer Ölfraffinerie fotografiert. Wir danken der Gunvor Raffinerie Ingolstadt GmbH für die freundliche Unterstützung.

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„Manchmal entsteht große Kunst gerade aus prekären Situationen heraus. Aber dann sollte sie auch gut bezahlt werden.“

James Gaffigan

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„Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich es Menschen ermögliche, miteinander zu arbeiten, in eine große gemeinsame Bewegung zu finden – und das alles ohne Worte. Die Noten auf dem Papier genügen mir nicht.“

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Fotografie Robert Fischer



Was macht den genialen Künstler aus? Gottgegebenes Talent oder eher die Bereitschaft zu harter Arbeit? JAMES GAFFIGAN Musikgenies wie Bach, Mozart, Schubert oder Wagner haben ein außergewöhnliches Gespür dafür – bewusst oder unbewusst –, wie man Menschen mit Harmonien und Rhythmus emotional berühren kann. Das ist eine Gabe, damit wird man geboren. Harte Arbeit wiederum hilft, diese angeborene Fähigkeit gezielt einzusetzen. Aber letztendlich hat man sie oder man hat sie eben nicht. MJ Künstler werden oft schlecht bezahlt, und ihre Lebensverhältnisse sind prekär. Wieviel Idealismus rechtfertigt die Kunst? JG Manchmal entsteht große Kunst gerade aus prekären Situationen heraus. Aber dann sollte sie auch gut bezahlt werden. Leider sieht die Realität anders aus. Künstler werden für ihre Leistungen selten angemessen honoriert. Das gehört zu den Opfern, die man bringt, um Künstler zu werden. MAX JOSEPH

Macht Kunst einsam? JG Ich glaube, tief im Innern sind Künstler einsame Menschen. MJ Erinnern Sie sich noch an Ihre Anfänge? Muss man zu Beginn der Karriere härter arbeiten, oder wird es später schwieriger, wenn es darum geht, erfolgreich zu bleiben? JG Damals war ich noch zu naiv und arglos, um alle Herausforderungen meines Berufs richtig einzuschätzen. Ich habe Musik gemacht, einfach weil ich Freude daran hatte. Heute denke ich mehr darüber nach, was ich tue, und deswegen muss ich auch musikalisch mehr Entscheidungen treffen, auswählen. Das ist anstrengender. Ich glaube aber, dass beide Arbeitsweisen interessant sind, es kommt eben auf die Situation an. MJ Haben Sie manchmal Heimweh? JG Heimweh habe ich nicht, aber ich vermisse meine Familie und meine Kinder schon sehr, wenn ich auf Reisen bin. Dann hilft mir aber immer die Musik. MJ

Als bereits international renommierter Dirigent debütierte James Gaffigan in der Saison 2015/16 mit Mozarts Don Giovanni an der Bayerischen Staatsoper. Mozarts Werke dirigierte der US-Amerikaner in jüngerer Vergangenheit etwa auch an der Wiener Staatsoper (Le nozze di Figaro, Don Giovanni) und beim Glyndebourne Festival (Così fan tutte); dass er sein Operndebüt am Opernhaus Zürich mit Giacomo Puccinis La bohème gab (2005), darf als ein erster Hinweis auf die Vielseitigkeit dieses Künstlers gelesen werden. James Gaffigan wurde in New York geboren und studierte am New England Conservatory of Music in Boston sowie an der Shepherd School of Music der Universität von Houston und war Conducting Fellow am Tanglewood Music Center. Von 2003 bis 2006 arbeitete er als Assistant Conductor des Cleveland Orchestra mit dessen Chefdirigent Franz Welser-Möst zusammen. In der Saison 2011/12 übernahm James Gaffigan den Chefdirigentenposten beim Luzerner Sinfonieorchester; er ist außerdem erster Gastdirigent des niederländischen Radio Filharmonisch Orkest. James Gaffigan dirigierte weltweit führende Orchester, darunter das London Philharmonic Orchestra, die Münchner Philharmoniker, die Symphonieorchester von Chicago und San Francisco sowie die Philharmonischen Orchester von New York und Los Angeles. Als Operndirigent arbeitete er zuletzt u. a. an der Metropolitan Opera New York und der Nationale Opera Amsterdam. Mit der Premiere von La fanciulla del West an der Bayerischen Staatsoper kehrt James Gaffigan gewissermaßen in doppelter Hinsicht zu seinen Wurzeln zurück und dirigiert ein Werk von Giacomo Puccini, das in seiner Geburtsstadt New York uraufgeführt wurde.

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Was ist das heilige Versprechen der Musik, der Kunst? Treibt ein solches Versprechen Sie an? JG Musik und Natur sind für mich wie eine Art Kirche, die einzige Kirche. Sie sind mir heilig. Was mich antreibt, sind die Empfindungen der Menschen, wenn sie Musik machen oder hören. Wie die Menschen reagieren, was die Musik mit ihnen macht, das ist für mich schöner als die Musik an sich. Zu den Menschen habe ich schließlich eine Beziehung. Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich es Menschen ermögliche, miteinander zu arbeiten, in eine große gemeinsame Bewegung zu finden – und das alles ohne Worte. Die Noten auf dem Papier genügen mir nicht. Erst meine Kollegen erwecken sie zum Leben. MJ

Die Fragen stellten Rainer Karlitschek und Sabine Voß

La fanciulla del West Oper in drei Akten Von Giacomo Puccini Premiere am Samstag, 16. März 2019, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 30. März 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 96


MANON

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PREMIERE 7 APR 2O19


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„Die   Decke der Zivilisation ist verdammt dünn“

Filmregisseur, Opern­ regisseur, Laienrichter am Verfassungsgericht: Zwei öffentliche Berufe und einen Beruf im Dienst der Öffentlichkeit übt Andreas Dresen aus. Im Interview spricht er über seinen Blick auf die Gesell­ schaft, seine Inszenie­ rung von Giacomo Puccinis La fanciulla del West – und darüber, was das eine mit dem anderen zu tun hat.

Premiere La fanciulla del West

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„Die   Getretenen treten irgendwann zurück.“

Herr Dresen, Sie sind seit sechs Jahren auch als Laien­ richter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg tätig. Was haben Sie da gelernt? ANDREAS DRESEN Bei Gericht sieht man ganz gut, in welchem Zustand sich das demokratische Gemein­ wesen befindet. Und zwar anhand der Klagen oder Beschwerden, die sich ja auf die Nichteinhaltung der Brandenburger Verfassung bezie­ hen. Da bekommt man einen tiefen Einblick in das Räderwerk von De­ mokratie. Das Brandenburger Ver­ fassungsgericht kann jeder anrufen. Man kann auch als Privatmann kos­ tenlos eine Verfassungsbeschwerde einreichen, und in jedem Fall wird die von uns Richtern geprüft. Das ist schon eine tolle Möglichkeit. In der DDR gab es ja beispielsweise auch eine Verfassung, aber eben kein Verfassungsgericht. MJ Was genau verhandeln Sie? AD Die Landesregierung macht bei­ spielsweise ein Gesetz zur Finanzie­ rung der Kindertagesstätten. Es gibt Gemeinden, die sich darüber be­ schweren, weil sie das nicht für hin­ reichend finanziert halten. Das Urteil kann dann lauten, dass die Regierung ihre Hausaufgaben nicht ordentlich MAX JOSEPH

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gemacht hat und dieses Gesetz über­ arbeiten muss. In letzter Zeit gibt es immer häufiger Klagen von Abgeord­ neten der AfD. Die sitzt ja nun auch im Brandenburger Landtag. Und wir müssen darüber befinden, ob der Umgang mit diesen Abgeordneten den demokratischen Spielregeln ent­ spricht oder eben nicht. Gegebenen­ falls schreiten wir ein. MJ Derzeit greifen Reichsbür­ ger und andere Rechte die de­ mokratische Verfassung in die­ sem Land an. Ist Ihr Engagement als Richter ein Statement für den demokratischen Rechtsstaat? AD Sonst würde ich es nicht machen, ganz klar. Als ich seinerzeit gefragt wurde, hatte ich gerade einen Doku­ mentarfilm über einen Landtagsab­ geordneten der CDU gedreht, den Hinterbänkler Henryk Wichmann [Herr Wichmann aus der dritten Reihe, d. Red.]. Ein Jahr lang durfte ich ihn bei seiner täglichen Arbeit begleiten und habe gemerkt, was für ein Kno­ chenjob das ist. Als Bürger macht man sich das oft leicht und sagt: Das sind doch alles Idioten, die Politiker kriegen nichts gebacken. Wie die bei­ den motzenden Herren in der Muppet Show. Demokratie funktioniert aber nur, wenn alle mitmachen. Ich habe

mich selbst gefragt: Was tue ich ei­ gentlich? Und ich fand mein Engage­ ment nicht hinreichend. Als dann die Anfrage vom Verfassungsgericht kam, war das eine wunderbare Mög­ lichkeit, mich aktiv einzubringen. Mitt­ lerweile habe ich am Gericht oft er­ lebt, wie dankbar Bürger für unsere Arbeit sind. MJ In Ihrer neuen Inszenierung, Giacomo Puccinis La fanciulla del West, geht es auch um Selbst­ justiz. Ist das Thema für Sie eher archaisches Erbe, oder hat das etwas mit uns heute zu tun? AD Selbstjustiz in Form von Aufbe­ gehren von Bürgern – das ist leider etwas Heutiges, ganz klar. Puccinis Oper spielt in einer archaischen Welt. Rechtsstaatliches Handeln findet hier kaum statt, stattdessen soll gleich im ersten Akt jemand gehängt wer­ den, der Sheriff schreitet im letzten Moment ein. Im dritten Akt ist es dann Minnie, die Barfrau, die aus Liebe das Schlimmste verhindert. MJ Warum handeln die Men­ schen in der Oper so, wie sie handeln? AD Je schwieriger die Umstände, je krasser die sozialen Kontraste, desto bedrohlicher wird es. Gewalt bricht dann schneller aus, und davon handelt ja die Geschichte: Da sind Leute ver­ sammelt, die am unteren Ende der Gesellschaft hocken. Arme Schweine sozusagen, die irgendwie versuchen, ein Stückchen Glück abzubekommen. Die haben Heimweh, schlagen sich ihre Zeit mit Glücksspiel tot, und ihre letzte Hoffnung und Freude ist die ein­ zige Frau vor Ort: Minnie. Die Szenerie erinnert an eine Flüchtlingsunterkunft oder irgendwelche Arbeitslager in Ka­ tar, wo die Fußballstadien von den Ärmsten der Armen gebaut werden. In einer solchen Männerwelt ist plötz­ lich jeder auf sich gestellt. Soziale Kommunikation kann sofort in nackte Gewalt umschlagen. Die Getretenen treten irgendwann zurück.


In Chemnitz richtete sich zu­ letzt nach einer tödlichen Ge­ walttat die Aggression gegen unschuldige Sündenböcke. Leute zogen los und griffen Menschen an, die sie für Ausländer hielten. Erschreckt Sie, was gerade in Ostdeutschland passiert? AD Durchaus, aber ich sehe auch furchtbar viele Klischees über Ost­ deutschland. Ja, das war ein großer Aufmarsch von Rechten, die teilweise aber auch aus anderen Regionen an­ gereist sind. Es gibt in diesen Orten trotzdem überall eine gut funktionie­ rende Zivilgesellschaft und Gegenbe­ wegungen. Mir ist es auch zu einfach, alle Beteiligten an solchen Demon­ strationen immer gleich als rechten Mob zu stigmatisieren. Damit macht man die Sache nur noch schlimmer und treibt die Menschen in die Hände der AfD. Die Leute in diesen Städten sind zum Teil unzufrieden mit ihrer Situation. Das hat ganz verschiedene Ursachen. MJ Welche denn? AD In Cottbus, wo es auch Demos gab, hatte es beispielsweise damit zu tun, dass der Ausländeranteil plötz­ lich stark nach oben geschnellt ist, weil die Stadt sich darum bemüht hat­ te, dass mehr Flüchtlinge kommen, MJ

Zu Giacomo Puccinis La fanciulla del West Im Bereich des geltenden Rechts berührt Giacomo Puccinis La fanciulla del West grundlegende Fragen: Was, wenn der Rechtsrahmen allein durch das Recht des Stärkeren bestimmt wird, der einzige Rechtsvertreter, der Sheriff, befangen und das Standrecht ohne richterliches Verfahren harte Realität ist? – In einem Goldgräberlager in Nordamerika ist die Hoffnung auf Reichtum längst an der Realität zerbrochen. Aus Angst vor dem Verlust der letzten jämmerlichen Ersparnisse herrscht inzwischen ein System, in dem jeder Einzelne glaubt, das Recht selbst in die Hand nehmen zu können. Und die einzige weibliche Figur in einer Männerwelt, die Wirtin Minnie, verliebt sich ausgerechnet in einen Mann, der sich außerhalb der Rechtsordnung bewegt. Gibt es in einer solchen Situation Frieden oder Ausgleich? Ist die Liebe stärker als das Faustrecht? Welche Utopien sind überhaupt noch denkbar? Wo ist das Humane, die Chance auf das Verzeihen?

um den Status einer Großstadt zu erhalten. Die jungen Männer, die dann meist kamen, langweilten sich in den schlechten Flüchtlingsunterkünften, lungerten in der Stadt rum. Vor dem Einkaufszentrum kam es zu Range­ leien mit den Jugendlichen des Ortes. Ältere Menschen fühlten sich verunsi­ chert und bedroht. So kippte nach und nach die Stimmung in Richtung Kon­ frontation. Diese schwierigen Fragen von Migration und den damit verbun­ denen Konflikten kann man nicht mit einfachen Parolen und Schuldzu­ weisungen begegnen. Die Bürger

„Authentizität   gibt es aber nicht in der Kunst. Es wird immer konstruiert und weggelassen, alles höchst subjektiv.“

Interview Michael Kraske

müssen mit ihren Sorgen und Ängs­ ten ernst genommen werden, genau­ so wie die Flüchtlinge, die mit berech­ tigten Hoffnungen zu uns kommen. MJ In Chemnitz war aber doch erschreckend, dass sich auch scheinbar normale Bürger den Neonazis und deren rechtsextre­ men Parolen anschlossen. Stu­ dien zeigen: Im Osten gibt es mehr Fremdenfeindlichkeit und größere Demokratiefeindlichkeit. Was ist Ihre Erklärung dafür? AD Ich bin kein Politiker und auch kein Soziologe. Aber sicher hat es auch etwas mit den Jahren der Nach­ wendezeit zu tun, die viele Menschen im Osten verunsichert haben. MJ Teilen Sie den Eindruck, dass ostdeutsche Sichtweisen zu lan­ ge ignoriert wurden? AD Ja, definitiv. Und das setzt man jetzt fort. Alle Ostdeutschen werden generalisiert in Haft genommen für ein paar Bekloppte, und das vergrö­ ßert diese Mauern, die es sowieso gibt. Es gibt viele Leute im Osten, die sich wie Bürger zweiter Klasse fühlen. Ich kenne viele, insbesondere der äl­ teren Generation, die nach dem Mau­ erfall das Gefühl hatten, dass ihre 40 Jahre Leben in der DDR quasi nichts wert sind. Das fängt mit der fehlenden

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Angleichung der Renten und Löhne an und setzt sich darin fort, dass fast dreißig Jahre nach dem Mauerfall Westdeutsche immer noch die meisten Schlüsselpositionen besetzen. Hinzu kommt: Die Leute im Osten haben sich inzwischen mühsam etwas erarbeitet. Man handelt daher in so einer Art Protektionismus dem eigenen Leben gegenüber. MJ Was meinen Sie damit? AD Viele haben sich nach der Wende ein komplett neues Leben aufgebaut, und da wollen sie jetzt nicht mehr dran rütteln lassen. Und sie haben die Werte unserer heutigen Gesellschaft verinnerlicht, die nicht gerade für Solidarität stehen. Das spielt psychologisch sicher eine Rolle, auch wenn es nicht alles erklären kann. MJ In diesen unruhigen Zeiten streiten Künstler wieder: einmischen und politisch engagieren oder heraushalten und Kunst machen. Was ist Ihre Haltung? AD Um mich öffentlichkeitswirksam zu äußern, muss ich nicht mit Parolen auf der Straße stehen. Überhaupt sind Parolen in der Kunst nicht angebracht. Wir haben nicht ohne Grund zwölf Jahre an einem Film wie Gundermann gearbeitet, damit er eine differenzierte Sicht beinhaltet. Man kann durchaus Stellung beziehen, aber auf subtile Art. Was keineswegs heißt, unpolitisch zu sein. Wenn es aber nötig wird, Grundwerte zu verteidigen, muss man auch zu anderen Mitteln greifen und wieder auf die Straße gehen. Beispielsweise wenn eine Zeit anbricht, in der es darum geht, Kunst überhaupt frei ausüben zu können. MJ In Filmen wie Halbe Treppe oder Sommer vorm Balkon überzeugt Ihr quasidokumentarischer Blick, mit dem Sie Ihrem Personal nahekommen. Die Oper ist dagegen immer auch große Geste. Was können Sie mit der Oper besser als im Film?

Andreas Dresen

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Oper ist eine komplette Kunstwelt, die für mich sehr reizvoll ist. Einmal da­ von abgesehen, dass die angesproche­ nen Filme den dokumentarischen Blick ja auch mehr behaupten, als wirklich dokumentarisch zu sein. Bei meinen Filmen heißt es ja häufig: Die sind so authentisch. Authentizität gibt es aber nicht in der Kunst. Es wird immer kon­ struiert und weggelassen, alles höchst subjektiv. Auch in den genannten Fil­ men gibt es ganz magische, „unwirk­ liche“ Elemente – Erfindungen, Über­ höhungen. Verfremdungseffekte sind mir also nicht neu. Es geht darum, in der Übersetzung den Eindruck zu ver­ mitteln, das Gezeigte wäre wahrhaftig. Das kann man auf der Bühne auch machen. MJ Was reizt Sie an der Opern­ bühne? AD Auch in der Oper kann man Ge­ schichten so erzählen, dass sich Reali­ tät wiederfindet. Aber klar ist: Die Bühne braucht Übersetzung, sie ist ein Kunstraum. Ich muss mich dazu verhalten, dass die Geschichten in der Oper auf seltsame Art verdichtet und konstruiert sind. Es ist eine eigene Kunstform, der man entsprechen muss. Ich würde keine Bühneninsze­ nierung so klein und psychologisch anlegen wie beim Film. Aber es macht Spaß, Wege und Formen der Ver­ größerung zu finden, die es dem Zu­ schauer trotzdem gestatten, emotio­ nal anzudocken. MJ Wie kommen Sie zu Ihren Inszenierungen? AD Bei der Oper spielt die Musik die Hauptrolle. Als Regisseur bin ich de­ finitiv schlecht beraten, wenn ich der Musik nicht folge. Wie soll ich denn gegen einen Mozart oder Richard Strauss oder Puccini aninszenieren? Das sind Meister ihres Fachs, die zie­ hen alle Register. Die erste und größte Interpretation des Librettos liegt ja schon in der Musik. Da muss ich als Regisseur aufmerksam folgen und mich dazu verhalten. AD

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Welchen Ton gibt Puccini denn für La fanciulla del West vor? AD Einen ganz schön düsteren Ton und in Breitwand. Viel Wehmut, viel Traurigkeit. Die Musik ist erstaunlich modern und vielfarbig und sie folgt der Handlung konsequent im Parlan­ do. Wie in einem Theaterstück. Ganz anders als in diesen Opern, bei denen alle sagen: Jetzt kommt die berühmte Arie, und dann gibt es möglichst noch Szenenapplaus. Das finde ich immer ganz schrecklich. In Fanciulla gibt es eigentlich keinen wirklichen Hit. Die Musik ist konsequent Teil der Erzäh­ lung und drängt sich nicht auf den ersten Blick durch eingängige Melo­ dien in den Vordergrund. Aber je öfter ich sie höre, desto mehr Wundervolles entdecke ich da drin. MJ Warum bleiben Sie nicht bei der Kulisse des Goldrauschs, sondern holen die Handlung in die Gegenwart? AD Wir wollen kein historisches Kos­ tümfest veranstalten. Goldgräber kennt man ja mit Cowboystiefeln, in einigen Inszenierungen laufen dann auch gerne mal Pferde über die Büh­ ne. Bei uns nicht. Ich finde, dass der Stoff sehr viel soziale Substanz hat. Da ist dieses Umschlagen von Kum­ panei in Aggression, totale Bosheit. Wo die Ärmsten der Armen unter sich sind, ist wenig Raum für Freundlich­ keit. Das erzählt viel über die Welt. Also spielt die Oper bei uns in einem Bergwerk, das überall sein kann. In La fanciulla del West steht mit Minnie eine Frau im Mittelpunkt, die nicht nur Bardame ist, sondern auch Bibel­ kurse gibt und versucht, irgendwie menschliche Werte hochzuhalten. MJ Aber auch Minnie ist keine Lichtgestalt, sondern eine, die mit gezinkten Karten spielt. AD Sie ist natürlich auch von der Welt geprägt, in der sie lebt. Lichtgestalt ist sie nur in der Projektion der Männer. Aber auch sie ist sozial ganz unten. Dennoch eine, die sich ihrer Haut zu MJ

wehren weiß. Die Männer überhöhen sie, weil sie die einzige Frau in ihrem Leben ist. Alle sind in sie verliebt, und das weiß sie auszunutzen. Die andere Hauptfigur, Johnson, kommt an diesen Ort, um zu klauen. Um Liebe geht es erst später. Johnson lügt, er sagt nicht, wer er wirklich ist. Alles ist in der Ge­ schichte auf falschen Schein gebaut. Deswegen finde ich den Schluss auch sehr schwierig: Minnie und Johnson reiten in eine strahlende Zukunft? Das kann ich nicht so richtig glauben. MJ Ohne zu viel zu verraten – Sie haben ein anderes Ende? AD Wir werden das wohl etwas an­ ders spielen, ja. Eine Beziehung, in der es Verrat gab und Lüge. Was haben die beiden denn vor sich: Sie verlässt ihren Job. Er hat sowieso keinen. Ich glaube nicht, dass es so einfach wird. MJ Scheitern, Selbstjustiz, Ge­ walt. Die großen Probleme und falschen Lösungen der Menschheit scheinen immer wiederzukehren. Warum fällt es uns eigentlich so schwer, von Geschichte und Ge­ schichten zu lernen? AD Immerhin, ein wenig hat die Menschheit ja schon gelernt: Die Welt befindet sich nicht mehr im Mit­ telalter, es gibt viele demokratisch strukturierte Länder. Allerdings ist der Schritt zur Barbarei leider näher, als wir denken, wie uns das soge­ nannte Dritte Reich gezeigt hat. In­ dem wir in der Kunst den Zustand der Welt reflektieren, können wir aber auch einen kleinen Beitrag leisten. Vielleicht macht das die Welt nicht grundsätzlich besser, das kann man von einem Kunstwerk auch nicht er­ warten. Aber es kann die Seelen der Menschen berühren und versuchen, ihren Blick ein kleines bisschen zu schärfen, möglicherweise auch zu ändern. Kultur bedeutet soziale Kom­ munikation. Wenn es die nicht mehr gibt, erstarrt die Gesellschaft. MJ Ist die Oper Ihr künstleri­ sches Risiko?


Schon. Das ist zwar meine vierte Produktion, aber ich sehe mich nach wie vor als Anfänger. Das ist für mich ein völlig anderes Medium und nach wie vor Neuland, ich bin kein abgebrühter Profi. Aber ich habe auf und hinter der Bühne zum Glück mit großartigen, in diesem Bereich erfahrenen Menschen zu tun. Regie zu führen, ist ja schönerweise keine einsame Arbeit. An der Bayerischen Staatsoper habe ich tolle Partner, die mit Lust und frei von Zynismus etwas Gemeinsames erschaffen, die mit mir die Freude teilen, etwas Neues zu erfinden, auszuprobieren und ja – auch gemeinsam ins Risiko zu gehen. AD

Mehr über den Interviewer auf S. 8

Andreas Dresen studierte von 1986 bis 1991 Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg und war anschließend Meisterschüler von Günter Reisch an der Akademie der Künste in Berlin. In Filmen wie Nachtgestalten, Halbe Treppe, Sommer vorm Balkon, Wolke 9, Halt auf freier Strecke und zuletzt Gundermann entwickelte er eine unverwechselbare Filmsprache, mit der er seit Ende der 1990er Jahre die deutsche und internationale Filmlandschaft prägt. Seine Arbeiten wurden u. a. bei den Filmfestspielen in Cannes und der Berlinale ausgezeichnet, außerdem erhielt er für mehrere seiner Filme den Deutschen Filmpreis, den Grimme-Preis und den Bayerischen Filmpreis. Als Theaterregisseur inszenierte er in Cottbus, Leipzig und am Deutschen Theater in Berlin. Als Opernregisseur trat er erstmals 2006 mit Don Giovanni am Theater Basel in Erscheinung. An der Bayerischen Staatsoper inszenierte er in der Spielzeit 2014 / 15 Richard Strauss‘ Arabella.

S. 52: B4 Zeltlager / E21 Entgrenzung nach Frankreich, 2016, Lenbachhaus München S. 56: B6 Je suis Charlie / E19 La perspective ralentie, 2015, Galerie Jo van de Loo S. 59: B5 La Déclaration de la théorie parc / E21 Entgrenzung nach Frankreich, 2016, Sammlung Eva Pötters Alle Bilder © Andreas Chwatal. La fanciulla del West Oper in drei Akten Von Giacomo Puccini Premiere am Samstag, 16. März 2019, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 30. März 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

Zeichnungen Andreas Chwatal

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Die erstickte Mahnung 1933 beging Ernst Krenek eine Verzweiflungstat. Man könnte auch sagen, er unternahm einen Bestechungsversuch, und dies ausgerechnet zu Weihnachten. Auf Anraten des Verlegers Hans Heinsheimer fügte er in den bereits fertigen Klavierauszug seiner zur Uraufführung anstehenden Oper Karl V. ein ergänzendes Blatt ein. Es enthielt den Zusatz „Dieses Werk widme ich der Wiener Staatsoper und ihrem Direktor Clemens Krauss“, – eine diplomatische Wendung, zielte sie doch auf die Institution beziehungsweise den Dirigenten, von denen nicht nur der Anstoß zur Komposition ausgegangen war, sondern die sich auch bereit erklärt hatten, das anspruchsvolle Bühnenstück aus der Taufe zu heben. Und Krenek legte noch nach, indem er der gedruckten Widmung eine handschriftliche folgen ließ: „Und überreiche Ihnen dieses Exemplar in der Erwartung großer Taten zum Zeichen freundschaftlichster Erinnerung, ergebenst, Ernst Křenek“. Zudem ergriff der Komponist eine flankierende Maßnahme. Er ließ einige Exemplare des Klavierauszugs edel einbinden, um sie – gleichfalls mit persönlichen Widmungen – an hochgestellte Persönlichkeiten zu verschicken: unter ihnen Engelbert Dollfuß, der wenige Wochen später ermordete Bundeskanzler Österreichs, und Kardinal Innitzer, der Erzbischof von Wien. Kreneks „Bestechungsversuch“ lief jedoch ins Leere. Selbst sein Kniefall vor Clemens Krauss und den anderen Prominenten konnte nicht verhindern, dass Karl V. bei schon laufenden Proben, also noch vor der Uraufführung, abgesetzt wurde. Der Komponist hatte das Unheil kommen sehen. Aus eben diesem Grund wollte er mit den handschriftlichen Widmungen ja gute Stimmung machen, um so die Uraufführung zu retten. Aber offenkundig unterschätzte er die Macht und den Einfluss seiner Gegner, die vor allem aus dem Dunstkreis der sogenannten Heimwehr stammten, jenes paramilitärischen Verbandes, der sich gleich nach dem Ersten Weltkrieg gegründet hatte. Zu dessen rechtskonservativen und antisemitischen Mitgliedern gehörten auch zwei Musiker: Hugo Burghauser, der im Orchester der Staatsoper als Fagottist wirkte, und Joseph Rinaldini, ein Komponist, der wie Krenek bei Franz Schreker studiert hatte, jetzt aber zahlreiche Funktionärsposten bekleidete und sich auch publizistisch betätigte. Beide nahmen Clemens Krauss nun regelrecht in die Zange. Burghauser wiegelte seine Orchesterkollegen auf, sich der Uraufführung von Karl V. zu widersetzen, Rinaldini hetzte in den Medien gegen das Werk. In der Folge

Er hatte noch mal alles versucht: Über die Entstehungsgeschichte von Ernst Kreneks Bühnenwerk Karl V. – und warum es 1934 nicht zur Uraufführung kam.

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„Und überreiche Ihnen dieses Exemplar in der Erwartung großer Taten zum Zeichen freund­ schaftlichster Erinnerung, ergebenst, Ernst Křenek.“ Diese Worte ergänzte Ernst Krenek handschriftlich auf dem Klavierauszug seiner Oper Karl V. für Clemens Krauss, den designierten Dirigenten der für 1934 geplanten, dann abgesagten Uraufführung. (Privatbesitz Matthias Henke)

distanzierte sich Krauss Schritt für Schritt von Krenek. Zunächst ließ er verdächtig lange nichts von sich hören, dann jammerte er über zu wenig Probenzeit, später verlangte er Nachbesserungen. Aber obwohl Krenek nahezu all seinen Wünschen entsprach, sagte Krauss die für den Februar 1934 angesetzte Uraufführung schlussendlich ab. Den Nährboden für die von Burghauser und Rinaldini verantwortete Kampagne bot zweifelsfrei Kreneks 1927 uraufgeführte Oper Jonny spielt auf, ein Sensationserfolg, der das Publikum als eine der meistgespielten Opern der späten 1920er Jahre in Europa begeistert hatte. Dass hier ein schwarzer Jazzmusiker als Titelheld agierte und sich Krenek an den Idiomen der amerikanischen Unterhaltungsmusik orientierte, war den beiden Chauvinisten ein Dorn im Auge. Mehr noch dürfte sie allerdings Kreneks musikalischer Sprachwechsel erzürnt haben. Hatte er eben noch eine neoromantische Phase durchlebt, die in seinem Schubert-nahen Reisebuch aus den Österreichischen Alpen (1929) gipfelte, so bediente er sich jetzt, in Karl V., eines ultramodernen Verfahrens: der Methode, mit „zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ zu komponieren, wie ihr Urheber Arnold Schönberg es formulierte, also Klänge jenseits von Dur oder Moll zu gestalten. Die „willigen Vollstrecker“ aber, die Burghausers und Rinaldinis und wie sie alle heißen mochten, witterten in diesem rein musikalisch begründeten Vorgehen so etwas wie „jüdische Zersetzung“, wenn nicht gar „Weltverschwörung“. Nach dem Desaster mit Clemens Krauss und der Wiener Staatsoper befand Krenek sich sozusagen im Auge des Taifuns, in einem gefährlichen Wirbel aus privaten, schöpferischen wie politischen Problemen, dem standgehalten zu haben wiederum seine mentale Stärke bezeugt. Privat, weil der im Jahr 1900 Geborene das zuvor geführte, bohemehafte Wanderleben, das ihn beruflich etwa nach Berlin, in die Schweiz, nach Kassel und Paris geführt hatte, hinter sich lassen wollte, sich ein behagliches Nest ersehnend, das er in seiner Heimatstadt Wien zu finden hoffte – letztlich vergeblich. Schöpferisch, weil er nach seinen zahlreichen Klangerkundungen – den Ausflügen in die Neoklassik, dem Spiel mit der Atonalität, dem Kokettieren mit sogenannten leichten Genres (etwa der Operette) oder der Neuen Sachlichkeit – sich auch kompositorisch

Text Matthias Henke

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nach einer neuen Heimat sehnte, nach einem Gehäuse der Stabilität. Und politisch, weil er, der sich selbst als eher konservativ einstufte, seit der Machtergreifung Ende Januar 1933 auf den Schwarzen Listen der Nationalsozialisten stand, denen er seit eh und je mit großer Abscheu begegnet war. Es hat den Anschein, als habe sich Krenek in jenen stürmischen Zeiten der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre mit Karl V. so etwas wie eine Arche Noah bauen wollen, um den erahnten Tsunamis trotzen zu könAllmählich kam Ernst Krenek dem Wesen Karls nen. In diesem Zusammenhang ernäher: seiner Tragik, die gespaltene Christenkundete er, weitgehend auf sich allein gestellt, die Möglichkeiten der heit nicht wieder einen zu können; aber auch Zwölftonmusik nach Art der Wieseiner menschlichen Größe, die sich im Einner Schule. Anfangs stand er ihr durchaus skeptisch gegenüber. geständnis des eigenen Scheiterns und dem Doch nach und nach entdeckte er Verzicht auf die Kaiserwürde offenbarte. ihr Potenzial, ihren unendlichen, naturhaften Variantenreichtum. Zu einer weiteren Tiefenbohrung setzte Krenek an, nachdem ihm Clemens Krauss anfang der 1930er Jahre vorgeschlagen hatte, ein Bühnenwerk über eine historische Persönlichkeit zu schreiben. Der Komponist, der die Textbücher seiner Opern in aller Regel selbst verfasste, wählte Kaiser Karl V., eine Gestalt, die ihn seit seiner Schulzeit fasziniert hatte. Um dem Weltenherrscher und seinen Taten gerecht zu werden, studierte Krenek in der Österreichischen Nationalbibliothek monatelang die einschlägigen Quellen. Allmählich kam er dem Wesen Karls näher: seiner Tragik, die infolge der Reformation gespaltene Christenheit nicht wieder einen zu können; aber auch seiner menschlichen Größe, die sich im Eingeständnis des eigenen Scheiterns und dem Verzicht auf die Kaiserwürde offenbarte. „Gott, der Herr, verlangte von mir“, lässt Krenek Karl V. gleich zu Beginn seines Bühnenwerks sagen, „daß ich die Welt im Zeichen Christi einige, nachdem er durch Columbus uns das Wissen um die Ausdehnung der Erde geschenkt. Von Spanien aus […] sollte ich den Geist ausgießen über den Ozean der menschlichen Vielheit, daß sie zur Einheit werde.“ Es dürfte Krenek wie eine Art Erleuchtung erschienen sein, als ihm der Gedanke kam, die frisch gewonnenen Einsichten in die Zwölftonmethode mit dem jüngst erworbenen Wissen über Karl V. kurzzuschließen. Nach der Zwölftonmethode bildet man aus einer einzigen Reihe eine unüberschaubare Zahl von Varianten, etwa durch Spiegelungen und Transpositionen. Deutet man diese Methode als einen Garanten für die musikalische Einheit, die durch die Möglichkeit immer wieder anderer Reihenbildungen Vielfalt zulässt, dann könnte Kreneks Musik quasi symbolisch die Ideenwelt des Kaisers repräsentieren – ein faszinierender Ansatz, den der Komponist radikal umsetzte. Auf diese Weise schuf er die erste (komplett) nach der Zwölftonmethode komponierte Oper. Bahnbrechend geriet ihm allerdings nicht nur die Musik. Auch sein Textbuch stand der Moderne nahe. Hier ist vor allem der Kunstgriff zu erwähnen, den Kaiser eine Lebensbeichte ablegen zu lassen, während der er die wichtigsten Stationen seines Wirkens erläutert – eine dramaturgische Technik des Kinoenthusiasten Krenek, die an filmische Rückblenden

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Premiere Karl V.


erinnert. Und dass er dem Übermächtigen einen jungen, unerfahrenen Mönch an die Seite stellte, einen Beichtvater namens Juan de Regla, der ungeniert nachfragte, wenn er den kaiserlichen Darstellungen nicht folgen konnte, erinnert an das epische Theater des von Krenek wenig geschätzten Bertolt Brecht, speziell an dessen Lehrstücke. Karl V. lässt vor seinem geistigen Auge Luther vorüberziehen, der sich und seine Lehre vor ihm verteidigen musste – so geschehen 1521 in Worms. Aber er hat nicht nur gegen die ihm als gefährliche Front erscheinende Protestation zu kämpfen, sondern auch gegen manchen Katholiken von Stand, etwa gegen den französischen, nationalistisch eingestellten König Franz I., dem Übergeordnetes wie die Einheit des Christentums nur wenig gilt. Gefahren drohen zudem aus dem Orient, schicken sich doch die Osmanen an, ihren Machtbereich zu vergrößern. Gewiss, Krenek mochte sich mit dem gestrauchelten Kaiser teilweise identifiziert haben, weil er sich selbst als rastlos Suchenden empfand, als jemanden, der stets an den eigenen Ansprüchen zu scheitern vermeint. Auch konnte er bei der Abfassung des Textbuches seinen privaten, geschichtlich orientierten Interessen nachgehen. Dennoch ist Karl V. kein persönliches Bekenntnis. Vielmehr schildert Krenek mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln jene Gefahren, welche Gesellschaften drohen, die sich aus ideologischen oder religiösen Gründen aufspalten oder sich bedingungslos einem Heilsbringer unterwerfen. Er formulierte seinen Appell vor dem Hintergrund des erstarkenden Nationalsozialismus. Obwohl die braune Bewegung Österreich seinerzeit schon infiltriert hatte, bekämpften sich die Linken und die Konservativen des Landes bis aufs Messer und verloren den wirklichen Feind aus dem Blick. Die Übertragung einer solchen Situation auf das aktuelle Geschehen liegt nahe, so nahe, dass sie hier nicht geleistet werden muss. Wohl aber gilt es, an dieser Stelle die grandios gestaltete Schlussszene der Oper zu erwähnen, in der Krenek dem Orchester eine Art Uhrenticken entlockt, um das Sterben des dahinwelkenden Kaisers zu begleiten – ein klingendes Mahnmal der zerrinnenden Zeit, ein Memento mori, das die Frage provoziert, ob es noch fünf vor zwölf oder nicht gar schon zu spät ist.

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Matthias Henke ist Professor für Historische

Epilog

Musikwissenschaft an der Universität Siegen. Er ist unter anderem Wissenschaft­ licher Beirat der Ernst Krenek Institut Privatstiftung. Zu seinen Forschungsschwer­ punkten gehört die Musik der (österrei­ chischen) Moderne, zuletzt veröffentlichte er Schönheit und Verfall. Beziehungen zwischen Thomas Mann und Ernst Krenek, 2015.

Nach dem Scheitern der für Februar 1934 in der Wiener Staatsoper angesetzten Uraufführung verstrichen fünf Jahre, bis Kreneks Karl V. erstmals über die Bühne ging: so geschehen in Prag, im Neuen Deutschen Theater, am 22. Juni 1938. Die Verantwortlichen, der Intendant Paul Eger, der Dirigent Karl Rankl und der Regisseur Friedrich Schramm, wollten mit ihrer Inszenierung nicht zuletzt ein politisches Zeichen setzen: gegen Hitler und seine Expansionspolitik, die im März des Jahres zum „Anschluss“ Österreichs geführt hatte. Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht bedeutete für Krenek, der sich gerade auf der Rückreise von einer USA-Tournee befand, Österreich erst nach dem Zweiten Weltkrieg wiedersehen zu können. Zur großen Enttäuschung seiner Kollegen blieb er der Prager Uraufführung fern: aus organisatorischen Gründen, aber auch aus Furcht, er, der gerade durch Europa irrte, könne in Prag oder auf dem Weg dorthin in die Hände der Nazis fallen. Nach Monaten der Ungewissheit bestieg er am 20. August 1938 in Le Havre ein Schiff, um eine Woche später offiziell in die USA einzuwandern.

Karl V. Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen Von Ernst Krenek Premiere am Sonntag, 10. Februar 2019, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live­Stream der Vorstellung am Samstag, 23. Februar 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

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Collagen Yvonne Gebauer


Verliebt, doch eben nicht in dich



Privilege Ein Portfolio von Amalia Ulman






Amalia Ulmans hier vorgestellte Arbeit Privilege basiert auf einer InstagramPerformance, die sie Ende 2015 begann und die bis zu den US-Präsidentschaftswahlen 2016 dauerte. Die Künstlerin (geb. 1989) nahm eine theatralische Version von sich selbst ein und entwickelte eine Geschichte um den Arbeitsplatz, dessen oft identitätsstiftendes Erscheinungsbild sie in geradezu verstörenden Motiven aufbricht. Als Rahmenbedingung schuf sie eine Bürosituation, ein Corporate Office in Los Angeles. Das Büro diente nicht nur als Kulisse, sondern war zugleich auch Atelier – impliziert ist dabei, dass die Funktionen und Identitäten von Künstlerin und Dartstellerin verschwimmen. Wie Ulman selbst sagt: „Im Mittelpunkt der Performance standen Vorstellungen von Ambiguität und Erwartungen.“ Kontrastierend zum stereotypen Bild der „harten“ Arbeitswelt, von männlicher Macht und Legitimität steht ihre fiktionale Schwangerschaft und die Einführung von Nebenfiguren, wie Bob, der Taube, die zum Berater und Freund wurde. Schon in ihrer Arbeit Excellences & Perfections (2014) arbeitete Ulman mit Instagram und dem darin vermittelten Bild. Dort nahm sie fiktive Charaktere an und führte ihren Followern ein erdachtes, ästhetisiertes Leben vor. Mit Privilege hinterfragt sie nicht den Authentizitätsanspruch dieses Mediums, sondern schafft eine Geschichte, die das Verhältnis von Konsum und Identität untersucht und die Verfasstheit unserer medialisierten Gesellschaft offenlegt. Mehr über die Künstlerin auf S. 8

Amalia Ulman, Privilege, 2015–2018 Courtesy the artist, Arcadia Missa, London, Deborah Schamoni, München

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Christoph Brech

Mailand Luzern Dortmund Bonn Paris Luxemburg Wien München Frankfurt Hamburg New York

Das Bayerische Staatsorchester unterwegs: Mit Kirill Petrenko in den Konzertsälen der Welt

Einblicke in das Innenleben des Orchesters mit Photos von Christoph Brech Die Musiker und ihr Dirigent: beim Einspielen hinter der Bühne, bei den Proben, in den Garderoben und Technikräumen und während der Konzerte

76 Farbphotographien von Christoph Brech Mit Texten von Nikolaus Bachler und Reinhard Brembeck 176 Seiten, gebunden ISBN 978-3-8296-0851-0 € 39,80

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Verhandeln im Krieg Gerade in einer Welt, in der Verträge aufgekündigt und Waffenstillstandsabkommen gebrochen werden, braucht man sie: die Krisendiplomatie. Die Schweizer Botschafterin Heidi Tagliavini spricht im Interview darüber, warum allgemein verbindliche Regeln, Texte und Verträge unverzichtbar sind, und wie man sie aushandelt. MAX JOSEPH Frau Tagliavini, in Syrien wird seit Jahren gekämpft, im Jemen ebenso. Die Ukraine – wo sie selbst an Verhandlungen beteiligt waren – kommt nicht zur Ruhe. Verlieren Sie nicht manchmal den Glauben an die Diplomatie? HEIDI  TAGLIAVINI Nach den beiden Weltkriegen schien es in der Welt einen Konsens zu geben: nie mehr Krieg. Um neue Kriege zu verhindern, sollten alle Dispute am Verhandlungstisch geregelt werden. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts scheint diese Maxime nicht mehr zu gelten: Die Anschläge des 11. September 2001, der Angriff auf die damals größte Macht der Welt, hat alle Sicherheiten zerstört. Heute gibt es mehr Konflikte und mehr Fronten. Und es gibt Politiker, die der Meinung sind, dass man Dispute am besten durch Machtandrohung löst oder durch tatsächliche Gewalt – das ist besorgniserregend. MJ Die USA haben sich aus dem Pariser Klimavertrag zurückgezogen, in der Ostukraine gibt es eine Waffenstillstandsvereinbarung, die täglich gebrochen wird. Lohnen sich internationale Verträge überhaupt noch? HT In bewaffneten Konflikten ist die Antwort eindeutig: Jeder Waffenstillstand – und sei er noch so kurz – verschafft der Zivilbevölkerung eine kleine Insel der Sicherheit. Ohne diese Abkommen verlaufen Kriege völlig unkontrolliert. Und auch ohne Krieg sind in den Beziehungen zwischen den Ländern internationale Verträge wichtig. Sie regeln das friedliche Zusammenleben. Es ist in unser aller Interesse, dass es gewisse Regeln, Texte und Verbindlichkeiten gibt, auf die wir uns verlassen können. MJ Politiker wie Donald Trump oder Wladimir Putin scheinen internationale Absprachen eher hinderlich zu finden. HT Eine solche Politik zerstört, was einst in mühsamer Arbeit aufgebaut wurde. Ich habe erlebt, was passiert, wenn man Konflikte nicht deeskaliert, sondern bis zum Äußersten treibt. Ich habe gesehen, wie Krieg das Leben von Menschen für immer verändert, was es bedeutet, seine Familie und seinen Besitz zu verlieren. MJ Sie haben zwischen den Kriegsparteien in Tschetschenien, Georgien und in der Ukraine vermittelt. Bis heute ist keiner dieser Konflikte vollständig gelöst. Was fühlen Sie, wenn Sie auf Ihre Arbeit zurückblicken? HT Es ist schrecklich, dass in keiner dieser Regionen ein wahrer Friede

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Bruce Nauman, Mean Clown Welcome, 1985, Udo und Anette Brandhorst Sammlung,

Foto: Haydar Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

eingezogen ist. Aber meine Motivation war immer: Wir dürfen nicht aufgeben. Nach jedem gescheiterten Versuch muss man es wieder probieren. Ich selbst habe ein Leben in Frieden und Stabilität gelebt. Gerade weil ich viel Leid gesehen habe, weiß ich, dass das nicht selbstverständlich ist. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber den Menschen, die nicht so viel Glück hatten. MJ Gab es einen Moment, in dem Ihnen das besonders bewusst wurde? HT In meinem ersten Einsatz für den Frieden in einem Krieg im Kaukasus verschwanden immer wieder Männer, auch Zivilisten, die völlig unbeteiligt waren. Söhne, Brüder, Väter kamen einfach nicht mehr nach Hause. Ich war damals Mitglied einer kleinen OSZE-Mission, und wir waren so etwas wie eine Anlaufstelle für Menschen, die ihre Angehörigen nicht mehr ausfindig machen konnten. Einmal kam ein Ehepaar zu uns. Ihr Sohn hatte sich am Neujahrstag auf den Weg zu seiner Großmutter

Interview Alexandra Rojkov

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„Ich habe erst viel später gemerkt, was dieser Konflikt mit mir gemacht hat. Dass ich Feuerwerke zum Beispiel nicht mehr mag, weil sie mich an den Artilleriebeschuss Nacht für Nacht im Krieg erinnern.“ gemacht. Doch der Junge kam nie bei ihr an. Die Eltern haben alles getan, um das Kind zu finden. Sie haben alles abgesucht, sogar einen abgelassenen Stausee, in dem die Leichen verschiedener Opfer des Krieges lagen, ihren Sohn aber auch dort nicht gefunden. Der Ehemann sagte mir, dass er seinen Bart erst wieder schneiden werde, wenn er seinen Sohn gefunden habe. Wir konnten nur ihre Anfragen an die Stellen weiterleiten, die bei dieser Suche behilflich sein konnten. Dieses Erlebnis geht mir bis heute nach. MJ Wie verarbeitet man solche Erlebnisse? HT Sie wären überrascht, wenn Sie wüssten, wie viele innere Kräfte ein Mensch mobilisieren kann. In solchen Momenten funktioniert man einfach, man muss es ja. Ich habe erst viel später gemerkt, was dieser Konflikt mit mir gemacht hat. Dass ich Feuerwerke zum Beispiel nicht mehr mag, weil sie mich an den Artilleriebeschuss Nacht für Nacht im Krieg erinnern. Aber meine Arbeit hat mich bestärkt: Ich wusste, dass das, was ich tue, einen Sinn hat. Auch wenn Waffenstillstandsabkommen oft unbefriedigend sind und immer wieder gebrochen werden: Wir brauchen sie. MJ Sie haben zwischen Parteien vermittelt, die sich kurz zuvor noch militärisch gegenüberstanden. Wie schafft man es, verfeindete Gruppen zu einer Einigung zu bewegen? HT Zunächst einmal ist es wichtig, die Parteien überhaupt an einen Tisch zu bewegen. Denn jedes Schweigen begünstigt eine militärische Eskalation, und das muss man unbedingt verhindern. Das Problem: Oft sind die Ziele der Kriegsparteien eigentlich nicht zu vereinbaren. Beim Konflikt zwischen Georgien und Abchasien zum Beispiel wollte eine Partei Unabhängigkeit und die andere territoriale Integrität. Das sind unvereinbare Positionen. Aber in jedem Konflikt gibt es ein Anliegen, das im Interesse beider Parteien ist. Zum Beispiel: Was geschieht mit den Flüchtlingen? Oder: Wie können wir die zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen, das Stromnetz, die Kanalisation? Ich habe das Gespräch zuerst auf diese Dinge gelenkt. Langsam tastet man sich dann an die schwierigen Fragen heran. Es braucht unglaublich viel Geduld, und man darf sich das nicht anmerken lassen. MJ Warum? HT Krieg ist eine Ausnahmesituation. Alle Beteiligten sind in Alarmbereitschaft, Gespräche verlaufen hochemotional. Ich musste lernen, damit umzugehen, es zu schaffen, dass die Parteien trotzdem zu einer Lösung kommen. MJ Wie gelingt das? HT Ich habe früh gelernt, dass ich Spielregeln einführen muss. Erstens: keine Monologe, niemand darf ununterbrochen eine halbe Stunde lang referieren. Zweitens: keine Anklagen. Man beschimpft sich nicht, sondern spricht über Lösungsmöglichkeiten. Wenn das Gespräch eskaliert, dann unterbricht man es und führt die Kriegsparteien in verschiedene Räume.

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Manchmal habe ich gespürt, dass eine Partei das Ding an die Wand fahren will, dass sie die Verhandlungen bewusst sabotiert. Dann habe ich die Gespräche vertagt, in der Hoffnung, dass die Lage sich beruhigt. Denn eigentlich wissen beide Seiten, dass sie sich einigen müssen. Sie können ja nicht ewig kämpfen. MJ Sie haben fast ausschließlich mit Männern verhandelt. Wie verschafften Sie sich als Frau Respekt? HT Das ist natürlich nicht einfach. Kriege sind eine Männerdomäne, da kommt eine Frau nicht gut an. Da muss man beweisen, dass man der Rolle als unparteiische Unterhändlerin gewachsen ist. Kompetenz in Sachfragen ist wichtig, persönliche Integrität. Wenn eine Partei eine Unwahrheit sagt, muss man zu verstehen geben, dass man weiß, dass das so nicht stimmt – aber immer mit dem Vorsatz, den anderen nicht das Gesicht verlieren zu lassen. So habe ich mir mit der Zeit Respekt

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verschafft. Und ich habe einige Techniken entwickelt. Wenn es besonders laut zuging, habe ich zum Beispiel zwei Glasflaschen aneinandergeschlagen, damit es möglichst viel Lärm macht – schreien dürfen Sie als Frau ja nicht, sonst gelten Sie als hysterisch. Manchmal hilft es auch, eine beson­ ders aggressive Person laut und direkt mit Namen anzusprechen. Darauf reagieren Menschen meist überrascht, und dann muss man einhaken. MJ In Deutschland, ja in ganz Europa herrscht derzeit eine große Pola­ risierung. Haben Sie als Konfliktvermittlerin einen Rat, wie die Menschen sich wieder näherkommen könnten? HT Es ist nicht einfach, mit Menschen, die simple Antworten parat haben, zu sprechen. Mit Konfrontation erreichen Sie da wenig. Besser ist es, nachzufragen: Bist du wirklich sicher, dass dieses oder jenes so ist? Das hat schon viele Konfliktparteien zum Nachdenken gebracht. Gleich­ zeitig ist es wichtig, dass man den anderen respektiert, sich nicht über ihn lustig macht. Und man muss bereit sein, sich mit seinen Argumenten zu beschäftigen. MJ Das heißt, es lohnt sich, mit „den anderen“ zu sprechen? HT Immer. Staaten stehen zum Beispiel manchmal vor der Frage: Reden wir mit Terroristen? Mit jemandem, der Blut an den Händen hat? Ich bin nicht immer überzeugt davon, dass es richtig ist, denn man gibt diesen Menschen damit Legitimität. Aber es ist der einzige Weg, Zugang zu ihnen zu finden. Das gleiche gilt für eine Gesellschaft. Es gehört zu einem elementaren Respekt, dass man den anderen nicht einfach abschreibt. MJ Sie haben während des Tschetschenien­Krieges fotografiert und sogar einen Bildband veröffentlicht. Im Vorwort schreiben Sie, die Kunst habe Ihnen etwas von ihrer „normalen Existenz“ zurückgegeben. Was meinen Sie damit? HT Die Kunst hat mir in schwierigen Situationen Halt gegeben. Nicht nur die Fotografie, sondern auch die Musik. In Tschetschenien hatten wir anfangs keinen Strom, aber sobald wir Elektrizität bekamen, habe ich mir eine CD besorgt: die Klaviersonaten von Scarlatti. Ich wollte nicht, dass meine Welt nur aus Krieg besteht. Man muss versuchen, sich abzugrenzen, aber man darf sich auch nicht allem verschließen. Man sollte immer noch das Schöne suchen, in den menschlichen Begegnungen, in der Kunst. MJ Wie stehen Sie zur Oper? HT Ich bin eine große Opernliebhaberin. Mir gefallen Händel und Mozart, Alexandra Rojkovs Reportagen aber auch die russischen Opern. Ich finde es vor allem beeindruckend, wie wurden mehrfach ausgezeichnet, sich der Zeitgeist in einer Oper spiegelt. In Giuseppe Verdis Aida wird nach unter anderem mit dem CNN Journalist Award für Auslands­ einem Krieg zum Beispiel ein Triumphzug mit viel Pomp dargestellt, also journalismus. Das Forbes Magazine eine Glorifizierung des Kampfes um die sogenannte gerechte Sache. Das zählte sie 2016 zu den dreißig wäre heute undenkbar. Die jüngere Oper widmet sich wieder mehr den besten europäischen Journalisten menschlichen Tragödien und Leiden, aber das kann sich ja auch ändern. unter dreißig Jahren. Die Schweizerin Heidi Tagliavini war über dreißig Jahre lang Diplomatin. 1995 wurde sie mit einer Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach Tschetschenien geschickt und war fortan mehrheitlich in Konflikten eingesetzt. Von 2002 bis 2006 leitete sie als Sonderbeauftragte des UNO­Generalsekretärs Kofi Annan die Beobachtermission der Vereinten Nationen in Georgien. 2008 wurde sie Leiterin der unabhängigen internationalen Untersuchungsmission, die den Kaukasus­ krieg zwischen Georgien und Russland aufarbeitete. Daraus ging der nach ihr benannte Tagliavini­ Bericht hervor. Von Ende 2009 bis Anfang 2010 leitete sie die OSZE­Wahlbeobachtungsmission während der ukrainischen Präsidentschaftswahlen. Im Jahr 2013 erhielt sie den Menschenrechtspreis der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, 2015 das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern.

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Bilder Bruce Nauman


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Als Mitglied des Classic Circle unterstützt PSP seit 2005 die Bayerische Staatsoper.


„Der sterbende Seneca“ und die Autonomie des Rechts Die Themenkonzerte der Bayeri­ schen Staatsoper mit ihrer Verbin­ dung von Musik und Vorträgen an ganz besonderen Orten beschäf­ tigen sich in dieser Spielzeit mit allem, was recht ist. Die Kunsthis­ torikerin Carolin Behrmann hält in diesem Rahmen einen Vortrag über das Verhältnis von Richten und Recht. Am Beispiel von Peter Paul Rubens’ Der sterbende Seneca be­ schreibt sie hier, wie Gemälde uns etwas über die Natur von Gesetzen erzählen können. Was ist der Grund des Gesetzes? Wie ist sein philoso­ phisch unhintergehbares Prinzip zu beschreiben? Ist er überhaupt darstellbar, oder ist es unmöglich, ihn zu zeigen? Man meint, diesen Grund in bestimmten Mo­ menten zu erahnen, wie zum Beispiel in der kurzen Stille während des Auftritts der Verfassungsrichter, in der die Würde dieses Gerichts ins Bild gesetzt wird. Nach dem geordneten Erscheinen der in anachronisti­ sche Roben gekleideten Hüter des Grundgesetzes blei­ ben sie wenige Sekunden schweigend und aufrecht hinter der Bank stehen. Dieser Moment, in dem der Blick geradeaus gerichtet ist, betont zugleich eine grund­ legende Ordnung und Distanz, die mehr ist als jene, welche die Richter zu den im Saal anwesenden – und auch zu den nicht anwesenden – Zuschauern einhalten. Das Gericht konstituiert sich in diesem Bruchteil einer Minute, zeitlich wohlbemessen und gerahmt. Die Wür­ deformel ist eine gründende Geste, keine Floskel, kein totes Ritual, das nur aus Traditionsbewusstsein zitiert wird. Der dann folgende Moment der Urteilsverkündung ist mit seinem zeremoniellen Auftakt untrennbar ver­ bunden. Er braucht die scharlachrote Farbe, das unge­

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wöhnliche Gewand, die Aufmerksamkeit und Distanz­ gewinnung, um die besondere Unantastbarkeit der Grundrechte zu betonen. Auch die Figur des Seneca im Gemälde von Peter Paul Rubens (um 1612 / 13) steht aufrecht dem Be­ trachter gegenüber. Sein vom Alter gezeichneter Körper ist fast ganz entblößt, seine rechte Hand erhoben, um mit einer Geste seine Worte zu bekräftigen, denn er spricht. Er steht in einer tiefen goldenen Schale, und aus seinem linken Unterarm fließt ein dünner, aber kräftiger Blutstrahl in das fast knietiefe Wasser darin. Mit diesem Strahl wird die bemessene Zeit verdeutlicht, die dem Sterbenden noch bleibt. Rubens’ Gemälde Der sterbende Seneca gilt als Doku­ ment einer intensiven Auseinandersetzung mit Senecas philosophischen Werken in neostoizistischen Kreisen nach 1600, für die es damals noch keine Bild­ tradition gab. Viele Details im Bild lassen den Philo­ sophen als einen christlichen Märtyrer erscheinen, etwa das Staunen der Soldaten über seine Standhaf­ tigkeit gegen den tyrannischen Willen. Doch während Märtyrer meist der Grausamkeit der folternden Hen­ ker ausgesetzt sind, erscheint das langsame Sterben des Philosophen frei von jeglicher Agonie, beinahe ruhig. Die Konzentration des neben ihm stehenden Mannes, der bedächtig das langsame Ausbluten des Körpers überwacht und mit einem Band um den Arm reguliert, ähnelt der eines Arztes, der sich um die Schmerzfreiheit seines Patienten bemüht. Seneca wurde von seinem ehemaligen Schüler, dem römischen Thronfolger Nero, in diesen Tod getrieben. Was immer ihn mit Nero, dessen politisches Handeln immer skrupelloser wurde, noch verbunden haben mag, so schrieb er in einer seiner letzten Schriften, dieser Akt habe „die aufgehobene Gemeinsamkeit mensch­ licher Rechtsgrundsätze getrennt“. Senecas un ­ gebrochene Haltung angesichts des tyrannischen Urteils betont die Autonomie des Gesetzes. Rubens verdeutlicht das über eine Verschränkung von Zeitlichkeit und Testament. Während das Blut aus den Adern rinnt und der Körper die Farbe der darunter liegenden Leinwand anzunehmen scheint, diktiert der Philosoph, der auch ein Naturforscher, Dramatiker und Politiker war, seine letzten Worte. Der neben ihm kauernde Schreiber, dessen angespannter Blick zum Sterbenden die Dramatik des Todesmomentes deutlich macht, ist gerade im Begriff, ein Wort festzuhalten, das direkt mit seiner Beobachtung zusammenzuhängen scheint: virtus – die Tugendhaftig­ keit. In dieser Gleichzeitigkeit von Aufschreiben und langsamem Verbluten manifestiert sich die unausweich­ lich fortschreitende Zeit, zugleich aber ebenso die Fort­

Text Carolin Behrmann


Peter Paul Rubens, Der sterbende Seneca, um 1612 / 13, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek, München, bpk | Bayerische Staatsgemäldesammlungen

1. Themenkonzert Vortrag: Gedanken lesen und Verhalten steuern Prof. Dr. Herwig Baier, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried Musik von Ernst Krenek, Isang Yun, Anton v. Webern, Friedrich Cerha Donnerstag, 24. Januar 2019, 19.00 Uhr, Max-Planck-Haus am Hofgarten

2. Themenkonzert Vortrag: Gefährdet Migration wirklich unseren Zusammenhalt? Dr. Fabian Winter, Leiter der Forschungsgruppe „Mechanisms of Normative Change“, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn Musik von Ernst Krenek, Erwin Schulhoff, Franz Schubert, Bohuslav Martinů Samstag, 26. Januar 2019, 19.00 Uhr, NS-Dokumentationszentrum München

3. Themenkonzert Vortrag: Vom Rechten und Richten Dr. Carolin Behrmann, Leiterin der Forschungsgruppe „Nomos der Bilder. Manifestation und Ikonologie des Rechts“ am Kunsthistorischen Institut in Florenz, Max-Planck-Institut

schreibung des Rechts, wobei zwischen dem Sinn und dem Buchstaben des Gesetzes unterschieden wird. Das Nebeneinander von diktierendem Seneca und erkennendem Notar wird als Metapher für die Vorstellung vom Gesetz als Körper und Seele begreifbar, das keinem reinen Buchstabengehorsam folgt, sondern aus einer Vielzahl von Rechtsmaximen hervorgeht, um dem tieferen Sinn und Zweck der Gesetze nachzugehen. Dieses Bild einer Hinrichtung, die mit stoischer Gelassenheit und vorausschauender Sorge für die Weitergabe einer Rechtsidee ertragen wird, zeigt weniger ein „paganes Martyrium“, wie häufig behauptet wird, sondern thematisiert das Verhältnis zwischen Gesetz und Natur über die Antithese von nomos versus physis, Gesetz versus Körper. Nach dieser Antithese sind alle menschlichen Verhältnisse daraufhin zu untersuchen, ob sie Ergebnis willkürlicher Setzung, Institutionalisierung oder Konvention sind. Senecas Tod steht mit zeitgenössischen Reflexionen über Naturgesetz und den Grundpflichten der Bürger in Verbindung sowie mit den Überlegungen zum ethisch-rechtlichen Handeln, die sowohl Gelassenheit gegenüber dem Tyrannen als auch die Freiheit des Individuums fordern. Denn dem Rechtsdenker Hugo Grotius zufolge, der mit Rubens freundschaftlich verbunden war, brauchen Naturgesetze keinen Gott, und das Gesetz bleibt auch funktionsfähig, wenn es von Willkür und Gewalt bedroht ist. Das Recht und die symbolischen Formen, in denen es erscheint, sind notwendige Bedingung für die Menschlichkeit an sich.

Themenkonzerte

Musik von Joseph Haydn, Ernst Krenek, Ernst v. Dohnányi Montag, 28. Januar 2019, 19.00 Uhr, Alte Pinakothek, Rubenssaal

4. Themenkonzert Vortrag: Unwilling or unable? Dr. Paulina Joanna Starski, LL.B., Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg Musik von Alfred Schnittke, Ernst Krenek, Arnold Schönberg Dienstag, 29. Januar 2019, 19.00 Uhr, Justizpalast

5. Themenkonzert Vortrag: Wie komponieren Juristen ihre Texte? Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Schön, Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München Musik von Giovanni Gabrieli, Henry VIII., Ernst Krenek, Kurt Weill u. a. Freitag, 1. Februar 2019, 19.00 Uhr, Allerheiligen Hofkirche

Die Kunsthistorikerin Carolin Behrmann leitet das internationale Forschungsprojekt „Nomos der Bilder. Manifestation und Ikonologie des Rechts“ am Kunsthistorischen Institut in Florenz, das zur Max-Planck-Gesellschaft gehört. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Europäischen Ethnologie war sie Mitarbeiterin am Institut für Kunst- und Bildgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie auch promoviert wurde. Seit 2014 hat sie eine W2-Position innerhalb des MinervaProgramms der Max-Planck-Gesellschaft inne.

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groĂ&#x;artige

Friedensbitte

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Flavio Coelho, Cumulonimbus, Getty Images

Eine


An keinem seiner Werke hat Ludwig van Beethoven so lange gearbeitet wie an der Missa solemnis. Das Auftragswerk sprengte schließlich einen kirchlich­litur­ gischen Rahmen. Die Gründe dafür wird Kirill Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester hörbar machen.

Das „gröste Werk, welches ich bisher geschrieben“ – so bezeichnete Beethoven seine Missa solemnis noch vor ihrer Vollendung. Dieser Super­ lativ ist berechtigt, und er hat viele Facetten. An Umfang sprengt das Werk jede damals geläufige Norm. Vielfalt und Reichtum der in ihm versammelten Musikstile und Ausdruckscharaktere sind einzigartig, und an keinem anderen seiner Werke hat Beethoven so lange gearbeitet wie an der Missa solemnis. Anfangs war das gar nicht abzusehen gewe­ sen. Im Frühjahr 1819 stand fest, dass der habsburgische Erzherzog Rudolph – Beethovens einziger Kompositionsschüler und wichtiger Gönner – im März des folgenden Jahres zum Erzbischof von Olmütz er­ nannt werden würde. Dass er sich für den feierlichen Amtsantritt eine Messe von Beethoven wünschte, war so selbstverständlich wie die Tat­ sache, dass Beethoven diesen Auftrag annahm. Ein Jahr hatte er dafür Zeit. Das überschritt sogar den Zeitrahmen, den er 1807 für seine erste Messe hatte, die Messe in C­Dur op. 86, die er im Auftrag des Fürsten Nikolaus Esterházy geschrieben hatte. Doch es kam anders. Ein Jahr war zu kurz, und am Verlauf der Musik ist das hörend nachzuvollzie­ hen. Der erste Satz, das Kyrie, hält sich noch halbwegs innerhalb der vertrauten Dimensionen, und für seine Form war das überschaubare dreiteilige Strukturmuster durch die dreifache Anrufung („Kyrie eleison / Christe eleison / Kyrie eleison“) traditionell vorgegeben. Spätestens im Gloria aber drohten die Dimensionen und damit auch der Zeitplan außer Kontrolle zu geraten. Während Beethoven dem Erzherzog noch vor Weihnachten 1819 die pünktliche Fertigstellung der Messe ver­ sprach, musste er Anfang 1820 zugeben, dass er noch nicht über die Mitte des ins Riesige angewachsenen Werks hinausgekommen war. Rudolph musste sich für seine Inthronisationsfeier im März 1820 anderweitig behelfen. Das Widmungsexemplar der großen Messe sei­ nes berühmten Kompositionslehrers hielt er erst im Frühjahr 1823 in Händen. Was war geschehen? Vor allem war wohl Beethovens eigener An­ spruch an die Komposition einer Messe seit der C­Dur­Messe von 1807 immens gestiegen, was ihm selbst aber offenbar erst im Verlauf der Arbeit deutlich wurde. Zu den vielen Details der anstrengenden Arbeit gehört, dass sich Beethoven, der das Lateinische nur notdürftig be­ herrschte, mühevoll eine eigene deutsche Übersetzung des Messe­ textes anfertigte, in der er jede Nuance neu ausleuchten wollte. Es lohnt sich, beim Hören auf die musikalischen Konsequenzen zu achten. Viele Eigentümlichkeiten der Missa, die zugleich charakteristische Merkmale von Beethovens Spätstil sind, hängen mit seiner hochdiffe­ renzierten Textauslegung zusammen: so etwa die schroffen Kontraste, durch die im Gloria die beiden Zeilen „Gloria in excelsis Deo“ (strah­ lend und laut) und „et in terra pax“ (dunkel und leise) unvermittelt aufeinanderprallen, oder im Credo die Worte „vivos et mortuos“. Manchmal setzt Beethoven auch archaisierende Stilmittel ein, wie beispielsweise in der geheimnisvoll kirchentonhaften Färbung des „et incarnatus est“. Daneben gibt es Abschnitte wie das Benedictus mit seiner schier endlosen Kantilene der Solo­Violine, die man in ihrem Liebreiz und ihrer Innigkeit spontan ins Herz schließen kann. Eine besondere Herausforderung stellte für Beethoven der schließende Satz, das Agnus Dei, dar. Auch hier hätte, analog zum eröffnenden Kyrie, ein

4. Akademiekonzert

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Francesco Iemma / EyeEm, Lightning Against Cloudy, Getty Images

Die Missa solemnis ist kein dogmatisch katholisches, sondern ein überkonfessionel­ les Werk, das seinen eigentlichen Siegeszug von Anfang an den Konzertsälen und den im frühen 19. Jahr­ hundert entstandenen bürgerlichen Chor­ vereinen verdankt.


Hans-Joachim Hinrichsen war von 1999 bis 2018 Professor für Musikwissenschaft an der Universität Zürich. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Musikgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, Rezeptionsgeschichte und Interpretationsforschung. Von ihm erschienen u. a. Beethoven: Die Klaviersonaten (2013) und Bruckners Sinfonien. Ein musikalischer Werkführer (2016).

4. Akademiekonzert Ludwig van Beethoven – Missa solemnis D-Dur op. 123 Musikalische Leitung: Kirill Petrenko Sopran: Marlis Petersen Mezzosopran: Okka von der Damerau Tenor: Benjamin Bruns Bass: Tareq Nazmi Bayerisches Staatsorchester Chor der Bayerischen Staatsoper Sonntag, 17. Februar 2019 Montag, 18. Februar 2019 Mittwoch, 20. Februar 2019 Nationaltheater Termine zu weiteren Konzerten im Spielplan ab S. 96

traditioneller dreiteiliger Aufbau nahegelegen, denn die Anrufung des Lamms Gottes erfolgt im Messetext dreimal: zweimal mit dem Zusatz „miserere nobis“, beim letzten Mal mit der Friedensbitte „dona nobis pacem“. Aber das genügte dem Komponisten vier Jahre nach dem Beginn des Werks als Strukturmodell offenbar nicht mehr. Seine schöpferische Lösung besteht darin, dass er diese Friedensbitte zu einem großen und dramatischen Finale ausgebildet hat. Pauken und Trompeten als buchstäblich von außen hereinbrechende Kriegsmusik machen dabei die Inständigkeit der „Bitte um innern und äußern Frieden“ (so Beethovens eigene Überschrift) plausibel. Man kann sich fragen, ob das riesige Werk überhaupt in den Rahmen einer kirchlich-liturgischen Handlung gehört. Die ersten Aufführungen legen eine andere Bestimmung nahe. Die früheste Gesamtaufführung fand im April 1824 auf Initiative des Beethoven-Enthusiasten Nikolaus Graf Galitzin in St. Petersburg statt, im weltlichen Rahmen eines Pensionsfonds-Konzerts der Petersburger Philharmonischen Gesellschaft. Die kurz darauf angesetzte Wiener Erstaufführung erfolgte am 7. Mai 1824 im Theater am Kärntnertor. Außerhalb der Kirche durften kirchliche Werke in Wien nur unter der tarnenden Überschrift „Hymnen“ erklingen. Beethoven präsentierte seine Missa dem Wiener Publikum deshalb in ausgewählten Ausschnitten (Kyrie, Gloria und Agnus Dei) und in Kombination mit der Uraufführung des anderen großen Spätwerks, der Neunten Symphonie. Es liegt auf der Hand, dass diese Verbindung zweier symphonisch strukturierter Vokalwerke in einem Aufführungsrahmen, der Kirche, Konzertsaal und Theater umfasst, eine besondere Botschaft birgt. Merkwürdig sinnreich ist der Zufall, dass die drei Schlüsselbegriffe dieser Botschaft – Freude, Frieden und Freiheit – eine Alliteration bilden. Zudem klingen sie in dieser Kombination wie eine Einheit. Der „Freude“-Jubel der Neunten Symponie und die großartige Friedensbitte der Missa solemnis formulieren so etwas wie ein utopisches, humanistisches und damit implizit auch politisches Programm, das sich in einem Dritten – der nicht genannten, aber deutlich mit anklingenden Freiheit – aufheben lässt. Denn zum Frieden, der Freude und Freiheit erst hervorzubringen vermag, finden die Menschen nur durch konsequente moralisch-politische Praxis. Das wusste nach der langen Phase der napoleonischen Kriege nicht nur Beethoven selbst. Jedenfalls ist 1824 die Missa solemnis kein dogmatisch katholisches, sondern ein im besten Sinne überkonfessionelles Werk, das seinen eigentlichen Siegeszug denn auch von Anfang an den Konzertsälen und den vielen im frühen 19. Jahrhundert entstandenen bürgerlichen Chorvereinen verdankt. Beethoven selbst, der sich lebenslang für die Moralphilosophie der Aufklärung ebenso interessierte wie für die Gottesvorstellungen des Hinduismus, hat 1824 einem Freund gegenüber erklärt, es sei seine „Hauptabsicht“ gewesen, mit dem Werk „sowohl bey den Singenden als bey den Zuhörenden, Religiöse Gefühle zu erwecken und dauernd zu machen“. Dies bezeichnet aber keine strenge Gläubigkeit im Sinne kirchlicher Orthodoxie, sondern vielmehr eine ästhetisch begründete Gefühls- und Vernunftreligion, eine humanistisch gefärbte Spiritualität im Geiste des schönen Mottos, das Beethoven an den Beginn des Autographs gesetzt hatte: „Von Herzen – Möge es wieder – zu Herzen gehn!“

Text Hans-Joachim Hinrichsen

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Dialog statt Spaltung

Große Staatenverbünde sollten die Vielfalt ihrer einzelnen Mitglieder achten. Der katalanische Regisseur und Bühnenbildner Carlus Padrissa macht sich anhand der historischen Figur Karls V. Gedanken über den aktuellen Konflikt in Spanien.

Das Imperium von Karl V. war möglicherweise das erste Projekt einer aus Bundesländern bestehenden Europäischen Union. Um die Herrschaft über alle Teile des Königreichs zu erhalten, schwor Karl V. den Repräsentanten der Völker von Kastilien und Aragón sowie denen des heutigen Belgien, den Niederlanden und Deutschland die Treue. Das Imperium Karls reichte von Europa bis nach Amerika. Seine Verteidiger verstanden es als ein umfassendes Weltreich, das sich auf religiöse Prinzipien gründete. Karl selbst war sich jedoch der enormen Größe der Welt bewusst und auch dessen, dass sie unmöglich gänzlich zu beherrschen ist: Die Imperien sind dazu verdammt, auseinanderzubrechen, so wie auch radikale Glaubensrichtungen und Ideologien. In Barcelona gab es in diesen aufgewühlten Zeiten viele, die den Stil des Monarchen zu schätzen wussten, der die unterschiedlichen Identitäten der einzelnen Gebiete respektierte, und sie glaubten genauso wie er an die Kraft des Dialogs, des gemäßigten Tons und des Verständnisses. Vor fünfhundert Jahren waren die Königreiche Kastilien und Aragón zwei miteinander verbundene freie Länder, die sich gegenseitig respektierten. Ersteres kümmerte sich um die Erkundung und den Handel mit den Ländern jenseits des Atlantiks, letzteres übte seine Macht im Mittelmeerraum aus. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts musste das Königreich

Aragón mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Utrecht und den „Decretos de Nueva Planta“ („Verordnungen zur gründlichen Erneuerung“) sämtliche Privilegien aufgeben. Seither versuchen die Katalanen, ihre vor dreihundert Jahren verlorenen Rechte wiederzuerlangen. Heute sehen viele das große Problem von Spanien in der Integrität seiner Politiker. Schlechte Politiker können ein Land zugrunde richten. Argentinien ist ein gutes Beispiel. Spanien – Katalonien mit eingeschlossen – ist schlecht regiert. Wir hatten Präsidenten und Außenminister, die nur die Amtssprache Spanisch sprachen, ohne Interesse für die sprachliche Vielfalt des von ihnen repräsentierten Landes zu zeigen. Es gab Parteien, in denen Korruption herrschte, und die Staatsgewalten haben nichts dagegen unternommen. Man hat bestechliche Banker enttarnt, die mit korrupten Politikern, Richtern, Polizeibeamten und Journalisten befreundet waren. Das Wahlsystem ist so beschaffen, dass die Parteien die Wähler ersetzen: Sie entscheiden, wer auf die geschlossenen Listen kommt, und nominieren erst im Nachhinein. Vetternwirtschaft und Nepotismus herrschen anstelle einer Aufgabenverteilung nach Leistung und Verdienst. Die spanische Verfassung, die 1978, nach Francos Tod, beim Übergang zur Demokratie geschaffen wurde, hat man in vierzig Jahren in nur zwei oder drei Artikeln überarbeitet. In

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Premiere Karl V.


Lita Cabellut, Kumba, 2017–2018, Foto: John Tromp © Lita Cabellut

Deutschland dagegen wurde das Grundgesetz seit seiner Verkündung 1949 mindestens siebzig Mal abgeändert. Da­ ran sieht man, dass die Mehrheit der spanischen Politiker die Verfassung als festes Mauerwerk betrachtet und nicht als Grundlage für ein Zusammenleben. Das Thema Katalonien wurde nicht auf politischer, son­ dern nur auf juristischer Ebene behandelt. Und das nur, weil der Zentralstaat fürchtet, eine politische Auseinanderset­ zung mit dem Konflikt könnte der nationalistischen extremen Rechten Stimmen einbringen. Hier liegt eines der grund­ legenden Probleme im Verhältnis zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung: Aus Angst vor einem Machtverlust verweigern sich die traditionellen Parteien einer politischen Lösung für den katalanischen Unabhängigkeits­ konflikt und halten beharrlich daran fest, ihn auf der juristi­ schen Ebene zu belassen. Diese unbewegliche Haltung hat zur Folge, dass in Katalonien die Zahl der Anhänger der Un­ abhängigkeit von 14 auf 47 Prozent gestiegen ist, teilweise begünstigt durch wenig realistische Hoffnungen, wie etwa das Verbleiben in der Europäischen Union nach der Prokla­ mation der Unabhängigkeit. Das Problem der katalanischen Unabhängigkeitsbewe­ gung ist nur eine der vielen Ecken und Kanten eines sozialen Problems in Spanien, das die Regierungen nicht in den Griff

Text Carlus Padrissa

bekommen konnten. Ausgehend von der großen Wirt­ schaftskrise 2008, mit der man nicht in der Weise umge­ gangen ist, in der es nötig gewesen wäre, kam es zur Grün­ dung von Protestbewegungen wie „Movimiento 15­M“ („Be­ wegung 15. Mai“) oder „Los Indignados“ („Die Empörten“), die in erster Linie entstanden sind, weil in Spanien über ein Drittel der Jugendlichen arbeitslos war und blieb. Viele von ihnen sieht man in Deutschland auf Arbeitssuche, vergleich­ bar mit den Emigranten der 1960er Jahre. Dieses Problem – Inspiration für meinen Landsmann Calixto Bieito für seine Boris Godunow­Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper – war einer der Auslöser der „el Procés“ genannten katalani­ schen Unabhängigkeitsbewegung. Wenn der „15. Mai“ zum Ende des Zweiparteiensystems beitrug – wobei nicht nur die Volkspartei PP, sondern auch die spanische sozialistische Arbeiterpartei PSOE großen Schaden erlitten hat –, so be­ wirkte „el Procés“ eine Spaltung der katalanischen Gesell­ schaft und eine starke Reaktion der übrigen Spanier hinsicht­ lich ihrer Identität und nationalen Symbole. „El Procés“ ließ innerhalb der Bevölkerung eine noch interessantere Frage entstehen: Was macht uns eigentlich zu Spaniern? Und: Kann man von einem Spanien reden, oder sollte man besser von „die Spanien“ sprechen, wie man es früher tat? Die all­ gemeine Unzufriedenheit, zusätzlich zu den globalen sozia­

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Carlus Padrissa wurde in Barcelona geboren und ist Mitbegründer der Theatergruppe La Fura dels Baus, die seit ihrer Gründung 1979 ihr künstlerisches Spektrum kontinuierlich erweiterte und auch Großereignisse (etwa die Eröffnung der Olympischen Spiele in Barcelona 1992) realisierte. Carlus Padrissa inszenierte u. a. Der Ring des Nibelungen im Palau de les Arts in Valencia, Die Zauberflöte bei der Ruhrtriennale, La Damnation de Faust bei den Salzburger Festspielen sowie Herzog Blaubarts Burg und Tannhäuser am Teatro alla Scala in Mailand. Beim Rossini Opera Festival in Pesaro gestaltete er 2017 als Regisseur und Ausstatter die Produktion Le Siège de Corinthe. Nach seinen Inszenierungen Babylon, Der kleine Harlekin, Turandot und Wagner vs. Verdi wird Karl V. seine fünfte Arbeit an der Bayerischen Staatsoper sein.

Lita Cabellut, gebürtige Spanierin, wuchs als Straßenkind in Barcelona auf, bis sie im Alter von zwölf Jahren adoptiert wurde. Bereits in ihrer Jugend lernte sie Künstler des Museo del Prado in Madrid kennen und entdeckte ihre Leidenschaft für Kunst. Ihr künstlerischer Stil zeichnet sich durch die Kombination von traditioneller Freskotechnik und moderner Anwendung von Ölmalerei aus, gemalt auf großflächigen Segeltüchern. 2017 war sie bereits für die Ausstattung von Rossinis Le Siège de Corinthe von La Fura dels Baus beim Rossini Opera Festival in Pesaro zuständig. In der Spielzeit 2018/19 zeichnet sie an der Bayerischen Staatsoper für Bühne, Kostüme und Video in Ernst Kreneks Oper Karl V. verantwortlich.

len und politischen Themen des 21. Jahrhunderts, hat in Spanien, wie in vielen Ländern der Welt, zu einer besorgniserregenden Popularität der extremen Rechten geführt. Die seit ihrer Gründung 2013 steigende Unterstützung für die Vox-Partei ist wirklich alarmierend. Kurioserweise ist genau das, was die Politiker durch einen Abbruch des Dialogs mit den Katalanen vermeiden wollten, nun doch zu einem wie auch immer gearteten Problem geworden. Karl V. wurde unter dem Einfluss des Erasmus von Rotterdam erzogen, des berühmten niederländischen Humanisten, Philosophen und Philologen, dem Karl während seiner ersten Jahre am belgischen Hof begegnete. Sein Lehrer und Meister verteidigte einen Humanismus, der für Toleranz und den Dialog mit Andersdenkenden plädierte; für eine Lösung, um die Völker auf eine höhere Gemeinschaft zuzubewegen. Ich denke, dass sich Spanien dringend an Karl V. erinnern muss, und es ist ein großes Glück, dass die Bayerische Staatsoper mir und meinem Team die Oper Karl V. von Ernst Krenek anvertraut hat, in der es genau um all diese Themen geht, die nicht nur wichtig für Spanien sind, sondern für die ganze Welt.

Karl V. Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen Von Ernst Krenek Premiere am Sonntag, 10. Februar 2019, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 23. Februar 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 96

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Bilder Lita Cabellut


OPER a u f B R-K L AS S I K

Oper

Con passione

Oper – live im Radio

Gesamtaufnahmen

Legendäre Sängerstars

Highlights weltweit

Samstags, 19.05 Uhr

Montags, 19.05 – 20.00 Uhr

br-klassik.de

facebook.com/brklassik


„In welcher Verfassung waren Sie heute?“

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Dass haben wir diese Künstlerinnen und Künstler unmittelbar nach der Vorstellung gefragt. Hier ihre Antworten, noch im Vorstellungspulsschlag:


Joana Mallwitz, Dirigentin

„Ich bin eigentlich immer in einer sehr aufgeregten Verfassung, dabei sehr konzentriert – so auch heute. Die allerersten Töne, die ich dirigiert habe, waren wie eine Art Befreiung von dieser Nervosität.“

„Nach jeder Vorstellung fühle ich mich gesegnet und demütig. Ich empfinde dieses wunderschöne Gefühl, für jeden von uns etwas Gutes getan zu haben: durch das Spielen, Singen, Interpretieren der großartigen Charaktere und der Musik. Dabei von diesem fantastischen Publikum hier an der Bayerischen Staatsoper begleitet zu werden, ist einfach ein Geschenk des Universums.“ nach Les Vêpres siciliennes am 13. November 2018

Prisca Zeisel (Herzkönigin)

nach Eugen Onegin am 11. November 2018

Erwin Schrott (Procida)

„Bereit! Und nun bereit fürs Wochenende ;-)“

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„Bereit! Und nun bereit fürs Wochenende ;-)“ nach Alice im Wunderland am 17. November 2018

Simone Young, Dirigentin

„Bei Jenůfa geht man große emotionale Berge rauf und runter. Am Ende vom zweiten Akt ist man fertig. Da ist das Herz zerbrochen, die Emotionen sind wirklich am Boden. Das ist eine unvorstellbare Katastrophe, was da passiert. Am Ende schafft Janáček die unglaubliche Apotheose, die Hoffnung gibt – es ist nicht viel davon, aber ein Schimmer von Hoffnung ist da.“ nach Jenůfa am 21. November 2018

Jonah Cook (Verrückter Hutmacher) 92

„Jede Ballettvorstellung ist anders und irgendwo immer mit Stress verbunden. Die Musik in Alice hat etwas Verrücktes und lässt meinen Adrenalinspiegel ziemlich ansteigen. Mein Puls ging heute richtig schnell … schneller, als ich eigentlich wollte. Und auch jetzt nach der Vorstellung ist er noch sehr hoch.“ nach Alice im Wunderland am 17. November 2018

David Schultheiß, Erster Konzertmeister


Pavel Černoch (Lenski) „Ich habe eine ganz besondere Affi­ nität zur tschechischen Musik – mein Lehrer war auch Tscheche, ob Zufall oder nicht. Daher bin ich an diesen Abenden besonders aufge­ regt – zumal es hier auch eine wichtige Solostelle für mich gibt.“ nach Jenůfa am 21. November 2018

Hanna Schwarz (Die alte Buryja)

„Nach der Vorstellung geht es mir immer gut! Das Münchner Publikum ist das beste der Welt!“ nach Jenůfa am 27. November 2018 (Hanna Schwarz im Bild 3. von links)

Pavel Černoch

„In welcher Verfassung? Oje! Ich weiß es nicht … Ich war vor der Vorstellung überhaupt nicht konzen­ triert, es war total verrückt, weil es die Dernière war, weil jeden Tag so viel passiert. Wir haben Jenůfa­ Proben, die letzte Vorstellung von Eugen Onegin, außerdem studiere ich schon eine neue Rolle, die auch fantastisch ist, den Sergej in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk, das wird auch Krzysztof Warlikowski inszenieren, in Paris … Also, in welcher Verfassung war ich? In einer anderen Welt. Aber ich bin dann auf der Bühne konzen­ triert, in dem Moment, wo es beginnt.“ nach Eugen Onegin am 15. November 2018

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Gerald Finley (Jago)

„Es passt!“ nach Otello am 6. Dezember 2018

Tara Erraught (Despina) und Angela Brower (Dorabella)

Angela Brower: „Die Produktion verlangt viel von uns – wir laufen den ganzen Abend auf der Bühne herum –, aber es macht so viel Spaß!“ Tara Erraught: „Das war meine zwölfte Vorstellung in dieser Insze­ nierung, man bekommt jedes Mal so viel Energie und Freude von Kol­ legen und dem Publikum.“ AB: „Jeder Cast ist auch unterschied­ lich, immer etwas Neues!“ TE: „Vor der Show denk ich nur daran, ob ich mich auch richtig aufgewärmt habe …“ AB: „Man ist noch immer so nervös …“ TE: „Ich frag mich immer: ‚Kennst du alle deine Rezitative?‘ Aber kaum ist man auf der Bühne, nimmt einen das Publikum mit auf die Reise.“ AB: „Das stimmt, in gewisser Weise kommt man in einen Flow und ver­ liert sich in der Geschichte und den Charakteren. Dann denke ich mir nur mehr: ‚Oh, we can do this!‘“ nach Così fan tutte am 29. November 2018


BAYERISCHE STAATSOPER 2018 2019 TV Kirill Petrenko Foto Wilfried Hösl

ERLEBEN SIE AUSGEWÄHLTE OPERNUND BALLETTAUFFÜHRUNGEN LIVE UND KOSTENLOS BEQUEM VON ZU HAUSE AUF WWW.STAATSOPER.TV

Sa, 23. Februar 2019 Ernst Krenek KARL V. Erik Nielsen / Carlus Padrissa La Fura dels Baus Sa, 30. März 2019 Giacomo Puccini LA FANCIULLA DEL WEST James Gaffigan /  Andreas Dresen Do, 11. April 2019 George Balanchine JEWELS (Bayerisches Staatsballett)

Sa, 1. Juni 2019 Christoph Willibald Gluck ALCESTE Antonello Manacorda /  Sidi Larbi Cherkaoui Sa, 6. Juli 2019 Richard Strauss SALOME Kirill Petrenko /  Krzysztof Warlikowski

WWW.STAATSOPER.TV Medienpartner:


Spielplan 24.01.2019 – 10.04.2019

Karten Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.


Giuseppe Verdi NABUCCO

Oper

Musikalische Leitung Andrea Battistoni Inszenierung Yannis Kokkos Richard Strauss ARABELLA Musikalische Leitung Constantin Trinks Inszenierung Andreas Dresen Kurt Rydl, Doris Soffel, Anja Harteros, Hanna-Elisabeth Müller, Michael Volle, Daniel Behle, Dean Power, Sean Michael Plumb, Callum Thorpe, Sofia Fomina, Heike Grötzinger, Niklas Mallmann, Bastian Beyer, Vedran Lovric Mo Fr Di Fr

14.01.19 18.01.19 22.01.19 25.01.19

19.00 19.00 19.00 19.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V.

Ludwig van Beethoven FIDELIO Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung Calixto Bieito Tareq Nazmi, Wolfgang Koch, Jonas Kaufmann, Anja Kampe, Günther Groissböck, Hanna-Elisabeth Müller, Dean Power, Caspar Singh, Oleg Davydov Do So Mi Sa

24.01.19 27.01.19 30.01.19 02.02.19

19.00 18.00 19.00 18.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Dalibor Jenis, Piero Pretti, Roberto Tagliavini, Anna Pirozzi, Agnieszka Rehlis, Bálint Szabó, Galeano Salas, Selene Zanetti Sa Di Fr Di

09.02.19 12.02.19 15.02.19 19.02.19

19.00 19.00 19.00 19.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Ernst Krenek KARL V. Musikalische Leitung Erik Nielsen Inszenierung Carlus Padrissa - La Fura dels Baus Bo Skovhus, Okka von der Damerau, Gun-Brit Barkmin, Dean Power, Anne Schwanewilms, Janus Torp, Scott MacAllister, Kevin Conners, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Michael Kraus, Peter Lobert, Mirjam Mesak, Anna El-Khashem, Natalia Kutateladze, Noa Beinart So Mi Sa Do Sa

10.02.19 13.02.19 16.02.19 21.02.19 23.02.19

18.00 19.30 19.30 19.30 19.00

Uhr Premiere Uhr Uhr Uhr Uhr Auch im Live-Stream auf www.staatsoper.tv

Karin und Prof. Dr. h.c. Roland Berger g Avantgarde Partner der Bayerischen Staatsoper g

Georges Bizet CARMEN Gaetano Donizetti L'ELISIR D'AMORE Musikalische Leitung Daniele Callegari Inszenierung David Bösch

Musikalische Leitung Karel Mark Chichon Nach einer Produktion von Lina Wertmüller

Elsa Benoit, Pavol Breslik, Levente Molnár, Alex Esposito, Selene Zanetti

Callum Thorpe, Boris Prýgl, Joseph Calleja, Christian Van Horn, Dean Power, Manuel Günther, Elsa Benoit, Alyona Abramowa, Gaëlle Arquez, Cristina Pasaroiu

So 03.02.19 19.00 Uhr Mi 06.02.19 19.00 Uhr Fr 08.02.19 19.00 Uhr

Mo 25.02.19 19.00 Uhr Do 28.02.19 19.00 Uhr So 03.03.19 18.00 Uhr

sponsored by

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Wolfgang Amadeus Mozart DON GIOVANNI

Richard Wagner PARSIFAL

Musikalische Leitung James Gaffigan Inszenierung Stephan Kimmig

Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung Pierre Audi

Simon Keenlyside, Rafał Siwek, Hanna-Elisabeth Müller, Stanislas de Barbeyrac, Layla Claire, Alex Eposito (05.03., 08.03., 10.03.), Luca Pisaroni (14.03.), Elsa Benoit, Callum Thorpe

Michael Nagy, Bálint Szabó, René Pape, Burkhard Fritz, Derek Welton, Nina Stemme, Kevin Conners, Callum Thorpe, Rachael Wilson, Elsa Benoit, Noa Beinart, Manuel Günther, Galeano Salas, Selene Zanetti, Natalia Kutateladze, Vuvu Mpofu, Mirjam Mesak

Di Fr So Do

05.03.19 08.03.19 10.03.19 14.03.19

19.00 19.00 18.00 19.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

So 24.03.19 16.00 Uhr Do 28.03.19 16.00 Uhr So 31.03.19 16.00 Uhr gefördert durch

Giacomo Puccini LA FANCIULLA DEL WEST Musikalische Leitung James Gaffigan Inszenierung Andreas Dresen Anja Kampe, John Lundgren, Brandon Jovanovich, Kevin Conners, Bálint Szabó, Tim Kuypers, Manuel Günther, Alexander Milev, Justin Austin, Galeano Salas, Freddie De Tommaso, Christian Rieger, Norman Garrett, Oleg Davydov, Noa Beinart, Sean Michael Plumb, Oğulcan Yılmaz, Ulrich Reß Sa Di Fr Di Sa

16.03.19 19.03.19 22.03.19 26.03.19 30.03.19

18.00 19.00 19.00 19.00 19.00

Uhr Premiere Uhr Uhr Uhr Uhr Auch im Live-Stream auf www.staatsoper.tv Di 02.04.19 19.00 Uhr

Wolfgang Amadeus Mozart DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL Musikalische Leitung Constantin Trinks Inszenierung Martin Duncan Albina Shagimuratova, Caroline Wettergreen, Daniel Behle, Manuel Günther, Peter Rose, Bernd Schmidt, Charlotte Schwab Do 04.04.19 19.00 Uhr Sa 06.04.19 18.00 Uhr Di 09.04.19 18.00 Uhr

Giacomo Puccini MADAMA BUTTERFLY

sponsored by

Musikalische Leitung Karel Mark Chichon Inszenierung Wolf Busse Ermonela Jaho, Annalisa Stroppa, Riccardo Massi, Niamh O’Sullivan, Boris Pinkhasovich, Ulrich Reß, Boris Prýgl, Peter Lobert, Oleg Davydov, Oğulcan Yılmaz

Gaetano Donizetti ROBERTO DEVEREUX Musikalische Leitung Friedrich Haider Inszenierung Christof Loy Edita Gruberova, Vito Priante, Silvia Tro Santafé, Charles Castronovo, Francesco Petrozzi, Kristof Klorek, Boris Prýgl, Philipp Moschitz So Mi Sa Mi

17.03.19 20.03.19 23.03.19 27.03.19

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19.00 19.00 19.00 19.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Fr 05.04.19 19.00 Uhr So 07.04.19 19.00 Uhr Mi 10.04.19 19.00 Uhr


Ballett

John Cranko DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG Musik Kurt-Heinz Stolze nach Domenico Scarlatti Musikalische Leitung Myron Romanul

Partner des Bayerischen Staatsballett Di 12.03.19 20.00 Uhr Fr 15.03.19 19.30 Uhr

John Neumeier DIE KAMELIENDAME

Yuri Grigorovich SPARTACUS

Musik Frédéric Chopin Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff

Musik Aram Chatschaturjan Musikalische Leitung Karen Durgaryan

Sa 26.01.19 19.30 Uhr Mo 08.04.19 19.30 Uhr Fr 12.04.19 19.30 Uhr

Mo 25.03.19 19.30 Uhr Fr 29.03.19 19.30 Uhr Mo 01.04.19 19.30 Uhr

Wayne McGregor PORTRAIT WAYNE MCGREGOR

George Balanchine JEWELS

Musik Joel Cadbury / Max Richter / Kaija Saariaho / Paul Stoney Musikalische Leitung Koen Kessels

Musik Gabriel Fauré / Igor Strawinsky / Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Robert Reimer

Fr 01.02.19 19.30 Uhr Mo 04.02.19 19.30 Uhr So 17.02.19 19.30 Uhr

Mi 03.04.19 19.30 Uhr Do 11.04.19 19.30 Uhr

Christopher Wheeldon ALICE IM WUNDERLAND Musik Joby Talbot Musikalische Leitung Myron Romanul

MATINEE DER HEINZ-BOSL-STIFTUNG So 07.04.19 11.00 Uhr

Fr So So Di

22.02.19 24.02.19 24.02.19 26.02.19

19.30 14.00 19.30 19.30

Uhr Uhr Uhr Uhr

Koproduktion mit dem National Ballet of Canada beim Royal Ballet im Royal Opera House, London

John Cranko ONEGIN Musik Peter I. Tschaikowsky arrangiert von Kurt-Heinz Stolze Musikalische Leitung Myron Romanul Fr Sa Sa Mo

01.03.19 02.03.19 09.03.19 18.03.19

20.00 19.30 19.30 19.30

Uhr Uhr Uhr Uhr

99


Konzert

5. THEMENKONZERT

THEMENKONZERTE 2019

Giovanni Gabrieli / Henry VIII. / Ernst Krenek / Kurt Weill

Konzerte und Vorträge in Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft

Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Schön: Wie komponieren Juristen ihre Texte?

Fr 01.02.19 19.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

4. AKADEMIEKONZERT Ludwig van Beethoven Musikalische Leitung Kirill Petrenko 1. THEMENKONZERT Prof. Dr. Herwig Baier: Gedanken lesen und Verhalten steuern – was kann (und was darf) die Hirnforschung?

So 17.02.19 11.00 Uhr Mo 18.02.19 20.00 Uhr Mi 20.02.19 20.00 Uhr

Ernst Krenek / Isang Yun / Anton v. Webern / Friedrich Cerha 4. KAMMERKONZERT: LUDWIG VAN BEETHOVEN Do 24.01.19 19.00 Uhr Max-Planck-Haus am Hofgarten So 24.02.19 11.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

2. THEMENKONZERT PASSIONSKONZERT Dr. Fabian Winter: Gefährdet Migration wirklich unseren Zusammenhalt?

Konzert des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper und der Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters

Ernst Krenek / Paul Hindemith / Franz Schubert / John Cage / Bohuslav Martinů

Di 12.03.19 19.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Sa 26.01.19 19.00 Uhr NS-Dokumentationszentrum München

Hauptsponsor der Orchesterakademie

3. THEMENKONZERT Dr. Carolin Behrmann: Vom Rechten und Richten

Lied

Joseph Haydn / Ernst Krenek / Ernst v. Dohnányi Mo 28.01.19 19.00 Uhr Alte Pinakothek, Rubenssaal

PORTRÄTKONZERT DES OPERNSTUDIOS Anna El-Khashem / Boris Prýgl

4. THEMENKONZERT Dr. Paulina Joanna Starski: „Unwilling or Unable“ – kollektives Selbstverteidigungsrecht und „Responsibility to Protect“ – staatliches Versagen und das zwischenstaatliche Gewaltverbot

Fr 08.02.19 19.30 Uhr Künstlerhaus

ENSEMBLE-LIEDERABEND Callum Thorpe

Alfred Schnittke  / Ernst Krenek / Arnold Schönberg Mo 08.04.19 19.30 Uhr Wernicke-Saal Di 29.01.19 19.00 Uhr Justizpalast

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Campus

Extra

SPIELOPER / SPIELBALLETT

PREMIERENMATINEEN

L’ELISIR D’AMORE

KARL V.

Sa 26.01.19 10.00 Uhr Große Probebühne

So 03.02.19 11.00 Uhr

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

LA FANCIULLA DEL WEST

Sa 30.03.19 11.00 Uhr Große Probebühne

So 10.03.19 11.00 Uhr

MIT ALICE INS WUNDERLAND

MAVRA/IOLANTA

So 10.02.19 14.00 Uhr Gr. Ballettsaal, Nationaltheater So 17.02.19 14.00 Uhr Gr. Ballettsaal, Nationaltheater

So 07.04.19 11.00 Uhr Wernicke-Saal

DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG DIE UNMÖGLICHE ENZYKLOPÄDIE So 31.03.19 14.00 Uhr Gr. Ballettsaal, Nationaltheater NR. 45: „GEWALT/EN“ Do 14.02.19 20.00 Uhr Große Probebühne SITZKISSENKONZERTE BASSETTL-SPASSETTL OPERNDIALOGE Sa 02.02.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Sa 09.02.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe DIE SARA, DIE ZUM CIRCUS WILL

KARL V. Sa 16.02.19 10.00 Uhr Capriccio-Saal So 17.02.19 14.00 Uhr Capriccio-Saal

Sa 23.03.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Sa 30.03.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe

LA FANCIULLA DEL WEST

Mit freundlicher Unterstützung des Inner Circle der Bayerischen Staatsoper

Sa 30.03.19 10.00 Uhr Capriccio-Saal So 31.03.19 10.00 Uhr Capriccio-Saal

Gordon Kampe KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA

BALLETT EXTRA (FAST) SPARTACUS

Sa So Sa So

30.03.19 31.03.19 06.04.19 07.04.19

18.00 15.00 17.00 15.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Rennert-Saal Rennert-Saal Rennert-Saal Rennert-Saal

Sa 23.03.19 10.00 Uhr TRAINING ON STAGE Sa 30.03.19 10.00 Uhr (FAST) DIE KAMELIENDAME Sa 06.04.19 10.00 Uhr

MONTAGSRUNDEN KARL V. Mo 25.02.19 20.00 Uhr Capriccio-Saal LA FANCIULLA DEL WEST Mo 08.04.19 20.00 Uhr Capriccio-Saal

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Erst das Grundrecht, dann die Meinung

Illustration Kati Szilágyi

Alles, was recht ist? Wenn sich das so einfach sagen ließe. In dieser Spielzeit steht Max Joseph allerdings der Juraprofessor Andreas Spickhoff bei und zeigt auf einen Blick, was Sache ist; abschließend, natürlich.

Was kennzeichnet all­ gemein eine Verfassung? Und was bedeutet sie für die Bürger? Zeit für eine Klärung in unserer Rechtsserie.

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ALLE § WA§ RECHT I §T


Kann sich ein Bürger gegen eine behördliche Durchsuchung, seine Inhaftierung, die Beschlagnahme von Gegenständen zur Wehr setzen? Muss man sich als prominente Persönlichkeit entschädigungslos die Verbreitung unwahrer Berichterstattung gefallen lassen? Die modernen Verfassungen des Westens sind neben den staatsorganisatorischen Bestandteilen seit der Französischen Revolution ganz wesentlich von der Garantie der Bürger- und Menschenrechte unter Einbeziehung der Staatszielbestimmungen (Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat) geprägt. Diese Rechte – was für eine Stärke, was für eine zivilisatorische Errungenschaft – kann jeder Bürger gegenüber staatlichen Eingriffen geltend machen, ja, mehr noch: Der Staat ist verpflichtet, sich schützend vor diese Rechtspositionen auch gegenüber Eingriffen durch andere Privatpersonen zu stellen, zum Beispiel durch die Statuierung von Ge- oder Verboten, durch Strafandrohungen oder über Unterlassungsund Entschädigungsansprüche. Die Verfassung, vor allem aber ihre Grund- und Menschenrechte strahlen ihre Wertungen so auf unser Recht insgesamt aus. Und darüber hinaus: Unser Grundgesetz und das deutsche Bundesverfassungsgericht als Hüter unserer Verfassung haben Einfluss auf die Entwicklung vieler ausländischer Verfassungen und ihrer Auslegung, nicht nur in Europa, gewonnen. Besonders wichtig ist der Schutz der Meinungs-, Presse-, Kunst-, Wissenschafts- und Religionsfreiheit. In der Verfassung des Freistaates Bayern, die als besonders volksnah gilt, wird die Meinungsfreiheit sprachlich überraschend schroff eingeschränkt, weil der Staat (geäußerten) „Schmutz und Schund“ (wie etwa frei Erfundenes aus dem Intimleben) zu bekämpfen hat (Artikel 110, Absatz 2). Im Grundgesetz steht die Meinungsfreiheit dagegen höflicher, vielleicht zeitgemäßer (aber auch schwerer verständlich formuliert), unter dem Vorbehalt allgemeiner Gesetze, des Jugend- und des Ehrenschutzes (Artikel 5, Absatz 2 Grundgesetz) wie zum Beispiel des Verbotes von Beleidigungen. Was kennzeichnet nun allgemein eine Verfassung, die leider und sehr wohl auch ohne Rechtsstaatlichkeit, Demokratie oder grundrechtliche Garantien ausgestaltet sein kann? Sie sollte Antworten auf Fragen geben wie: Kann ein Staatsoberhaupt einfach ab- oder zurücktreten? Wie und von wem wird es gewählt? In welchem Verhältnis stehen Staat und Religion zueinander – gibt es eine Art „Staatsreligion“? Eine Verfassung dient der Regelung normativer Grundlagen, sei sie nun förmlich in einem

Folge 2: Verfassungen

Text wie dem Grundgesetz niedergelegt, oder mag sie sich mehr oder weniger gewohnheitsrechtlich herausgebildet haben wie in Großbritannien. Die „Goldene Bulle“ von 1356 etwa war das wichtigste Verfassungsgesetz zur Kaiserwahl noch zu Zeiten Kaiser Karls V., freilich noch ein nur segmenthaft regelndes. Verfassungen findet man in unseren Gefilden auf allen wesentlichen Regelungsebenen: Auf der Ebene der Europäischen Union sind – mangels Staatlichkeit der EU als Quasi-Verfassung – zu nennen der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und die Grundrechtecharta der Europäischen Union, faktisch auch die Europäische Menschenrechtskonvention. Auch die Frage, welche Normenebene Vorrang vor der anderen hat, bedarf der verfassungsrechtlichen Regelung (etwa der Grundsatz des Artikel 31 Grundgesetz, „Bundesrecht bricht Landesrecht“). Solche Regeln zur Normenkollision im Falle eines drohenden Widerspruchs von verschiedenen Regelungsebenen gab es übrigens schon zu Zeiten Karls V. Dessen rechtshistorisch berühmtes erstes Strafgesetz im Heiligen Römischen Reich, die Constitutio Criminalis Carolina von 1532, auf dem Reichstag in Regensburg ratifiziert, galt nur subsidiär, also nur dann, wenn es keine örtlich geltenden Regeln des Strafrechts gab. Das lokale Strafrecht hatte Vorrang, sofern es nur älter als die Carolina war, „wohlhergebracht, rechtmäßig und billig“. Mehr an Vereinheitlichung war damals politisch nicht durchsetzbar. Wie sich manche Bilder gleichen! Über allem anderen steht in unserem Grundgesetz die Menschenwürde (Artikel 1, Absatz 1). Die Bayerische Verfassung akzentuiert volksnah anders: An erster Stelle im bayerischen Grundrechtskatalog kommt der Schutz des leiblichen Wohls (Artikel 99 Bayerische Verfassung), der um den Schutz des geistigen Wohls (nicht – jedenfalls nicht nur – durch Alkoholgenuss!) komplettiert wird. Erst danach (Artikel 100) finden sich die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Kunst-, die Wissenschaftsfreiheit und so weiter. Notorische Kritiker mögen dieses bayerische Verfassungs-Rangverhältnis für die aktive Wissenschaftsfreiheit zwar (ganz grundlos, versteht sich) anzweifeln: „Mit vollem Bauch studiert sich schlecht.“ Für die passive Kunstfreiheit des Hörenden trifft es jedenfalls ins Schwarze. Denn „ein hungriger Bauch hat keine Ohren“.

Andreas Spickhoff ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Medizinrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Vorschau

ALLES WAS RECHT IST № 3: Umbrüche Antonello Manacorda und Sidi Larbi Cherkaoui Premiere Alceste Opernstudio der Bayerischen Staatsoper Premiere Mavra / Iolanta Eine Komponistengeneration im Exil 5. und 6. Akademiekonzert Max Joseph № 3 der Spielzeit 2018 / 19 erscheint am 3. April 2019.


WENN IHR WEIN WÄHLEN KÖNNTE,

DANN RIEDEL!

LOVE WINE?

CABERNET/ MERLOT

SYRAH/ SHIRAZ

PINOT NOIR

CHAMPAGNER

RIEDEL.COM

GRÜNER VELTLINER/ RIESLING

IM FASS GEREIFTER CHARDONNAY

SPIRITUOSEN



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