Behörden Spiegel August 2021

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

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de Alles dazu auf

Nr. VIII / 37. Jg / 32. Woche

Berlin und Bonn / August 2021

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www.behoerdenspiegel.de

Digitale Kleinstadt

Ohne die Ehrenamtlichen nicht denkbar

“Ich möchte keinen Tag missen”

Lars Prahler über Heraus­forderungen und Chancen........................................... Seite 15

Im Gespräch mit DRK-Präsidentin Hasselfeldt zu 100 Jahren DRK ������������������������������������� Seite 42

Walter Dreßbach über seine Arbeit als Referatsleiter in der Kreis-Verwaltung......... Seite 52

Katastrophe gemeinsam schultern

Mehr Rauschgift­ kriminalität (BS/mfe) Hierzulande steigt die Rauschgiftkriminalität weiter an. Im vergangenen Jahr wurden polizeilich insgesamt 365.753 Fälle registriert. Das sind 1,7 Prozent mehr als 2019. Zugleich ist Rauschgiftkriminalität weiterhin das größte Betätigungsfeld von Gruppierungen der Organisierten Kriminalität (OK). So wurden 2020 erneut mehr als ein Drittel der OK-Verfahren in Deutschland wegen des Verdachts des Handels mit oder Schmuggels von Rauschgift geführt. Ermittelt wurden 284.723 Tatverdächtige, die zunehmend bewaffnet und gewaltbereit sind. Der größte Zuwachs der Handelsdelikte war bei den sogenannten neuen psychoaktiven Stoffen festzustellen. Hier war laut Bundeslagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) eine Zunahme um 16,2 Prozent zu verzeichnen.

Systemrelevante ITSchulinfrastruktur (BS/mj) Das Pilotprojekt “HPI Schul-Cloud” verstetigt sich zur systemrelevanten IT-Infrastruktur für Schulen und wird in Niedersachsen, Brandenburg und Thüringen in den Regelbetrieb überführt. Die technische Weiterentwicklung der landesspezifischen Varianten übernimmt zukünftig die Dataport – Anstalt des öffentlichen Rechts (Dataport AöR). Rund 4.000 Schulen bietet die Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) heute einen geschützten Lernraum. Die Pilotphase des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts erstreckte sich über die letzten vier Jahre. Gerade während der Corona-Pandemie konnte, laut HPI, die Cloud viele Tausend Schulen beim digitalen Unterricht unterstützen.

Abgegrenzte Zuständigkeiten, Trennungsgebote und mangelnde Resilienz (BS/Uwe Proll/Jörn Fieseler) Über 180 Tote, knapp 800 Verletzte und noch mehr als 50 vermisste Personen – die Zahlen zu den Opfern der Flutkatastrophe sprechen eine eindeutige Sprache. Der Staat, der Leben und Besitz seiner Einwohner schützen soll, hat versagt. “Wie kann so etwas in Deutschland passieren?”, fragte ein britischer Journalist voller Unglauben. Während von allen Akteuren eine Antwort auf diese Frage gegeben wird, fällt eines auf: Die Fehlersuche gerät zu einer Diskussion über Zuständigkeiten und gipfelt in parteipolitischen Schuldzuweisungen. Stattdessen sollte nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht werden. So tragisch die Katastrophe in Rheinland-Pfalz und NordrheinWestfalen ist, so wenig sind Diskussionen über eine Neuverteilung der Zuständigkeiten und die Rufe nach mehr Zentralisierung angebracht. Auch wenn der eigene Zuständigkeitsbereich zur Absicherung herangezogen wird. Etwa bei der Alarmierungskette (siehe auch Seite 39). Das grün geführte Mainzer Umweltministerium warnte vor Hochwasser an Rhein und Mosel, das SPDgeführte Innenministerium verwies auf “automatisierte E-Mails” sowie rechtzeitig online gestellte Warnhinweise, besonders aber auf die zweistündig verspätete Reaktion des CDU-Landrats des am schwersten betroffenen Kreises Ahrweiler. Alle haben ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, der Wetterdienst, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), die Ministerien in Rheinland-Pfalz und NRW, aber das reicht eben nicht. Es reicht nicht, nur auf seine Zuständigkeit zu verweisen und Warnhinweise anzubieten. Jeder muss in seinem Zuständigkeitsbereich auch die Verantwortung übernehmen. Das bedeutet, Informationen nicht nur automatisiert abzuliefern, sondern nachhaltig zu prüfen

Statt über Zuständigkeiten zu streiten und Aufgaben abzugrenzen, sollten Herausforderungen, wo es sinnvoll ist, gemeinsam geschultert werden. Foto: BS/WavebreakmediaMicro, stock.adobe.com

oder mindestens sicherzustellen, dass diese angekommen sind, verstanden und umgesetzt wurden. Dafür müssen Kompetenzen nicht verschoben und zentralisiert werden. Katastrophen sind grundgesetzlich eine Angelegenheit der Länder und die Ausrufung des Katastrophenfalls ist eine Angelegenheit der Bürgermeisterinnen und Landräte. Das soll so bleiben. Naturkatastrophen beginnen meist als

lokale Ereignisse. Entsprechend gefordert sind die Kräfte vor Ort und vor allem ihre Kenntnis der Gegebenheiten. Deshalb ist es der örtliche Katastrophenschutz, der besser ausgestattet werden muss und dann auch entscheiden muss. Das zeigt auch das Beispiel Bundeswehr. Die hat den militärischen Katastrophenfall ausgerufen. Das bedeutet, dass jeder Kommandeur vor Ort entscheiden kann, welche Hilfs-

mittel er im Krisenfall einsetzen kann, wenn er sie zur Verfügung hat, und nicht erst bei der Kommandobehörde oder gar beim Bundesverteidigungsministerium dafür nachfragen muss. Anstatt bei jedem Ereignis nach mehr Zentralisierung zu rufen, sollte vielmehr überlegt werden, aus welchen Gründen welche Stelle tätig werden muss. Es gibt Bedrohungen, die eindeutig nach einer Bundeszentralisierung

Kommentar

Die zwei Arten von Führung

Colours of Europe Award

(BS) Die Sätze im Untersuchungsbericht zur Bremer Feuerwehr haben es in sich. Zwar gebe es keine rechts­ extremen Strukturen, doch die bekannt gewordenen Probleme werfen kein gutes Licht auf die Organisation. Denn der Bericht ist wahrlich kein Glanzzeugnis, was den Umgang mit Rassismus und Sexismus innerhalb der (BS/mj) “Es geht darum, au- Wehr angeht. Klar ist: Einsatzführungskompetenzen allein reichen nicht aus, um interne Probleme zu lösen. ßergewöhnliches Engagement zu belohnen und gleichzeitig ein Netzwerk aus Kommunen zu schaffen, die ihre Erfahrung und Expertise auch über ihre eigene Region hinaustragen möchten”, heißt es auf der Website der Initiative des Colours of Europe Awards 2021, einer Auszeichnung der überparteilichen Initiative “Tu was für Europa e. V.” Bis zum 12.09.2021 können sich Städte und Kommunen mit weniger als 50.000 Einwohnern mit ihren Projekten, Konzepten und Ideen bewerben. “Besonders in kleineren Städten und Kommunen findet beispielhaftes Europa-Engagement statt, das überregionale Öffentlichkeit verdient und das Potenzial hat, auch andere zu inspirieren und zu motivieren.”

Die Organisationskultur der Feuerwehr ist als männlich, hie­ rarchisch, traditionsverbunden und “widerstandsfähig” gegenüber Veränderungen zu charakterisieren. In Bremen trifft diese Kultur auf eine rückständige, autoritäre und angstbesetzte Führungskultur. Dies soll jetzt alles geändert werden. Das ist natürlich löblich. Nur stellt sich die Frage, warum man erst nach massiven Verfehlungen auf die Idee kommt, die Ausbildung bei der Personalführung auszubauen. Denn eine einheitliche Qualifikation fehlte bisher. Nur wie sollen Führungskräfte Menschen führen, wenn Sie es nie gelernt haben? Dabei sind die Probleme in der Personalführung schon seit vielen Jahren bekannt. Aber keiner handelte. Es wirkt

geradezu zynisch, wenn sich betroffene Kräfte bei Führungsproblemen selbst an die Führung wenden sollen. Erschwerend für die Vorfälle kommt das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft hinzu. Es wird ein anderer und höherer moralischer Anspruch an Bedienstete im Öffentlichen Dienst gestellt. Gerade Personen aus der Feuerwehr, aber auch aus der Polizei und Bundeswehr, stehen sinnbildlich für den Staat. Dies muss allen Beteiligten klar sein. Wenn aber Staatsdiener sich danebenbenehmen, fällt dies immer auf den kompletten Apparat zurück. Es wird nicht unterschieden zwischen einem einzelnen Vorfall oder einem strukturellen Problem. Das Feigenblatt des “schwarzen Humors” darf nicht als Entschuldigung für

beleidigende und herabwürdigende Sprüche dienen. Gerade bei Führungspersonal braucht es ein hohes Maß an persönlicher Reife und Sozialkompetenz, um hier entgegenzuwirken. Deshalb müssen diese Kriterien bei der Auswahl des Führungspersonals neben dem einsatztaktischen und technischen Sachverstand in den Vordergrund gerückt werden. Hier sind wir aber auch als Gesellschaft gefordert, frühzeitig bei sexistischen, rassistischen oder homophoben Vorfällen einzuschreiten. Klar ist dies unangenehm und braucht Courage, aber wenn wir friedlich und inklusiv zusammenleben wollen, führt kein Weg daran vorbei. Falsch verstandener Korpsgeist darf dabei nicht im Weg stehen. Bennet Klawon

Schiff ahoi!

rufen. Etwa Cyber-Angriffe, die meist vom Ausland aus erfolgen. Hier sind eine bundeseinheitliche Abwehrstrategie und auch Zuständigkeit anzustreben. Auch in einer Pandemie wie jetzt ist eine bundeseinheitliche Zuständigkeit, anstatt der zersplitterten Länderverhaltensweise überlegenswert. Warum? Weil in beiden Fällen alle Bundesbürger gleichermaßen gefährdet sind. In anderen Fällen ist es besser, wenn sämtliche Akteure die Herausforderung gemeinsam schultern. Dazu müssen, wie Prof. Dr. Magrit Seckelmann, Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung, es formuliert, entscheidende Fehler der Föderalismusreform 2005 korrigiert werden. Nämlich die “Überakzentuierung der Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern und die Regelung, dass sich der Bund nur gleichsam über die Länder als Boten an die Kommunen wenden kann”. Das wäre der bessere Weg, anstatt die Suche fortzusetzen, ob man die Schuld wie einen Ball ins Feld des politischen Gegners befördern kann, um parteipolitisch zu punkten. Bittere Erkenntnis wie schon bei der Migrationskrise 2015/2016 und Corona: solche Ereignisse dienen nach dem ersten Schrecken sofort als parteipolitische Projektionsfläche.


Inhalt

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Behörden Spiegel / August 2021

Wo soll's langgehen? Die Wahlen zum 20. Bundestag am 26. September 2021 finden in turbulenten Zeiten statt und werden in vielen wichtigen Bereichen die Marschrichtung für die nächsten Jahre bestimmen. Neben Topthemen wie Klimaschutz, Gesundheitsversorgung und Digitalisierung könnten auch in der föderalen Aufgabenverteilung, Ressourcenverteilung und im Beamtenrecht die Karten neu gemischt werden. Foto: BS/Dario Bajurin, stock.adobe.com

Bundestagswahl 2021 An wenigen Stellen nachbessern Bilanz und Ausblick über aktuelle und künftige Reformen im Bundesdienstrecht ........................................................................ Seite 4

Open Source und Breitbandausbau

Die Zukunft gestalten

Digitale Abhängigkeiten beseitigen

Beschäftigung im Öffentlichen Dienst ................................................ Seite 6

Cyber-Sicherheit voranbringen ........................................................ Seite 37

Reine Ländersache?

Keine Einigkeit zwischen den Parteien

Die Rolle des Bundes im Katastrophenschutz .................................... Seite 8

Strafverschärfungen bei Attacken auf Polizisten und Kennzeichnungspflicht für Beamte umstritten ............................ Seite 41

“Kommunen sind das Rückgrat unserer Demokratie” Ohne Finanzierungsquellen kann es keine kommunale Aufgabenverantwortung geben ..................................... Seite 16

Streitfall Digitalisierungsministerium Machtkämpfe mit den etablierten Ressorts ....................................... Seite 27

Fachpolitiker zur Informationstechnologie........................................ Seite 32

Wahlprogramme zur Verteidigung CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Linke und Grüne zu Bundeswehr und Sicherheitspolitik ................................................. Seite 51

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Privat Foto 2: BS/DRK, Henning Schacht Foto 3: BS/Walter Dreßler

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Ann Kathrin Herweg (Online-Redaktion), Malin Jacobson (Kommunen, Online-Redaktion), Bennet Klawon (Katastrophenschutz), Tanja Klement (Online-Redaktion), Matthias Lorenz (Online-Redaktion), Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Tim Rotthaus (OnlineRedaktion), Paul Schubert (IT, IT-Sicherheit), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Dr. Barbara Held (Innenpolitik), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige AnzeigenPreisliste Nr. 32/2021, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag/Redaktion/Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 97-0 Telefax: 0228/970 97 75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / August 2021

KNAPP

Auf den richtigen Abstand kommt es an

Umschichtung hat begonnen

Besoldungstabellen müssen von Grund auf neu gestaltet werden

(BS/jf) Das Bundesministerium

(BS/Jörn Fieseler) In Thüringen ist ein Teil der Beamten unteralimentiert. Und das seit 2008. Das Land will diesen Missstand per Gesetz nach der Sommerpause bereinigen. Dem TBB des Innern, für Bau und Heimat Beamtenbund und Tarifunion Thüringen (TBB) gehen die Bemühungen nicht weit genug. Und er hat prominente Unterstützung. Im Endeffekt geht es um die Zukunft des gesamten (BMI) hat mit der UmschichKonstrukts der amtsangemessenen Alimentation. tung von Aktien in nachhaltige Ausgangspunkt sind die beiden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Mai 2020 zur Richterbesoldung in Berlin (2BvL 4/18) und zu den Bezügen von Richterinnen und Richtern mit drei oder mehr Kindern in Nordrhein-Westfalen (2BvL 6/17). Mit beiden Urteilen hat das BVerfG die Vorgaben zur Prüfung einer Unteralimentation der Besoldung konkretisiert. Entsprechend haben die Berechnungen für Thüringen ergeben, dass die im Jahr 2020 verfügbare Nettoalimentation für eine vierköpfige Alleinverdiener-Familie in den unteren Besoldungsgruppen unter dem gebotenen Mindestabstand zur Grundsicherung von 115 Prozent liege, heißt es im Gesetzentwurf zur Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Alimentation (Thüringer Landtag 7/3575). Gleiches gelte für den Besoldungsbedarf für das dritte und jedes weitere Kind. “Hier sind in keiner der Besoldungsgruppen die erforderlichen 115 Prozent des grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes gewährleistet”, heißt es im Gesetzentwurf des Thüringer Finanzministeriums. Zudem habe die Überprüfung der W-Besoldung ergeben, das Grundgehalt der Besoldungsgruppe W 3 mehr als zehn Prozent unter dem Durchschnitt des Bundes und der Länder liege. Damit sei der fünfte Parameter im Rahmen des vom BVerfG aufgestellten Prüfungsschemas für eine Unteralimentation nicht erfüllt.

Kinderbezogener Familienzuschlag erhöht Um Abhilfe zu schaffen, sollen in den Besoldungsgruppen A 6 und A 7 die erste Erfahrungsstufe gestrichen und die kinderbezogenen Familienzuschläge für alle Besoldungsgruppen erhöht werden. So soll der Zuschlag für das erste zu

de gelegt. “Es hat sich nur an das absolute Minimum herangerechnet und den Gestaltungsspielraum nicht ausgenutzt“, so Battis. Die Verfassung verlange jedoch eine sachgerechte Bestimmung der amtsangemessenen Alimentation.

Die eigentliche Frage

Die Besoldungstabellen von Bund und Ländern müssen generell überarbeitet werden. Es geht nicht nur um den Abstand zur Grundsicherung, sondern auch um den Abstand innerhalb der Besoldungsgruppen. Diese müssen so gewählt werden, dass die Besoldungsordnung nicht wie eine Reihe von Dominosteinen umfallen kann. Foto: BS/beeboys, stock.adobe.com

berücksichtigende Kind um 100 Euro und für die weiteren Kinder um rund 300 Euro angehoben werden (zweites Kind: 305 Euro, drittes Kind: 310 Euro, viertes und weitere Kinder: 292 Euro). Zudem erhalten diejenigen aus der Beamtenschaft Nachzahlungen für die Jahre 2008 bis 2019, die gegen die Höhe ihrer Besoldung Widerspruch eingelegt und geklagt hatten und über deren Ansprüche noch nicht abschließend entschieden worden ist. Ungefähr 1.400 Beamtinnen und Beamte hatten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, berichtet der TBB-Landesvorsitzende Frank Schönborn. Darüber hinaus wird das Grundgehalt der Besoldungsgruppe W 3 angehoben.

Mindestens 1,5 Prozent höhere Personalausgaben Das wird nicht billig. Das Thüringer Finanzministerium rechnet durch die Anhebung der kinderbezogenen Familienzuschläge mit zusätzlichen Personalausgaben von rund 50 Mio. Euro pro Jahr. Das entspricht einer Steigerung des Personaletats von rund 1,5 Prozent. Zudem wirkt sich die Änderung im Besoldungsrecht auch

auf die 631 Kommunen des Freistaates aus. Sie müssen insgesamt rund fünf Mio. Euro pro Jahr mehr für ihre Kommunalbeamten in ihren Haushalten berücksichtigen. Um die Widersprüche abzugelten, ist zudem von weiteren einmaligen Aufwendungen von rund 4,6 Mio. Euro auszugehen. Für die Anhebung des Grundgehalts in der Gruppe W 3 entstehen für das Jahr 2020 einmalige Kosten von rund 36.000 Euro.

Rechtliche Bedenken Es sei anzuerkennen, dass das Thüringer Finanzministerium seinen Verstoß gegen das Alimentationsprinzip eingeräumt habe, sind sich Schönborn und Prof. em. Dr. Dr. h. c. Ulrich Battis einig. Dass der Freistaat den Zuschlag für das erste und zweite Kind anheben wolle, sei mehr, als manch anderes Land unternommen habe, so Battis, der für den TBB ein Rechtsgutachten erstellt hat. Allerdings sieht er in dem Gesetzentwurf “eine sachwidrige Umgehung des Abstandsgebotes mit dem alleinigen Ziel der Kostenminimierung”. Wenn die untersten Besoldungsgruppen verfassungswidrig zu niedrig besoldet seien und deshalb an den Min-

destabstand zur Grundsicherung angepasst würden, müsste aufgrund des Abstandsgebotes auch die Besoldung der höherwertigen Ämter in den darüberliegenden Besoldungsgruppen angehoben werden. Das werde jedoch gezielt umgangen durch die Anhebung des kinderbezogenen Familienzuschlags. Diese Maßnahme sei zwar vom Bundesverfassungsgericht als Möglichkeit zur Besoldungsanpassung aufgezeigt worden, allerdings müsse sie in ein schlüssiges und vor allem sachgerechtes Gesamtkonzept eingebettet sein. Doch ein solches Konzept sei nicht erkennbar. Hinzu komme, dass bei diesem Vorgehen jedes Urteil des Bundessozialgerichts zu Hartz IV in der Besoldung nachgezeichnet werden müsse, ergänzt Schönborn.

Dem Amte nach angemessen “Es geht um eine dem Amte nach angemessene Besoldung”, unterstreicht Battis. Dies sei aber nicht der Fall, wenn nur ein Teil der Beamtenschaft mehr Geld bekomme. Anstatt den gesetzgeberischen Maßstab zur Gestaltung der Besoldung zu nutzen, habe das Land den gerichtlichen Kontrollmaßstab für eine Unteralimentation zugrun-

Damit wird deutlich, wo der Kern des Problems liegt. Der Umgang mit den beiden Karlsruher Beschlüssen im Bund (siehe Behörden Spiegel März 2021, Seite 3) und den Ländern wie hier in Thüringen zeigten das Grunddilemma der politischen Akteure mit dem Öffentlichen Dienst. Wie viel darf er kosten? Doch die Frage an sich ist schon falsch. Der Öffentliche Dienst ist kein Kosten-, sondern mindestens ein Standortfaktor. Mehr noch, er ist ein Garant für das gesellschaftliche Leben. Das hat seinen Preis. Wer die Kostenfrage stellt, dem muss klar sein, entweder für das Personal in den Verwaltungen mehr zu zahlen oder bei der Qualifikation der Beschäftigten Abstriche machen zu müssen. Letzteres kann sich keiner leisten, deshalb ist jedes Land und der Bund gefordert, die Besoldungsordnungen von Grund auf zu überarbeiten. Wer das nicht beachtet, der muss sich nicht wundern, wenn das Bundesverfassungsgericht in seinen künftigen Beschlüssen noch konkretere Vorgaben macht, als das jetzt schon der Fall ist. 2012 hat das BVerfG erste Hinweise gegeben, dass der Öffentliche Dienst nicht als Spardose zu sehen ist, sondern es dazu umfassender Konzepte bedarf, in denen er nur ein Teil ist. 2015 folgte das Urteil mit dem Prüfschema zur Feststellung zur Unteralimentation. Letztes Jahr die Konkretisierung dessen. Der Druck für den Gesetzgeber wird mit jedem weiteren Urteil zunehmen.

Indizes der Pensionsfonds des Bundes begonnen. Am 1. August 2021 ist der Startschuss für die Überführung in “neue, innovative Indexstrukturen gefallen”, teilte das Ministerium mit. Damit soll die Beamtenversorgung insgesamt nachhaltiger werden. Zu den Sondervermögen des Bundes zählen unter anderem die im Verantwortungsbereich des BMI liegende “Versorgungsrücklage” und der “Versorgungsfonds des Bundes”, mit denen seit 1999 beziehungsweise seit 2007 ein Kapitalstock aufgebaut wird. Damit soll der Bundeshaushalt bei der Finanzierung künftiger Versorgungsausgaben entlastet werden. Die Aktieninvestments folgen dabei den Prinzipien eines verantwortlichen Investierens durch Berücksichtigung der Anlagekriterien Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Dieses Konzept stärkt das gesellschaftliche und unternehmerische Bewusstsein für ein soziales, ökologisches und ethisches Wirtschaften. Die Umwandlung ist Teil der 2017 beschlossenen Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.

Zukunft Personalentwicklung Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Öffentlichen Dienstes

WEBKONFERENZ 7. – 8. September 2021 ZUKUNFTSWEISENDE THEMEN, u. a.:

REFERENTEN, u. a.: Birgitta Radermacher, Regierungspräsidentin der Bezirksregierung Düsseldorf

Herausforderung Pandemie – der Öffentliche Dienst als systemrelevanter Faktor und die Bedeutung für das Personalmanagement

Felicia Ullrich, Geschäftsführerin, u-form Testsystem

Ausbildungsmarketing und Recruiting-Trends für Behörden

Dr. Julia Borggräfe, Abteilungsleiterin für Digitalisierung und Arbeitswelt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Digitalisierung und Arbeitswelt – Herausforderungen für den Öffentlichen Dienst

Holger Kliewe, Staatskanzlei des Landes SchleswigHolstein

Personalrekrutierung – Arbeitgebermarke Öffentlicher Dienst

► ALL-AGILE HR? Erkenntnisse zum Reifegrad der HR-Funktion in der agilen Transformation ► Agile Personalentwicklung ► Mitarbeiter erfolgreich entwickeln ► Erweitertes Onboarding & Mitarbeiterbindung ► Mitarbeiterqualifizierung in der Praxis ► Zehn goldene Regeln guter Personalauswahl ► Personalauswahl rechtssicher gestalten

Fotos: Jakub Jirsk, Fotolia.com; ©Roberto Pfeil (Radermacher); privat (Ullrich); © Armin Wähling WM-SH (Kliewe); matzkeFoto_sm (Borggräfe)

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de ► Suchwort „Zukunft Personalentwicklung“

Eine Veranstaltungsreihe des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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An wenigen Stellen nachbessern

B

ehörden Spiegel: Herr Hollah, wie fällt ihre Bilanz für die zu Ende gehenden Legislatur aus? Hollah: Gut! Wir haben mit vier größeren Reformen viel erreicht. Zuerst den Tarifabschluss 2018, bei dem wir insbesondere für Fachkräfte höhere Entgelte verhandeln konnten. Durch die Streichung der Eingangsstufe sind die Entgelte dort im Schnitt um zehn Prozent gestiegen. Das ist nicht nur für die Beschäftigten ein Gewinn, sondern auch für den Bund als Arbeitgeber. Durch die Tabellenreform sind wir moderner und attraktiver geworden. Diese Ziele haben uns – zweitens – auch beim Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz (BesStMG) geleitet. Auch hier lag der Schwerpunkt auf Regelungen, um besser Fachkräfte finden und halten zu können, etwa durch die Personalgewinnungsprämie oder die Personalbindeprämie. Drittens nenne ich unsere Instrumentengespräche, bei denen wir unser tarif- und beamtenrechtliches Handwerkszeug mit Praktikern gemeinsam auf den Prüfstand stellen. Und die vierte größere Reform war die Novellierung des Bundespersonalvertretungsgesetztes (BPersVG), das komplett neu gefasst und in die Zeit gestellt wurde und seit Mitte Juni in Kraft ist. Diese vier Vorhaben ragen in dieser Wahlperiode heraus und werden über die nächsten Jahre wirken. Behörden Spiegel: Bleiben wir beim BesStMG. In welchem Maße ist von den genannten Prämien bisher Gebrauch gemacht worden? Hollah: Die Personalgewinnungs- und -bindungsprämie sind seit Anfang 2020 in Kraft. Wir wissen von ersten Anwendungen, haben aber noch keinen

Behörden Spiegel / August 2021

Bilanz und Ausblick über aktuelle und künftige Reformen im Bundesdienstrecht (BS) Man habe als Abteilung D vor allem eine Vermittlerrolle eingenommen, um den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag zu erfüllen, das Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) erstmals seit Jahrzehnten zu novellieren, erläutert Ansgar Hollah, Leiter der Abteilung Dienstrecht im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. Das Verfahren sei erfolgreich beendet worden und ist eines von vier größeren Reformen dieser Legislaturperiode. Ebenso wie das Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz und die neu eingeführten Instrumentengespräche. Zudem sieht er seine Abteilung im BMI als “Interessenwahrer für die gesamte Bundesverwaltung – sowohl für die Dienstherrn als auch für Beamte und Tarifbeschäftigte” und gibt einen Ausblick, was in der nächsten Legislatur auf der Agenda steht. Die Fragen stellten Malin Jacobson und Jörn Fieseler. Gesamtüberblick, wie oft und in welchen Schwerpunkten die Prämien genutzt wurden. Das erfolgt jetzt. Über unsere Instrumentengespräche bekommen wir bereits die Rückmeldung, dass beides funktioniert. Darüber hi­naus haben wir mit dem BesStMG auch die Zulagen systematisiert und erhöht. Dafür bekommen wir kaum Lob, aber es kritisiert auch niemand. Behörden Spiegel: Wie viele Instrumentengespräche haben sie durchgeführt und wie laufen diese ab? Hollah: Wir haben bereits drei Staffeln absolviert. Jede Staffel besteht wiederum aus drei Folgen. Pro Staffel werden vier oder fünf Behörden aus dem Geschäftsbereich des BMI eingeladen und mindestens eine Behörde aus einem anderen Ressort. In der ersten Runde kommen die Präsidenten und die Personalabteilungsleiter mit meinen Referatsleitern und mir zusammen, um bestehende Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung zu schildern. In der zweiten Folge setzt sich die Fachebene zusammen, um konkrete Lösungen aufzuzeigen. In der dritten Folge gibt es dann ein Abschlussgespräch mit den Akteuren der ersten Runde und wir ziehen Bilanz. Behörden Spiegel: Welche Er-

“Wir haben mit vier größeren Reformen viel erreicht” , sagt Ansgar Hollah, Leiter der Abteilung Dienstrecht im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI).

kenntnisse ziehen sie aus diesen drei Staffeln? Hollah: Bislang haben wir nur eine noch ungelöste Problemstellung gefunden: Können Beschäftigte, die erfolgreich neue Mitarbeiter werben, dafür eine Prämie bekommen? Im Tarifvertrag oder Besoldungsrecht ist das nicht vorgesehen, daher war unsere Antwort auf diese Frage früher negativ. Aber wir sehen die Analogie zu Verbesserungsvorschlägen, für die es Prämienregelungen gibt. Also haben wir die Idee jetzt in den Ausschuss für Organisationsfragen eingebracht, damit dort eine möglichst einheitliche Regelung gefunden werden kann. Bei den bereits vorhandenen Instrumenten zeigt sich ein differenziertes Bild: Vielen Praktikern sind die Instrumente unbekannt, andere kennen sie zwar, wenden sie aber “vorsichtshalber” nicht an. Zum

Marco Weißer/Christoph Fournier:

Erfolgreich ausbilden in der öffentlichen Verwaltung Wie Ausbildung praktisch gelingt ACHTUNG FACHKRÄFTEMANGEL! Der Öffentliche Dienst tut etwas dagegen und bildet verstärkt aus. Dabei gibt es einiges zu beachten! Sicher haben Sie sich als Ausbilder/-in in der öffentlichen Verwaltung auch schon folgende Fragen gestellt: • Wie “tickt” die heutige Generation und wie erreicht man sie am besten? • Worauf kommt es bei der Einführungszeit (dem Onboarding) an? • Welche Ziele gibt es und welche Rahmenbedingungen sind für das Lernen elementar? • Wie “funktioniert” Kommunikation und wie können Konflikte vermieden/gelöst werden? • Worauf ist bei der Bewertung von Leistungen und bei Beurteilungen zu achten? • Welche Inhalte aus der Ausbildungseignungsverordnung (AEVO) sind von Bedeutung? Im Band 5 der Mayener Schriftenreihe finden Sie Antworten: Der neue Ratgeber “Erfolgreich ausbilden in der öffentlichen Verwaltung – Wie Ausbildung praktisch gelingt” richtet sich an Sie als praktische Ausbilder/-innen und Ausbildungsleiter/-innen in den verschiedensten Bereichen, egal ob im Umgang mit Verwaltungsfachangestellten, der Kauffrau für Büromanagement, dem Gärtner im Grünflächenamt oder der Fachkraft für Wasserversorgungs-/ Abwassertechnik. Er soll Ihnen bei Ihrer verantwortungsvollen Aufgabe Fragen beantworten sowie Hinweise und Ratschläge geben. Darüber hinaus enthält das Werk viele Ideen für eine erfolgreiche Gestaltung des Ausbildungsverlaufs. Die gelungene Mischung aus dem Heranziehen von Studien und dem Aufführen von praktischen Beispielen macht es für den täglichen Gebrauch besonders hilfreich. Beide Autoren sind Absolventen der Hochschule für öffentliche Verwaltung Rheinland-Pfalz und verfügen über breite Verwaltungserfahrung sowie über Kompetenz und Wissen im Bereich der Ausbildung und Ausbildungsvermittlung. Mehr zum Thema: Wie Ausbildung praktisch gelingen kann, thematisieren die Autoren in einem Webinar des Behörden Spiegel am 21. / 22. Oktober 2021. Jeder Teilnehmer erhält ein kostenloses Exemplar des Buches. Weitere Informationen unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “erfolgreich ausbilden”

Foto: BS/BMI

Beispiel die Zulage für IT-Fachkräfte von bis zu 1.000 Euro pro Monat: Das sei eine Bevorzugung neuer Mitarbeiter und würde den Betriebsfrieden stören. Aber wir bekommen auch das Feedback, dass diejenigen, die an den Ins­t rumentengesprächen teilgenommen haben, sich vernetzen und so bei der konkreten Umsetzung durchweg positive Erfahrungen machen. Wir bekommen viel Lob für dieses Format und profitieren auch selbst sehr davon. Wir haben mehr Anmeldungen für weitere Staffeln, als wir derzeit bewältigen können. Behörden Spiegel: Sie haben die Novellierung des BPersVG angesprochen. Die Gewerkschaften wollen in der nächsten Legislatur Nachbesserungen am neuen Gesetz vornehmen. Teilen Sie diese Ansicht? Hollah: Zum Teil. Wir haben uns drei Jahre lang mit den Ressorts, den Personalvertretungen und den Gewerkschaften ausgetauscht und gemeinsam heraus­gearbeitet, was im Konsens zu erreichen ist und was nicht. Beide Seiten sind Kompromisse eingegangen und wussten jederzeit, dass übertriebene Forderungen oder beinharte Verweigerungen am Ende den Entwurf und all seine Vorarbeiten durch die Diskontinuität im Bundestag zu Fall gebracht hätten. Auch deswegen haben wir als Abteilung D vor allem eine Vermittlerrolle eingenommen, um den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag zu erfüllen, das BPersVG erstmals seit Jahrzehnten zu novellieren. Verfahren und Inhalte waren am Ende erfolgreich.

Behörden Spiegel: Aber bleibt es jetzt beim Kompromiss oder wird nächste Legislatur nachgebessert? Hollah: Wenn es neue Erkenntnisse gibt, kann man sich über neue Wünsche unterhalten. Zum Beispiel über die Frage der Versetzung ohne Zustimmung der Personalvertretung. Bislang geht dies nur für einen Zeitraum von drei Monaten. Die Dienststellen würden dies aus praktischen Erwägungen gerne auf sechs Monate verlängern. Doch bevor wir solche Dinge diskutieren, sollten zunächst einmal alle die Chance nutzen, mit dem neuen Gesetz zu arbeiten. Es wird mindestens zwei Jahre brauchen, bis alle die neue Nomenklatur verinnerlicht haben. Erst danach können eventuelle Problemstellungen sauber identifiziert werden, sodass ich für die nächste Legislatur noch keine erneute Grundsatz-Novelle erwarte.

Hollah: Wir bewegen uns im Beamtenrecht immer im Rahmen von Artikel 33 Grundgesetz. Das darf bei allem Reformeifer etwa bezüglich der Alterssicherungssysteme nicht vergessen werden. Hier sind wir als Bund vorbildlich, was wir bewahren sollten. Im Übrigen ist die Dienstrechtsabteilung im BMI der Interessenwahrer für die gesamte Bundesverwaltung – sowohl für die Dienstherrn als auch für Beamte und Tarifbeschäftigte. So wollen wir mehr mit Mustern und Piloten arbeiten, die von allen Bundesbehörden unentgeltlich genutzt werden können – statt dass jeder das Rad jedes Mal neu erfinden muss. Das ist eine Fortschreibung unserer Instrumentengespräche. Behörden Spiegel: Was ist mit der Reform des Familienzuschlags und der Umsetzung der beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Alimentation in Berlin und NRW (siehe Behörden Spiegel Mai 2021, Seite 3)? Hollah: Auch das werden wir angehen. Wir wollen einerseits den Kinder- und Verheiratetenzuschlag reformieren. Letzteren soll nur noch bekommen, wer tatsächlich verheiratet ist. Im Gegenzug wollen wir den Zuschlag für Kinder erhöhen. Damit würden auch zahlreiche Prüfungen im Rahmen der Gewährung der Zuschlagszahlungen entfallen.

Behörden Spiegel: Was muss aus Ihrer Sicht in der nächsten Legislatur angegangen werden?

Behörden Spiegel: Und der Abstand der Alimentation zur Grundsicherung?

Hollah: Unser Instrumentarium und die rechtlichen Regelungen sind klar und gut gestaltet. An einzelnen Stellen gibt es noch Nachbesserungsbedarf. Zwei Stichworte werden maßgeblich sein: Das System aufräumen und sichern. Zum Aufräumen gehören im Wesentlichen Ausbesserungen und Vereinfachungen. So muss der Abbau von Überstunden, etwa bei der Polizei, besser planund durchsetzbar sein. Das ist ein Aspekt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, der bei uns unter dem Stichwort “Überstundenbremse” läuft. Nichts halte ich dagegen davon, Überstunden in Lebensarbeitszeitkonten zu überführen. Die Menschen arbeiten dann “auf Kredit”, statt die Belastungen aktuell abzubauen. Solange es bei der Bundespolizei etwa Personalzuwächse gibt, sollten Überstunden reduziert und deren Ausgleich nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag weggebucht werden.

Hollah: Karlsruhe hat den Gesetzgebern aufgegeben, die Wohnkosten bei der Berechnung genauer zu berücksichtigen und sich an den Wohngeldstufen zu orientieren. Dazu haben wir das Modell eines regionalen Ergänzungszuschlags erarbeitet. Damit hätten alle Bundesbeamten, -richter und Soldaten mit Kindern mehr Geld bekommen; für einen Beamten der Besoldungsgruppe A8 mit vier Kindern in München wäre das ein vierstelliger Betrag pro Monat zusätzlich. Beide Vorschläge sind im Ressortkreis gescheitert und nicht in den Bundestag eingebracht worden. Angesichts der Diskussionen gab es keine Chance, vor der parlamentarischen Sommerpause eine Einigung zu erzielen. Deshalb müssen wir das in der nächsten Legislatur nachholen. Wir im BMI sehen das als Bringschuld und haben daher sichergestellt, dass kein Betroffener sich selber kümmern muss. Die neuen Regelungen sollen rückwirkend zum Januar 2021 in Kraft treten.

Behörden Spiegel: Und was meinen Sie mit “System sichern”?

KOLUMNE

Querköpfe richtig einbinden Sie brauchen viel Energie und Geduld – bringen die Organisation mit ihren Denkansätzen jedoch oft den entscheidenden Schritt weiter. “Aber das ist doch wirklich Murks! Wenn wir das Thema richtig anpacken wollen, müssen wir ganz anders ansetzen!” Mit hochrotem Kopf sitzt er mir gegenüber und blickt mich ärgerlich an. Es kostet mich eine Menge Überwindung und Kraft, diesen verbalen Angriff wegzustecken und den Querkopf dazu zu bringen, seinen Ansatz zu erläutern. Doch ich habe meine Belegschaft immer und immer wieder dazu ermuntert, Tacheles zu reden und unbequeme Wahrheiten wie eigene Meinungen und Ansichten auf den Tisch zu legen. Nur dann können wir gemeinsam damit arbeiten. Gut, ich hole ihn also raus aus der “Mecker-Ecke” und rein in den von mir immer wieder adres­s ierten “Lösungsraum”.

Beate van Kempen leitet die Abteilung “Produktmanagement Verbundlösungen” beim LVR Infokom. Foto BS/privat

Ich lausche, hake nach, denke mich in die Idee hinein, frage erneut nach, zeige einen Einflussfaktor auf, bitte um ein Beispiel – und kann am Ende nur noch staunen. Darauf wäre ich nicht gekommen. Ja, es braucht noch Feinschliff und wir müssen noch etwas klären; aber auf diesen Ansatz wäre ich nie gekommen. Am Ende schaut

er zufrieden. Aber auch das nur kurz, so, als hätte er einen “Ruf” zu verlieren. Ich muss innerlich schmunzeln. Im Nachhinein war ich froh, den Energieaufwand betrieben zu haben; in diesem Fall fanden wir einen sehr kreativen Lösungsweg, der mit Leben gefüllt werden konnte. Aber natürlich muss ich immer wieder im Blick behalten, ob Aufwand und Nutzen in einem guten Verhältnis stehen. So viel Zeit und Energie ist im Rahmen der vielfältigen Führungsaufgaben schlicht nicht immer verfügbar. Am Ende bin ich jedoch davon überzeugt, dass sich die Qualität bzw. Kultur einer Organisation daran ablesen lässt, wie mit Querköpfen umgegangen wird. Deren Input zu ignorieren, geht genauso wenig, wie ihnen jeglichen Raum zu bieten. Ein gesundes Maß zu finden, ist für alle Beteiligten – Querköpfe wie Führungskräfte – häufig eine unerwartete Bereicherung.


Behörden Spiegel / August 2021

Zahlen & Fakten

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Bund

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Behörden Spiegel / August 2021

Experten fordern Schutz für Hinweisgeber

MELDUNG

Bilateraler Pilot fürs digitale Ausweisen

Whistleblowing in Behörden (BS/Ann Kathrin Herweg) Als Insider auf Missstände in der eigenen Behörde hinzuweisen, ist riskant. Auf EU-Ebene existiert dazu eine Richtlinie zum Whistleblowing, die – was selten ist – explizit auch das Verhalten von Beamten regelt. Eine Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht ist jedoch in der GroKo gescheitert, lediglich ein Referentenentwurf zum Whistleblowing liegt aktuell vor. Das LKA Niedersachsen betreibt seit 2003 ein anonymes Hinweisgebersystem, über das Insider Unregelmäßigkeiten melden können. Davon kann jede oder jeder Gebrauch machen, sowohl Beamte und Tarifbeschäftigte als auch Mitarbeitende z. B. aus der Wirtschaft. Vornehmlich geht es bei diesem anonymen Hinweisgebersystem um die Meldung von Korruptionsdelikten. Die Hinweisgeber können online ihr Wissen mit den Ermittlern teilen. Über einen Postkasten haben Ermittler und Insider die Möglichkeit, wie per E-Mail-Verkehr zu kommunizieren. Zudem ist es möglich, Dokumente hochzuladen, auf deren Grundlage dann ermittelt wird. Dieses Verfahren hat sich laut Kriminalkommissar Thomas Dombek, der vor seinem Ruhestand jahrelange Erfahrung mit dem System und der Zusammenarbeit mit Hinweisgebern gesammelt hat, als sehr effektiv herausgestellt. Durchschnittlich ein Hinweis pro Tag gehe über das Hinweissystem ein, schätzt Dombek. Der Vorteil am System ist nach seiner Meinung die hundertprozentige Anonymität, welche Hinweisgeber vor möglichen Repressalien schützt. Doch während Niedersachsen schon seit Langem gute Erfahrungen mit dem Hinweissystem macht, gibt es eine solche sichere Meldemöglichkeit in Deutschland

Beamte wissen oft nicht, mit wem sie über Unrechtmäßigkeiten in der eigenen Behörde sprechen dürfen. Rechtsunsicherheiten rund um das richtige Vorgehen bei der Meldung von Missständen müssen dringend ausgeräumt werden, fordern Experten. Foto: BS/philm1310, pixabay.com

bislang nicht flächendeckend. Aktuell sieht der Meldeweg von Informationen zu Verstößen in Deutschland wie folgt aus: Bemerkt ein Beamter oder eine Beamtin, dass in der Behörde etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, so muss er oder sie dies zunächst intern dem direkten Vorgesetzten melden. Hat er damit keinen Erfolg, kann er beim nächsthöheren Vorgesetzten remonstrieren. Erst wenn die Meldung hier nicht auf Gehör stößt, kann eine externe Meldung z. B. an die Staatsanwaltschaft

erfolgen. Nur wenn auch diese keine Früchte trägt, darf der Beamte bzw. die Beamtin sich an die Medien wenden, quasi als letztes Mittel oder “Flucht in die Öffentlichkeit”. Der Schutz für Hinweisgeber kommt dabei jedoch zu kurz. Ein Großteil der Insider hat Hemmungen, Unstimmigkeiten im eigenen Umfeld zu melden. Die Verschwiegenheits-, Treueund Gehorsamspflicht machen das Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten in der Behörde zum riskanten Unterfangen. Auch die Remonstrationspflicht für Beamte kann dies nicht ausgleichen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen sich vor negativen Konsequenzen, wenn sie Rechtsverstöße im eigenen Umfeld aufdecken. Einerseits besteht die Gefahr, bei den verantwortlichen Kollegen und besonders bei Vorgesetzten in Ungnade zu fallen, oft geht mit dem Melden von Verstößen auch der sogenannte EdeKa-Effekt einher (Ende der Karriere). Im Gegenzug: Schätzt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Situation falsch ein und meldet ein Vergehen, das gar keines ist, drohen ebenfalls disziplinarische Sanktionen bis hin zur Entlassung aus dem Dienst. Auf EU-Ebene gibt es bereits seit Dezember 2012 eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unions-

recht melden. Bis Dezember 2021 soll diese Richtlinie auch in Deutschland umgesetzt werden. Ein Referentenentwurf zum Whistleblowing existiert bereits, die Umsetzung ist jedoch in der GroKo gescheitert, womit auch die Einhaltung der Frist zu scheitern droht. Experten fordern dennoch, dass die EU-Richtlinie zum Whistle­blowing möglichst bald auch in nationales Recht umgesetzt und dabei ggf. sogar erweitert wird. So können Hinweisgeber auch dann geschützt werden, wenn ihre Meldung von Rechtsverstößen auf dem Dienstweg kein Gehör findet.

Für eine “gute” Richtlinie Dr. Nico Herold ist Rechtsexperte für Whistleblowing im Öffentlichen Dienst und forscht in diesem Bereich. Er fordert ein zentrales Whistleblowing-Gesetz für Deutschland, welches einen weiten Geltungsbereich und gute Handhabbarkeit aufweisen sollte. Ein Muss für Herold ist zudem ein Wahlrecht für Hinweisgeber, welches ihnen erlaubt, selbst zu entscheiden, ob sie Unregelmäßigkeiten intern oder extern ansprechen möchten. Für die Insider müsse außerdem aus der Regelung klar hervorgehen, was sie dürfen und was nicht, was sie müssen und wovor sie geschützt sind. Sven Giegold, Grünen-Politiker und Europa-

abgeordneter aus NRW, sieht die Anforderungen an das neue Gesetz ähnlich. Das Aufdecken von Missständen liege im besten Interesse der Allgemeinheit. Man solle nicht weiter gutes Europarecht in Deutschland blockieren, findet er. Stattdessen brauche es eine schnelle Umsetzung in nationales Recht. Zusätzlich hält er einen Nachteilsausgleich von Betroffenen durch einen Fonds für sinnvoll. Auch Dombek fordert einen besseren Schutz für die Hinweisgeber. Um diesen zu gewährleisten, müsse man sich bei der Umsetzung eines Whistleblowing-Gesetzes der Auswirkungen für die Praxis bewusst sein und den jeweiligen Anwendungsbereich, aber z. B. auch regionale Besonderheiten berücksichtigen. Transparente bundeseinheitliche Strukturen, praktikable anwenderfreundliche Lösungen, die die spezifischen Besonderheiten des Berufsbeamtentums berücksichtigen, und ein Gesetz, das nicht nur EU-Recht, sondern auch deutsches Recht einbeziehe, erhofft sich Friedhelm Schäfer, zweiter Vorsitzender des DBB Beamtenbunds und Tarifunion und Fachvorstand Beamtenpolitik. Das sei keine triviale Aufgabe, schätzt er die Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie in deutsches Recht ein, “aber ich glaube, das kriegen wir hin”.

(BS/stb) Deutschland und Spanien wollen bei der Digitalisierung von Identitätsnachweisen gemeinsam vorangehen.Dazu haben die Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, und die spanische Staatssekretärin für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, Carme Artigas, eine Kooperation vereinbart. In Kürze soll ein Pilot für ein bilaterales System zum Erstellen, Speichern und Auslesen digitaler Ausweise konzipiert werden. Damit soll untersucht werden, wie ein offenes und dezentrales Identitäts-Ökosystem grenzüberschreitend funktionieren kann, das auf staatlich ausgestellten Identitätsdokumenten beruht. Die Ergebnisse sollen in die Entwicklung des Rahmenwerkes für digitale Identitäten der Europäischen Union einfließen. Dieses hatte die Kommission kürzlich mit der Novellierung der eIDASVerordnung vorgeschlagen. EU-Bürger sollen Identitätsnachweise und andere amtliche Dokumente in digitaler Form sicher in einer ID-Wallet (digitale Brieftasche) auf dem Smartphone speichern und verwalten können. Beim Ausweisen sollen sie Kontrolle über die übertragenen Daten bekommen. Unter der Ägide von Staatsministerin Bär war im Mai bereits ein nationaler Anwendungsfall für das digitale Ausweisen gestartet. Mitarbeitende bestimmter Unternehmen, darunter Deutsche Bahn AG und BWI GmbH, können in Hotels dreier Ketten unkompliziert digital einchecken. Weitere Anwendungen sollen folgen.

Die Parteien zur Bundestagswahl 2021

Die Zukunft gestalten Beschäftigung im Öffentlichen Dienstes

Personal

?

Muss und, wenn ja, wie kann der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst erhöht werden?

?

Wie ist der Arbeitsplatz der Zukunft für die Beschäftigten der Bundesverwaltung zu gestalten?

CDU / CSU

SPD

AfD

FDP

Linke

Grüne

Ute Vogt, MdB, Innenpolitische Sprecherin

Dr. Gottfried Curio, MdB, Innenpolitischer Sprecher

Benjamin Strasser, MdB, Obmann im Ausschuss für Inneres und Heimat

Ulla Jelpke, MdB, Innenpolitische Sprecherin

Dr. Irene Mihalic, Mdb, Innenpolitische Sprecherin

Weder von der CDU noch von der CSU waren bis Redaktionsschluss Antworten auf die Fragen zu erhalten.

Zugang und Karriereoptionen müssen unabhängig von Geschlecht und Herkunft sein. Wir unterstützen Programme, die eine vielfältige Kultur in Unternehmen und Behörden fördern. Der Zugang zum Arbeitsmarkt muss für Menschen mit Migrationsgeschichte durch gezielte Beratungsangebote verbessert werden. Anonymisierte Bewerbungsverfahren könnten hilfreich sein oder Zielvereinbarungen für einen höheren Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte. Der Öffentliche Dienst muss dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.

Die AfD steht auf dem Standpunkt des Leistungsprinzips: Migrantenquoten und bevorzugte Behandlung, um ein Integrationsnarrativ zu bedienen, widersprechen dem Gleichbehandlungsgrundsatz – zumal hier per Quote eine Integration auch nur numerisch vorgegaukelt werden soll. Zu vermeiden ist der Eindruck, dass jeder einen Behördenmitarbeiter oder eine Behördenmitarbeiterin mit Wunschmigrationshintergrund bestellen kann: Es darf zu keinen falschen Solidarisierungen kommen, die sich aus einem gemeinsamen Migrationshintergrund speisen.

Wir setzen uns für mehr Vielfalt im Öffentlichen Dienst (ÖD) ein. Gesetzliche Quoten lehnen wir ab. Stattdessen fordern wir für die Arbeitswelt ein ganzheitliches DiversityManagement. So schaffen wir gleiche Chancen für Aufstieg durch Leistung – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, Behinderung, sexueller Orientierung oder Religion. Im ÖD sind dafür die Strukturen der Gleichstellungs- und Behindertenbeauftragten einzubinden. Transparenz in Gleichstellungsberichten fördert den Kulturwandel.

Beschäftigte mit Migrationshintergrund sind im Öffentlichen Dienst deutlich unterrepräsentiert, das gilt insbesondere für höhere Positionen. Aus meiner Sicht ist das ein klarer Hinweis auf Barrieren beim Zugang zu diesen Jobs, denen mit einer verbindlichen Quote entgegengewirkt werden sollte. In Berlin hat DIE LINKE ein Partizipationsgesetz auf den Weg gebracht, um die Repräsentation von Beschäftigten mit Migrationshintergrund zu verbessern. In der nächsten Legislatur wollen wir auch auf Bundesebene einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen.

Die Vielfalt Deutschlands soll sich auch in seiner Verwaltung, bei der Polizei und der Bundeswehr widerspiegeln, denn das trägt zum Vertrauen der Menschen in Demokratie und Staat bei. Aktuell besteht in Deutschland Nachholbedarf in diesem Bereich. Für mehr Repräsentanz und Teilhabe werden wir ein Partizipationsund Teilhabegesetz vorlegen, welches gleichberechtigte Teilhabe, Partizipation und Repräsentation gesetzlich verankert.

Weder von der CDU noch von der CSU waren bis Redaktionsschluss Antworten auf die Fragen zu erhalten.

Ein leistungsfähiger Staat, der die Erwartungen der Bürger und Bürgerinnen erfüllen kann, braucht qualifizierte und motivierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Ihnen müssen vernünftige Arbeitsbedingungen über die verschiedenen Phasen des Erwerbslebens hinweg geboten werden. Es braucht moderne Besoldungs- und Gehaltsstrukturen, individuelle Weiterbildungs- und Karriereplanung, bessere Vereinbarkeit von Arbeit mit Privatleben und Familie und flexible Arbeits(zeit)modelle. Homeoffice und Möglichkeiten von Job-Sharing können Bausteine sein.

Die Arbeitsplatzverwaltung muss die technischen Möglichkeiten bereitstellen. Dabei sollte die konkrete Ausgestaltung von jenen erarbeitet werden, die die Begebenheiten vor Ort kennen und etwa die Einflüsse von Homeoffice auf Produktivität, Kommunikationswege, Kreativität abschätzen können. Dieser Prozess sollte vom Gesetzgeber nach praktischen Erfordernissen flankiert werden, ohne pauschal einen neuen Paragrafenwald aus Rechten und Pflichten zu schaffen.

Hürden für mobiles Arbeiten, etwa durch veraltete Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung und der Arbeitszeiten, sind abzubauen. Durchgehend plattformbasiertes Arbeiten muss in allen Behörden ermöglicht werden. Jeder Bildschirmarbeitsplatz in der Verwaltung soll durch die entsprechende technische Gestaltung auch mobil nutzbar sein. Die interne Netzinfrastruktur muss deshalb in der Lage sein, das zeitgleiche mobile Arbeiten nahezu aller Nutzer und Nutzerinnen zuverlässig und sicher zu gewährleisten.

Es ist schwierig, hierzu allgemeine Aussagen zu treffen, da die Organisation und Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses sehr stark von der konkreten Tätigkeit abhängt. In jedem Fall halte ich es für wichtig, dass bei allen Entscheidungen die Personalvertretung eingebunden wird.

Flexiblere Arbeitszeit­ gestaltung muss auch für Beschäftigte der Bundesverwaltung, insbesondere für Eltern, ermöglicht werden. Bei Tätigkeiten, die mobil ausgeführt werden können, sollte grundsätzlich ein Recht auf Homeoffice eingeführt werden. Damit würden nicht nur flexiblere Arbeitszeiten gewährleistet, sondern auch die Zufriedenheit der Beschäftigten würden erhöht werden.

Quelle: BS/Jörn Fieseler, Ann Kathrin Herweg


D

ie Bedrohung durch Langstreckenwaffen ist nicht erst seit 2017 real. Schon Anfang des Jahrtausends gab es elf Staaten, die im Besitz ballistischer Flugkörper im Mittel- und Langstreckenbereich waren. Seit dieser Zeit wird in der NATO die Entwicklung einer “Integrated Air and Missile Defence”-Fähigkeit diskutiert. Es sollten noch etwa zehn Jahre vergehen, bis im Jahr 2010 auf dem NATO-Gipfel in Lissabon die Entscheidung fiel, “Ballistic Missile Defence” (BMD) aufzubauen. Damit folgte den etwa zehn Jahre andauernden Aktivitäten Amerikas eine Ausweitung auf die NATO mit dem Ziel, alle Mitgliedsstaaten effektiv vor ballistischen Langstreckenwaffen zu schützen. Ein Ergebnis des NATO-Gipfels 2012 in Chicago war die Inbetriebnahme des Ballistic Missile Defence Operation Centers (BMDOC) in Ramstein, dem größten amerikanischen Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA. Auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Framework Nations Concept, im Bereich BMD eine führende Rolle in Europa zu übernehmen. Seit 2015 hat die Deutsche Marine die Führung des “Upper Layer BMD” übernommen, eines Sub-Clusters des “Air and Missile Defence”-Clusters, welches durch die deutsche Luftwaffe koordiniert wird. Kooperationspartner Deutschlands im “Upper Layer BMD” sind Dänemark, die Niederlande und Belgien. Allerdings basiert bis heute der Schutz Europas gegen Ballistic Missiles (BM) großer Reichweite im Rahmen des “European Phased Adaptive Approach” (EPAA) aus-

Wichtiger Schritt für unsere Sicherheit Deutschland: Fähigkeiten im Bereich Ballistic Missile Defence (BMD) aufbauen (BS/Manfred Müller*) Dass sich Russland und die Vereinigten Staaten in der Bewertung einig sind, kommt sicherlich nicht häufig vor. Aber genau dieser Zustand wurde erreicht, als beide Großmächte gleichermaßen den Start einer Interkontinentalrakete (Intercontinental Ballistic Missile / ICBM) Nordkoreas verurteilten. Am 29. November 2017 hatte am Ende einer längeren Reihe von Tests eine Rakete eine Flughöhe von etwa 4.500 km und eine Reichweite von 960 km erreicht. Experten konnten errechnen, dass bei entsprechendem Abschusswinkel eine Reichweite von 13.000 km möglich ist – und damit jeder Ort des amerikanischen Kontinents erreichbar wäre.

listische Flugkörperabwehr (MBFA)) geschehen. Damit stehen national und international zwei Herausforderungen im Fokus: a. Nationaler Schutzschirm: Das Ziel, einen nationalen Schutzschirm im Rahmen der Territorialen Flugkörperabwehr zu installieren, ist damit in absehbarer Zeit realisierbar. b. Beitrag zur NATO Integrated Air and Missile Defence; gleichzeitig wäre durch die Installation eines AEGIS-Moduls die Integration in ein NATOSystem verzugsfrei möglich.

Über Elta Systems Ltd.

Mit dem 2018 beschlossenen Konzept “Territoriale Flugkörperabwehr” zur Landes- und Bündnisverteidigung soll eine Gesamtarchitektur mit umfassenden Radaranlagen zum Schutz gegen Flugkörper errichtet werden.

schließlich auf land- und seegestützten Sensoren und Abfangflugkörpern, die durch die USA gestellt werden. Wichtige Komponenten dabei sind die US-Navy-AEGISZerstörer, AEGIS-Offshore, Anlagen, aber auch Schiffe der Marinen von Australien, Japan, Südkorea, Norwegen und Spanien.

Über Israel Aerospace Industries Ltd. Israel Aerospace Industries Ltd. ist ein weltweit führender Technologie- und Innovationschampion, der sich auf die Entwicklung und Herstellung fortschrittlicher, hochmoderner Systeme für die Luft-, Raum-, See-, Land-, Cyber- und Innere Sicherheit spezialisiert hat. Seit 1953 liefert das Unternehmen fortschrittliche Technologielösungen an Regierungsund Geschäftskunden weltweit, darunter Satelliten, Flugkörper, Waffensysteme und Munition, unbemannte Systeme und Robotersysteme, Radare, C4ISR und mehr. IAI entwirft und fertigt auch Geschäftsflugzeuge und Flugzeugstrukturen, führt Überholung und Wartung von Verkehrsflugzeugen durch und rüstet Passagierflugzeuge auf Betankungs- und Frachtkonfigurationen um.

Über HENSOLDT Hensoldt ist ein deutscher Champion der Verteidigungsindustrie mit einer führenden Marktposition in Europa und globaler Reichweite. Das Unternehmen mit Sitz in Taufkirchen bei München entwickelt Sensorlösungen für Verteidigungs- und Sicherheitsanwendungen. Als Technologieführer baut Hensoldt zudem sein Portfolio im Bereich Cyber kontinuierlich aus und entwickelt neue Produkte zur Bekämpfung eines breiten Spektrums von Bedrohungen auf der Grundlage innovativer Ansätze für Datenmanagement, Robotik und Cyber-Sicherheit. Mit mehr als 5.600 Mitarbeitern erzielte Hensoldt 2020 einen Umsatz von 1,2 Milliarden Euro. Hensoldt ist an der Frankfurter Wertpapierbörse notiert und dort Teil des Aktienindex SDAX.

Die USA drängen die europäischen Verbündeten, insbesondere Deutschland, seit Jahren dazu, den weiteren Ausbau des Abwehrnetzes zu unterstützen und damit auch mehr Verantwortung zu übernehmen. Der Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn hat 2018 das nationale Konzept “Territoriale Flugkörperabwehr” zur Landes- und Bündnisverteidigung gebilligt. Dies stellt die Anforderungen an eine nationale Gesamtarchitektur zum Schutz gegen Flugkörper aller Reichweiten, eingebunden in die NATO Integrated Air and Missile Defence, dar. Mit der durch das Parlament am 23.06.2021 entschiedenen Beschaffung der Vorhaben • H erstellung und Lieferung sowie Installation und Integration von vier Großraumradargeräten “Hughes Air Defence Radar”-Nachfolgesystem (HADR NF) zur Luftraumüberwachung und dem • B eschaffungsvorhaben Obsoleszenzbeseitigung beim Weitbereichssensor der Fregatten Klasse 124 (F124 ObsWuF) wurde neben dem reinen Fähigkeitserhalt auch die Fähigkeitserweiterung im Bereich Sensorik in Hinblick auf das nationale Konzept der Territorialen Flugkörper-

Foto: BS/Hensoldt

abwehr und auch ein möglicher erweiterter deutscher Beitrag zur NATO Integrated Air and Missile Defence erreicht. Der Auftrag für die Erneuerung der Luftraumüberwachungsgeräte (HADR NF) wurde an die Firma Hensoldt vergeben.

Strategische Kooperation von Hensoldt und IAI/Elta Um dem deutschen Kunden die technisch bestmögliche und wirtschaftlichste Lösung anbieten zu können, haben sich Hensoldt und IAI/Elta zu einer strategischen Kooperation im Bereich BMDfähiger Weitbereichsradare zusammengefunden. Hensoldt bringt als nationaler, etablierter und langfristiger Partner der Bundeswehr die Kenntnisse zur Zertifizierung, spezifischen Forderungserfüllung und europäischen Zulassung sowie zur Langzeitversorgung und Betreuung nationaler Rüstungssysteme ein, während Elta über technologisches Know-how und langjährige Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Radarsystemen mit BMDFähigkeiten verfügt, basierend auf ihrem SpectraS-Band-Radar sowie der neuesten digitalen AESARadartechnologie, die für den Einsatz an Land und auf See entwickelt wurde. Diese Partnerschaft bietet so-

mit dem deutschen Kunden ein erprobtes Radarsystem der neuesten Technologiegeneration, welches durch einen nationalen Vertragspartner integriert wird und über die gesamte Lebenszeit technisch-logistisch betreut werden kann. Der Zuschlag in der Ausschreibung zum HADRNachfolgesystem bestätigt, dass diese Kombination aus versiertem Radargerätehersteller und deutschem Vertragspartner einer technisch ausgereiften Lösung und, unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten, auch zu einem wirtschaftlichen Angebot führt, welches die deutschen Anforderungen erfüllt und sowohl technologisch als auch administrativ einen risikoarmen Projektverlauf garantiert.

Fähigkeitsausbau in enger Kooperation mit den USA

Elta Systems ist Israels Aufklärungs- und Radarsystemhaus und weltweit führend in den Bereichen Fernerkundung, Radar, bahnbrechender strategischer Systeme wie Missionsflugzeuge, nationaler Cyber-Organisationen, Bodenrobotersysteme, Drohnenabwehr, Heimatschutzsysteme und mehr. Hensoldt ist Lieferant der modernen Radarsysteme der Deutschen Marine, die u. a. auf der Korvette K130 und der gerade in Dienst gestellten Fregatte F125 zum Einsatz kommen. Das Portfolio wird von mobilen, land- und luftgestützten Systemen, Nahbereichsradaren und dem neu entwickelten Passivradar abgerundet.

Die Phase zwei der Obsoleszenzbeseitigung der F124 beinhaltet die Fähigkeitserweiterung im Bereich der ballistischen Flugkörperabwehr. Die erforderliche Bedrohungsdatenbank ist Teil des Moduls Ballistische Flugkörperabwehr (MBFA) und könnte zum Beispiel durch das schon vorher erwähnte amerikanische AEGIS-System realisiert werden. Die USA und speziell die US Missile Defence Agency (MDA) verfügen über mehr als 30 Jahre Erfahrung in diesem Bereich und könnten daher kurzfristig zum schnellen Aufbau der BMD-Fähigkeit in Europa beitragen. Die Überprüfung der Eignung des US-Systems AEGIS BMD durch die US Missile Defence Agency (MDA) ist bereits vorgesehen. Damit kommt Deutschland nun in einem weiteren Schritt seiner Verantwortung als Framework Nation in “Upper Layer BMD” nach und schafft zugleich die Grundlagen für die Planung der “Next Generation Frigate”, welche planmäßig ab Mitte der 2030er die F124 ablösen wird.

Die Besonderheit im Projekt F124 stellt die Realisierung in zwei Phasen dar. Die erste Phase betrifft die Obsoleszenzbeseitigung des bestehenden Smart-L-Radars mit dem Ziel, die bestehenden Fähigkeiten um die Weitbereichsüberwachung und -identifikation von ballistischen Raketen zu erweitern. Die zweite Phase beinhaltet die Klassifikation der ballistischen Raketen; diese soll * Manfred Müller, Programmin einem separat geführten Manager Long Range Radar Einsatzsystem (Modul Bal- bei Hensoldt


Länder

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Fit für die Zukunft

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amit war die Geburtsstunde für die technische Fortentwicklung gekommen, daher der Name: IGVP-FE. Zu Beginn des Projekts ergab die Analyse und Bewertung, dass man nur mit modernen Standardprodukten zukunftsfähig bleiben kann: Customizing wo möglich, Entwicklung wo nötig – das wurde sehr schnell der Grundsatz einer modernen Softwareentwicklung, auch bei der Vorgangsbearbeitung. Individual- und Eigenentwicklungen von der Pike auf sind “old school” und bergen erhebliche Risiken für die Flexibilität und Anpassbarkeit. Deshalb wurde im Zuge einer Ausschreibung ein starker strategischer Industriepartner gesucht und mit SAP auch gefunden: Weltsoftware made in Germany.

Behörden Spiegel / August 2021

Bayerns Polizei hat Vorgangsbearbeitungssystem fortentwickelt (BS/Peter Kiesel*) Mit dem polizeilichen Vorgangsbearbeitungs-, Vorgangsverwaltungs- und Recherchesystem “Integrationsverfahren Polizei” (IGVP) verfügt die Bayerische Polizei bereits seit den 90er-Jahren über ein funktional umfassendes und bei den Polizeibeamtinnen und -beamten akzeptiertes System mit einer ausgesprochen großen Anwenderzufriedenheit, das seinesgleichen in Deutschland sucht. Im Laufe der Jahre wurde das Verfahren immer wieder um eine Vielzahl an fachlichen Funktionen und Schnittstellen erweitert. Was IGVP – wie auch all den anderen Systemen aus der Jahrtausendwende – fehlte, war eine zukunftsfähige, moderne Technik.

Zufriedenheit im Fokus Die heutigen Erfahrungen bestätigen die damalige Bewertung. Die umfassenden Möglichkeiten der Konfiguration und Erweiterungen des zugrunde liegenden generischen Systems ermöglichen es, die zum größten Teil sehr komplexen fachlichen Anforderungen der Bayerischen Polizei mit einem Minimum an Eigenprogrammierung umfassend abzubilden. Die mehrschichtige IT-Architektur des Systems setzt auf der “HANA”-Datenbank auf, einer der derzeit modernsten Datenbanktechnologien, die den polizeilichen Bedarf an sehr performante Suchanfragen über eine große Datenmenge in komplexen

IGVP-FE ermöglicht eine formularbasierte Erfassung in einer völlig neuen und hochmodernen Benutzerführung. Foto: BS/Bayerisches Landeskriminalamt

Strukturen auch zukünftig erfüllt. Bei der fachlichen Konzeption wurde besonderes Augenmerk auf die Anwenderzufriedenheit gelegt. Deshalb wurden auf Basis von Ergebnissen aus umfangreichen User-Experience-Tests von Expertinnen und Experten und Basisanwenderinnen und -anwendern übersichtliche

Oberflächen geschaffen sowie ein durchgängig einheitliches und intuitives Bedienkonzept entwickelt. Da IGVP-FE technisch und fachlich modular konzipiert und aufgebaut ist, kann die Einführung innerhalb der Bayerischen Polizei in Stufen erfolgen. Im ersten Schritt erfolgte die Mi-

gration aller Vorgangsdaten in die neue Datenbank und in das neue XPolizei-konforme fachliche Datenmodell. Dies ist die zwingende Voraussetzung, dass das Altsystem sozusagen mit Stumpf und Stiel abgelöst werden kann. Es dient seitdem nur noch als Erfassungsoberfläche. Gleichzeitig wurden die Fach-

module für die IGVP-Recherche produktiv gesetzt. Dabei wurde auch der längst überfällige Umstieg von einem bei Altprodukten noch oft anzutreffenden ClientInstallationsprodukt auf einen modernen web- und browserbasierten Serverbetrieb geschaffen. In den folgenden Schritten erfolgte der sukzessive Rollout der für die Datenqualifizierung erforderlichen Module, das Aufgabenmanagementsystem sowie die polizeiliche Lagebearbeitung und -darstellung. Unter Qualifizierungsdiensten werden hierbei die funktionalen Schnittstellenmodule zur Datenqualifizierung verstanden, unter anderem für die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), den Polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV) oder auch das Informationssystem der deutschen Polizei (INPOL).

Nutzerfreundlichkeit bestätigt Parallel zu diesen Einführungsmaßnahmen entwickelte die Projektgruppe “IGVP-FE” im Bayerischen Landeskri-

minalamt die Module zur Erfassung und Bearbeitung der Vorgangsdaten und die hierfür erforderlichen Formulare. Mit der Freigabe der ersten Anwendungsfälle konnte Anfang Juni 2021 der Startschuss auch für diesen Bereich im IGVP-FE gegeben werden. IGVP-FE deckt damit alle wesentlichen Bereiche der polizeilichen Vorgangsbearbeitung ab und bietet den Anwendern in den ausgewählten Bereichen einen ersten Blick auf die künftigen Bearbeitungsschritte. Rückmeldungen aus der ersten Pilotierungsphase haben bereits die Nutzerfreundlichkeit der neuen Oberflächen und der modernen Steuerung bestätigt. Die Bayerische Polizei verfügt damit über das modernste Vorgangsbearbeitungssystem mit der umfassenden fachlichen Funktionalität eines ehemaligen Pioniers in der Vorgangsbearbeitung. Gemeinsam mit dem strategischen Partner SAP und einer topaktuellen Architektur ist damit Bayern für die Zukunft bestens gerüstet. Parallel zu diesem Vorgehen hat die Bayerische Polizei bereits letztes Jahr begonnen, IGVPFE im Rahmen des Programms Polizei 2020 zu einem iVBS zu ertüchtigen, um auch anderen Programmteilnehmern IGVP-FE als neues Vorgangsbearbeitungsprogramm anbieten zu können. *Peter Kiesel ist Projektleiter “IGVP-Fortentwicklung” im Bayerischen Landeskriminalamt.

Die Parteien zur Bundestagswahl 2021

Reine Ländersache? Die Rolle des Bundes im Katastrophenschutz Katastrophenschutz

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Braucht es mehr Bundes­ kompetenzen im Katastrophen­schutz?

?

Ist eine grundsätzliche Reform des Hilfeleistungssystems in Deutschland angesichts der Erfahrungen aus der Corona-Pandemie nötig?

CDU / CSU

SPD

AfD

FDP

Linke

Grüne

Marian Wendt, Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat

Sebastian Hartmann, Berichterstatter der Fraktion für Katastrophenschutz

Martin Hess, Stellvertretender Innenpolitischer Sprecher

Sandra Bubendorfer-Licht, Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat

Dr. André Hahn, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat

Dr. Irene Mihalic, Innenpolitische Sprecherin

“Spätestens nach der Pandemie und dem schrecklichen Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gehören die Katastrophenschutzstrukturen auf den Prüfstand. Vieles funktioniert in Deutschland sehr gut, ist aber nicht mehr zeitgemäß. Gerade bei länderübergreifenden Lagen stelle ich mir eine höhere Bundeskompetenz vor. Teures Einsatzgerät kann nicht jeder Landkreis und auch nicht jedes Bundesland vorhalten, hier muss der Bund aktiv werden. Einiges wird auch nur sinnvoll in europäischer Koordination zu leisten sein.”

“Pandemien, Naturkatastrophen oder auch Cyber-Terror gehören heute zu den Hauptgefahren, die schnell das ganze Bundesgebiet und Kritische Infrastrukturen betreffen können. Seit Jahren werbe ich für deutlich höhere Investitionen und Verbesserungen der Kooperation zwischen Ländern und Bund in Verbindung mit der Stärkung des Ehrenamtes. Wir benötigen ein einheitliches Vorgehen in bundesländerübergreifenden Krisen, mehr Kompetenzen für den Bund und vereinfachte, koordinierte Kommunikation.”

“Die eklatanten Fehler bei der Verarbeitung der Warnungen, beim Alarm, bei den Evakuierungen und bei der Bewältigung der jüngsten Hochwasser-Katastrophe lassen keinen Zweifel daran, dass die Kompetenzen im Bevölkerungsschutz und in der Katastrophenhilfe nicht richtig verteilt sind. Es darf nicht sein, dass die Bürger im Katastrophenfall von der Kompetenz des jeweiligen Landkreises abhängig sind. Wir brauchen definitiv mehr Bundeskompetenzen!”

“Ja, in erster Linie braucht es aus unserer Sicht dabei eine Stärkung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Während der CoronaPandemie wurden vier Bevölkerungsschutzgesetze erlassen. Das BBK wurde dabei jedoch in keiner Weise berücksichtigt. Daher braucht das Bundesamt einen Kompetenzausbau und eine wirkliche Einbindung in das Katastrophenschutzmanagement. Die aktuellen Bestrebungen des BMI und der Länder begrüßen wir sehr. Diesen Ankündigungen müssen aber jetzt Taten folgen und auch in der nächsten Legislaturperiode muss daran angeknüpft werden.”

“Der Bund könnte durchaus einen größeren Beitrag zum Katastrophenschutz leisten, z. B. bei der technischen Ausstattung in den Kommunen. Dabei geht es nicht nur vorrangig um neue Apps oder einen funktionierenden Digitalfunk für Polizei und die Hilfsorganisationen, sondern auch um die flächendeckende Neu- oder Wiedererrichtung von Sirenenanlagen zur rechtzeitigen Warnung der Bevölkerung vor aktuellen Gefährdungen. Zudem braucht es Schulungen, damit die Bürger wissen, was welches Sirenensignal bedeutet.”

“Der Bund muss mehr Verantwortung im Katastrophenschutz für länderübergreifende und besondere Gefahren übernehmen. Dazu muss die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen eng miteinander verknüpft werden. Die Leitlinie hierfür muss Dezentralität bei starker Koordinierung sein. Die richtigen Fähigkeiten müssen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zur Verfügung stehen. Die Zusammenarbeit muss auch in gemeinsamen und praktischen Übungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen trainiert werden.”

“Aus meiner Sicht ist eine grundsätzliche Reform notwendig. Der bisherige Fokus des Bundes auf den Zivilschutz muss erweitert werden. Dabei muss der Bund den Ländern als Partner auf Augenhöhe zur Verfügung stehen. Gerade bei großen, schweren oder langanhaltenden Lagen muss der Bund eine Führungsrolle übernehmen. Darüber hinaus müssen wir die nationale Reserve wieder einführen, die nach dem Ende des Kalten Krieges zurückgefahren wurde. Die ersten Schritte sind diesbezüglich bereits getan worden, nun müssen wir zügig in die Umsetzung kommen.”

“Im Falle des Zivilschutzes – dem Schutz der Bevölkerung im Kriegsfall – hat der Bund die im Grundgesetz verankerte ausschließliche Kompetenz. Für den Katastrophenschutz – also den Schutz in Friedenszeiten – sind die Länder zuständig. Diese klare Trennung wird den heutigen Herausforderungen nicht mehr gerecht. Ein Virus interessieren Zuständigkeiten nicht. Als Staat müssen wir bei bundesweiten Krisen in der Lage sein, zügig, konsequent und einheitlich zu handeln - und zwar von oben nach unten.”

“Nicht nur Pandemien, alle aktuellen Gefahren machen eine grundlegende Reform notwendig. Falsch verstandener Föderalismus und veraltete Strukturen hemmen den effektiven Schutz der Bevölkerung. Eine Trennung in Katastrophenund Zivilschutz ist nicht mehr zielführend. Hybride Kriegsführung unterscheidet nicht zwischen Krieg und Frieden. Cyber-Angriffe auf Kritische Infrastruktur drohen jederzeit. Wir müssen gesetzgeberisch nachbessern und dürfen auch eine nötige Verfassungsänderung nicht scheuen.”

“Eine grundsätzliche Reform ist dabei nicht notwendig. Vielmehr geht es darum, die Kommunikation und den Austausch von Bund und Ländern zu optimieren. Die Corona-Pandemie hat uns schmerzlich vor Augen geführt, wie wichtig eine ausreichende Bevorratung von Schutzmaterial und Ausrüstung ist. Hier muss eine detaillierte Aufarbeitung erfolgen, um aus den Fehlern für die Zukunft zu lernen. Das BBK muss daher auch beim Aufbau der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz in vorderster Front beteiligt sein. Denn wer für den Ernstfall gerüstet sein will, muss für den Ernstfall vorbereitet sein.”

“Ich denke, dass die Strukturen unserer Helferorganisationen sich auch in der Corona-Krise weitgehend bewährt haben. Alle dort haupt- und vor allem die zehntausenden ehrenamtlich Engagierten verdienen ein riesengroßes Dankeschön. Wir dürfen uns glücklich schätzen, in diesem Bereich so gut aufgestellt zu sein. Deshalb brauchen wir keine grundlegende Strukturreform. Was wir aber in jedem Fall brauchen, ist mehr Anerkennung für das Ehrenamt, z.B. bei Freistellungen zur Weiterbildung und im Steuerrecht.”

“Unser Hilfeleistungssystem ist grundsätzlich gut aufgestellt und ermöglicht durch den hohen Anteil von Ehrenamtlichen, dass Hilfe in der Fläche des Landes stets zur Verfügung steht. Die Pandemie hat gezeigt, dass mehr Koordination notwendig ist. Oftmals war z. B. zu Beginn der Krise unklar, wo welche Materialien oder Intensivbetten zur Verfügung stehen. Auch Katastrophen, wie Waldbrände oder die aktuelle Hochwasserkatastrophe, verdeutlichen, dass mehr Koordination und Zusammenarbeit notwendig sind.” Quelle: BS/Klawon


Finanzen

Behörden Spiegel / August 2021

Sparen statt Investieren?

“E

ine Rotstiftpolitik wird es nicht geben, aber alle Ministerien müssen Abstriche machen und sich zu großer Haushaltsdisziplin verpflichten”, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Die Einsparungen sollen vor allem über einen Stellenabbau beziehungsweise die Sperrung nicht besetzter Stellen erfolgen. Rund 2.000 Stellen sollen so eingespart werden. Im kommenden Jahr können damit laut Senatskanzlei 114 Millionen Euro und im Jahr 2023 rund 93 Millionen Euro eingespart werden. Durch die etappenweise Streichung der Zuschüsse an die Kommunen für die Mietkosten von Hartz-IV-Empfängern sollen ebenfalls Ausgaben verringert werden. Insgesamt sollen durch weitere Maßnahmen in allen Ministerien zusätzlich 200 Millionen Euro gespart werden, wie die Staatskanzlei mitteilte.

Affront gegen die Kommunen Der Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, Dr. Marco Trips, bezeichnete die Ergebnisse der Haushaltsklausur des Landes als Affront gegen die Kommunen. “Eigentlich bräuchten die Städte, Gemeinden und Landkreise weitere Unterstützungen wegen ihrer großen Steuerausfälle in der Pandemie. Stattdessen kürzt die Landesregierung offenbar schrittweise eine Summe von 142 Mio. Euro pro Jahr aus der kommunalen Finanzausstattung. Uns in pandemischen Zeiten noch Geld wegzunehmen, das uns nach alten Vereinbarungen zusteht, um damit andere Wohltaten zu finanzieren, ist schon ausgebufft“, so Trips. “Auf der einen Seite wird den Kommunen Geld weggenommen, auf der anderen Seite bekommen wir es teilweise wieder, um dritte Kräfte in KiTas anzustellen. Man wird sehen, an welchen Stellen die Kommunen nun stattdessen kürzen müssen.” Auch die, nur im Übrigen, “äußerst überschaubare” Verbesserung der dringend notwendigen Krankenhausinvestitionen sei so keine Leistung der Landesregierung, sondern auch durch diese Kürzung finanziert, so Trips weiter. Auch der Landkreistag zeigte sich empört und enttäuscht über den Doppelhaushalt des Landes. “Diejenige Ebene, die im vergangenen Jahr rund um die Uhr mit allen Mitteln die Corona-Pandemie bekämpft hat, wird nunmehr finanziell durch die Landesregierung abgestraft.

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Niedersachsens Haushaltsentwurf in der Kritik (BS/lkm) Niedersachsens Landesregierung hat den Entwurf für den Doppelhaushalt 2022/2023 beschlossen. Er sieht für das Haushaltsjahr 2022 ein Volumen von rund 36,6 Milliarden Euro vor, für 2023 rund 37,1 Milliarden Euro. Infolge der Pandemie sollen Millionen eingespart werden. Die Kommunen fühlen sich schon jetzt als Verlierer der Haushaltsaufstellung. Die Gewerkschaften warnen, dass der Sparhaushalt die Zukunftsfähigkeit des Landes bedroht.

Niedersachsens Finanzminister hat im kommenden Doppelhaushalt viele Einsparungen vorgesehen. Die Kommunen und Gewerkschaften fordern indes eine Investitionsoffensive des Landes, um zukünftige Generation nicht zu belasten. Foto: BS/Franz W., pixabay.com

So stellen wir uns eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht vor”, kommentierte der Vizepräsident des Niedersächsischen Landkreistages (NLT), Landrat Bernhard Reuter aus Göttingen. Bei den zur Streichung vorgesehenen Geldern handele es sich um Mittel, die das Land durch die seinerzeitige Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Jahr 2005 erspart habe und die seither fester Bestandteil der kommunalen Finanzausstattung seien. “Dieser Eingriff in die kommunalen Finanzen trifft allerdings besonders diejenigen Kommunen mit hohen sozialen Lasten. Allein die Region Hannover verliert jährlich über 30 Millionen Euro, der Landkreis Göttingen fünf Millionen. Eine solche Maßnahme einer großen Koalition im Vorfeld einer Kommunalwahl hätten wir uns nicht vorgestellt”, erläuterte NLT-Hauptgeschäftsführer Hubert Meyer.

Einnahmeausfällen mit Einsparungen begegnen Laut Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers sei es mit dem geplanten Doppelhaushalt 2022/2023 möglich, alle wesentlichen politischen Prioritäten weiter zu finanzieren – insbesondere in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung, soziale und gesundheitliche Versorgung und Wirtschaft. Zudem will er ab 2024 keine neuen Schulden mehr auf-

nehmen. Im Tilgungsplan ist vorgesehen, die Schulden innerhalb von 25 Jahren abzutragen. “Wir beschreiten damit einen Weg, der uns zügig zu einem strukturell ausgeglichenen Haushalt führt”, sagte Hilbers. Der Finanzminister verwies auf deutliche Einnahmeausfälle durch die Corona-Pandemie, denen man mit strukturellen Einsparungen begegnen müsse. Aus finanzpolitischer Sicht sei es das Ziel, zügig einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.

Zu wenig Investitionen Jan Arning, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städtetag, kritisierte, dass mit dem geplanten Haushalt Investitionen viel zu kurz kämen und den Kommunen sogar Gelder entzogen würden. So plane die niedersächsische Landesregierung zwar, die Investitionsförderung für große Krankenhausbaumaßnahmen um 30 Mio. Euro auf 150 Mio. Euro jährlich aufstocken. Jedoch: “Das heißt, dass das Land künftig zusätzlich 18 Mio. Euro jährlich zur Verfügung stellt und die Kommunen mit 12 Mio. Euro kofinanzieren. So sind die im Krankenhausbereich bestehenden Investitionsbedarfe von rd. 2,8 Mrd. Euro keinesfalls zu bewältigen”, kritisiert Arning. Als “Generalangriff auf die kommunale Finanzausstattung” bezeichnet Arning die stufenweise Rückführung des Landeszuschusses

nach SGB II. “Derzeit werden vom Land nach § 5 AG SGB II jährlich 142,8 Mio. Euro an die kommunalen Aufgabenträger gezahlt. Dieser Betrag soll 2022 um 42,8 Mio. Euro, 2023 um weitere 50 Mio. Euro und 2024 schließlich auf null zurückgeführt werden. Damit werden den Kommunen in den kommenden drei Jahren rd. 300 Mio. Euro entzogen und die kommunale Seite wird ab dem Jahr 2024 um jährlich 142,8 Mio. Euro erleichtert”, rechnet der Kommunalvertreter vor. Dadurch konterkariere das Land die im vergangenen Jahr zur Stützung des Kommunalen Finanzausgleichs durchgeführten Maßnahmen in vollem Umfang. “Das Land holt sich die dafür einmalig aufgewendeten 300 Mio. Euro bis auf den letzten Cent zurück!”, so Arning.

Sparhaushalt zulasten zukünftiger Generationen Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Niedersachsen vermisst bei den Ergebnissen der Haushaltsklausur des niedersächsischen Kabinetts zukunftsgerichtete Investitionen und kritisiert den geplanten Abbau von bis zu 2.000 Stellen im Öffentlichen Dienst. Im Vorfeld der Haushaltsklausur hatten der DGB und seine Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes, GEW, GdP und Verdi massive Investitionen gefordert. Bereits vor der Corona-Krise

habe Niedersachsen viel zu wenig investiert. In keinem anderen Bundesland sei pro Kopf weniger investiert worden als in Niedersachsen. Die Folge sei ein Investitionsstau, der die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährde, warnt der DBG. Den aktuellen Entwurf der Landesregierung bewertet der DGB daher als “fatal”. Die Landesregierung wolle lieber Engpässe verwalten, statt durch beherzte Investitionen die Basis für eine schnelle Erholung und einen handlungsfähigen Staat zu legen. “Die Pläne der Landesregierung können durch einzelne Verbesserungen etwa bei den Krankenhausinvestitionen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Investitionstätigkeit des Landes grundsätzlich hinter der Haushaltskonsolidierung zurückstehen soll”, so der Vorsitzende des DGB in Niedersachsen, Dr. Mehrdad Payandeh. Obwohl die Investitionsquote des Haushalts im Jahr 2021 mit 6,6 Prozent schon viel zu niedrig gewesen sei, solle sie nun dauerhaft deutlich unter fünf Prozent gedrückt werden. “Die Mammutaufgaben unserer Zeit wie Klimawandel, Transformation, Digitalisierung und die damit verbundenen Folgekosten werden komplett der nachrückenden Generation aufgebürdet, um im “Hier und Jetzt” – also im Vorfeld der Wahlkämpfe – Pläne für ausgeglichene Haushalte präsentieren zu können”, moniert Payandeh. Angesichts von Herausforderungen wie Digitalisierung, Klimaschutz und Energiewende seien Kürzungen der falsche Ansatz. Auch aus Sicht der GrünenOpposition bietet der Haushalt

der Landeregierung auf die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen keine Antworten. CDU und SPD hätten einen enttäuschenden Sparhaushalt zulasten von Kommunen, Schulen, Polizei und zukünftigen Generationen vorgelegt. “Mit dem Wegfall von 2.000 unbesetzten Personalstellen sparen SPD und CDU vor allem zulasten von Schulen und Polizei. Die Kommunen, die finanziell durch Corona schon sehr gefordert sind, werden mit den geplanten Kürzungen beim Wohngeld zum Sparschwein der Landesregierung”, so Julia Willie, Hamburg, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Niedersachsen.

Investitionsoffensive gefordert Der Gewerkschaftsbund fordert deshalb eine Investitionsoffensive durch einen landeseigenen Investitionsfonds, den NFonds. Das Land soll als Arbeitgeber in Personal und Infrastruktur investieren sowie Fachkräfte für die Zukunft ausbilden. “Strikt die Schuldenbremse einzuhalten und Ausgaben zu kürzen, bringt unser Bundesland nicht weiter. Das verschiebt lediglich die Lösung der Probleme in die Zukunft und bürdet sie der nächsten Generation auf”, so Payandeh. Auch Stefan Wenzel, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen, begrüßt den Niedersachsenfonds: “Wir haben am Finanzmarkt Niedrigzinsen, teils sogar Minuszinsen. In dieser Situation bleibt es unbegreiflich, warum eine SPD/CDU-Regierung mit ihrer breiten Mehrheit nicht den Mut aufbringt, eine Kurskorrektur in der Finanzpolitik vorzunehmen, damit die dringend benötigten Kredite für nachhaltige Investitionen möglich werden. Der Niedersachsenfonds bietet dafür einen rechtskonformen Weg. Wer nicht sehen will, dass sparsame Reparaturen nur zu noch größeren Schäden führen, legt jetzt den Grundstein für die noch höheren Schulden von morgen.”

MELDUNG

Beteiligungsmanagement effektiver gestalten (BS/lkm) Mecklenburg-Vorpommern ist Träger von 70 aktiv tätigen Unternehmen. Genauso vielfältig wie die Beteiligungen sind auch die Zuständigkeiten, die über alle Ressorts verteilt sind. Um die mit der Steuerung verbundenen Aufgaben effektiver zu koordinieren, hat das Finanzministerium

ein Konzept für ein kooperatives Beteiligungsmanagement erarbeitet. Als erster Schritt soll das Beteiligungscontrolling ab 2022 vollständig vom Finanzministerium wahrgenommen werden. Zudem soll ein Lenkungsausschuss auf Staatssekretärsebene eingerichtet werden.

Beschaffertage 2021

10.–11. November 2021, Bonn

Eine Veranstaltung des

Fachliche Leitung

Weitere Informationen sowie Online-Anmeldemöglichkeit unter: www.bos-beschaffertage.de www.bos-beschaffertage.de


Beschaffung / Vergaberecht

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Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur

Behörden Spiegel / August 2021

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Unkomplizierte Beschaffung nach der Flutkatastrophe (BS/Dr. Jan Bernd Seeger) Die Flutkatastrophe hat in Teilen von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Bayern und in den Anrainerstaaten Deutschlands unbeschreibliche Zerstörungen verursacht. Die Bilder der Verwüstungen sind äußerst präsent. Aber auch wenn diese Naturkatastrophe aus dem Fokus der Medien rücken wird, bleibt neben den persönlichen Schicksalen eine in weiten Teilen zerstörte öffentliche Infrastruktur zurück. In den besonders schwer getroffenen Gebieten stehen Städte und Gemeinden, Landkreise und kommunale Unternehmen vor der immensen Herausforderung, die öffentliche Versorgung wiederherzustellen. Da die Leistungserbringung in den meisten Fällen durch Dritte erfolgen wird, müssen die Beschaffer bei der Beauftragung das Vergaberecht beachten. Insbesondere das oberschwellige Kartellvergaberecht begegnet oft dem Vorbehalt, kurzfristige Entscheidungen durch seinen Formalismus zu verhindern. Ein tieferer Blick in die vergaberechtlichen Vorschriften zeigt allerdings, dass Ausnahmetatbestände eine schnelle Auftragsvergabe nach Katastrophenfällen ermöglichen. Erleichterungen schafft vor allem die sog. Dringlichkeitsvergabe. Dieser Tatbestand wurde bereits im Zuge der Flüchtlingswelle 2015 vielfach angewendet. Er erlaubt es nun, öffentliche Aufträge mittels des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb zu vergeben, soweit die Aufträge der unmittelbaren und äußerst dringlichen Bewältigung der Flutfolgen dienen. Angebote, ggf. auch nur eines Bieters, können also im Einzelfall ohne EU-weite Veröffentlichung unmittelbar und ohne Beachtung konkreter Fristvorgaben eingeholt werden. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass es dem Auftraggeber unmöglich sein muss, die Mindestfristen der

wettbewerblichen Vergabe aus äußerst dringlichen, zwingenden Gründen einzuhalten. Außerdem muss die Dringlichkeit unvorhersehbar und dem Auftraggeber nicht zuzurechnen sein. Diese Vo­raussetzungen dürften in den betroffenen Gebieten erfüllt sein, soweit Aufträge zur Sicherung der existenziellen Daseinsvorsorge und Beschaffung lebensnotwendiger Güter vergeben werden. Beispiele sind die Herstellung einer gesicherten Trinkwasserversorgung, die Installation von Behelfsbrücken oder die Bereitstellung von Notunterkünften. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand zu den Starkregenereignissen gegen Ende dieses Jahres wird die Dringlichkeit nur noch schwer zu begründen sein. Eine Alternative zur Dringlichkeitsvergabe können dann Rahmenvereinbarungen bilden. Bestehen solche Rahmenvereinbarungen bereits, sollten Auftraggeber prüfen, ob sie die benötigten Leistungen hierüber beschaffen können. Im Bereich der Unterschwellenvergabe hat Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland für die besonders stark betroffenen Landkreise mit Rundschreiben des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und

Weinbau vom 19. Juli 2021 das Haushaltsvergaberecht zunächst bis zum Jahresende ausgesetzt. Zwar haben die betroffenen Gebietskörperschaften in vielen Fällen weiterhin das Haushaltsvergaberecht anzuwenden, allerding müssen für bestimmte Beschaffungen

Dr. Jan Bernd Seeger ist Rechtsanwalt und Partner im Hamburger Büro der Wirtschaftskanzlei Lutz I Abel.

Foto: BS/Lutz I Abel

mit Auftragswerten unterhalb der EU-Schwellenwerte keine förmlichen Vergabeverfahren durchgeführt werden. Erfasst sind nur solche Leistungen, die unmittelbar oder mittelbar zur Bewältigung der Flutkatastrophe beitragen. Diese Aufträge dürfen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit direkt vergeben werden. Öffentliche Auftraggeber haben angesichts der rechtlichen Handlungsspielräume also die Möglichkeit, kurzfristig und rechtssicher zu beschaffen. Dies wird aber nichts daran ändern, dass die Folgen der Flutkatastrophe die betroffenen Gebiete langfristig prägen werden.

Eine Frage des Aufwands Wie die faire Beschaffung in Deutschland gelingen kann (BS/jf) Im Vergleich zur ökologischen Beschaffung hinkt die faire Beschaffung hinterher. Dabei sind soziale Kriterien genauso wie Umweltkriterien Bestandteile der Nachhaltigkeit. Der Grund ist, dass Erstere schwieriger zu transportieren und kontrollieren sind. Doch es gibt Hilfe. In Karlsruhe ist bei einer Ausschreibung für Kleidung und Schuhe ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement gefordert worden, berichtet die Projektleiterin “faire öffentliche Beschaffung” beim Frauenrechtsverein FEMNET e. V., Rosa Grabe. Dazu wurden die Kriterien aus dem OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles un-

ternehmerisches Handeln abgeglichen mit den Anforderungen, die Nachweise im Textilbereich üblicherweise abdecken. Auf dieser Grundlage wurde ein Zehn-Fragen-Katalog entwickelt, etwa zum Risikomanagement im Herstellerbetrieb und in Unternehmen der Lieferkette oder zur Einhaltung der ILOKernarbeitsnormen. Maximal konnten die Bieter 100 Punkte

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

erreichen, wer mindestens 80 Punkte hatte, galt als geeignet. Auch in Bremen wird auf die faire Beschaffung Wert gelegt. “Alles, was in Bremen von öffentlicher Seite beschafft wird, muss unter menschenwürdigen Bedingungen produziert worden sein”, unterstreicht Birte Asja Detjen von der Kompetenzstelle für sozial verantwortliche Beschaffung in Bremen. Genau aus diesem Grund sei auch die Kompetenzstelle gegründet worden. “Soziale und menschenrechtliche Fragen sind schwieriger zu transportieren. Bei ökologischen Kriterien von Produkten ist der konkrete Nutzen für den Anwender sofort sichtbar, bei sozialen Kriterien hingegen nicht”, so Detjen. Niemand sei gegen soziale Aspekte wie die Vermeidung von Kinderarbeit, sagt Grabe. Aber viele Beschäftigte würden die Mehrarbeit bei einem Vergabeverfahren scheuen. Doch hier gibt es Hilfestellungen. Einerseits durch den Kompass Nachhaltigkeit, der von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global herausgegeben wird. Und andererseits durch die Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung (KNB) beim Beschaffungsamt des BMI. “Wir bieten unter anderem konkrete Schulungen zu den verschiedenen Siegeln an”, erläutert Ralf Grosse, stellvertretender Leiter der KNB. erläuterte. Die faire Beschaffung war Thema einer Diskussionsrunde auf NeueStadt.org. Zu finden in der Mediathek unter www.Neue Stadt.org/Mediathek

► PRÄSENTATION

Abkürzung unzulässig “Beeindruckend” ist kein Kriterium Die erste Verhandlungsrunde im Verfahren für Planungsleistungen im Wasserbau war für den Auftraggeber ernüchternd. Eine Reihe von Ingenieurbüros hatte sich zwar im Teilnahmewettbewerb qualifiziert. Doch deren Konzept-Präsentationen, die immerhin zu 55 Prozent in die Wertung einfließen sollten, waren allesamt so oberflächlich, dass keinem der Bieter aufgrund dieser Leistung der Zuschlag hätte erteilt werden können. So entschließt sich der Auftraggeber kurzerhand zu einer zweiten Runde, zu der er nur noch die drei besten Teilnehmer einlädt, und stellt ihnen gänzlich neue Fragen, in der Hoffnung, damit einen besseren Eindruck von deren Qualifikation zu bekommen. Der Zuschlag sollte auf einen Bieter erfolgen, der eine “beeindruckende Präsentation” vorgelegt hatte. So steht es in der Vergabeakte. Auf Antrag eines Konkurrenten kippt die Vergabekammer diese Entscheidung. Der Auftraggeber hatte zahlreiche Fehler gemacht. Erstens hatte er es versäumt, sich in der Bekanntmachung die Abschichtung der Teilnehmerzahl in den Verhandlungsrunden vorzubehalten. Zweitens seien in den neuen Fragen neue, zusätzliche Wertungskriterien zu sehen. Drittens der Grad der “Beeindruckung” durch eine Präsentation nicht objektivierbar. Zur Vermeidung eines gänzlich neuen Vergabeverfahrens hätte der Bieter hier besser die Möglichkeit nutzen sollen, das Verfahren mangels geeigneter Angebote aufzuheben und mit den bisherigen Teilnehmern in ein weiteres Verhandlungsverfahren überzugehen. VK Nordbayern (Beschl. v. 27.01.2021, Az.: RMFSG21-3194-5-50)

► PERSONAL

Lesekompetenz gefordert Als Zuschlagskriterium zulässig Man stelle sich einen Briefsortierer vor, der Schwierigkeiten hat, die Schrift auf dem Briefumschlag zu entziffern. Das kann verschiedene Gründe haben: Entweder die Schrift ist extrem undeutlich – oder der Sortierer kann nicht richtig lesen. Letzteres scheint ein Auftraggeber schon einmal als Problem bemerkt zu haben. Infolgedessen nimmt er bei der Neuausschreibung der Leistung das Zuschlagskriterium “Qualifikation des beauftragten Personals” in die Wertung auf. Ein Bieter hält dies für unzulässig und sieht darin ausschließlich ein Eignungskriterium. Das OLG Celle weist aufgrund der Darlegungen des Auftraggebers in der mündlichen Verhandlung die Nachprüfung zurück. Zunächst gibt es keinen Grundsatz, dass die Qualifikation des Personals nur bei Aufträgen über spezielle intellektuelle Leistungen als Zuschlagskriterium verwendet werden dürfte. Dies ist im Gegenteil immer dann zulässig, wenn die Qualifikation einen erheblichen Einfluss auf die Leistungserbringung ausüben kann, was vom Auftraggeber zu beurteilen ist. Hier zielte das Kriterium richtigerweise auf das tatsächlich zum Auftrag einge-

setzte Personal und nicht allgemein auf die Eignung des Bieters. Bessere Sprachkenntnisse und eine sichere Alphabetisierung des eingesetzten Personals vermeiden nach allgemeiner Lebenserfahrung Sortierfehler und führen zu einer geringeren Zahl von Beanstandungen bei der Zustellung. Deshalb sind diese Qualifikationen für die nachgefragte Leistung ein maßgeblicher Faktor und dürfen im Rahmen der Zuschlagswertung Verwendung finden. VK OLG Celle (Beschl. v. 02.02.2021, Az.: 13 Verg 8/20)

► POST-AGB

Falle für die Ausschreibung Kollisionen mit dem LV Der Auftraggeber hatte die Zustellung von jährlich 90.000 Postzustellungsaufträgen (PZU) ausgeschrieben. In seinen Auftragsbedingungen legte er fest, dass für die Ausführung des Auftrages die VOL/B gelten solle. Den Zuschlag wollte er auf das Angebot eines regionalen Dienstleisters erteilen, der im eigenen Verteilgebiet die Zustellung selbst vornimmt und in einer Reihe weiterer Gebiete dies durch private Nachunternehmen sowie im Rest des Bundesgebietes durch die Deutsche Post als Nachunternehmerin erledigen lassen will. Gegen diese Zuschlagsabsicht wendet sich ein Konkurrent, der die Weitergabe an die Post aufgrund derer AGB für unzulässig hält. Das Problem mit den AGB liegt wie folgt: Durch die Übernahme der Sendungen in die Obhut der Post kommt der Beförderungsvertrag zustande – und zwar zwischen dem Einlieferer als Frachtführer des Auftraggebers und der Post (was nur dann auch für PZU gilt, wenn bereits der Einlieferer nach § 33 PostG beliehen ist). Allerdings ist dieser Beförderungsvertrag kein typischer Nachunternehmervertrag, denn die AGB der Post schließen es aus, dass der Einlieferer Vertragsbedingungen, die er beim Zuschlag auf sein Angebot akzeptiert hat, der Post aufzwingt. Hier aber musste der Bieter mit den PostAGB nicht übereinstimmende Bedingungen akzeptieren, nämlich die Geltung der VOL/B und die Rücklauffrist. Das schließt eine Weitergabe der PZU an die Post aus. Dem Bieter konnte kein Zuschlag erteilt werden. Um dies zu vermeiden, müsste eine Weitergabe an die Post ausdrücklich in den Vergabeunterlagen erlaubt werden, was der Auftraggeber übersehen hatte. VK Sachsen (Beschl. v. 14.12.2020, Az.: 1/SVK/036-20)

► PLATTFORM

AnA-Web Wer darf hochladen? Frau F. ist Mitarbeiterin der Firma M, diese ist die Muttergesellschaft von T1 und T2. Sie nimmt in dieser Funktion auch Aufgaben für die beiden Töchter wahr. Als sich nun T1 und T2 als Bietergemeinschaft um einen Auftrag bewarben, wurde M als bevollmächtigte Bieterin und Frau F. als deren Vertreterin benannt. Über ihren Account der Vergabeplattform des Bundes lädt Frau F. das Angebot hoch. Doch der Account gehört zur Mutter M, nicht zu T1. Das ist ein Problem, denn der Auftraggeber

hatte in den Vergabeunterlagen vorausgesetzt, dass Angebote von Bietergemeinschaften nur über einen Account hochgeladen werden dürfen, der dem jeweils bevollmächtigten Bieter gehört. Er unterstellt nämlich, dass bereits durch die Anmeldung im AnA-Web die Person des Unterzeichnenden mitgeteilt wird, die für die Textform erforderlich ist. Demgemäß will der Auftraggeber das Angebot der Bietergemeinschaft T1 + T2 wegen eines formalen Mangels ausschließen. Das allerdings ist für das OLG Düsseldorf eine zu weitgehende Förmelei. Denn das Angebot hatte korrekt die Bietergemeinschaft ausgewiesen. Die Person des Übermittelnden ist für die Frage, wer Bieter ist, für das OLG bedeutungslos. Hinzu kommt, dass hier auch keine Abweichung zwischen der natürlichen Person, die das Angebot hochgeladen hat, und derjenigen, die es unterzeichnet hat, vorlag. Es ist in beiden Fällen Frau F. Die Textform ist daher auch gewahrt. Die Anmeldung mit dem falschen Unternehmensnamen mag zwar ein Verstoß gegen eine Sicherheitsauflage bei der Übermittlung sein. Ohne Anhaltspunkte dafür, dass die Sicherheit der Angebotsintegrität durch diesen Verstoß tatsächlich nicht gewährt ist, genügt dies aber nicht für einen Ausschluss. OLG Düsseldorf (Beschl. v. 08.07.2020, Az.: Verg 6/20)

► EIGNUNG

Zuviel verlangt Hohe Hürden müssen begründet sein Der Auftraggeber lanciert ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb für die Entwicklung einer Software. Für die Eignung legt er einen Kriterienkatalog vor, nachdem ein mittlerer Zielereichungsgrad (MZG) der Bewerber jeweils die Hälfte der maximal erreichbaren Punkte ergibt. Für die Eignung insgesamt setzt der Auftraggeber aber 70 Prozent der erreichbaren Gesamtpunktzahl voraus. Diese Wertungsmethode hält das OLG Frankfurt für unverhältnismäßig. Es sind die Wertungskriterien im Detail, die zu diesem Verdikt führen. Denn letztlich führt ein solches System dazu, dass der Bewerber in einigen Kriterien mehr als eine mittlere Leistung erbringen muss, um die geforderten 70 Prozent zu erreichen. In welchen Kriterien diese Mehrleistung erbracht wird, ist dem Auftraggeber aber gleich. So könnte demnach eine nur mittlere technische Leistungsfähigkeit durch kontinuierlich steigende Umsätze kompensiert werden. Welchen Sinn dies haben sollte, konnte der Auftraggeber nicht darlegen. Andererseits war das Punktesystem so ausgestaltet, dass ein Bieter, dessen Projektleiter die Mindestanforderungen nur erfüllt, nicht aber übererfüllt, die 70-Prozent-Hürde niemals überspringen könnte. Auch dies hält das OLG für unzulässig. Der Auftraggeber muss sein Wertungssystem komplett überarbeiten. OLG Frankfurt (Beschl. v. 30.03.2021, Az.: 11 Verg 18/20)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

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Organigramm

Behörden Spiegel / August 2021

Seite 11

Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz Schillerplatz 3-5 55116 Mainz Telefon: 06131/16-0 Telefax: 06131/16-3595 E-Mail: poststelle@mdi.rlp.de Internet: http://www.mdi.rlp.de

Minister Roger Lewentz

Abteilung 1

Zentralabteilung

Leiter: Peter Falk

Referat 311 Öffentliches Dienstrecht Gert Holland-Cunz -3241 Christina Grunewald-König -3624 Maria Hoegner -3825

Referat 321 Organisation, Organisationsentwicklung Iris Bauer -3216 Luzia Blankenberger -3645 Esther Trapp-Harlow -3487 Christian Peirick -3278

Referat 313 Verfassungsrecht, Verwaltungsverfahren und Personenstandswesen Dagmar Schartmann -3371 Matthias P. Heck -3496 Referat 314 Datenschutz, Melde- und Passwesen, Statistik, Stiftungen Dr. Heike Johanna Müller -3854 Dr. Julie Stabel -3465 Andreas Lehnert -3443 Anja Heuß -3464 Referat 315 Partnerland Ruanda / Entwicklungszusammenarbeit Dr. Carola Stein -3479 Michael Maurer -3486 Referat 316 Europa, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Nationale Minderheiten Michael Hartmann -3891 Anne Herm -3589 Geschäftsstelle des Landespersonalausschusses - Personalmaßnahmen Maria Hoegner -3825

Staatssekretär (Amtschef) Randolf Stich -3800

Abteilung 3

Abteilung 4

Kommunales und Sport

Polizei

Leiter: Dr. Rolf Meier -3287

Referat 312 Bundesrat, Parlamentsund Kommunalwahlen Manfred Heeb -3320 Monika Zartmann -3218

-3687

Referat 322 Personal, Personalentwicklung N.N. Anne-Kathrin Kastening -3466 Barbara Nink-Dormann -3694 Nadine Frey -3829 Referat 323 Haushalt, Finanzplanung Walter Kluge -3298 Ilka Faßbender -3255 Referat 324 Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, Angelegenheiten des Rechnungshofs, des Vergaberechts und des Einzelplans Allgemeine Finanzen Arndt Colonius -3804

Leiter: Gunter Fischer -3209

Leiter: Joachim Laux -3261

Referat 331 Kommunales Verfassungsrecht, Kommunal- und Verwaltungsreform (KVR), Kommunales Personal, Kommunale Wirtschaft Ute Hahn -3232 Stefanie Bambach -3623 Anna Wassenberg -3288 Tobias Hahn -3493

Referat 341 Polizei- und Ordnungsrecht, Organisation, Glücksspielaufsicht Dr. Stephan König -3435 Dr. Martina Baunack 3571 Andreas Schumacher -3417 Dr. Birger Thomas Hansen -3376

Referat 334 Kommunale Finanzen, Kommunaler Entschuldungsfonds Andreas Wagenführer -3576 Ansgar van Elst -3372 Birgit Muth -3495 Referat 335 Kommunale Investitionen und Rechtsfragen Bernhard Schröder -3375 Lothar Bender -3352 Referat 336 Grundsatzfragen des Sports, Sportförderung, Sportstättenbau Stefan Christmann -3484 Julia Groth -3699

Referat 325 Ausbildung, Fortbildung Mona Schneider -3497 Jörg Hanke -3855 Corinna Frey -3263 Danica Königstein -3717

Referat 338 Projektförderung, Leistungssport, Behindertensport, Sportjugend Michael Desch -3396

Referat 326 IuK-Management, E-Akte Dialog MdI

Geschäftsstelle des Kommunalen Rates bei dem Ministerium des Innern und für Sport -3587 Karl Sander

N.N. Referat 327 Zentrale Dienste Günter Gispert -3367 Uwe Mayer -3618 Geschäftsstelle des Landespersonalausschusses - Fortbildungs­ qualifizierung Anne-Kathrin Kastening -3466

Kompetenzzentrum Land in Bewegung Jochen Borchert -3918 Geschäftsstelle der Sportministerkonferenz Jochen Borchert -3918

Referat 342 Personal der Polizei Dr. Dieter Keip -3882 Dorothee Konrad -3363 Barbara Otto -3678 Björn Neureuter -3416

06131/16-4696

In der Landesvertretung Berlin: Referat 26-1 – Inneres, Sport; Verteidigung Kerstin Schindler 030/374346-1136 In der Landesvertretung in Brüssel: Referat 36-3 – Inneres, Sport; Finanzen Dr. Andreas Riegler 0030/374346-1047

Abteilung 5

Brand- und Katastrophenschutz, Rettungsdienst, Streitkräfte, Vermessung und Geoinformation Leiter: Eric Schaefer -3344 Referat 351 Einsatz- und Grundsatzfragen des Brand- und Katastrophenschutzes, finanzielle Förderung, Landesfeuerwehrinspekteur N.N. Referat 352 Projektmanagement, Technik und IT im Brandund Katastrophenschutz, Aufsicht LFKS, Auslandsangelegenheiten Rainer Karn -3442 Helge Bräuning -3207 Referat 353 Krisenmanagement, Brand- und Katastrophenschutzrecht Elena Reinfeldt -3457 Rudi Wambach -3456 Jürgen Polka 0651/9494-135 Christian Neitzer -3349

Referat 343 Kriminalitätsbekämpfung Uwe Lederer -3539 Jörg Wilhelm -3424 Harald Esseln -3429 Ralf Durben -3404 Manuel Kiy -3414

Referat 354 Rettungsdienst und Bevölkerungsschutz Andreas Hitzges -3211 Benjamin Zurek -3271 Dr. Benno Wolcke -3832

Referat 344 Inspekteur der Polizei, Führung, Einsatz, Verkehrssicherheitsarbeit, Lagezentrum und Koordinierungsstelle Kommunikation Jürgen Schmitt -3403 Martin Kuntze -3275 Carolin Henn -3845 Heiko Arnd -3845 Jacqueline Schröder -3412 Matthias Zindel -3286 Nils Luckhaupt -3481 Referat 345 Polizeitechnik; Koordinierende Stelle Digitalfunk der BOS Rheinland-Pfalz Carsten Heydt -3284 Thomas Kossurok -3874 Tobias Grabowski -3756 Manuel Kunz -3240 Josip Šarić -3402

Referat 348 Haushalt, Liegenschaften, Gesundheitsmanagement in der Polizei Francois Nauerz -3327

SPIEGELREFERATE

Staatssekretärin Nicole Steingaß

Referat 343 Kriminalitätsbekämpfung Uwe Lederer -3539 Jörg Wilhelm -3424 Harald Esseln -3429 Ralf Durben -3404 Manuel Kiy -3414

Referat 346 Aus- und Fortbildung der Polizei, Internationale Zusammenarbeit, Datenschutz Michael Thönnes -3475 Dr. Rita Wirrer -3658 Patrick Hannes -3373

In der Staatskanzlei: Referat 223 Matthias Schütte

MB 1 MB 2 MB 3 Referat für Referat für Referat Reden ParlamentsGrundsatzRegine Krollmann und Kabinettsangelegenheiten -3259 angelegenheiten Christina Hahn Philipp Staudinger / -3446 Andreas Sackreuther -3432 / -3803

Foto: BS/MdI RLP, Torsten Silz

Abteilung 2

Staatsrecht, Gesetzgebung und Entwicklungszusammenarbeit

Ministerbüro Leiterin: Anne Vogelsberger

Persönlicher Referent Alexander Klein

Persönlicher Referent Fabian Schwiertz -3815

Referat 349 Leitstelle Kriminalprävention Hanne Hall -3712 Maria Messerschmidt -3941

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Ministerium des Innern und für Sport RLP Stand: August 2021

Referat 355 Streitkräfte, US-Stabilisierungsprogramm Carsten Göller -3277 Dr. Jörg Zorbach -3482 Referatsgruppe 356 Vermessung und Geoinformation Leiter: Hermann-Josef Heinz -3405 Referat 356 1 Grundsatzangelegenheiten, Organisation und Personal im Vermessungs- und Katasterwesen, Haushalt Hermann-Josef Heinz 3405

-3700

Pressestelle und Öffentlichkeitsarbeit Leiter: Joachim Winkler Sonja Bräuer -3312 Timo Haungs -3228

Persönliche Referentin Anna Rasskopf -3411

Abteilung 6

Verfassungsschutz

Abteilung 7

Abteilung 8

Landesplanung

Kommunalentwicklung und Kulturelles Erbe

Leiter: Martin Orth -3171

Leiterin: Ruth Marx -3338

Referat 361 Zentrale Aufgaben, Informationstechnik Gabriele Holzamer -3679

Referat 371 Raumordnungsrecht Vera Müller -3185

Referat 381 Grundsatzangelegenheiten, Justiziariat Thomas Kinnen -3886 Hanne Kielholtz -3565

Referat 362 Grundsatzfragen, Datenschutz und Recht, Präventionsagentur gegen Extremismus Jens Göttert -3667

Referat 372 Europäische Raumentwicklung, INTERREG NWE-Kontaktstelle Petra Schelkmann -3178 Elisabeth Wauschkuhn -3164 Kerstin Buttlar -3162

Leiter: Elmar May

-3793

Referat 363 Operative Einsatzunterstützung Stefan Vehar -3743 Referat 364 Spionageabwehr, Geheimschutz, Cyber-Sicherheit Bettina Winter -3770 Referat 365 Rechtsextremismus und -terrorismus Sabine Aschaber -3738 Referat 366 Islamistischer Terrorismus, Salafismus Dr. Silke Wolf -3861 Referat 367 Islamismus, Extremismus mit Auslandsbezug Dr. Richard Hattemer -3774 Referat 368 Linksextremismus Astrid Lang 3817 Referat 369 Nachrichtenbeschaffung

Referat 373 Freiraumsicherung, Kulturlandschaften N.N. Ingrid Djorgimajkoski -3173 Referat 374 Raumordnungspläne, Landes- und Regionalentwicklung Roland Johst -3191 Wolfgang Schmidt -3190 Referat 375 Grundsatzfragen, Siedlungsentwicklung, Raumbeobachtung Andrea Lagemann -3181

Referat 382 Kommunalentwicklung, Konversion Robert Freisberg -3177 Franziska Kulicke -3881 Referat 383 Städtebauförderung Henning Schwarting -3419 Referat 384 Dorferneuerung Franz Kattler -3545 Referat 385 Grundsatz- und Rechts­ fragen bei Infrastrukturprojekten, Infrastrukturprojekt Flughafen Hahn Dr. Jan-Dirk Just -3853 Referat 387 Kulturelles Erbe, Weltkulturerbe Dr. Stefanie Hahn -3564 Dr. Andrea Stockhammer -3566 Guido Daum -3563

Referat 376 Energie- und Verkehrsinfrastruktur, Geoinformation Raumordnung Martin Kittelberger -3174 Projekt LEP V Anja Thierfeld -3308

Referat 356 2 Liegenschaftskataster, Geotopografie, Grundstücksbewertung Marco Ludwig -3393 Referat 356 2 Liegenschaftskataster, Geotopografie, Grundstücksbewertung Marco Ludwig -3393 Referat 356 3 Geoinformation, Raumbezug, Gebührenrecht, Bodenordnung Dirk Fitting Geschäftsstelle des Krisenstabs der Landesregierung Jörg Galle -3389 Geschäftsstelle des Lenkungsausschusses für Geodateninfrastruktur RLP Ilona Berg -3648 Personalratsvorsitzender: Uwe Mayer Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen: Andreas Grünewald Gleichstellungsbeauftragte: Annette Adamek

-3618 -3776 -3818


Diplomaten Spiegel

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as liegt nicht nur an den etwa 200.000 höflichen, freundlichen, meist gut ausgebildeten, Deutsch sprechenden Vietnamesen, der drittgrößten Auslands-Gemeinschaft hier, oder ihrer vorzüglichen Küche. Insbesondere jene der zweiten und dritten Generation sind sehr gut integriert und tragen so zur kulturellen Vielfalt hierzulande bei. Es liegt aber auch ganz profan am deutsch-vietnamesischen Handelsvolumen von 14 Mrd. Euro, das uns seit vielen Jahren zum größten Partner Vietnams in der EU sowie seit 2020 auch in Südostasien macht. In diesem Jahr jährt sich überdies unsere “Strategische Partnerschaft” zum zehnten Mal. Sie vertieft die bilateralen Beziehungen in den Bereichen: Politik – Diplomatie, Wirtschaft – Handel – Investitionen, Kultur – Bildung – Ausbildung – Wissenschaft, Technologie, Justiz, Sicherheit und Verteidigung. Im Rheinland sagt man dazu: Man kennt sich, mag sich und hilft sich…

Ich betrachte meinen Beruf als “Karma” Ein Gespräch mit dem vietnamesischen Botschafter Dr. Nguyen Minh Vu in Berlin (BS/ps) Die Sozialistische Republik Vietnam grenzt an China, den Golf von Thailand, das chinesische Meer sowie Laos und Kambodscha, mit denen es im 19. Jahrhundert “Französisch Indochina” bildet. 1954 wird es in Nord- und Südvietnam geteilt und 1976 wiedervereinigt. Ein Jahr zuvor nimmt die Regierung in der Hauptstadt Hanoi diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik auf, die nach 46 Jahren immer noch bestens sind. nen. Schon fünf Monate nach dem Inkrafttreten des EVFTA erreichte unser Exportumsatz in die EU bereits 15,4 Mrd. US-Dollar, 1,6 Prozent mehr als im Vorjahr.”

Handel und industrieller Wandel Überdies ist das Land politisch stabil und mit seiner 3.260 km langen Küste für Handelsverbindungen eine der wichtigsten Logistikwege der Welt. Außerdem verfügt es über eine Vielzahl junger Arbeitskräfte und wettbewerbsfähige Arbeitskosten im Vergleich zum regionalen Durchschnitt. Zusätzlich wird seine Makroökonomie fest und dynamisch, mit einem sich zunehmend verbessernden und freundlichen Umfeld für ausländische Investoren bewertet. “So haben wir zahlreiche bilaterale und multilaterale Freihandelsabkommen mit vielen Ländern und Regionen, darunter auch der EU abgeschlossen”, erzählt der vietnamesische Diplomat.

Viel Sympathie für Vietnam Vietnams Botschafter in Deutschland, Dr. Nguyen Minh Vu, hat den Erfolg dieser auf gegenseitiger Sympathie beruhenden bilateralen Beziehungen schon 2007 bis 2010, als Gesandter in seiner Vertretung in Berlin geahnt und gehört. “In Gesprächen mit deutschen Freunden habe ich oft erfahren, dass viele Deutsche Sympathie für Vietnam empfinden. Sie sehen nicht mehr ein kriegszerstörtes Land, sondern seine Dynamik und rasante wirtschaftliche Entwicklung. Mehr als 300 deutsche Unternehmen sind derzeit bei uns tätig und tausende deutsche Unternehmen kooperieren im Handels-, Technologie- und Berufsausbildungsbereich mit vietnamesischen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich dieser Trend nach Corona fortsetzt. Unabhängig davon sind wir auch ein beliebtes Touristenziel der Deutschen. Vor der Pandemie kamen jährlich mehr als 200.000 zu uns”, berichtet der Botschafter. Auch die vietnamesische Küche wird immer beliebter. “Während meiner ersten Amtszeit in Berlin war die Anzahl dieser Restaurants, mit oft thailändischen oder chinesischen Namen, gering. Als ich 2018 nach Deutschland zurückkehrte, waren bundesweit bedeutend mehr mit “richtigem” Namen da. Und noch was ist mir aufgefallen – Berlin ist “dichter” und mit Menschen verschiedenster Herkunft und Ethnien noch vielfältiger geworden. Außerdem wird überall gebaut, was mehr Staus als je zuvor verursacht. Auch die Anzahl der Elektrofahrzeuge ist deutlich gestiegen. Ferner legen sowohl die Regierung, als auch die Bevölkerung größeren Wert auf grünes Wachstum und Umweltschutz”, so die Beobachtungen Vus. Am meisten beeindruckt habe ihn immer wieder die

Erste Automarke Vietnams

Seit drei Jahren vertritt Botschafter Dr. Nguyen Minh Vu die Interessen Vietnams in Deutschland. Foto: BS/Botschaft Vietnam, M. El-Sauaf

Des Botschafters Rezept Vietnamesische Suppe Pho

Zutaten: 3-4 Markknochen, 1 Ochsenschwanz, 500 g Suppenfleisch (Brustkern) ,100 g Ingwerknolle, 1 große Zwiebel, 5 Knoblauchzehen, 1 Karotte, 1 Lauchstange, 1-2 Schote(n) Chili, 1 EL Pfefferkörner, 1/2 TL Pimentkörner, 1 MacisFrucht (oder 1/2 TL gemahlene Muskatblüte), 1 Zimtstange, 3 Sternanis, 2 Nelken, 4-6 EL Nuoc Mam (vietnamesische Fischsauce) Servieren pro Person: 30 g Rinderfilet, 1 Frühlingszwiebel, Limettenscheiben, Koriander, Salatblätter, Gurkenscheiben, Chili Für den Nuoc-Mam-Dip: 5 EL Nuoc Mam, 5 EL Zitronensaft, 5 EL Wasser, 1/2 TL Zucker, 1-2 Schote(n) Chili, 2 Knoblauchzehen, 1 Frühlingszwiebel, Korianderblätter

Disziplin der Deutschen. “Meiner Meinung nach ist das einer der wichtigen Faktoren für ihren Erfolg. Darüber hinaus haben mich auch die Autobahnen sehr beeindruckt. Es ist schwer, irgendwo

Zubereitung: Mit den Markknochen einen großen Suppentopf auslegen. Darauf die Ochsenschwanzstücke und das Suppenfleisch schichten. Ingwer in Scheiben schneiden, die ungeschälte Zwiebel grob hacken. Karotten und Lauchstange zerkleinern. Das Gemüse und sämtliche Gewürze in den Topf geben. Mit vier Litern Wasser auffüllen und mit Fischsauce würzen. Suppe circa 4-5 Stunden langsam kochen. Anschließend die Suppe abseihen und kaltstellen. Am nächsten Tag lässt sich die Fettschicht an der Oberfläche leicht abheben. Sojakeime und in Streifen geschnittene Gurke rund um die Nudeln anordnen. Für den Nuoc-Nam-Dip alle Zutaten fein zerkleinern, miteinander verrühren und zur Suppe reichen.

sind auch die deutsche Bierkultur und das Oktoberfest. Leider konnte ich aufgrund der Covid19-Pandemie im letzten Jahr nicht dabei sein.”

Zum zweiten Mal in Deutschland Botschafter Vu ist erneut hier – und in der EU “angekommen”. Das vor zwei Jahren zwischen der Union und Vietnam unterzeichnete Freihandels- und Investitionsabkommen (EVFTA – European Vietnam Free Trade Agreement) etwa, “bringt viele Vorteile für uns alle, weil es für Import- und Exportgüter einen Zollabbau bis zu 99 Prozent innerhalb von zehn Jahren vorsieht. Darüber hinaus leisten Verpflichtungen zur fairen, gleichberechtigten Behandlung der Unternehmen der Vertragsmitglieder einen Schutz für die Investoren und dem Aufbau eines transparenten Rechts- und Investitionsumfelds. Dadurch hat Vietnam die Möglichkeit, mehr Investoren aus Deutschland und anderen EU-Ländern zu gewin-

Doch Hanoi setzt nicht allein auf Handel, sondern bewusst auf industriellen Wandel und baut nun seit 2017 in Hai Phong, im Norden des Landes, Autos der Marke VinFast, was in etwa: VietnamStil-Sicherheit-Kreativität und Pionierarbeit bedeutet. Hierbei wird nicht gekleckert, sondern auf 335 Hektar mit Investitionen von 3,5 Mrd. US-Dollar geklotzt. Das Unternehmen der Vingroup, der größten Multi-Kooperation des Landes, unterhält technologische und technische Zusammenarbeit mit großen europäischen Automobil- und Ersatzteilherstellern wie BMW, Siemens, Bosch, Schuler AG (weltweit größter AutoblecheHersteller, Göppingen), dem EBZ (Elektrobildungs- und Technologiezentrum) aus Deutschland, Magna Steyr aus Österreich und mit dem italienischen Designstudio und Karosseriebauunternehmen Pininfarina in Cambiano. “Unsere erste Automarke soll ein globales Unternehmen werden. Dies zeigt sich durch seine Investitionen in einen modernen Fabrikkomplex, ein professionelles Schulungssystem mit den R&D-Forschungsinstituten und -zentren (Research & Development entwickeln Produkte des Auftraggebers) und einer innovativen Geschäftsstrategie”, so Vu.

“Seit Juni 2019 sind ersten Modelle vom Typ “Fadil” von VinFast auf dem Markt. Bis zum Jahresende wurden davon mehr als 41.000 Autos verkauft, sie sind sehr populär und haben die meisten Fans in unseren Sozialen Netzwerken. VinFast kündigte auch die ersten drei Elektroauto-Modelle an, insbesondere für den amerikanischen, kanadischen und europäischen Markt einschließlich Deutschlands. Das liegt vor allem daran, weil wir von Anfang an führende wichtige deutsche Partner ausgewählt haben, um modernste Produktionstechnologien einzusetzen. Darüber hinaus eröffnet das Unternehmen in Kooperation mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Vietnam ein Schulungszentrum für Techniker, um eigene Fachkräfte nach deutschen Standards zu qualifizieren.”

Lehrer, Arzt oder Astronaut Großen Wert legt die Sozialistische Republik nun auch auf die Entwicklung und den sach- und fachgerechten Einsatz Erneuerbarer Energien und gilt mittlerweile als das am schnellsten wachsende Land bei der Solar- und Windenergie. Mit einer Leistung von 17.000 Megawatt versorgt sie bereits ein Viertel des Landes mit Strom. “Ich möchte noch hinzufügen, dass dies auch ein Bereich ist, an welchem die deutschen Unternehmen großes Interesse haben und eng mit Vietnam zusammenarbeiten.” Drei Jahre ist Dr. Vu, 56, nun Botschafter in Deutschland. 1993 tritt der damals 28-jährige Jurist in den diplomatischen Dienst und ist nun ebenso lange dabei. Das ist die Hälfte seines Lebens, die er nicht missen möchte. “Dieser Beruf hat mir viele wertvolle Erfahrungen und Möglichkeiten gegeben, ich konnte in viele Länder reisen und mit unterschiedlichen politischen und kulturellen Hintergründen interagieren. Ich betrachte ihn als “Karma” und glaube nicht, dass ich mich für einen anderen entscheiden würde, obwohl ich als Student gerne Lehrer geworden wäre, wie meine Mutter, oder Arzt, um Menschen zu heilen”, sagt der Botschafter. “Ich bin offen für neue Erfahrungen. So würde ich nicht nur eine, sondern gerne mal verschiedene Tätigkeiten probieren. Wenn ich auswählen dürfe, so wäre ich einen Tag lang Astronaut oder U-Boot-Fahrer, um etwas ganz Besonderes zu erleben.” Letztes Wort: “Ich verbleibe in der Hoffnung”, so Botschafter Vu, “dass alle Länder der Welt die Corona-Pandemie bald überwinden, damit wir zurück zum normalen Leben kehren und alle Menschen wieder barrierefrei kommunizieren und reisen können.”

anders Vergleichbares zu finden, wo man mit so hoher Geschwindigkeit fahren kann, gefühlt so schnell wie auf einer Formel1-Strecke, und dennoch sicher unterwegs ist. Unvergleichlich

Seit der Wiedervereinigung Vietnams im Jahr 1976 ist die frühere Flagge Nordvietnams die Nationalflagge. Während die Farbe Rot für den Erfolg und die Revolution steht, symbolisiert der Stern die Führung der Kommunistischen Partei Vietnams. Die fünf Zacken stehen für die Bevölkerungsschichten Arbeiter, Bauern, Soldaten, Intellektuelle und die Jugend.

Behörden Spiegel / August 2021

Foto: BS/Argus, stock.adobe.com

Vietnam ist fast so groß wie Deutschland. Doch während das Land in seiner Nord-Süd-Ausrichtung etwa 1.650 Kilometer groß ist, beträgt die Ost-West-Breite an der schmalsten Stelle lediglich 50 Kilometer. Foto: Arid Ocean, stock.adobe.com


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2021

“Dem Fluss mehr Raum geben”

KNAPP Big Data in Kommunen

Kommunaler Hochwasserschutz (BS/Bennet Klawon) Der Schaden durch die Hochwasserkatastrophe ist immens. Es sind über 170 Tote in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu beklagen. Der materielle Schaden wird in die Milliarden gehen, schätzen Versicherungsexpertinnen und -experten. Genaue Zahlen liegen noch nicht vor. Vieles muss noch geprüft werden. Doch was können Kommunen tun, um Katastrophen wie diese zu verhindern oder abzumildern? Wo hakt der kommunale Hochwasserschutz noch? “Es war eine Katastrophe mit Ansage”, sagt Jutta Lenz, stellvertretende Geschäftsführerin des HochwasserKompetenzCentrums (HKC e. V.). Dennoch hat sie das Ausmaß der Katastrophe überrascht. Bisherige Hochwasserlagen dieser Art seien wesentlich kleiner gewesen. Sowohl die Größe der betroffenen Fläche als auch die Intensität habe sie bisher noch nicht erlebt. Besonders der Starkregen hätte neue Qualität und stelle die bisherigen Erfahrungen in den Schatten. Das Zusammenwirken von Starkregen auf schon gesättigte Böden und das sich daraus sehr schnell entwickelnde Hochwasser stellten eine gefährliche Mischung dar. Der kommunale Hochwasserschutz ist im Wasserhaushaltsgesetz (WHG), den Hochwasserrisikomanagement-Richtlinien (HWRM-RL) der EU und den jeweiligen Wasserrechten der Länder geregelt. Er ist eine kommunale Pflichtaufgabe. Im sechsjährigen Zyklus erstellen die Länder in Zusammenarbeit mit den kommunalen und weiteren Akteuren Hochwasserrisikomanagementpläne (HWRM-Pläne). Vor der Katastrophe wurden im Juni Stellungnahmen für die HWRM-Pläne für die Periode von 2021 bis 2027 abgeschlossen. Ob nach diesem Ereignis die Pläne nochmals überarbeitet werden müssten, sei noch nicht klar, heißt es aus dem Klimaschutzministerium Rheinland-Pfalz. Das jetzige Hochwasser ginge weit über die in den Plänen behandelten Extremszenarios hinaus. “Diese Katastrophe war absolut außergewöhnlich in ihrer Wucht und Zerstörungskraft. Die Auswirkungen einer solchen Katastrophe, wie wir sie jetzt erlebt haben, lassen sich mit den Instrumenten des Hochwasserrisikomanagements bestenfalls ver-

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich gegen Hochwasser zu wappnen. Doch es müssen vorher teilweise grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden. Foto: BS/Markus Distelrath, pixabay.com

zögern. Extremwetterereignisse sind demnach kurzfristig nicht zu verhindern, lassen sich aber langfristig mit konsequentem Klimaschutz abmildern”, heißt es aus dem Ministerium. “Der kommunale Hochwasserschutz für Flusshochwasser, wie wir sie früher kannten, ist schon sehr gut aufgestellt, vor allem bei den großen Flüssen wie Donau, Elbe und Rhein. Schlechter sieht es bei den kleineren Flüssen aus, die jetzt die großen Probleme verursacht haben”, schätzt Lenz die Lage ein. Dort wo es gehe müsse man den Flüssen mehr Raum geben. “Wir von der Wasserwirtschaft fordern seit Jahren, dem Fluss mehr Raum zu geben. Das bedeutet aber auch für die Kommunen, dass sie dort, wo Flutflächen ausgewiesen sind, keine Bebauung zulassen können”, sagt Lenz. Es müsse klar definiert werden, wo gebaut werden und wie man

bauen dürfe. Bestimmte Flächen am Fluss sollten auf jeden Fall frei bleiben. Zudem sollten alte Flussauen wieder als solche reaktiviert werden. Dem kann Stefan Bröker von der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) nur zustimmen. Während der Hochwasserschutz an Flüssen gut aufgestellt sei, sehe es beim Überflutungsschutz bei Starkregen anders aus. Zwar sei man sich der Problematik bewusst, jedoch sei ein vollständiger Überflutungsschutz schwierig. Die Problematik würde durch den Klimawandel und die Zunahme der Starkregenereignisse verschärft. Deshalb müsse der kommunale Hochwasserschutz besonders bezüglich Starkregen verbessert werden. Dies bedeutet Rückhaltungen des Wassers in der Fläche durch Dachbegrünungen, Fassadenbegrünungen, Retentionsräume oder multifunk-

tionale Flächen zu etablieren. Lenz sieht vor allem die “vielen Zielkonflikte” als einen Hauptgrund, warum der kommunale Hochwasserschutz in Deutschland hakt. So gebe es eine starke Konkurrenz um Bauland in Ufernähe. Einerseits brauche es Überflutungsflächen. Andererseits wollten viele Kommunen neue Gewerbe- oder Wohngebiete ausweisen, um weiterzuwachsen. Außerhalb von urbanen Gebieten stehe der Hochwasserschutz in Konkurrenz zu der landwirtschaftlichen Nutzung. Denn sollten z. B. Felder zugunsten einer unten liegenden Stadt geflutet werden, könne die Fläche erst mal aufgrund von teilweise toxischem Schlamm nicht genutzt werden. Deshalb seien Landwirte sehr skeptisch, wenn sie ihre Felder als Flutpolder, also Rückhaltebecken, die bei einem drohenden Hochwasser geflutet werden, freigeben sollen. Lenz plädiert für einen gesell-

schaftlichen Diskurs: “Was will der Ort? Will man Wirtschaftswachstum um jeden Preis oder hat man Bereiche, von denen man die Finger lässt?” Dieser Diskurs müsse auch über einen längeren Zeitraum geführt werden. Als Reflex nach Katastrophen dieser Art werde immer die Ausweisung von Flutflächen gefordert, aber wenn das Hochwasser 15 Jahre zurückliege, liefen diese Forderungen schnell ins Leere. Dies ist auch der zweite Grund, warum an manchen Stellen der Hochwasserschutz hakt. Die Umsetzung der Maßnahmen benötigt sehr viel Zeit. Zudem müssen Kommunen auch über die Gemeindegrenzen hinausdenken und Maßnahmen ergreifen, von denen in erster Linie die Unterlieger profitieren. Auch der DWA sieht eine Reihe von Gründen für den teilweise unzureichenden Schutz. So gebe es Unwissen in den Verwaltungen und bei den Bürgern über die Gefährdung durch Starkregen. U. a. mangele es an Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren aus Tiefbauamt, Stadtentwässerung, Grünflächenamt, Verkehrsplanung oder Raumplanung. Diese müssten “bereits in der Phase null zusammenarbeiten”. Zudem bestehe oft innerhalb der Kommune Uneinigkeit, wer die Kosten für Hochwasserschutzmaßnahmen tragen solle. Eine Finanzierung über die Abwassergebühren sei in der Regel jedoch möglich, aber je nach Bundesland unterschiedlich, so Bröker. Geld für Präventionsmaßnahmen sei immer gut angelegt und am Ende günstiger als die Summe der katastrophalen Schäden an Infrastruktur, Immobilien sowie an Leib und Leben, sagt Lenz. Ob der Wunsch in Erfüllung geht, bleibt abzuwarten. Vergangene Katastrophen geben wenig Grund zum Optimismus.

(BS/mj) Während sich die Wirtschaft die tagtäglich anfallenden Datenmengen jedes Einzelnen längst zunutze macht, wird dieses Handlungsfeld von Städten und Gemeinden noch kaum beachtet. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, erklärt: “Die Stadt der Zukunft ist auf Daten gebaut.” Viele Kommunen hätten in den letzten Jahren ihre Online-Präsenz ausgebaut und digitale Serviceleistungen zur Verfügung gestellt – die daraus generierten Daten würden jedoch nicht genutzt! In der Studie “Die Stadt der Zukunft mit Daten gestalten” hat der Deutsche Städtetag diesen Umstand untersucht. Das Ergebnis sind Handlungsempfehlung und praktische Hinweise. Unter anderem wird der Einsatz von Open-Source-Komponenten empfohlen, um die Souveränität der Datenplattform-Architektur zu gewährleisten.

Es grünt so grün…

(BS/mj) In sechs Modellvorhaben wird der Umgang mit Grün- und Freiflächen erprobt. Die “Green Urban Labs II” des Bundesinnenministeriums (BMI) und des Bundesbauinstituts (BBSR) erproben innovative Ansätze in Städten mit Bevölkerungswachstum: Karlsruhe, Aachen, Dresden, Saarbrücken, Fellbach und Ingolstadt. Die Grün- und Freiflächen dieser Kommunen stehen zum einen in Konkurrenz zum dringend benötigten Wohnungsbau und werden gleichzeitig von immer mehr Menschen als Erholungsraum genutzt. Die “Green Urban Labs II” befassen sind im Allgemeinen mit der Erschließung neuer Raumpotenziale, neuen Management- und Resilienzstrategien sowie sich überlagernden Nutzungskontexten. Gefördert werden die Projekte mit insgesamt 300.000 Euro, bei einer Laufzeit von 2021 bis 2023.

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Kommunaler Finanzgipfel

31. August – 1. September 2021, GOP Varieté-Theater, Bundesstadt Bonn

Referent*innen, u. a.: Prof. Dr. Dörte Diemert, Stadtkämmerin, Stadt Köln

Uwe Zimmermann, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer, Deutscher Städte- und Gemeindebund

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de

Dr. Ute Jasper, Rechtsanwältin & Partnerin der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

Manfred Uhlig, Kämmerer, Hansestadt Lübeck

Veranstalter

Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch

Fotos: © Stadt Köln (Diemert); © DStGB (Zimmermann)

Je nach Pandemielage wird die Tagung virtuell durchgeführt.


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Behörden Spiegel / August 2021 DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

Kommunen und Wissenschaft

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iese Frage ist auch bereits von einigen Kommunen und kommunalen Spitzenverbänden aufgeworfen worden, nämlich in den Dresdner Forderungen. In diesen geht es um nichts weniger als um eine Neukalibrierung des deutschen Föderalismus. Einer der Initiatoren dieser Forderungen, Hauptamtsleiter der Stadt Leipzig, Christian Aegerter, hat es kürzlich in der Zeitschrift “kommune21” so ausgedrückt: “Unsere Aufgabe ist der Dienst am Bürger, nicht am Server.” Denn die Kommunen sind qua ihrer Genese der erste Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger. Man darf die Umsetzung des OZG im Wege der übertragenen Aufgaben nicht so kompliziert machen, dass die Kommunen für nichts anderes mehr Zeit haben, vor allem nicht für ihren Dienst am Bürger. Heute ist der kürzeste Weg zum Rathaus zumeist das Smartphone. Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass es nach dem Betreten der digitalen Rathauspforte für sie so weitergeht, wie sie es aus der digitalen Welt gewohnt sind. Das aber überfordert manche Kommunen angesichts ihrer jetzt schon zu leistenden Aufgaben. Aufgabenkritik ist daher das Gebot der Stunde!

Einstieg in die Föko III Denn die Sicherstellung der Nachnutzung in der Fläche (also durch die 10.799 deutschen Kommunen) ist wohl doch komplizierter als gedacht. Die Kommunalverwaltungen, die ja bekanntlich gar nicht ausdrück-

DIGITALE

AGENDA2025 Deutschland wird digitalisiert

Zwei zentrale Erfolgsfaktoren für die Gestaltung der digitalen Transformation (BS/Prof. Dr. Margrit Seckelmann*) Der Wissenschaft wird die Rolle zugeschrieben, gleichsam aus der Vogelperspektive auf laufende Entwicklungen und Diskussionen zu blicken. Nimmt man diese ein, so lassen sich enorme Erfolge von Bund und Ländern bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) konstatieren, allerdings auch eine gewisse Ernüchterung “vor Ort”, also bei den 10.799 deutschen Kommunen, denen die Rolle der “Nachnutzerinnen” zugedacht ist. Daher ist nicht nur zu fragen: “Wie machen wir die Dinge richtig?”, sondern auch: “Machen wir die richtigen Dinge?” lich durch das OZG adressiert werden, aber in ihrer Eigenschaft als Teil der Länder den Großteil der Umsetzungslast schultern müssen, sitzen nicht alle demütig und dankbar im Rathaus und warten auf die Befüllung des FIT-Stores; manche melden sich durchaus deutlich zu Wort. Die Dynamik, die von den Dresdner Forderungen ausgehen könnte, ist nicht zu unterschätzen. Wenn die Kommunen tatsächlich digitalisierbare Pflichtaufgaben an die Länder “zurückgeben” wollen, ist das nichts weniger als der Einstieg in die Föderalismusreform III. Denn es geht um eine Rückbesinnung, vielleicht sogar um eine Neudefinition der Rolle der Kommunen. Was genau bedeutet eigentlich – ich benutze einmal diesen historisch vorbelasteten Begriff – die Daseinsvorsorge? Ist mit einer Gemeinwohlbewirkung, auch in überschuldeten Kommunen, überhaupt noch die Möglichkeit der Gestaltung verbunden? Ich denke, dass es jetzt da­rum geht, einen entscheidenden Fehler zu korrigieren, der in der ersten Etappe der Föderalismusre-

form gemacht wurde. Die Rede ist von der Überakzentuierung der Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern und der Regelung, dass sich der Bund nur gleichsam über die Länder als Boten an die Kommunen wenden kann. Im Jahr 2017 wurden im Rahmen einer Grundgesetzänderung gewisse Aufweichungen dieses Grundsatzes vorgenommen. Aber sie gehen meines Erachtens nicht weit genug. Man sollte daher den Gedanken eines smarten Föderalismus verfolgen und wieder zum Gedanken eines echten Mehrebenensystems zurückkehren, auch unter Einbeziehung der europäischen Ebene. Denn es ist nicht nur dem OZG, sondern auch der Single-DigitalGateway-Verordnung Rechnung zu tragen – und die entsprechenden Lösungen sollten möglichst zusammenpassen.

Digitale Transformation mit smartem Föderalismus Die Entwicklung einer IT-Architektur in der Bundesrepublik wird die nächste große Aufgabe der digitalen Transformation. Aber diese muss von einem smarten

Föderalismus umrahmt sein, der gerade auf die Kooperationstatbestände des Grundgesetzes setzt – wie etwa Art. 91c GG. Denn nicht eine Zentralisierung, sondern die Herstellung von Interoperabilität ist meines Erachtens das Mittel der Wahl. Aber Interoperabilität und Schnittstellen müssen nicht nur definiert und programmiert, sondern auch gepflegt und gemanagt werden. Und dieses Management ist nicht zu unterschätzen. Es reicht nämlich nicht, Angebote in einen FIT-Store zu stellen, wenn sie dort keiner abruft. Nachnutzung ist nicht nur eine Holschuld, sondern auch eine Bringschuld dessen, der die Leistung dort einstellt und vor allem dessen, der den FIT-Store managt. Dieser sollte auch mit mehr Personen und Mitteln ausgestattet werden, um eine echte Transformationsleistung erbringen zu können. Denn Kooperation erfordert leistungsfähige interinstitutionelle Arrangements.

Die digitale Transformation in Deutschland ist daher eine Gestaltungsaufgabe, nicht nur eine der Verteilung von Geld. Die Angebote, die die FITKO hierzu macht, gehen selbstverständlich in die richtige Richtung, nämlich die Entwicklung von Standardverträgen zur Nachnutzung und das Marketing für die Leistungen. Aber zumeist erfolgt das etwas zögerlich – frei nach dem Motto dessen, was im Marketing “Schweinebauchwerbung” heißt: Eine Profiköchin, die gezielt nach besonders guten Angeboten für Schweinebauch sucht, muss nicht für das Produkt emotionalisiert werden – sie wird aufgrund ihres Vorwissens auch so das für sie beste Angebot finden. Anders ausgedrückt ist die Nachnutzung derzeit zwar einerseits ein drängendes Thema, andererseits aber fast noch etwas für Expert(inn)en. Ich möchte hier daher dafür plädieren, das Thema der OZG-Umsetzung deutlich stärker in eine Gesamtnarration digitaler Transformation einzubin-

den. Frei nach dem Rapper Smudo, der mit der Vermarktung der Luca-App von sich reden machte, werden den Kommunen derzeit Buchstabenkombinationen wie FIM, FITKO, FIT-Store, GAIA-X oder EfA vorgerappt, ohne dass sie bislang erkennen können, was diese Buchstabenkombinationen eigentlich genau mit ihnen zu tun haben. Geld kann ein Anreiz sein, aber es ist nicht alles – oder, um eine Metapher aus dem Profifußball zu benutzen, – es schießt allein keine Tore. Ein Weg in eine nachhaltige Umsetzung des OZG könnte vielmehr darin liegen, die Einrichtungen zu stärken, die wir bereits haben, beispielsweise die kommunalen Rechenzentren. Dataport hat es ja vorgemacht, wie man sich für die Champions League qualifiziert. Ebenso wichtig ist meines Erachtens der Aufbau von regionalen Kompetenzverbünden und ebensolchen Digitalagenturen. Was aber vor allem nottut, ist die Entwicklung einer ebenenübergreifenden deutschen Digitalisierungsstrategie, die über die magischen Jahre 2022 und 2023 hinausreicht. Das OZG und die SDG bieten die Möglichkeit, in diese Diskussion einzusteigen. Nutzen wir sie! * Prof. Dr. Margrit Seckelmann ist Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung.

Zahlreiche Projekte gefördert Bund und Länder unterstützen Smart Cities

Räumliche Grenzen überwinden Digitale Kommunen – Vision, Wirklichkeit und Zusammenarbeit (BS/Ulrich Keilmann) Bund, Länder und Kommunen sollen ihre Leistungen auf elektronischem Wege anbieten. Die Pflicht hierzu ergibt sich nicht zuletzt aus dem Onlinezugangsgesetz. Das ist kurzfristig mehrdimensionaler Verwaltungsaufwand (Personal, Zeit und Kosten). Andererseits kann durch die Digitalisierung vereinzelt Aufwand mittel- bis langfristig eingespart werden. Es gibt verschiedene elementare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung. Bürger müssen ein substanzielles Vertrauensverhältnis zu ihrem

zielgerichtet in ihren weiteren Digitalisierungsaktivitäten zu unterstützen. Schematisch gliedert sich der Digitalisierungsleitfaden in kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen. Inhaltlich ist der konkrete DigitaDr. Ulrich Keilmann leitet lisierungsleitfadie Abteilung Überörtliche den für sämtliPrüfung kommunaler Körperche Kommunen schaften beim Hessischen deswegen inRechnungshof in Darmstadt Foto: BS/privat teressant, weil ganz konkrete Maßnahmen (Organisation, E-Administration und Staat haben und dieser funk- E-Government-Dienste) den drei tionale, nutzergerechte digitale zeitlichen Phasen strukturiert Leistungen anbieten. Die Digi- zugeordnet, die individuellen talisierung darf nicht bei den Zuständigkeiten eindeutig zuMaßnahmen des Onlinezugangs- gewiesen sowie die aktuellen gesetzes enden, sondern sie muss Umsetzungsstände nachgehaldie kompletten Prozesse zwischen ten werden können. Digitalisierung ist keineswegs Bürger, Unternehmen, Politik und Verwaltung – aber auch einfach und kann nicht “neinnerhalb der Verwaltungen – benbei erledigt” werden. Sie umfassen.

Räumliche Grenzen zwischen kooperierenden Kommunen werden überwunden. Das kann helfen, die Herausforderungen des demografischen Wandels auszugleichen, den Kommunen bei der Haushaltskonsolidierung zu helfen und insgesamt die Verwaltung effizienter zu gestalten. Der pandemiebedingte “Zwangsfortschritt” auf diesem Feld muss kontinuierlich weiter ausgebaut werden. Selbst in einer sich weiter verändernden Welt sollten nicht alle Kommunen das digitale Rad neu erfinden. Exemplarisch gibt es innerhalb Hessens bereits viele digitale Lösungen für Verwaltungsprozesse. Bereits vorhandene Ansätze sollten vor Ort untersucht, bewertet und gegebenenfalls adaptiert werden. Auf dem Weg zu digitalen Kommunen ist letztlich eine enge Zusammenarbeit zwischen den staatlichen und kommunalen Akteuren unentbehrlich.

Vom Status quo zur Vision Mit der 213. Vergleichenden Prüfung “Digitalisierung” hat die Überörtliche Prüfung in Hessen sich dieses wichtigen Themas angenommen. Aufbauend auf der Ermittlung des Status quo war es das Ziel, die Kommunen beratend auf ihrem Weg in die Digitalisierung zu unterstützen. Es zeigte sich, dass einzelne Städte und Gemeinden den Einwohnern erste sachgerechte digitale Anwendungen anboten. Gleichwohl lag in der Mehrzahl der Kommunen noch Weiterentwicklungsbedarf vor. Vision und Wirklichkeit lagen weit auseinander. Aus diesem Grund wurde auf Basis der Prüfungserkenntnisse ein Digitalisierungsleitfaden entwickelt (siehe Behörden Spiegel Dezember 2019, Seite 47). Er hat das Ziel, Kommunen

Mit dem Digitalisierungsleitfaden erhalten Kommunen zielgerichtete Unterstützung.

ist als ständiger, fortlaufender Anpassungsprozess zu sehen. Trotz aller Anstrengungen bietet Digitalisierung Chancen, gerade auch im Hinblick auf Organisations- und Prozessoptimierungen. Durch sie liegt etwa ein Ausbau der interkommunalen Zusammenarbeit auf der Hand.

Quelle: BS/Hessischer Rechnungshof

Lesen Sie mehr zum Thema “Digitalisierung” im Kommunalbericht 2019, Hessischer Landtag, Drucksache 20/1309 vom 8. November 2019, S. 230 ff. Der Kommunalbericht und der vollständige Digitalisierungsleitfaden sind kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.

(BS/lma) Der Weg zur Smart City ist teuer. Modellprojekte müssen finanziert, Technik muss angeschafft und Personal ausgebildet werden. Um Kommunen trotz finanzieller Hürden die Smart-City-Entwicklung zu ermöglichen, fördern sowohl der Bund als auch die Länder entsprechende Projekte. Auf Bundesebene ist das Förderprogramm “Modellprojekte Smart Cities – Stadtentwicklung und Digitalisierung” des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zu nennen. Es richtet sich an Kommunen und Verbände bzw. Vereinigungen. Modellprojekte werden hier in zwei Phasen gefördert: Zunächst geht es um die Entwicklung kommunaler Ziele, Strategien und erster Maßnahmen. In der zweiten Phase folgt dann die Umsetzung. Die Förderhöhe liegt bei maximal 65 Prozent der förderfähigen Ausgaben, für Kommunen mit Haushaltsnotlage bei 90 Prozent. 2019 bewarben sich 19 Projekte erfolgreich für eine Förderung, 2020 weitere 32. Bis Mitte März 2021 war die Bewerbung für eine dritte Förderungsstaffel möglich, von 94 Bewerbern wurden 28 für eine Förderung ausgewählt. “Die überaus große Resonanz bei den Bewerbungen zeigt, dass das Smart-Cities-Programm von hoher Bedeutung für unsere Städte und Gemeinden ist”, so Bernhard Daldrup, bau- und wohnungspolitischer Sprecher der SPDBundestagsfraktion. Speziell auf den ländlichen Raum fokussiert sich der Bund darüber hinaus mit dem Förderprogramm “Heimat 2.0”. Fördergeber ist ebenfalls das BMI. Auch hier werden Modellprojekte gefördert, in denen der Einsatz digitaler Technologien für die Sicherung der Daseinsvorsorge unterstützt und Verbesserungsund Entwicklungspotenziale für die Akteure vor Ort realisiert werden sollen. Die Förderung mit in der Regel maximal 90 Prozent Förderquote solle auch der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land dienen, heißt es seitens des BMI.

Beispiele aus den Ländern Auf Ebene der Bundesländer sieht die Förderlandschaft unterschiedlich aus. Nicht jedes Bundesland bietet ein eigenes Förderprogramm zum Thema

Wollen Kommunen zur Smart City werden, können sie von Bundes- und Landesseite verschiedene Fördermittel erhalten. Foto: BS/Gerd Altmann, pixabay.com

Smart Cities an, einige wiederum fördern spezielle Themen, die auch für Smart Cities relevant sind. Hierzu zählen zum Beispiel die Programme “Digitale Offensive Sachsen” und die Breitbandausbaurichtlinie des Landes Thüringen, in denen der Breitbandausbau, aber zum Beispiel auch die Einrichtung öffentlicher WLAN-Hotspots gefördert werden. Das Saarland legte ein ähnliches Programm auf. Niedersachsen wiederum fördert mit einem Programm gezielt die “Digitalisierung im Verkehr”. Hier können Kommunen zum Beispiel für Investitionen im Verkehrsmanagement zur Lenkung des Verkehrs eine Förderung erhalten. Die Thematik Smart Cities als Ganzes nimmt unter anderem NRW mit der “Förderung von digitalen Modellregionen” in den Fokus. Fünf Modellregionen werden zum Beispiel bei der Verwaltungsdigitalisierung, aber auch bei innovativen Projekten zur Stadtentwicklung unterstützt. Von insgesamt 65 geförderten Projekten seien 34 dem Bereich Smart City zuzuordnen, berichtet das zuständige Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (MWIDE). “Die Modellregionen entwickeln

als digitale Pioniere Lösungen, die von allen Kommunen des Landes verwendet werden können.” Allerdings läuft das Förderprogramm Ende diesen Jahres aus. Einzelheiten für zukünftige Aktivitäten im Bereich Smart Cities würden derzeit erarbeitet, schreibt das MWIDE hierzu. Neben Bayern (“Smart Cities Smart Regions”) und Hessen (“Starke Heimat Hessen”) fördert darüber hinaus auch SachsenAnhalt Smart Cities. Das Land legt einen Schwerpunkt der Förderung auf die Unterstützung von regionalen Digitalisierungszentren (RDZ), für deren Errichtung Städte oder Landkreise als Anschubfinanzierung zwei Jahre lang Personal- und Sachkostenmittel erhalten. Die RDZ sollen als Koordinierungsstellen für die digitale Transformation dienen. Die Förderhöhe beträgt maximal 80 Prozent, für die Förderung von RDZ wurden seit 2018 1,54 Millionen Euro bewilligt, für Digitalisierungsprojekte insgesamt wurde eine Summe von rund 7,4 Mio. Euro bewilligt. Das Programm soll in den kommenden Jahren weiter fortgesetzt werden, sagt das verantwortliche Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung.


Digitale Agenda / Smart City

Behörden Spiegel / August 2021

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Vier Fragen – vier Antworten Interview mit Lars Prahler, Bürgermeister der Gemeinde Grevesmühlen (Landkreis Nordwestmecklenburg)

Foto: BS/privat

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ehörden Spiegel: Herr Prahler, was bedeutet Smart City für die Bürgerinnen und Bürger? Prahler: Wir denken das Projekt so gut es geht von den Bürgerinnen und Bürgern. Es stehen also nicht die Themen digitales Rathaus, Energieversorgung oder Smart Grid im Fokus, sondern die vielen verschiedenen Lebenslagen und Bedürfnisse der Betroffenen. Diese gilt es zusammenzutragen, in einer digitalen Architektur darzustellen und mit Modulen zu verknüpfen, die digitale Hilfestellungen bieten. Uns ist es wichtig, allen verständlich zu machen, was wir tun – das fängt bereits beim Titel an. Darum vermeiden wir in Grevesmühlen so gut es geht den Anglizismus “Smart City” und sprechen lieber über die digitale Stadt Grevesmühlen. Behörden Spiegel: Und was bedeutet die Implementierung des Projektes “digitale Stadt” für die Mitarbeitenden der Stadt? Prahler: Die Digitalisierung innerhalb des Rathauses findet erst mal ungeachtet des stadtweiten Digitalisierungsprojektes statt, denn natürlich müssen wir interne Prozesse und den Bürgerservice digitalisieren. Das

Digitale Kleinstadt “Die Technik ist seltenst das Problem, sondern die Anpassung an die die örtlichen Begebenheiten”

die Zusammenarbeit schließlich auch ablehnen, dann würde mein Projekt nicht zustande kommen.

(BS) Lars Prahler (parteilos) ist seit 2016 Bürgermeister der rund 11.000 Einwohner großen Kleinstadt Grevesmühlen im Landkreis Nordwestmecklenburg. Diese wurde 2019 vom Bundesministerium des Innern (BMI) als Smart City ausgezeichnet und baut seitdem kontinuierlich ihr digitales Behörden Spiegel: Würden Angebot aus. Im Interview mit dem Behörden Spiegel erzählt Prahler, was das für die Stadt bedeutet. Die Fragen stellte Malin Jacobson. Sie sagen, dass Grevesmühlen beginnt bereits beim Beantragen eines Personalausweises, wobei wir im Sinne des übertragenen Wirkungskreises hier von den Lösungen des Bundes abhängig sind. Wenn dieser Umstellungsprozess abgeschlossen ist, kann die digitale Stadt Dienstleistungen online anbieten, die nur alle sieben Jahre vom Bürger in Anspruch genommen werden. Das ist aus unserer Sicht aber nur ein Tausendstel dessen, was eine digitale Stadt eigentlich ausmacht. Vielmehr bedeutet es zu wissen, welches Sortiment der Drogeriemarkt führt, Echtzeitabfahrten der Busse zugänglich zu machen sowie einen Newsticker über lokale Nachrichten und Veranstaltungen oder den Pflegedienstservice bereitzustellen. Man muss eine Architektur rund um die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger schaffen und dann schauen, welche Module dem gerecht werden. Damit beschäftigen sich einige Angestellte der öffentlichen Verwaltung, aber

Abhängig von der Ausgangslage sowie den Wünschen und Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gestaltet sich Digitalisierung in jeder Stadt anders.

vor allem viele Freiwillige aus der Bevölkerung. Behörden Spiegel: Was sind – in Bezug auf Software und Hardware – die größten Herausforderungen für Städte auf dem Weg zur digitalen Stadt?

Der lange Weg zur intelligenten Stadt Wenn der Praktikant zum Chatbot wird (BS/Malin Jacobson) Alle wollen es, aber keiner kann es – so scheint es zumindest oft: Den Traum von der intelligenten Stadt, der Smart City zu verwirktlichen. Die Hürden für die Umsetzung sind groß, es braucht Geld, Know-how, Daten, Plattformen… und was, wenn etwas schiefgeht? “Die Reaktion, die wir meistens bekommen, ist eine gewisse Reserviertheit aufgrund fehlender eigener Kompetenz, danach gibt es ein gewisses Vorschieben von Angstvokabeln und schon sind die Themen tot”, erklärt Götz Volkenandt, Geschäftsführer von Knowledge&Trends. So groß die Ängste, so zaghaft sind im Allgemeinen die Versuche, sich dem Thema Smart City anzunähern. Das kann auch Jens Visser, Projektleiter für Digitale Transformation der Stadt Bocholt, bestätigen: “Wenn man sich diesem Thema überhaupt nähert, dann nur von innen heraus, mit kleinen Themen, die mit Smart City noch recht wenig bis gar nichts zu tun haben. Das sind alles einzelne Bausteine, die in Kleinigkeiten angegangen werden, mehr aber auch nicht.”

nichts muss. Das könnte auch der Grund sein, weswegen es den Kommunen schwerfällt, eine Strategie aufzubauen, welche digitalen Bausteine notwendig und umsetzbar sind. Visser: “Da muss erst mal insgesamt mehr Know-how entstehen, damit die Mitarbeitenden und die Politik verstehen, was auf kommunaler Ebene dahintersteckt. Und wenn man dann erkennt, dass Digitalisierung einen Mehrwert für alle hat, dann kann das gelingen.” Zudem fordert er eine andere Innovationshaltung in den Kommunen, die auch mal Fehler zulässt. Nur dann könnten Use Cases ausprobiert und Strategien angewendet werden. “Und es braucht generell eine andere Herangehensweise, als es noch vor fünf bis zehn Jahren der Fall war.”

Smarte Strategien

Smarte Umsetzung

Für das Thema Digitalisierung gibt es keine Leitz-Ordner und Blaupausen, die man aus dem Schrank ziehen kann. Auch eine Checkliste, welche Standardservices jede Kommune digital vorhalten muss, fehlt. Alles kann,

Und die Umsetzung? Die könnte sich einfacher gestalten als gedacht – zumindest wenn es nach Prof. Dr. Björn Niehaves, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik an der Universität Siegen, geht: “Man kann natürlich

für Zigtausend Euro einen Chatbot installieren und schauen, ob die Bürgerinnen und Bürger das gut finden und akzeptieren würden. Man kann aber auch einfach drangehen und einen Praktikanten vier Wochen “Chatbot spielen” lassen, um zu sehen, wie die Leute darauf reagieren und ob das eine Technologie ist, die sie annehmen.” Die Technik im Vorhinein zu substituieren, könnte einen so vor Fehlinvestitionen schützen. Und dann sei es natürlich hilfreich, wenn nicht jede Kommune für sich selbst und vor sich hin ausprobiere. Bei der Spracherkennung für Chatbots sei es beispielsweise gar nicht mehr nötig, dass jede Kommune alle aussagenähnlichen Wörter und Wortkombinationen sammele und in den Datenspeicher gebe. Der Content lasse sich bereits heute so mit Wörtern, Sätzen, Absätzen und Dokumenten verbinden, dass er zahlenmäßig dargestellt und verglichen werden könne. Es bleibe also nur noch die Zahl, die den Content repräsentiere, einzugeben und schon sei der Chatbot betriebsbereit.

Viele kleine Bausteine sind nötig, um eine Stadt intelligent zu machen. Welche Strategie umsetzbar ist und welche Services benötigt werden, muss dabei jede Kommune für sich entscheiden. Foto: BS/geralt, pixabay.com

Foto: BS/geralt, pixabay.com

Prahler: Beim Thema Hardware ist es für jede Kommune wichtig, zu entscheiden, ob sie den eigenbetriebenen Breitbandausbau mitverfolgen will, ob sie WLANNetze aufziehen oder wie sie mit Terminals im Stadtgebiet umgehen will. Diese Entscheidung muss jede Stadt für sich treffen, da die Rahmenbedingungen von Stadt zu Stadt unterschiedlich sind. Wir haben beispielsweise den Fokus auf eine gute WLAN-

Infrastruktur gelegt, da der Breitbandausbau bereits von privaten Unternehmen ausreichend abgedeckt wird. Im Bereich Software ist das Problem vor allem eine durchdachte Priorisierung. Man muss sich gut überlegen, welche Produkte man für welchen Zweck ankaufen möchte, da es viele Anbieter und Softwareprodukte gibt, die nicht unbedingt zu den eigenen Anforderungen passen. Die Technik ist seltenst das Problem, sondern die Anpassung an die örtlichen Begebenheiten. Möchte man beispielsweise die Abfahrtzeiten des Stadtbusses abbilden, stößt man auf das Problem, dass dieser eine Dienstleistung des Landkreises ist. Die Digitalisierung des ÖPNV ist beim Landkreis zwar bereits auf den Weg gebracht, muss aber erst über das Front-End mit der Karte des digitalen Stadtportals zusammengebracht werden, um dann dem Kunden zugänglich gemacht zu werden. Man muss sich also über mehrere Produkte und mit diversen Dienstleistern abstimmen – dabei geht es sowohl um technische Schnittstellen als auch die Bereitschaft der Akteure. Der Landkreis könnte

in diesem Sinne spezielle Rahmenbedingungen hat, die das ganze Projekt erst möglich gemacht haben? Prahler: Es gibt mit Sicherheit Städte, die eine bessere Ausgangssituation haben als wir. In Grevesmühlen gibt es beispielsweise keine Hochschule und wir sind in einigen Belangen, wie beim Thema ÖPNV bereits angedeutet, von übergeordneten Institutionen abhängig. Jede Stadt muss in diesem Sinne selbst schauen, was ihr Weg ist, und ich kann nur dazu animieren, das zur Chefsache zu erklären. Noch schaffen wir es, dass junge Familien auch in Gegenden ohne Breitbandanschluss ziehen. In den nächsten zehn Jahren wird es aber immer entscheidender für die einzelnen Kommunen, gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern darzustellen, wie sie digital aufgestellt sind. Dahingehend möchten wir die Menschen positiv mit lokalen Dienstleistungen überraschen, die sich ebenso digital abbilden. Das kann man sich auch gerne auf unserer Plattform anschauen, unter www.grevesmuehlenerleben.de .


Kommunalpolitik

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ährend Städte wie Hamburg, München oder Berlin mit explodierenden Mietpreisen und Wohnungsnot zu kämpfen haben, erleben Regionen wie der Vogtland­ kreis, der Bayerische Wald oder die Eifel 15 bis 18 Prozent Leerstand. “Wir haben in Deutschland keine generelle Wohnungsnot”, erklärt Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender von Vonovia SE, “die Wohnungen sind nur am falschen Ort.” Dieses Phänomen sei selbst innerhalb eines einzelnen Bundeslandes festzustellen, erläutert Tarek AlWazir (Bündnis 90/Die Grünen), Hessischer Staatsminister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen: “Frankfurt am Main pros­ periert wirtschaftlich und zieht viele Menschen an. Das erhöht den Druck auf den Wohnungsmarkt. Gleichzeitig haben wir im nur weni­ ge Kilometer entfernten Odenwald oder der Region Vogelsberg Leer­ stand.” Mit verschiedenen Maß­ nahmen versucht das Land, auf angespannten Wohnungsmärkten für Entlastung zu sorgen. Hierzu gehören die verlängerte Kündi­ gungssperrfrist von acht Jahren bei Eigenbedarfskündigungen, die abgesenkte Kappungsgrenze, die die maximale Mietpreissteigerung bei bestehenden Mietverhältnissen auf 15 Prozent beschränkt, sowie die sogenannte Mietpreisbremse, die die zulässige Miethöhe bei der Wiedervermietung von Wohnraum auf maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete begrenzt.

Mietpreisbremse und Mietspiegel Mit der Mietpreisbremse hat man laut Al-Wazir gute Erfahrungen

Behörden Spiegel / August 2021

Deckeln, bremsen oder spiegeln? Mietpreissteigerungen in Ballungsräumen sind nach wie vor ein Problem (BS/Malin Jacobson) Maßnahmen gegen die Mietpreissteigerungen zu finden, die sowohl wirkungsvoll, verfassungskonform als auch umsetzbar sind, scheint manchmal mit der Suche nach dem heiligen Gral vergleichbar. Dabei sind die zugrunde liegenden Probleme längst bekannt!

Monopoly ist für inflationäre Mieten, die den Einzelnen in die Insolvenz treiben, bekannt. Ganz so schlimm ist es in den deutschen Großstädten noch nicht, aber bereits jetzt gibt über die Hälfte der Mieterinnen und Mieter mehr als 30 Prozent ihres Lohns für das Wohnen aus. BS/JHertle, pixabay.com

gemacht. Sie wirke und habe die exorbitante Steigerung ge­ dämpft. Nun arbeite man daran, durch verschiedene Fördermaß­ nahmen die Situation weiter zu entschärfen. Eine davon ist die Förderung qualifizierter Miet­ spiegel. In insgesamt 49 Ge­ meinden in Hessen werde die Mietpreisbremse angewandt. Es sei daher “im Interesse des Landes, die Erstellung qualifi­ zierter Mietspiegel zu fördern, um so den Verbreitungsgrad dieser Mietspiegel in Hessen zu erhöhen”. Eine entsprechen­ de Förderrichtlinie des Landes wurde im Juni im hessischen Staatsanzeiger veröffentlicht.

Auch Helmut Dedy, Hauptge­ schäftsführer des Deutschen Städtetages, unterstreicht die Bedeutung des Mietspiegels: “Wir brauchen qualifizierte Miet­ spiegel, damit die Regelungen zur zulässigen Miethöhe über­ haupt rechtssicher angewendet werden können. Sie spielen auch in zahlreichen weiteren Fragen im Steuerrecht, der Wertermitt­ lung und selbst im Sozialrecht eine Rolle.” Eine Maßnahme, um den Wohnungsbau im Frank­ furter Raum anzukurbeln, ist das Projekt “Großer Frankfurter Bogen”, das Umlandkommunen mit guter Schienenanbindung an Frankfurt dabei unterstützt,

Bauland auszuweisen. Woh­ nungssuchende sollen attraktive und bezahlbare Alternativen zur Kernstadt finden.

mehr Bauland zu mobilisieren, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und Bodenspe­ kulation zu bekämpfen. Auch Dietmar Bartsch, Fraktionsvor­ sitzender der Linken im Bundes­ tag, kann sich dem anschließen: “Zum einen müssen wir dafür sorgen, dass die öffentliche Hand die Kontrolle über den Boden zurückbekommt. Zum anderen müssen die Geneh­ migungsverfahren vereinfacht werden, da viele kleine Inves­ toren von der Komplexität ab­ geschreckt werden.” Die Linke und die FDP hätten in der Ver­ gangenheit immer wieder An­ träge zur Vereinfachung in den Bundestag eingebracht, fährt er fort, es habe allerdings nie eine Mehrheit gegeben.

Mietendeckel

Bauen muss günstiger werden

Andere Städte waren weniger erfolgreich. Der im Februar 2020 eingeführte “Berliner Mietende­ ckel” wurde bereits 14 Monate später als verfassungswidrig eingestuft und gekippt. Hagen Reinhold, MdB der FDP-Frak­ tion, erläutert, das Einfrieren der Mieten auf einen fixen und ortsunabhängigen Stand habe Investoren verprellt und ener­ getische Sanierungen ins Sto­ cken gebracht. Er schlägt vor,

Reinhold fordert zudem die Möglichkeit für günstigere Woh­ nungsbauweisen. Demnach sind neben den aktuellen und kurz­ fristen Baumaterialpreissteige­ rungen vor allem Klimaschutz­ vorschriften und DIN-Normen Rahmenbedingungen, die die Baukosten definieren: “Bisher sind diese Normungen indus­ triell geprägt und verursachen so horrende Kosten bei den Bau­ produkten.” Und der Vorstands­

vorsitzender von Vonovia, Buch, ergänzt: “DIN-Normen werden von den Leuten gemacht, die uns nachher die Baustoffe lie­ fern! Die Normungen dürfen keine Standards setzen, die nie­ mand mehr bezahlen kann.” Dass energetische Sanierungen und CO2-sparendes Bauen nicht nur für die Umwelt, sondern auch die späteren Nebenkos­ ten der Mieterinnen und Mieter wichtig sind, darin sind sich alle einig. Da CO2-neutrales Bauen allerdings eine Produktion vor Ort nach sich ziehen würde, warnt Buch vor Preissteigerun­ gen, deren Kosten die Mieter nicht mehr tragen könnten. Den bisherigen Bestand an Wohnungen zu pflegen, wäre realistischer, allerdings sei es an vielen Stellen technisch nicht möglich, moderne Standards nachzurüsten. Insgesamt könne nur ein Bün­ del an Maßnahmen dem drän­ genden Problem steigender Mie­ ten Herr werden, meint Dedy. “Kommunen brauchen Bauflä­ chen, Planungsverfahren müs­ sen beschleunigt und das Bauen muss wieder günstiger werden.” Und auch Bartsch sieht eine Mietbegrenzung nicht als allei­ nig ausreichende Maßnahme, da so keine neuen Wohnungen ge­ baut würden. Eine Begrenzung könne aber als Überbrückungs­ regelungen fungieren, bis der notwendige Bestand vorhanden sei, erklärt Buch. “Dafür müssen aber vermehrt private Investoren angeregt werden, da die Kommu­ nen selbst nicht die Kapazitäten haben, die Wohnungsmenge zu liefern.”

Die Parteien zur Bundestagswahl 2021

“Kommunen sind das Rückgrat unserer Demokratie” Ohne Finanzierungsquellen kann es keine kommunale Aufgabenverantwortung geben Kommunen

CDU / CSU

SPD

AfD

FDP

Linke

Grüne

Rathaus

?

In welchen Bereichen müssen Bund, Länder und Kommunen mehr kooperieren?

?

Wo muss der Bund (über die Länder) die Kommunen finanziell stärker unterstützen?

Christian Haase, MdB, kommunalpolitischer Sprecher

Bernhard Daldrup, MdB, kommunalpolitischer Sprecher

Udo Hemmelgarn, MdB, baupolitischer Sprecher

Dr. Marie-Agnes StrackZimmermann, MdB, kommunalpolitische Sprecherin

Kerstin Kassner, MdB, kommunalpolitische Sprecherin

Britta Haßelmann, MdB, kommunalpolitische Sprecherin

Uns geht es darum, einen neuen Zukunftspakt zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu schmieden und dabei den Grundsatz der Subsidiarität konsequent anzuwenden. Es muss für jeden klar erkennbar sein, wer wofür in unserem Staat Verantwortung trägt. Dennoch wird es beispielsweise im Bereich Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nicht ohne gemeinsame Verantwortung gehen – genauso im Bereich der Digitalisierung. Hier denke ich beispielsweise an die Potenziale gemeinsamer Datennutzung bei Behördengängen.

Die Aufgabentrennung zwischen den Ebenen verbietet die Kooperation zwischen den Ebenen nicht und sie wird im Rahmen der Zuständigkeiten praktiziert. Gute Beispiele sind die Städtebauförderung, Investitionsprogramme für die Infrastruktur oder die Übernahme von Kosten für die Unterbringung von Langzeitarbeitslosen. Wir brauchen mehr Kooperation in der Bildungspolitik, der Digitalisierung und die letzten Monate zeigen uns, dass die Kooperation in den Bereichen Katastrophenschutz und Gesundheitsschutz intensiviert werden sollte.

Die Lebensverhältnisse in Deutschland unterscheiden sich stark danach, in welcher Region die Bürger leben. In manchen Bereichen herrschen dramatische Schieflagen. So gibt es in Deutschland genauso viele leerstehende Wohnungen wie nachgefragt werden – nur jeweils anderenorts. Die Entwicklung in den ländlichen Regionen muss dringend verbessert werden: die Verkehrsanbindung, die digitale Versorgung etc. Das funktioniert nur durch Verbesserung der Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen.

In erster Linie müssen der Bund und die Länder die Bedürfnisse der Kommunen deutlich mehr im Blick haben. Bei allen Entscheidungen muss berücksichtigt werden, wie sich diese auf die Städte und Gemeinden auswirken. Kommunen sind das Rückgrat unserer Demokratie. Wenn die Menschen auf kommunaler Ebene zufrieden sind, ist das die beste Immunisierung gegen politischen Extremismus.

Die staatlichen Ebenen und die Kommunen müssen vor allem in den Bereichen Bildung, Wohnen, Gesundheitssystem und der öffentlichen Daseinsvorsorge stärker kooperieren. Defizite sind besonders in der Pandemie deutlich geworden. Ich halte eine vertiefte Zusammenarbeit für notwendig, um tatsächlich gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen.

Wir setzen uns auf allen Ebenen für mehr Zusammenarbeit in der Bildung ein. Wir haben 2018 dafür gesorgt, dass der Bund beim DigitalPakt Schule zum Beispiel Laptops, WLAN und IT-Personal finanzieren darf. Diese Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Bund und Ländern wollen wir weiter ausbauen, um das Bildungssystem fit für die Zukunft zu machen. Auch müssen Bund und Länder eine gemeinsame Anstrengung für gleichwertige Lebensverhältnisse unternehmen.

Zusammen mit der klaren Aufgabenverantwortung wird auch eine aufgabengerechte Finanzverteilung erfolgen müssen. Die Kommunen brauchen verlässliche Finanzierungsquellen. Um sie von Bundesseite direkt zu erreichen, ist dafür ein Weg möglichst ohne Zwischenschaltung der Länder zu bevorzugen – zum Beispiel durch einen höheren kommunalen Umsatzsteueranteil mit modifiziertem Verteilungsschlüssel, der sich nicht nur an der Wirtschaftskraft orientiert, sondern auch andere Aspekte wie die Einwohnerzahl berücksichtigt.

Wir brauchen einen Altschuldenschnitt der hochverschuldeten Kommunen, die ihre Lage nicht selbst verschuldet, aber einst viel zum Wohlstand Deutschlands beigetragen haben. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat dies wiederholt gefordert, aber CDU und CSU blockierten. Gleichwertige Lebensverhältnisse verlangen Chancengleichheit in Deutschland, die ohne Schuldenschnitt kaum erreichbar ist. Fast zwei Drittel der öffentlichen Investitionen leisten die Kommunen, die das notwendige Personal haben und bezahlen können müssen.

Dem Subsidiaritätsprinzip folgend sollten die einzelnen Bedarfsfelder vorrangig von den Kommunen benannt werden. Denn diese können regional sehr unterschiedlich ausfallen und entsprechend sehr unterschiedlicher Lösungen bedürfen. Sinnvoll wäre es zudem, dem Prinzip der Bund-Länder – Kommissionen folgend auch Bund-Länder-Kommunen – Kommissionen einzurichten, die sich um Finanzierung, Planung und Umsetzung kümmern.

Jede Kommune sollte eine “Basisausstattung” haben. Das betrifft vor allem die Infrastruktur wie den Schulbau, aber auch den Unterhalt von Schwimmbädern und anderen Angeboten. Diese Dinge sollte jede Kommune ihren Bürgern bieten können. Die Erfüllung dieser Pflichtaufgaben müssen Bund und Länder auch finanziell absichern.

Es geht aus meiner Sicht generell um eine bessere Finanzausstattung der Kommunen. Statt immer weiterer Förderprogramme brauchen wir eine Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftssteuer und damit zu einer originären Kommunalsteuer. Darüber hinaus bedarf es dringendst eines Altschuldenfonds. Strukturelle Unterschiede hinsichtlich der Wirtschaftskraft der einzelnen Kommunen werden auch danach weiterbestehen. Eine Unterstützung von Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit bei den Sozialleistungen ist notwendig.

Wir wollen eine solide und auskömmliche Finanzausstattung sicherstellen. Dafür sollen Bund und Länder die Städte und Gemeinden bei der Tilgung ihrer Altschulden fair unterstützen. Wir wollen eine neue Gemeinschaftsaufgabe “Regionale Daseinsvorsorge” im Grundgesetz verankern. Regionen, die heute mit großen Problemen konfrontiert sind, sollen so die Möglichkeit erhalten, ihre Zukunft wieder selbst gestalten zu können. Und eine Entlastung bei den sozialen Kosten bleibt wichtig.

Quelle: BS/mj



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Personelles

Behörden Spiegel /August 2021


Behörden Spiegel /August 2021

Personelles

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Kommunalpolitik

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uch heute noch gilt Politik als Männerdomäne. Das Gruppenbild mit Dame bei den G8-Treffen symbolisiert die Unterrepräsentanz der Frauen in hohen politischen Ämtern. Je höher das Amt, desto dünner wird die Luft für die Frauen.

Behörden Spiegel / August 2021

Frauen an die Macht! Über die Unterrepräsentanz von Frauen in politischen Ämtern

(BS/Rolf Hartmann) Im Jahre 2004 wurde ich Bürgermeister in Blankenheim. Unter den zwölf Hauptverwaltungsbeamten im Kreis Euskirchen gab es keine Frau. Das war die Zeit, als ich mit meinen drei- und sechsjährigen Kindern alleine eine Wahlkampfveranstaltung besuchte und ich mich rechtfertigen musste, warum meine Frau nicht auf die Kinder aufpasse. 17 Jahre später leiten mittlerweile drei Bürgermeisterinnen die Geschicke in ihrer Gemeinde oder Stadt. Meine Nachfolgerin Jennifer Meuren wurde mit 32 Jahren erste Bürgermeisterin in Blankenheim. Ihre Kandidatur Beispiel Nordrhein-Westfalen hatte einen gewissen Sensationscharakter: Sie war weiblich und noch dazu jung. Sie setzte sich sowohl gegen zwei männliche Bewerber als auch Vor der Kommunalwahl 2020 gegen gesellschaftliche Stereotype durch.

in Nordrhein-Westfalen lag der Frauenanteil unter den Rathausoberhäuptern bei 11,6 Prozent; in den kreisfreien Städten bei unter fünf Prozent. Das Bild hat sich nach der Wahl nicht signifikant verändert. Wie lässt sich diese Situation erklären? Zunächst einmal waren Männer einfach früher da: Seit Menschengedenken legten sie die Spielregeln in der Politik fest. In der Bevölkerung gibt es bestimmte Vorstellungen, welche Eigenschaften Frauen und Männer besitzen sollten und wie sie sich zu verhalten haben. Männer gelten als stark, rational und selbstbewusst. Um sich durchzusetzen, würden sie “über Leichen gehen”. Frauen sind im Volksblick eher emotional, empathisch und vorsichtig. Frauen

sagt man vor allem mehr “Biss”, Kommunikationsfähigkeit, Lernbereitschaft sowie eine emotionale Intelligenz nach. Aber gibt es den typisch weiblichen Führungsstil? Ist Führungserfolg geschlechtsspezifisch beeinflusst? Ich denke nicht.

Vom “Arroganz-Seminar” bis zum Neidfaktor Zu Beginn meiner Amtszeit musste “frau” sich diesen Regularien der Männerwelt anpassen, um erfolgreich zu sein. Es war eher der “Margret-Thatcher-Typ” gefragt: eisern und unerschrocken. So ist es nicht verwunderlich, dass für Frauen ein “Arroganz-Seminar” angeboten wird, um sich die Waffen der Männer anzueignen und sich

Frauen mit vermeintlich weiblichen Eigenschaften zu trumpfen, galten sie als wenig geeignet für die Rolf Hartmann war von 2004 bis Ende Oktober 2020 Bürschweren Herausgermeister der Gemeinde forderungen der Blankenheim. Foto: BS/privat Politik. Teilweise herrscht diese Wahrnehmung immer noch, insbesondere in konservativ geprägten Regionen. Das besser behaupten zu können. Frauen begaben sich dabei ist sehr schade, brauchen wir schnell in einen schwer lösba- doch heute in der Politik eher ren Zwiespalt. Da gab es die, weibliche Eigenschaften wie Emdie eher kühl, kalkulierend und pathie und respektvolles miteinfordernd sind, wie es das politi- ander umgehen. Heute haben Kandidatinnen sche Geschäft scheinbar verlangt. Diese riskierten eine Ablehnung sicherlich gute Karten, wenn Sie als “Mannweiber”. Versuchten sich zumindest in Urwahlen für

politische Ämter bewerben. Jennifer Meuren berichtet, dass sie nach erfolgreicher Wahl im Amt hohen Respekt und Akzeptanz erfahre. Sie spüre eher die positiven Auswirkungen mancher Reduzierungen auf ihr Geschlecht. So schreibe man ihr als Frau eine besondere Kompetenz zu, wenn es um Ausgleich, Vermittlung und Kommunikation gehe. Das Thema “Frauenpower” werde vor allem im Rathaus positiv besetzt. Außerdem solidarisieren sich Frauen sehr miteinander. Diese “Frauenallianz” ist jedoch nicht überall wie in Blankenheim spürbar. Christine Staab, ehemalige Bürgermeisterin in Walldorf und Mutter von vier Kindern: “Das kratzt bei vielen Frauen am eigenen Bild. Die hat vier Kinder und kriegt das auf die Reihe, ich schaffe das mit einem Kind nicht.” Dieser Neidfaktor führe dazu, dass viele Frauen andere Frauen verhindern wollen.

Kinder und Karriere keine Selbstverständlichkeit Und die Männerwelt hat noch manche geschlechtertypischen Vorurteile. Besonders in klassisch männlich dominierten Themen (wie dem Bauwesen) muss Jennifer Meuren sich vergleichsweise mehr behaupten. Gott sei Dank seien Unterstellungen wie “sie müsse oft wegen des rauhen politischen Geschäftes hinter der Tür weinen” die Ausnahme. Leider schrecken solche perfiden Angriffe fähige Frauen ab, sich politisch zu engagieren. Das ist sehr bedauerlich, weil wir uns zweifelsohne vorhandener Kompetenz berauben. In Bewerbungsverfahren um Stellen im Öffentlichen Dienst konnte ich oft eine bessere Eignung von weiblichen Bewerberinnen feststellen. Es gibt aber auch weitere Gründe der politischen Unterrepräsentanz von Frauen. Bürgermeisterin ist nicht gerade der Traumberuf, wenn es um Vereinbarkeit von Familie und Profession geht. Dabei spielt vor allem der Faktor Zeit des sehr aufwendigen Aufgabenfeldes eine Rolle. Nicht nur viele Sitzungstermine in den Abendstunden, sondern auch die erwartete Repräsentanz am Wochenende rauben enorme zeitliche Ressourcen. Jennifer Meuren muss sich oft mit der Frage auseinandersetzen, ob sie denn keinen Kinderwunsch habe. So weit sind wir leider in Deutschland noch nicht, dass Kinder und Karriere eine Selbstverständlichkeit sind.

Häufig wird Frauen fehlendes politisches Interesse unterstellt. In der Tat: Repräsentative Umfragen belegen, dass sich Frauen für Politik deutlich weniger interessieren als Männer. Politisches Interesse ist nun einmal eine Grundvoraussetzung für ein politisches Engagement. In meiner Wahrnehmung und meinem Umfeld kann ich ein fehlendes politisches Interesse von Frauen nicht bestätigen. Sicherlich interessieren sich Frauen weniger für Politik in institutionalisierter Form (z. B. Mitgliedschaft in einer Partei, Bereitschaft zur politischen Amtsübernahme). Wohl aber ist ihre Unterrepräsentation im sogenannten unkonventionellen Bereich (z. B. Demonstrationen, Mitarbeit in einer Bürgerinitiative oder Sammeln von Unterschriften) weniger signifikant.

Reduzierung auf Äußerlichkeiten Viele Frauen in politischer Verantwortung bedauern, dass ihr äußeres Erscheinungsbild eine größere Rolle als bei Männern spiele. Laura Isabelle Marisken ist 2019 mit 31 Jahren zur jüngsten Bürgermeisterin von Mecklenburg-Vorpommern in Heringsdorf (Usedom) gewählt worden. Als Til Schweiger die Gemeinde kurz danach besuchte, war seine medial wichtigste Aussage: “Ihr habt aber eine hübsche Bürgermeisterin.” Die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, sieht sich in den Sozialen Medien ständig sexistisch angefeindet. “Mit dieser Frisur könne man doch nicht kandidieren”, habe ihr eine Geschäftsfrau gesagt. Man verlange von Frauen “wie unter der Lupe” einen höheren Perfektionsgrad. Die männlichen Kollegen dagegen werden mit solchen Fragen selten konfrontiert. Für Politikerinnen werden Kriterien herangezogen, die sich nicht an der konkreten politischen Arbeit orientieren und bei Politikern kaum eine Rolle spielen. Solche Unterschiede in der Berichterstattung benachteiligen Frauen. Wenn sie es geschafft haben, wird aber der Umgang mit den Medien leichter.

Zusätzliche Qualität Eines steht fest: Unserer Volkswirtschaft geht tatsächlich einiges verloren. Denn Frauen – obwohl bestens qualifiziert – sind in Führungspositionen allgemein unterrepräsentiert. Wir brauchen mehr Frauen an der Macht. Der Mix zwischen männlichen und weiblichen Soft Skills wird zusätzliche Qualität in die Politik bringen. Wir benötigen mehr weibliche Identifikationsfiguren wie Marlisken, Meuren, Staab und Reker. Dafür müssen sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern. Wenn Til Schweiger nach seinem nächsten Urlaub auf Usedom einfach schweigt, wäre ja schon ein Anfang gemacht.

MELDUNG

Bewerbungsfrist endet am 17. September 2021 (BS/jf) Städte und Gemeinden sind jetzt gefordert, den tiefgreifenden Wandel von Innenstädten, Stadt- und Ortsteilen sowie von Ortskernen zu gestalten. Hilfe gibt’s vom Bund. Angebote von Einzelhandel, Tourismus, Gastronomie, Kultureinrichtungen, selbst die gewerbliche Nutzung von Immobilien werden aktuell hinterfragt und sind zum Teil nicht mehr tragfähig. Durch die CoronaPandemie werden diese strukturellen Entwicklungen zusätzlich beschleunigt. Um diesen Wandel zu bewerkstelligen, sind erhebliche funktionale, städtebauliche und immobilienwirtschaftliche Anpassungen notwendig. Das Ziel: Quartiere und Ortsteile hin

zu multifunktionalen Nutzungen mit einer Vielzahl von Akteuren zu entwickeln. Das wird teuer. Kommunen können für die Erarbeitung von innovativen Konzepten und Handlungsstrategien zur Stärkung der Resilienz und Krisenbewältigung und deren Umsetzung Fördergelder über das Bundesprogramm “Zukunftsfähige Innenstädte und Zen­tren” beantragen. 250 Mio. Euro beabsichtigt der Bund dafür in den nächsten vier Jahren bereitzustellen. Interessierte Kommunen können sich über das Förderportal des Bundes easy-Online melden. Das Programm wird durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) umgesetzt.


Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / August 2021

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assenkredite bei Kommunen sind mit Dispositionskrediten von Privatpersonen vergleichbar. Ihr ursprünglicher Zweck liegt in der Überbrückung von unterjäh­ rigen Zahlungsengpässen. Seit der Jahrtausendwende werden sie allerdings vermehrt entgegen ihrer originären Funktion ver­ wandt, um laufende Ausgaben zu decken und somit struktu­ relle Defizite der kommunalen Haushalte auszugleichen. Als Folge weisen mittlerweile diverse Kommunen einen hohen Kassen­ kreditsockel auf. Hohe Kassenkreditbestände sind aus Sicht der intergene­ rativen Gerechtigkeit als pro­ blematisch zu charakterisieren, da durch die Aufnahme von Kassenkrediten kein Vermö­ gensgegenwert finanziert wird. Insofern werden nachfolgende Generationen durch sie belastet, ohne im Gegenzug einen Nutzen zu genießen. Von der Problematik eines hohen Kassenkreditbestandes sind jedoch nicht alle Kommu­ nen deutschlandweit in gleichem Maße betroffen. Vielmehr besteht ein erhebliches regionales Gefälle zwischen den Kommunen der einzelnen Länder innerhalb der BRD. Während Kassenkredite in südlichen Ländern wie Bay­ ern oder Baden-Württemberg praktisch nicht bzw. kaum über den originären Zweck genutzt werden, vereinen die Kommunen Nordrhein-Westfalens im Jahr 2020 beinahe zwei Drittel des bundesweiten Kassenkreditbe­ standes auf sich.

Ursachen und Auswirkungen Grundsätzlich wird bei den Ur­ sachen der hohen Kassenkredit­ bestände zwischen endogenen Faktoren, also dem Fehlverhalten innerhalb der Kommune, sowie exogenen Faktoren, welche von außen auf die Kommune einwir­ ken und kaum von ihr beein­ flussbar sind, unterschieden. Vielfach konnte in Untersuchun­ gen festgestellt werden, dass den exogenen Faktoren, wie beispiels­

Hohe kommunale Kassenkreditbestände Ursachen, Auswirkungen und Lösungsansätze in Zeiten der Corona-Pandemie

Konnexitätsprinzips, “Wer die Musik bestellt, muss sie bezah­ len”, zukünftig verstärkt einge­ halten werden.

Resümee

(BS/Kira Kuhlmann und Nils Brüggemann*) Das in der Wissenschaft als auch in der Praxis viel diskutierte Thema der hohen Kassenkreditbestände Ein zeitnahes Handeln bei der von Kommunen gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund der finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie aktuell wieder eine neue Dynamik. Problematik der Kassenkredite ist weise den Sozialausgaben, der Beschäftigungs- und der Bevöl­ kerungsentwicklung, eine hohe Erklärungskraft zugeschrieben werden kann. Als Auswirkung von hohen Kas­ senkreditbeständen und den da­ mit einhergehenden notwendigen Konsolidierungsanstrengungen sind oft Kürzungen freiwilliger Leistungen für das Gemeinwe­ sen feststellbar, wie beispielwei­ se die Schließung kommunaler Einrichtungen. Aber auch der oftmals thematisierte Investi­ tionsrückstand der Kommu­ nen ist zum Teil auf den hohen Kassenkreditbestand und die damit verbundenen finanziel­ len Schieflagen zurückzuführen. Diese Auswirkungen treffen vor allem die Bevölkerung sowie loka­ le Wirtschaftsteilnehmer/-innen der Kommune. Neben diesen ne­ gativen Auswirkungen ergibt sich ein hohes finanzielles Risiko für die Kommunen. Aufgrund der Charakterisierung der Kassenkredite durch kurzfris­ tige Laufzeiten besteht bei einem hohen Kassenkreditsockel ein erhebliches Risiko hinsichtlich der Anpassungen des Zinssatzes bei der Refinanzierung. Derzeit können die Kommunen noch von einem Niedrigzinsumfeld profi­ tieren. Wenn allerdings die EZB zukünftig den Leitzins wieder anhebt und Kommunen die an­ fallenden Zinskosten nur noch durch die Aufnahme neuerlicher Kredite finanzieren können, droht eine Schuldenfalle für die betrof­ fenen Kommunen.

Corona-Pandemie als Treiber von Kassenkrediten? Die kommunalen Finanzen entwickelten sich, parallel zur Hochkonjunktur der deutschen

Wirtschaft, in den letzten Jahren überwiegend positiv. Seit dem Jahr 2015 konnten die meis­ ten Kommunen kontinuierlich ihren Kassenkreditbestand abbauen. Diese positive Ent­ wicklung wurde abrupt durch das unerwartete Auftreten der Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einbrüche der Gewerbesteuereinnahmen und Mehraufwendungen zur Pande­ mie-Bekämpfung konterkariert. Zwar konnten im Jahr 2020 die Kommunalfinanzen weitestge­ hend durch Hilfsmaßnahmen von Bund und Ländern stabili­ siert werden, allerdings werden bis mindestens zum Jahr 2024 erhebliche finanzielle Belastun­ gen der Kommunen durch die Corona-Pandemie erwartet. Da die Hilfsmaßnahmen bis­ her nicht verlängert wurden, ist davon auszugehen, dass ohne­ hin struktur- und finanzschwa­ che Kommunen einen weiteren Aufwuchs an Kassenkrediten verzeichnen werden, weil sie aufgrund langjähriger Konso­ lidierungsmaßnahmen keinen finanziellen Spielraum mehr ha­ ben, um die Mehrbelastungen abzufedern.

Diskussion von ­Lösungsoptionen Vor dem Hintergrund der aus den hohen Kassenkrediten er­ wachsenden Gefahren werden derzeit vermehrt Lösungsansätze zum Abbau und zur Verhinde­ rung der weiteren Aufnahme von kommunalen Kassenkredi­ ten in Wissenschaft und Praxis näher betrachtet und diskutiert. Hierzu zählen u. a. die Einfüh­ rung einer Insolvenzfähigkeit der Kommunen, die Reformierung der Gewerbesteuer, die Unter­

Neue Haushaltskrisen drohen Kommunen fordern weitere Finanzhilfen (BS/lkm) Die Städte, Gemeinden und Kreise in Deutschland haben im Jahr 2020 trotz der Corona-Krise einen Überschuss erwirtschaftet. Allerdings basiere dieser ausschließlich auf den umfangreichen Hilfen von Bund und Ländern. Ohne diese stünde das größte Defizit der Geschichte in den Haushaltsbüchern. In den Folgejahren drohten neue Haushaltskrisen. Das ist das zentrale Ergebnis des kommunalen Finanzreports 2021 der Bertelsmann Stiftung. Die Corona-Pandemie und die sich anschließende Rezession haben die Kommunen im Jahr 2020 finanziell schwer belastet. Nur durch das Hilfspaket von Bund und Ländern konnten flä­ chendeckende Haushaltskrisen abgewendet werden. Großteils abgeschirmt von den finanziellen Schäden, erreichten die bundes­ deutschen Städte, Gemeinden und Kreise im Jahr 2020 das sechste Mal in Folge einen Über­ schuss, konnten die Kassenkre­ dite weiter reduzieren und die Investitionen steigern. Dennoch stünden die Kommunen vor ei­ ner ungewissen Zukunft. Ohne zusätzliche Finanzhilfen in den kommenden Jahren drohten die Erfolge des vergangenen Jahr­ zehnts verlorenzugehen und die regionalen Spaltungen weiter zu­ zunehmen, warnen die Autoren des kommunalen Finanzreports. Die Krisen trafen die Kommunen bei den Einnahmen und Aus­ gaben. Insgesamt bilanziert die Bertelsmann Stiftung aufseiten der Kommunen im Jahr 2020 einen finanziellen Schaden von mindestens 17 Milliarden Euro. Infolge der Corona-Krise sei die konjunktursensible Gewerbe­ steuer (Brutto-Gewerbesteuer) der Kommunen in den 13 Flä­ chenländern gegenüber dem Vorjahreswert um fast neun Milliarden Euro eingebrochen. Aber auch beim Gemeindeanteil

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an der Einkommenssteuer sowie bei den Gebühren seien Verluste von mehr als vier Milliarden Euro aufgetreten. Um die Kommunen in der Kri­ se finanziell handlungsfähig zu halten, reagierten Bund und Länder im Frühjahr 2020 mit Hilfsprogrammen. Durch die Stabilisierung der Haushalte konnten die Kommunen ihre Pläne im Jahr 2020 relativ un­ beschadet umsetzen. Die kom­ munalen Investitionsausgaben erreichten im Jahr 2020 in der Summe der 13 Flächenländer ein neues Rekordhoch von 50 Milliarden Euro. Allerdings sei das Investitionsniveau weiterhin regional höchst unterschiedlich.

Ausblick pessimistisch Laut Finanzreport haben die Kommunen das Jahr 2020 durch die Finanzhilfen von Bund und Ländern finanziell relativ unbe­ schadet überstanden. Allerdings werde der Großteil dieser Hilfen nach derzeitigem Stand in den kommenden Jahren nicht fortge­ führt. Da die Ausgaben unbeirrt weiter stiegen und die Steuern den Vor-Krisen-Trend erst mittel­ fristig wieder erreichen würden, sei der Ausblick pessimistisch. In der Summe der Jahre 2021 bis 2024 sind laut Finanzreport kommunale Defizite im Gesamt­ umfang von 23 Milliarden Euro zu erwarten.

“Die Nachbeben der Corona-Pan­ demie drohen in den Städten gro­ ßen Schaden anzurichten. Unsere Schlussfolgerung ist klar: Bund und Länder müssen noch einmal die Gewerbesteuerausfälle durch Corona für 2021 und 2022 aus­ gleichen”, fordertet Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städ­ tetages, anlässlich der veröffent­ lichten Zahlen der Bertelsmann Stiftung. Ohne Hilfen müssten die Städte wichtige Investitionen in Schulen, Kitas, in den Verkehr und den Klimaschutz drastisch kürzen, so Jung weiter. “Der ext­ rem hohe Stand der Verschuldung führt dazu, dass die betroffenen Kreise, Städte und Gemeinden in ihren Handlungsmöglichkeiten dauerhaft beschränkt sind und bleiben. Die Sanierung maroder kommunaler Gebäude, Straßen und Brücken wird weiter aufge­ schoben, generell unterbleiben zulasten der Bürgerinnen und Bürger des Landes Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Finanzieller und damit politischer Gestaltungsspielraum ist kaum bzw. gar nicht mehr vorhanden. Kommunale Selbstverwaltung wird damit immer weiter ausge­ höhlt, statt kraftvollem Agieren zugunsten des Wohls des Lan­ des verbleibt Mangelverwaltung”, machten auch die kommunalen Spitzenverbände in RheinlandPfalz die Folgen der kommunalen Finanzlage deutlich.

stützung der Kommunen durch Hilfsprogramme von Ländern, die einmalige Beteiligung des Bundes zur Entschuldung der Kommunen oder die Stärkung des Konnexitätsprinzips. Sowohl die Einführung einer In­ solvenzfähigkeit aufgrund der zu erwartenden Verteuerung von Kre­ diten für finanzschwache Kommu­ nen als auch die Reformierung der Gewerbesteuer werden derzeitig angesichts des zu erwartenden Wi­ derstandes der wirtschaftsstarken Kommunen und Länder als nicht zielführend erachtet. Um die Kommunen beim Abbau des Altbestands an Kassenkredi­ ten zu unterstützen, sind jedoch beispielsweise Hilfsprogramme der Länder geeignet. Einige Bundes­ länder, wie Hessen mit der Hessen­ kassen oder das Saarland mit dem Saarlandpakt, sind bereits in den letzten Jahren aktiv geworden und haben Entschuldungsprogramme für ihre Kommunen initiiert. Bei diesen beiden Hilfsprogrammen wurde ein großer Teil des Kassen­ kreditbestandes der Kommunen in ein Sondervermögen des Lan­ des übertragen, welches fortan gemeinschaftlich von Land und Kommunen getilgt wird. Ein nen­ nenswerter Vorteil dieser Lösung ist, dass die Kommunen kein Ri­ siko mehr hinsichtlich der Anpas­ sung des Zinssatzes tragen und somit Planungssicherheit für einen geregelten Schuldenabbau haben. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Rahmenbedingungen der Hilfsprogramme auf die lokalen Bedürfnisse und Aus­ gangssituationen der Kommunen in dem jeweiligen Bundesland anzupassen sind. Flankiert wer­

den könnten die Hilfsprogramme zudem von einer engmaschigen Verschärfung des kommunalen Haushaltsrecht die eine zukünf­ tige Aufnahme von Kassenkre­ diten auf den originären Zweck beschränkt, um den Kommu­ nen keine falschen Anreize zum Schuldenaufbau zu bieten. Da zu erwarten ist, dass solch umfangreiche Hilfsprogramme die finanzielle Leistungsfähigkeit ei­ niger Länder übersteigen, kommt zudem eine einmalige Beteiligung des Bundes an der Kassenkredit­ problematik der Kommunen in Betracht. Eine Unterstützung des Bundes ist beispielsweise durch ein Bundesprogramm wie etwa den vom Bundesfinanzminister vorgeschlagenem “Solidarpakt 2020” oder mittels Beteiligung an den Hilfsprogrammen der Länder vorstellbar. Obwohl die Verantwortung für die Kommu­ nalfinanzen eindeutig bei den Ländern verortet ist, muss es im Interesse des Bundes liegen, das im Grundgesetz festgehal­ tene Prinzip der gleichwertigen Lebensverhältnisse im Bundes­ gebiet sicherzustellen. Neben der Initiierung von Hilfs­ programmen wird auch der Einhaltung des Konnexitäts­ prinzips eine große Bedeutung zugeschrieben. Wenn Bund und Länder durch neue Normen – wie beispielsweise im Bereich der Kinderbetreuung – Kosten ohne ausreichende Kompensation für die Kommunen verursachen, ist eine Sicherung des Haushalts­ ausgleiches ohne Verhinderung neuerlicher Aufnahmen von Kas­ senkrediten nicht sichergestellt. Hier muss der Grundsatz des

im Hinblick auf einen drohenden Anstieg des Zinssatzes essenziell. Insbesondere vor dem Hinter­ grund der finanziellen Belastun­ gen durch die Corona-Pandemie ist nicht zu erwarten, dass die Kommunen den Altbestand aus eigener Kraft abbauen können. Sofern nicht bereits geschehen, sollten die Länder, bestenfalls mit Unterstützung des Bundes, Hilfs­ programme zur Entschuldung der Kassenkredite initiieren und zudem das Konnexitätsprinzip weiter verstärken. Andernfalls droht insbesondere in den ohne­ hin finanzschwachen Kommunen ein weiterer Anstieg der Kassen­ kredite und somit eine weitere Verschärfung der aufgezeigten Situationen in den Kommunen. Gerne möchte die Autorenschaft mit zwei weiteren Experten aus Theorie und Praxis mit Ihnen gemeinsam ins Gespräch tre­ ten und sich über die Ursachen, Auswirkungen sowie Lösungs­ ansätze austauschen. Hierzu lädt der Behörden Spiegel am 07.10.2021 zwischen 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr ein. *Kira Kuhlmann ist Master of Business Administration und bei der Kreisverwaltung Recklinghau­s en als Controllerin im Sozialbereich beschäftigt. Nils Brüggemann ist Master of Business Administration, beschäftigt bei der Stadtverwaltung Hattingen als komm. stv. Fachbereichsleiter des Fachbereichs Schule und Sport und lehrt u. a. diverse betriebswirtschaftliche Module an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW).


Kommunaler Haushalt / Kommunale Infrastruktur

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Behörden Spiegel / August 2021

Interkommunale Kredite statt Verwahrentgelte

Moderne Radverkehrsplanung

Kreditwesengesetz als Hindernis

Wie Daten bei der Arbeit unterstützen können

(BS/lkm) Viele Kreditinstitute verlangen mittlerweile auch von Kommunen für Einlagen ein Verwahrentgelt. Um diesem zu entgehen, legen Kommunen ihr Geld auch teilweise bei Privatbanken an. Die Pleite der Greensill Bank hat jedoch gezeigt, dass dies nicht ohne Risiko ist. In einer Kleinen Anfrage möchte die FDP-Fraktion daher von der Bundesregierung wissen, warum denn nicht Kommunen mit Überschüssen ihr Geld klammen Kommunen leihen könnten. Dies wäre eine Win-win-Situation für beide Kommunen. Doch leider sind die rechtlichen Hürden in diesem Fall hoch.

(BS/Ludger Kühnhenrich) Insbesondere durch die fortschreitende Entwicklung der Technik bietet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, Verkehrs- und Mobilitätsdaten zu erfassen. Die Spanne reicht dabei von manuell erfassten, statischen georeferenzierten Infrastrukturdaten über Echtzeit-Verkehrsmengen und Geschwindigkeitsdaten aus Sensoren bis hin zu Bewegungsdaten aus Apps. Die erhobenen Daten werden dabei nicht nur für statistische Zwecke und die Evaluation politischer Entscheidungen verwendet, sondern dienen vielmehr auch dazu, entsprechende Mobilitätskampagnen, Verkehrsmodelle sowie insbesondere auch Verkehrsplanungen und die Verkehrssteuerung zu unterstützen.

Kommunen mit Rücklagen, die nun kreative Wege suchen, diese ohne Verwahrentgelt anzulegen, gibt es einige. Im Fall Greensill waren es rund 40 Kommunen sowie das Land Thüringen, die ihre Überschüsse ohne Verwahrentgelt anlegen wollten. Auch das Land Berlin hat hohe Rücklagen aufgebaut. Die Versorgungsrücklage des Landes ist auf mittlerweile 1,3 Milliarden Euro angewachsen. Das Geld wird jetzt teilweise in Aktien angelegt, um es nicht bei Banken gegen Verwahrentgelt parken zu müssen. Diese Gelder könnten auch kommunale Anleihen sein. Leider seien die rechtlichen Hürden dazu recht hoch, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort ausführt. Das Interesse auf kommunaler Seite ist nachweislich vorhanden. Laut dem “Kommunal-Barometer 2019” von Commnex und der TU Darmstadt wären interkommunale Kredite für 46 Prozent der Kommunen eine interessante Option, wenn die rechtlichen Fragen geklärt seien. Bereits im Jahr 2018 wollte die Stadt Neuss einen Kredit an den Kreis vergeben. Nach Konflikten mit der Kommunalaufsicht und der Bafin wurde das Vorhaben jedoch wieder aufgegeben. Seitdem ist das Thema bei vielen Kommunen vom Tisch. Einen neuen Anlauf versucht aktuell die Stadt Eschborn. Dort prüft man, wie Geld für interkommunale Kredite verwendet werden kann. Nach dem Kreditwesengesetz (KWG) erfordert ein “gewerbsmä-

ßiges und erlaubnispflichtiges Bankgeschäft” eine Bankerlaubnis, über die Kommunen nicht verfügen. Unter bestimmten Ausnahmen können interkommunale Kredite von der Erlaubnispflicht befreit werden. Dies ist laut Bundesregierung in zwei Fällen erlaubt: Zum einen, wenn die Kreditvergabe in Erfüllung öffentlicher Aufgaben, zum Beispiel für gemeinsame öffentliche Projekte, und nicht auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt.

Deregulierung gefordert Eine weitere Ausnahme bei der Erlaubnispflicht besteht, wenn Kredite nur in einem geringen Umfang unterhalb der Schwelle der Gewerbsmäßigkeit vergeben werden. Gewerbsmäßig werden Bankgeschäfte dann betrieben, wenn sie auf eine gewisse Dauer angelegt sind und der Betreiber mit der Absicht der Gewinnerzielung handelt. Dies sei bei interkommunalen Krediten regelmäßig gegeben und gelte auch für null-verzinste Kredite, da geldannehmende Gemeinden Zinsen gegenüber der Aufnahme von Krediten bei Kreditinstituten und gewährende Gemeinden Verwahrentgelte sparten. Bei der Absicht der Gewinnerzielungsabsicht reicht eine indirekte Absicht aus. Momentan ist somit die Gewährung interkommunaler Kredite aufsichtsrechtlich nicht zulässig. “Auch aus der Antwort zur Kleinen Anfrage geht hervor, dass die Vergabe eines Kredits unter Kommunen – auch unter

Berücksichtigung des KWG – erlaubt ist, wenn sie in Erfüllung öffentlicher Aufgaben, d. h. nicht auf privatrechtlicher Grundlage erfolgt. Die BaFin ist nun dringend gefordert, gegenüber den interessierten Kommunen zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist. Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich alle Bemühungen interkommunaler Zusammenarbeit, da diese ein Beitrag zur Stärkung gleichwertiger Lebensverhältnisse sein kann. Dieses Ziel vor Augen sollte die Bundesregierung nun prüfen, ob nicht im Hinblick auf interkommunale Kredite eine Deregulierung angezeigt ist”, kommentiert Prof. Julius Reiter die Ausführungen der Bundesregierung. Er war einer der Ersten, die auf die Möglichkeit von interkommunalen Krediten zur Vermeidung von Verwahrentgelten aufmerksam machten. Er fordert die Bafin auf, interkommunale Kredite zu ermöglichen, zumal diese die eigentlichen Ziele des Kreditwesengesetzes – wie die Ordnung des Kreditwesens und den Schutz von Gläubigern – in keiner Hinsicht gefährden würden. Kommunen sollen daher, so Prof. Reiter, “nicht vorzeitig die Flinte ins Korn werfen”, sondern alle juristischen Möglichkeiten ausloten. Das Bankaufsichtsrecht stelle eine überwindbare Hürde dar. Leichter würden solche Entscheidungen den Kommunen natürlich fallen, wenn der Gesetzgeber für mehr Eindeutigkeit sorgen würde.

Für eine erfolgreiche Radverkehrsplanung wird eine Vielzahl von Daten benötigt – nicht nur Daten von Radfahrenden, sondern auch die der anderen Verkehrsteilnehmenden und die der gegebenenfalls bereits vorhandenen Infrastruktur.

Potenziale durch Bewegungsdaten aufdecken Grundlegende Auskünfte darüber, wie sich der Verkehr in der Stadt verteilt und mit welcher Intensität Relationen genutzt werden, können Bewegungsdaten geben. Mit ihrer Hilfe können Potenziale des Radverkehrs ermittelt werden. Sie geben somit erste Hinweise darauf, an welchen Stellen Radinfrastruktur zur Verfügung gestellt oder ausgebaut werden sollte. Als Datenquelle dienen die Daten von Mobilfunkanbietern oder aus (Mobilitäts-)Apps. Die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) beteiligt sich daher aktuell mit zwei der sieben Hamburger Bezirke an der DB Rad+ App und nutzt zudem die über die mCLOUD bereitgestellten Daten der Kampagne Stadtradeln.

Verkehrsstärken als Entscheidungshilfe Die Kfz-Verkehrsstärken, der Schwerverkehrsanteil, die Anzahl zu Fuß Gehender und nicht zuletzt die Anzahl der Radfahrenden helfen bei der Entscheidung für eine Führungsform und dessen Dimensionierung. Bis zum Jahr 2017 erfolgten Verkehrszählungen in der FHH überwiegend manuell. Im Rahmen der Förderrichtlinie “Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme” konnte Hamburg den Grundstein für eine automatisierte Erfassung von Radfahrenden und Kfz legen. Die Grundlage dafür bildet u. a. das Ende 2020 erfolgreich abgeschlossene ITS-Projekt “Hamburger Radverkehrszählnetz” (HaRaZäN), welches mithilfe von Wärmebildkameras an rund 90 Standorten Radverkehrsmengen rund um die Uhr in Echtzeit erfasst. Durch das Zählnetz sollen nicht nur punktuelle Daten einzelner Hotspots, sondern es soll vielmehr ein solides Gesamtlagebild des Radverkehrs erzeugt werden. So können beispielsweise auch politische Entscheidungen

form und Breite. Dies dient als Grundlage für Ludger Kühnhenrich ist Sachgebietsleiter in der Beein wirtschaftlihörde für Verkehr und Moches Erhaltungsbilitätswende und dort für management, den Bereich Verkehrs- und aber auch dazu, Infrastrukturdaten zuständig. Engstellen und Lücken im Netz Bild: BS/Privat zielgerichtet zu identifizieren. Alle genannten Daten bieten jeoder Auswirkungen von Kommu- weils für sich betrachtet einen nikationskampagnen zur Förde- großen Nutzen für die Radrung des Radverkehrs evaluiert verkehrsplanung. Durch die werden. Ferner dienen die Da- Verschneidung verschiedener ten auch zur Entwicklung eines Datensätze können aber hilfreiModells für die Hochrechnung che zusätzliche Informationen manueller Zählungen. Bereitstel- generiert werden. Insbesondere lung und Veröffentlichung der beim Verschneiden von InfraDaten erfolgen in Echtzeit über struktur- mit Bewegungs- oder die zentrale Datendrehscheibe Unfalldaten der Radfahrenden der FHH, die Urban Data Platform kann schnell Handlungsbedarf Hamburg (UDP). aufgedeckt werden. In Ergänzung zu der vorgesehenen Erweiterung des Radver- Weiterentwicklung des Themenfeldes kehrszählnetzes um zusätzliche feste Standorte erfolgt parallel Die vergangenen Jahre im Bedazu der Aufbau eines “Tempo- reich der Verkehrs- und Infrarären Radverkehrszählnetzes”. strukturdaten haben gezeigt, Dieses soll dazu dienen, an einer dass es kontinuierliche (techniVielzahl weiterer Stellen mithil- sche) Weiterentwicklungen und fe von mobilen Zählgeräten für damit einhergehend neue Daten bestimmte Zeiträume den Rad- gibt. Wichtig ist daher, den Markt verkehr zu erfassen. und potenzielle Datenquellen zu Neben dem Radverkehrszählnetz beobachten, um sich auch zuwerden mithilfe des aktuell noch künftigen Herausforderungen laufenden ITS-Projektes “Auto- zielgerichtet stellen zu können. matisierte Verkehrsmengenerfassung” an rund 420 über das gesamte Stadtgebiet verteilten Knotenpunkten mit rund 2.100 Wärmebildkameras insbesondere Daten zum Kfz-Verkehr in Echt- MELDUNG zeit zur Verfügung gestellt. Auch hier erfolgt die Bereitstellung der 170 Millionen für ÖPNV Daten öffentlich über die UDP. (BS/mj) Um die pandemiebedingten Verluste des ÖPNV Verschneidung von Daten zur auszugleichen, unterstützt die Informationsgenerierung baden-württembergische LandesNicht zuletzt helfen statische regierung die Branche mit rund Daten der Infrastruktur dabei, 170 Millionen Euro. Laut Landesden zur Verfügung stehenden regierung seien auch im ersten Platz zu identifizieren und kos- Halbjahr 2021 deutlich weniger tengünstige Umsetzungsmöglich- Fahrgäste unterwegs gewesen als keiten für Radverkehrsanlagen zu vor noch der Pandemie. Aus dieeruieren (z. B. Wegnahme einer sem Grund erhole sich der ÖPNV Kfz-Fahrspur und Abmarkierung nur sehr langsam von der Krise. eines Radfahrstreifens). Winfried Hermann, VerkehrsmiIn Hamburg wird derzeit eine nister von Baden-Württemberg, Radinfrastrukturdatenbank auf- erklärte: “Der ÖPNV und mit ihm gebaut. Der generierte Datensatz die Verkehrsunternehmen sind ist routingfähig und enthält ei- das Rückgrat der Mobilitätswenne Vielzahl von Attributen wie de und wichtiger Teil unseres Benutzungspflicht, Führungs- Klimaschutzprogramms.”

KOMMUNALE 2021 Marktplatz für Städte und Gemeinden (BS/gg) Noch immer stellen die Auswirkungen der Corona-Pandemie Städte und Gemeinden vor besondere Herausforderungen. Um diese bestmöglich zu meistern, sind Austausch, Vernetzung und der Blick nach vorne besonders wichtig. Als Deutschlands größte Fachmesse für den kommunalen Bedarf will die KOMMUNALE nachhaltig auf die Aufgaben von morgen vorbereiten. Vom 20. bis 21. Oktober 2021 verwandelt sie das Nürnberger Messegelände erneut in einen Marktplatz für Städte und Gemeinden. Insgesamt 390 Aussteller, ein Besucherplus von über acht Prozent und die Anwesenheit zahlreicher Mandatsträger aus der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik – ihr 20-jähriges Jubiläum feierte die KOMMUNALE 2019 als Rekordveranstaltung. Zur diesjährigen KOMMUNALE 2021 haben sich bereits wieder 270 Aussteller aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Österreich und der Schweiz angemeldet. Als Netzwerkplattform für kommunale Entscheider fördert die KOMMUNALE den Dialog, unterstützt bei aktuellen Herausforderungen und nimmt Themen in den Blick, die Städte, Gemeinden und Kommunen für

die Zukunft fit machen. Passendes Beispiel ist die Digitalisierung, die im Zuge der Corona-Pandemie auch im kommunalen Bereich einen enormen Schub erhalten hat. Aber auch die Themen Umwelt- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Energie und Wasserwirtschaft sowie kommunale Finanzen werden Schwerpunktthemen sein. Darüber hinaus bieten die Ausstellerfachforen spannendes Praxiswissen aus erster Hand. Auch

auf dem parallel stattfindenden Kongress des Bayerischen Gemeindetags geht es in diesem Jahr um aktuelle Themen. Der bayerische Finanz- und Heimatminister Albert Füracker hat seine Teilnahme zum Kongress bereits zugesagt. Sein Beitrag wird sich den kommunalen Finanzen in und nach der Corona-Krise widmen. Weitere Informationen unter: www.kommunale.de


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / August 2021

I

n absoluten Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass die Stadt bereits über 70 E-Fahrzeuge verfügt, davon sind neun Plug-in-Hybride. Außerdem sind bei den städtischen Entsorgungsbetrieben zwei rein elektrische Straßenreinigungsmaschinen unterwegs, dazu kommen weitere drei kleine batterieelektrische Spezialkipper. Insgesamt besteht der Wiesbadener Fuhrpark aus rund 180 Pkws und 210 größeren Nutz- und Sonderfahrzeugen sowie Lkws. Diesen umzustellen, sei Teil eines vielfältigen Bündels an städtischen Maßnahmen gewesen, um den eigenen Luftreinhalteplan fortzuschreiben und gerichtlich verhängte Fahrverbote zu verhindern, erklärt das zuständige städtische Umweltamt.

Wiesbaden setzt auf E-Mobilität Wie die Landeshauptstadt ihren kommunalen Fuhrpark umstellt (BS/Matthias Lorenz) Spätestens jetzt muss sich die öffentliche Hand, darunter auch die Kommunen, Gedanken machen, wie sie ihre Fuhrparks auf emissionsfreie Antriebe umstellt. Laut der Clean Vehicles Directive der Europäischen Union, die mit dem Saubere-Fahrzeuge-BeschaffungsGesetz nun auch in nationales Recht gegossen ist, müssen die Fuhrparks nämlich bestimmte Quoten an Fahrzeugen mit emissionsfreien Antrieben erfüllen. Grund genug, sich die Umstellung eines Fuhrparks genauer anzuschauen. Es geht in die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden, wo bereits ein Drittel des Fuhrparks aus rein batteriebetriebenen Fahrzeugen besteht. 57 Wandladestationen mit 91 Ladepunkten in Betrieb genommen worden, davon die meisten mit

dem AC-Ladestandard, so das Umweltamt. Nach europaweiter öffentlicher Ausschreibung,

Herausforderung Infrastruktur Doch zu einer Umstellung auf emissionsfreie Antriebe gehört mehr als die Beschaffung der Fahrzeuge. Ebenfalls aufgebaut werden muss die dazugehörige Infrastruktur. Im Falle Wiesbadens, welches auf den Batterieantrieb setzt, bedeutet dies den Aufbau der Ladeinfrastruktur. Insgesamt seien an elf Liegenschaften der Landeshauptstadt

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Im Rahmen der Umstellung des Wiesbadener Fuhrparks müssen E-Autos angeschafft und Ladeinfrastruktur aufgebaut werden. Hier Ralf Schodlok (l.), Vorstandsvorsitzender der ESWE Versorgungs AG, und Andreas Kowol, Umwelt- und Verkehrsdezernent der hessischen Landeshauptstadt, an einer Schnellladesäule. Foto: BS/ESWE Versorgungs AG

welche auch für die Fahrzeuge vorgenommen wurde, bekam das städtische Energieversorgungsunternehmen den Zuschlag für die Ladeinfrastruktur. Laut Stadt sei man beim Aufbau der Ladeinfrastruktur jedoch auch auf die größten Herausforderungen der Fuhrparkumstellung gestoßen. Thema ist hier vor allem die Verstärkung der Hausanschlüsse beziehungsweise die Schaffung der Voraussetzungen zum Anschluss der Wandladestationen. An einer Liegenschaft, wo 20 Lader installiert werden sollten, gestaltete sich die Umsetzung besonders schwierig, berichtet das Umweltamt: “Der Vermieter, der die Immobilie teils selbst nutzt, wollte aus Gründen der Betriebssicherheit nicht, dass die Ladeinfrastruktur an

das bestehende Hausnetz angeschlossen wird. Es wurde daher in der Tiefgarage ein neuer Hausanschlussraum inklusive eines Trafoneubaus auf einem städtischen Grundstück auf der Straßenseite gegenüber der Tiefgarage notwendig.” Auch in der Praxis sei es die Ladeinfrastruktur gewesen, die an wenigen Tagen Störungen aufgewiesen habe, so die Stadt weiter. Ansonsten gebe es keine Abstriche gegenüber den Verbrennerfahrzeugen: “Der städtische Dienstverkehr kommt sehr selten an die Reichweitengrenze, zumal die Akkus auch größer geworden sind.” Auch seien die Fahrerinnen und Fahrer mit den Autos sehr zufrieden, zum Beispiel wegen der guten Beschleunigung oder des sehr leisen Fahrens.

Fördergelder helfen bei der Umstellung Bleibt die Frage nach dem Preis. E-Autos sind in der Regel noch teurer als ihre Geschwister mit Verbrennungsmotor, auch der Aufbau der Infrastruktur muss bezahlt werden. Die Stadt Wies-

baden konnte jedoch auf die Förderung des Bundes zurückgreifen, welche 75 Prozent der Mehrkosten bei den Fahrzeugen und den Ladestationen betragen hat. Aus diesem Grund hätten sich einige Ämter sogar zu einem vorgezogenem Fahrzeugtausch entschieden, sagt das Umweltamt. Auch bei den Ladestationen konnte man sich demnach auf eine Finanzspritze des Bundes verlassen. So habe der Fördermittelgeber hier den vollen Preis der Ladestationen als förderfähige Mehrkosten angesetzt, sodass die Ladeinfrastruktur relativ kostenneutral hätte aufgebaut werden können. Gemäß den städtischen Zahlen investierte die Landeshauptstadt bis Ende 2020 rund 1,85 Millionen Euro in die Umstellung, die abgerufenen Fördermittel belaufen sich bis zum selben Datum auf etwa 950.000 Euro. Aufgrund der positiven Erfahrungen und mit Druck des Gesetzgebers im Rücken plant Wiesbaden derweil die weitere Elektrifizierung des Fuhrparks. Es gelte nun, die Elektrifizierung der Nutzfahrzeuge in den Blick zu nehmen, heißt es seitens des Umweltamts. Ein Förderantrag für ein Müllsammler-Fahrzeug mit WasserstoffbrennzellenAntrieb sei bereits positiv beschieden worden, die Stadt plane die Indienststellung für 2022. Die für den Zeitraum ab 2026 vorgeschriebenen Quoten erfülle Wiesbaden bereits in diesem Jahr.

Ein Exemplar der inzwischen 70 E-Autos Wiesbadens Foto: BS/Sebastian Wenzel, Landeshauptstadt Wiesbaden

Künftiges Verkehrssystem Urbane Logistik- und Mobilitätskonzepte im Fokus (BS) Vom 14. bis 16. September 2021 bringt die Hypermotion Frankfurt als multimodale Innovationsplattform Akteure aller Verkehrsträger zusammen – persönlich auf dem Messegelände und online. Gemeinsam werden neue Geschäftsmodelle für Mobilität und Logistik diskutiert, um die Verkehrs- und Energiewende weiterzubringen. Dabei setzt die Hypermotion Frankfurt auf ein Konzept aus klassischer Ausstellung mit starkem Konferenzcharakter: Angesprochen sind nicht nur große Unternehmen und Vertreter aus der Politik, sondern auch Mittelständler, Gründer und Investoren. In diesem Jahr stehen urbane Lo-

gistik- und Mobilitätskonzepte, alternative Antriebstechnik, die Hyperloop-Technologie und intelligente Lieferketten im Fokus. Diese Themen ziehen sich durch das gesamte Rahmenprogramm. Neben dem Hypermotion-Lab stehen drei hochkarätige Konferenzen auf der Agenda: die smc – Smart Mobility + Green Cities Conference, die scalex – Supply Chain + Logistics Excellence Conference sowie erstmal die Hyperloop Conference.

Mikromobilität verändert den urbanen Verkehr.

Foto: BS/Messe Frankfurt


Kommunale Infrastruktur

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“Section Control” als Erfolgsgeschichte

M

öglich und von Fachleuten, etwa aus dem Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik (BVST) oder von den Polizeien, präferiert wird dabei eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ist hier allerdings noch zurückhaltend, möglicherweise auch, weil der Bund an den Einnahmen der Geschwindigkeitskontrollen nicht beteiligt wird. Dann stellt sich die berechtigte Frage, welches Eigeninteresse ein Bundesministerium haben sollte, sich für ein Vorhaben einzusetzen und die Ressortabstimmung mit den übrigen Häusern zu durchlaufen, wenn ihm das am Ende keinerlei monetäre Vorteile bringt. Offiziell heißt es von dort nur, dass die Überwachung und Verfolgung von Verkehrsverstößen nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes den Bundesländern obliege. Deshalb habe der Bund weder Eingriffs- noch Weisungsrechte gegenüber den Landesbehörden. Und: zur Durchführung einer bundesweiten abschnittsbezogenen Geschwindigkeitsüberwachung auf deutschen Straßen gebe es derzeit noch keine Rechtsgrundlage. Die Anlage in Niedersachsen wird – nach langen juristischen Auseinandersetzungen und einer Anpassung der Rechtsnorm – auf Grundlage des Landespolizeigesetzes betrieben. Dieses gilt aber natürlich nur innerhalb der Grenzen Niedersachsens. Und ob andere Länder folgen werden, ist ungewiss. Denn eine Reform des Polizeigesetzes ist politisch höchst brisant.

Keine punktuelle Messung mehr Besonders geeignet ist die “Section Control” für Kontrollen in Baustellenbereichen, insbesondere auf Autobahnen. Die Messung erfolgt dabei nicht punktuell, sondern in einem festgelegten Abschnitt. Aus der jeweils ermittelten Durchfahrtzeit errechnet sich die Durchschnittsgeschwindigkeit eines jeden Fahrzeugs. Liegt diese über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, wird das Fahrzeug beweissicher erfasst (siehe auch Behörden Spiegel-Ausgabe Juli 2021, Seite 40). In Österreich kommt die Technik schon lange auf zahlreichen Autobahnen zum Einsatz, unter anderem auch auf der meistbefahrenen Autobahn der Alpenrepublik. Der CEO des Straßenbetreibers, der ASFiNAG Service GmbH, Christian Ebner, bezeichnet die Technik als

Behörden Spiegel / August 2021

Abschnittsweise Geschwindigkeitskontrolle in Österreich etabliert (BS/Marco Feldmann) In Deutschland gibt es bislang nur eine Anlage von ihr auf einer Bundesstraße nahe Hannover. In Österreich hingegen ist sie schon lange im Einsatz. Und das sehr erfolgreich. Die Rede ist von der abschnittsweisen Geschwindigkeitsüberwachung, der sogenannten “Section Control”. Für ihren flächendeckend Einsatz hierzulande fehlt allerdings noch die Rechtsgrundlage.

der Bevölkerung, heißt es seitens der ASFiNAG. Grund hierfür sei ihr deutlicher Beitrag zur Verkehrssicherheit und zur Senkung der Toten- und Verletztenzahlen im Straßenverkehr. Die ASFiNAG selbst hat dabei keinen Zugriff auf die aufgezeichneten Daten. Sie übermittelt die Daten nur an die Polizei, sofern ein Verstoß vorliegt. Ist dies nicht der Fall, werden die Daten sofort gelöscht. Bei einem Vergehen werden die Daten noch in der Anlage verschlüsselt, dann an die Polizei übermittelt, dort wieder entschlüsselt und dann durch die Polizei für das Verwaltungsverfahren genutzt.

Nutzung für den Lärmschutz?

In Österreich kommt die “Section Control” an Baustellen oftmals als mobile Lösung zum Einsatz (Foto). In Deutschland wird die Technik bislang ausschließlich in Niedersachsen genutzt. Foto: BS/Feldmann

In der Alpenrepublik ist die abschnittsweise Geschwindigkeitskontrolle an mehreren Stellen auch stationär verbaut (Foto). Die Technik trägt entscheidend zur Verkehrssicherheit bei. Foto: BS/Jenoptik

“Erfolgsgeschichte”. Genutzt wird die Technik in Österreich schon seit 2003. Damals startete ein Pilotprojekt in einem Autobahntunnel. Dieses ist inzwischen längst in den Regelbetrieb übergegangen. Laut Vertretern der ASFiNAG hat es in diesem Bereich seither keinen einzigen tödlichen Unfall mehr gegeben. Mittlerweile sind auf Österreichs Autobahnen demnach sechs stationäre und zehn mobile Anlagen im Betrieb. Die fest verankerten überwachen dabei rund 50 Kilometer Strecke, die mobilen Anlagen kommen wechselnd in Baustellen zum Einsatz. Genutzt werden sie insbesondere in besonders unfallträchtigen Bereichen, an verschiedenen Phasen von Baustellen sowie in Tunneln. Denn auch bei unserem Nachbarn zählt überhöhte Geschwindigkeit weiterhin zu den drei häufigsten Unfallursachen.

erfasst. Der Aufbau einer stationären Abschnittskontrolle ist in Österreich, wo Strecken zwischen 2,3 und 14 Kilometern bislang so kontrolliert werden, jedoch ein ziemlich langwieriges Unterfangen. Die Errichtungsphase dauert, auch aufgrund der zahlreichen erforderlichen Abstimmungsprozesse mit den Bundesländern, mindestens ein Jahr. Die Abstimmung und Errichtung einer mobilen Anlage dauern hingegen nur etwa zwei Monate. Sie ist mit circa 400.000 Euro auch deutlich preiswerter. Allerdings ist hier nur eine seitliche Kennzeichenerkennung möglich. Wenn ein Kennzeichen verdeckt ist, hilft die Technik nicht weiter. In Österreich werden auch “Multi-Section Control-Anlagen” verwendet. Sie können mehrere Teilstrecken mit zahlreichen Auf- und Abfahrten überwachen. Baustellen werden in der Alpenrepublik laut ASFiNAGVertretern in der Regel gleich am Anfang mit “Section Control” ausgerüstet. Nachträgliche Ein- und Aufbauten finden demnach kaum statt. Auch sind fast keine Vandalismusschäden an den Anlagen, die nur Abschnitte mit bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkungen überwachen und nicht zur Kontrolle der Regelgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern auf Österreichs Autobahnen dienen, feststellbar. Dies dürfte aber auch

Deutlich weniger Unfälle Über die “Section Control” wollen die ASFiNAG-Verantwortlichen unter anderem weniger Spurwechsel und damit einen harmonischeren Verkehrsfluss erreichen. Eine im Jahr 2016 durchgeführte Evaluation zeigte dabei, dass es fast überall, wo die Abschnittskontrolle verwendet wurde, einen signifikanten Rückgang der Unfallzahlen gab. Das gilt ganz besonders für

Baustellen und Tunnelanlagen. Einen flächendeckenden Einsatz der Technik plant die ASFiNAG jedoch nicht. Vielmehr gebe es gewisse Kriterien, anhand derer entschieden werde, ob eine Anlage installiert werde oder nicht. Dazu gehörten unter anderem die jeweiligen Streckenlängen und Charakteristika, erklärten Verantwortliche dem Behörden Spiegel vor Ort. So sei etwa bei einer Streckenlänge von weniger als einem Kilometer eine punktuelle Geschwindigkeitsmessung der “Section Control” vorzuziehen. Ebenfalls von Bedeutung für den zum Betrieb erforderlichen Nutzennachweis sind das jeweilige Geschwindigkeitsniveau und Tempolimit auf den Strecken. In die Überlegungen einzubeziehen sind zudem Auf- und Abfahrten und Unfallparameter.

Langer Prozess bei stationären Anlagen Nur wenn der Nutzennachweis erbracht werden kann und die Maßnahme aus datenschutzrechtlichen Gründen über Schilder offen angekündigt wird, ist die “Section Control” statthaft. Pro stationärer Anlage, die inzwischen Pkw und Lkw unterscheiden kann, ist hier von Aufbau- und Betriebskosten in Höhe von einer Million Euro auszugehen. Temposünder werden hier von Über-Kopf-Kameras

darin begründet liegen, dass die Gerätschaften oftmals sehr weit oben, über den Köpfen der Verkehrsteilnehmer, oder sogar versteckt in Tunneldecken verbaut werden. Allerdings kommt es teilweise zu Unfällen mit oder auch mutwilligen Beschädigungen von mobilen Anlagen. Insgesamt sei die “Section Control”, für deren Betrieb jeweils eine eigene Verordnung des Verkehrsministeriums existiert, aber sehr anerkannt von

Perspektivisch könnte die “Section Control” in Österreich auch zum Lärmschutz genutzt werden. Laut Gesetz wäre das bereits möglich. Dabei handelt es sich jedoch um ein derzeit schwieriges, weil politisch umstrittenes Thema in der Alpenrepublik. Deshalb wird bislang auch noch keine Anlage zu diesen Zwecken verwendet. Das wäre dann auch eine politische Entscheidung, die nicht die ASFiNAG zu treffen hätte. Denn sie versteht sich nicht als der entscheidende Akteur der Verkehrssicherheit, sondern vielmehr als Dienstleister. In Deutschland wiederum gibt es Überlegungen in mehreren Bundesländern, die Technik zur Geschwindigkeitsmessung zu verwenden. Entschieden ist hier – außer wie bereits erwähnt in Niedersachen, wo die “Section Control” schon im Regelbetrieb ist – aber noch nichts.

MELDUNG

Anträge endlich möglich (BS/mfe) Erst seit Kurzem können Anträge zum Anschluss an das bundesweite Spielersperrsystem OASIS gestellt werden. Dies erfolgt online beim zuständigen Regierungspräsidium Darmstadt. Eigentlich sollte das entsprechende Formular bereits zum Anfang letzten Monats verfügbar sein. Aber auch bei der vorherigen Informationsbereitstellung durch die Behörde hatte es bereits Verzögerungen gegeben. Gerechnet wird nun mit circa 5.000 neuen Veranstaltern und bis zu 40.000 zusätzlichen Betriebsstätten. Wie sich diese Größenordnungen auf die Bearbeitungszeiten auswirken, bleibt vorerst abzuwarten. Registrieren können sich jetzt sowohl neue Veranstalter als auch Veranstalter, die bereits mit einer Betriebsstätte an OASIS angeschlossen sind und nunmehr weitere Betriebsstätten, etwa in anderen Bundesländern, anschließen möchten. Die Antragsteller erhalten sofort eine Bestätigung der Registrierung unter Angabe der Vertragsnummer. Der Online-Antragsprozess verfügt über eine Adressprüfung deutscher Postanschriften, über eine Verifizierung der E-Mail-Adresse sowie über die Nachnutzung bereits eingegebener Daten. Der Online-Antragsprozess hat außerdem eine Upload-Funktion, mit der die notwendigen glücksspielrechtlichen Erlaubnisse hochgeladen werden können.

Bundeskongress

Bundeskongress

Kommunale Verkehrssicherheit

Kommunale Ordnung

5. – 6. Oktober 2021

6. – 7. Oktober 2021

Würzburg Informationen und Anmeldung unter

www.kommunale-verkehrssicherheit.de | www.kommunale-ordnung.de

Veranstaltungen des


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / August 2021

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Auf dem Holzweg

MELDUNG

Flächendeckendes 4G im Saarland

Bauen mit Holz erfordert anderes Vorgehen bei öffentlichen Ausschreibungen

(BS/Jörn Fieseler) Der Bausektor ist bei Maßnahmen zum Klimawandel noch nicht in den Fokus gerückt. Dabei beeinflussen Baustoffproduktion und Gebäudeerstellung die Kohlenstoffdioxidemissionen maßgeblich. Rund 40 Prozent beträgt der Anteil. Eine alternative Bauweise liegt auf der Hand: Bauen mit Holz. Doch was aus Klimaschutzbetrachtungen logisch (BS/mj) 99,9 Prozent der Hausist, erfordert ein Umdenken bei der öffentlichen Auftragsvergabe. halte im Saarland haben laut “Holz bietet viele Vorteile”, sagte Dirk Stenzel, Architekt und Inhaber von ASUNA, dem Atelier für strategische und nachhaltige Architektur, im Rahmen einer Diskussionsrunde auf NeueStadt.org. Einerseits werde bei der Produktion vom Roh- zum Baustoff deutlich weniger Energie verbraucht als bei anderen Baustoffen, andererseits sei Holz ein hochflexibles Baumaterial. “Es kann beim Massivbau ebenso eingesetzt werden wie bei einer Skelett- oder Modulbauweise oder bei einer Schalenkonstruktion”, so der Leipziger Architekt. Zudem zeichne es sich durch einen hohen Verfügungsgrad aus. Zudem könnten viele Bauteile vorgefertigt und an die Baustelle geliefert werden. Dadurch seien Bauprozesse sehr gut beeinflussbar und ein termingerechteres Bauen möglich, unterstreicht Stenzel. Das bestätigte auch Architekt Jan Störmer aus Hamburg. Der Inhaber des Büros Störmer Murphy and Partners führt den Bau des Hamburger Holzhochhauses “Roots” durch, einem 66 Meter hohen, 19-geschossigen Holzhaus in der Hamburger Hafen City. Die Baustelle sei viel sozialverträglicher, da deutlich weniger Dreck und Lärm anfalle. Allerdings sei das Bauen mit Holz im Vergleich zu anderen Bauweisen deutlich schwieriger. “Wir haben zwar von der Hansestadt die größtmögliche Unterstützung bekommen, allerdings hat man uns auch sämtliche Regularien vorgelegt, die es zu beachten gab. Wir bauen mit Hosenträger und Gürtel”, sagte Störmer und meint die rechtliche Absicherung aller Eventualitäten.

Häuser mit Holzfassaden prägen mehr und mehr das Stadtbild. Doch während vor allem Privatbauten auf den den ältesten Baustoff der Welt setzen, wird er im kommunalen Wohnungsbau und bei Verwaltungsgebäuden noch zögerlich eingesetzt. Das wurde auch bei einer Diskussionsrunde auf NeueStadt.org deutlich (rechts), die unter www.NeueStadt.org/Mediathek zum Abruf bereit steht. Foto links: BS/Reijo Telaranta, pixabay; Screenshot rechts: BS/Fieseler

Zudem hätten sich viele Fragen gestellt, die bei konventionellen Bauweisen nicht zum Tragen kommen. “Wir haben insgesamt dreieinhalb Jahre geplant – das ist Wahnsinn.” So gebe es viele Anforderungen im Wohnungsbau, die es im Bürobau nicht gebe. Deshalb forderte der Hamburger Architekt ein politisches Eingreifen, um die Sinnhaftigkeit der Bauordnungen zu überprüfen.

Lokale Bautradition Insgesamt sei der Holzbau im Wohnungsbau bis zur Klasse fünf, das heißt bei mehrstöckigen Gebäuden mit bis zu sieben Geschossen unproblematisch. Trotzdem ist das Thema in der Republik unterschiedlich weit verbreitet. So spiele die Holzbauweise in Hamburg und Leipzig derzeit noch keine große Rolle. Anders in Baden-Württemberg. Dort seien inzwischen 20 Prozent aller Gebäude aus dem Natur-

rohstoff. “Es gibt ein Nord-SüdGefälle und auch ein West-OstGefälle”, erläuterte Arnim Seidel, Geschäftsführer des Informationsvereins Holz e. V., der den Informationsdienst Holz betreibt. Ursache sind demnach die lokale Bautradition und die Größe der Wälder. Zudem bestätigte der Düsseldorfer die Möglichkeiten im Wohnungsbau. Holz eigne sich vor allem für Aufstockungen bei drei- bis fünf geschossigen Immobilien und sei damit ein entscheidender Baustoff für den kommunalen Wohnungsbau und für Mehrfamilienhäuser. “Das ist das Schwarzbrot des öffentlichen Bauens”, so Seidel. Allgemein habe das Thema in den letzten fünf bis zehn Jahren eine enorme Aufwertung erfahren, sagte Seidel und machte dies an den Einreichungen zum deutschen Holzbaupreis fest. 260 Projekte hätten sich in diesem Jahr beworben. Aufgrund der letz-

ten Jahre sei extra die Kategorie “Mehrgeschossiger Holzhausbau – Wohnungs- und Verwaltungsbau” eingeführt worden. Rund 15 Prozent aller Bewerbungen entfielen auf diese Kategorie. Und: Ein Drittel der Einreichungen kam von der öffentlichen Hand. Diese müsse jedoch den Besonderheiten des Holzbaus bei öffentlichen Ausschreibungen gerecht werden.

Nur per GU-Vergabe “Der Holzbau ist schlecht über öffentliche Ausschreibungen zu regeln”, so Stenzel. Er erfordere einen engen und intensiven Austausch zwischen Planer und ausführender Firma. Das werde bei den meisten Ausschreibungen nicht beachtet. Für diese müsste die Planung weit fortgeschritten sein, damit überhaupt eine Ausschreibung gestartet werde, moniert Stenzel und erhält Unterstützung von Störmer. “In der Leistungsphase zwei kommen

sehr viele Details, die grundlegende Absprachen erfordern. Deshalb müssen sich Planer frühzeitig geeignete Firmen suchen.” Das gehe nur mit einer Generalunternehmervergabe (GU-Vergabe), um überhaupt wirtschaftlich und konstruktiv zusammenarbeiten zu können. Beim Prestigeprojekt Roots habe er mit drei unterschiedlichen Baufirmen zu tun gehabt und hätte deshalb drei Mal komplett umplanen müssen. Deshalb müsse am Ende auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Holzbaus gestellt werden. “Holz ist nicht für alle Bauaufgaben das ideale Mittel”, so Stenzel. Anstatt 90 Prozent aus Holz zu bauen seien 60 Prozent weitaus sinnvoller”, bezifferte Störmer. Und auch Seidel bestätigte: “Anstatt viel Holz in wenig Gebäuden zu verbauen, sollte mit der Ressource behutsamer umgegangen und weniger Holz in mehr Gebäuden verwendet werden.”

Breitbandatlas des Bundes LTEEmpfang und somit 4G, teilte die Bundesregierung mit. Die Covid19-Pandemie habe zudem gezeigt, dass die Mobilfunknetze insgesamt stabil seien und den gesteigerten Anforderungen durch Home-Office, verstärkte mobile Nutzung und digitales Lernen gewachsen seien. Derzeit gibt es im Saarland 914 Standorte für Mobilfunkanlagen, welche von mehreren Netzbetreibern und mit mehreren Basisstationen genutzt werden können. Weniger als ein Prozent der saarländischen Rasterzellen (250 auf 250 Meter) waren Ende 2020 nicht mit Mobilfunk, sprich mit weniger als zwei Mbit/s auf weniger als 75 Prozent der Fläche, versorgt. Der bundesweite 4G-Ausbau wird laut Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion durch Versorgungsauflagen und das mit 1,1 Milliarden Euro ausgestattete Mobilfunkförderprogramm vorangetrieben. “Dadurch werden bis zu 5.000 Standorte, die gar nicht mit Mobilfunk oder nicht mit 2G-Mobilfunk versorgt sind, gefördert ausgebaut.” Bis Ende 2024 wolle man so mindestens 99,7 Prozent der Haushalte mit mindestens 4G versorgen. Die Bundesregierung unterstützt zudem 5G-Anwendungen im Bereich Forschung und Entwicklung. Mit rund 97.500 Euro Förderung werde derzeit ein 5G-Innovationswettbewerb in der Kreisstadt Saarlouis durchgeführt, dessen Fokus auf den Bereichen Energie-, Stadt- und Verkehrsverwaltung läge, heißt es weiter in der Antwort.


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W

ie schwer eine Katastrophe zuschlägt, hängt meistens von den Vorbereitungen ab. Deutschland war nicht vorbereitet. Während in Belgien und den Niederlanden Menschen evakuiert wurden, saßen die deutschen Bürger ahnungslos in ihren Wohnzimmern (siehe hierzu auch den Artikel auf Seite 39). Dieses Prinzip zog sich durch die ersten Stunden und sogar Tage der Katastrophenreaktion. Während die Helfer in anderen Ländern miteinander kommunizieren konnten, waren die Krisengebiete in RheinlandPfalz und Nordrhein-Westfalen funktechnisch gesehen schwarze Löcher. Die Hilfskräfte gingen rein und waren dann erst mal nicht mehr zu erreichen. Die Gründe sind vielschichtig, lassen sich aber durchaus unter dem einen Nenner zusammenfassen, dass Deutschland über keinerlei robuste Kommunikationsinfrastruktur für einen großräumigen Katastrophenfall verfügt. Die Explosion in einem Leverkusener Chemiewerk kann sie abdecken, aber nicht einen Großschadensfall, der sich über mehrere Landkreise erstreckt. Dies ist besonders prekär, da die Bürger sich bei kleineren Schadensereignissen durchaus selbst helfen und über die üblichen Kanäle organisieren können, während der Staat besonders bei großen Katastrophen gefordert ist. Eine erste Analyse zeigt, wo dringender Handlungsbedarf besteht.

BOS-Digitalfunk Eigentlich war der BOS-Digitalfunk gerade für solche Lagen eingeführt worden. Auch die Bundeswehr kann sich an dessen Infrastruktur anbinden. Es zeigte sich allerdings, dass der BOS-Digitalfunk dieser Großschadenslage nicht gewachsen war, obwohl mobile Stationen relativ schnell vor Ort installiert wurden. Ein Problem besteht darin, dass die stationären Basisstationen der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) nur voll funktionsfähig sind, wenn sie eine Netzanbindung haben. Hierbei handelt es sich um die normalen Netzanbindungen, also jene Kabel, über die auch der Bürger sein Internet usw. laufen lässt. Die Wassermassen hatten teilweise die dafür notwendigen Leitungen zerstört bzw. sie wurden von der Telekom vom Netz genommen. Die abgehängten Basisstationen gingen in den sogenannten Fallback-Modus, der Kommunikation nur noch innerhalb der

Kommunale Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2021

Keine Kommunikation in der Katastrophe Hochwasser offenbart Defizite der Infrastruktur (BS/Marco Feldmann/Dorothee Frank) Die Katastrophe zeigte einige Schwächen in der Infrastruktur, die für ein modernes Land wie Deutschland kaum hinnehmbar sind. Die ersten Stunden sind schließlich in der Krisenreaktion entscheidend und gerade in diesen müssen die Kommunikation und Führungsfähigkeit funktionieren. Beim Hochwasser funktionierten sie nicht, auch weil die Politik die verkehrten Weichen gestellt und Wirtschaft vor Katastrophenschutz priorisiert hatte.

Abstützung auf kommerzielle Leistungen Da in der heutigen Zeit nur Sprache und Textnachrichten wenig sexy erscheinen, haben viele Länder den BOS-Digitalfunk in den vergangenen Jahren eher links liegen gelassen und ihre Polizeien und Katastrophenschützer werbewirksam mit modernen Smartphones und Tablets ausgestattet. Dabei handelte es sich um zivile Assets, die auf der zivilen Infrastruktur aufbauen. Ein iPhone lässt sich weder mit dem BOS-Digitalfunk noch mit dem Militärfunk verbinden. Die klobigen “Knochen” der staatlichen Lösung wurden zwar mitgeführt, die eigentliche Kommunikation fand aber auf den schicken und leichten SmartDevices statt. Investitionen gingen dementsprechend eher an private Firmen statt in zusätzliche Infrastruktur für den BOS-Digitalfunk. Die Anzahl der in ganz Deutschland vorhandenen mobilen BOS-Basisstationen liegt bei unter 20. Dieses Abstützen auf zivile, vornehmlich kommerziell ausgerichUm zumindest eine stabile Interimsfunkversorgung in den Überflutungsgebieten tete Infrastruktur hatte bereits beim Love-Parade-Unglück dazu garantieren zu können, mussten mobile Basisstationen errichtet werden. Foto: BS/Frank geführt, dass die Kommunikation auch der Polizei aufgrund der Funkzelle möglich macht. Fiel liegt vor. Jetzt ist es eine Frage (erwartbaren) Überlastung der die Basisstation komplett aus, der Finanzierung. Hier scheinen zivilen Handynetze ungenügend konnten die Einsatzkräfte vor Rheinland-Pfalz und Nordrhein- war. Ähnliches ereignete sich in Ort ihre Terminals nur noch im Westfalen noch Nachholbedarf der Silvesternacht 2015, während Direktbetrieb (DMO-Modus), also zu haben. hunderte Frauen auf der Kölner Da der BOS-Digitalfunkt eine Domplatte belästigt wurden. Viele quasi als Walkie-Talkies, nutzen. Eine Kommunikation mit zentrale Architektur besitzt, liegt Lehren scheinen aus den damader Einsatzführung war nicht die Verwaltung in der Zentrale. ligen Kommunikationsversagen Ohne Anbindung über das zivile nicht gezogen worden zu sein. mehr möglich. Inzwischen existiert eine stabi- Netz lassen sich nicht mehr alle le Interimsfunkversorgung. Sie Funktionen nutzen. Die Kommunikation für den wurde mithilfe mobiler, satellitenangebundener Basisstatio- Katastrophenfall wurde also so nen sichergestellt. Zudem hatte aufgebaut, dass die Katastrophe die Bundespolizei provisorische nicht besonders groß sein und vor Lösungen errichtet und verlegt. allem keine zivile Infrastruktur Kernnetzstandorte waren laut zerstören darf. Hinzu kommt die Verkehrslast. BDBOS nicht gefährdet. In der unmittelbaren Katas­ Der schmalbandige BOS-Digitaltrophenbewältigung zeigte sich funk verfügt über limitierte Freallerdings das Problem, dass die quenzen und ist schnell überforStationen des BOS-Digitalfunks dert, wenn viele unterschiedliche zwar gehärtet sind, die Leitungen, Funkgruppen unkoordiniert in die diese mit einer der bundes- einer Funkzelle auftauchen. Was weit 64 regionalen Vermittlungen bei Katastrophen durchaus norverbinden, allerdings nicht. Bei mal ist. Zudem erlaubt der BOSder Netzhärtung sind allerdings Digitalfunk auch in seiner vollen auch die Länder gefordert. Ein Funktionalität nur Sprache und zwischen der BDBOS und den Textnachrichten. Was wiederum Ländern abgestimmtes Konzept zum nächsten Problem führt.

Die öffentlichen Mobilfunknetze fielen bereits mitten in der Hochwasserkatastrophe weit über das betroffene Gebiet hinaus aus. Masten waren fortgespült worden, ohne Strom oder aus Angst vor weiteren Schäden – wie etwa Kabelbränden – von der Telekom vorsorglich abgeschaltet worden. Dies stellte allerdings auch den BOS-Digitalfunk vor ein Problem, da dessen Antennen an denselben Masten hingen wie die zivilen.

Wirtschaft vor Katastrophenschutz Die Erfahrungen aus der Katastrophe zeigen, wie wenig privatwirtschaftliche Unternehmen geeignet sind, eine flächendeckende und katastrophenfeste Infrastruktur für die BOS bereitzustellen. Dennoch wird aktuell der Verkauf jener Funkfrequenzen, die in einem erneuten Katastrophenfall für die staatliche Hilfe und deren Koordinierung besonders geeignet wären, an ein komplett privatwirtschaftliches Unternehmen vorbereitet. Die Frequenzen im 450-Megahertz-Band waren ursprünglich für den sicheren Betrieb Kritischer Infrastruktur sowie die BOS und Bundeswehr vorgesehen (der Behörden Spiegel berichtete). Auf diesen Frequenzen können einzelne Masten große Gebiete abdecken, auch die Funkverbindung in Gebäude oder Keller ist möglich. Die Polizeien, Katastrophenschützer und Bundeswehr brauchen solche Frequenzen, um die notwendige Infrastruktur auf-

zubauen. Es ist im Prinzip wie mit einer Handy-SIM-Karte. Die Frequenz ist der Anbieter und ohne Anbieter gibt es keinen Empfang. Also ohne Frequenz kein Funk. Für den Aufbau der Infrastruktur zur Nutzung einer Frequenz ist derjenige verantwortlich, dem die Frequenzen vom Bund zugesprochen werden. Wie im Februar bekannt wurde, plant der Bund den Verkauf der eigentlich auch den BOS versprochenen 450-Megahertz-Frequenzen an ein Privatunternehmen, das es für die Energiewirtschaft – besonders Smart Metering und andere finanziell ertragreiche “Mehrwertdienste” – nutzen will. Infrastruktur wird also nur dort aufgebaut, wo es sich lohnt. In Ballungszentren und Städten. Das Örtchen Schuld wird vermutlich nicht dazu gehören.

Gewinn auf Kosten der Bürger In der Betriebswirtschaftslehre gibt es den Leitspruch: “Je höher das Risiko, desto höher der mögliche Gewinn.” Der mögliche Gewinn besteht für die Länder in Einsparungen durch nichtgekaufte Infrastruktur, für den Bund in dem Erlös aus dem Verkauf der Funkfrequenzen. Das Risiko stellen die Katastrophen dar, da der Gewinn nur beim Ausbleiben derselben eintritt. Die Frage ist allerdings, ob Deutschland es sich leisten kann, die Kommunikation seiner Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr für gerade einmal 113 Millionen Euro zu verkaufen. Das ist die Höhe der Zuteilungsgebühr für die Frequenz 450 Megahertz. Vielleicht sollte der Bund vorher die Bürger aus den vom Hochwasser getroffenen Kreisen fragen, deren Steueraufkommen sicherlich weit oberhalb von 113 Millionen Euro liegt und die sich für dieses Geld wahrscheinlich eine koordiniertere Hilfe gewünscht hätten.

BRAND- UND KATASTROPHENSCHUTZTAGE 2021 Brand- und Katastrophenschutz post Corona: Herausforderungen – Ziele – Technologien 24. August 2021, Dorint Hotel Sanssouci, Potsdam

Michael Stübgen Minister des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg

www.brand-kata-tage.de

Eine Veranstaltung des


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2021

Streitfall Digitalisierungsministerium

KNAPP Bitkomat online

Es drohen Machtkämpfe mit den etablierten Ressorts (BS/Lukas Schäfer/Matthias Lorenz) Die Liste zentraler, jedoch lahmender Modernisierungsprojekte ist lang, die Implementierungsprozesse erscheinen unkoordiniert und teuer. Nahe liegt also der Wunsch nach einem Ministerium, das diese zukunftskritischen Projekte zentral vorantreibt und den jüngst durch die Pandemielage entstandenen Digitalisierungsschub hochhält. Doch die Sicht der Parteien auf ein solches Ministerium ist verschieden. Darüber hinaus wird es Streit mit anderen Ressorts um Zuständigkeiten geben.

Ministerium oder Taskforce? MdB Dr. Anna Christmann, innovationspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, steht einem solchen Haus kritisch gegenüber, konserviere es doch das vorherrschende und unproduktive Silodenken der Bundesverwaltung. Die Lösung sieht sie in einer umsetzungsstarken Technologie-Taskforce im Kanzleramt, die Schlüsselprojekte der digitalen Verwaltung vorantreiben soll. Diese soll hochkarätig und interdisziplinär mit Praktikerinnen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft besetzt werden. Zusätzlich braucht es ihrer Auffassung nach in allen Ministerien Innovationseinheiten, die in diversen Teams arbeiten, neue Arbeitsformen erproben und diese in die Breite tragen. MdB Nadine Schön, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda, hält eine solche Nukleus-Struktur mit Taskforces und Agenturen

Wie ein Löwe seine Beute haben auch die etablierten Ministerien ihre Zuständigkeiten fest im Blick. Kampflos werden sie diese nicht einem neuen Digitalisierungsministerium überlassen. Foto: BS/Franchis Janel MOKOMBA, pixabay.com

zwar für machbar, jedoch nicht ausreichend. Schließlich digitalisiere sich ein Konzern auch nicht allein durch den Zukauf von oder Investments in Startups, sondern vor allem durch die Digitalisierung der eigenen Strukturen. Das Ministerium wäre also primär ein Transformationsministerium mit Koordinations- und Vernetzungsleistungen sowie eigenem Budget und Vetorechten. Eine weitere Möglichkeit ist, eine durchschlagskräftige Staatsministerin für Digitalisierung direkt beim Kanzleramt anzusiedeln. Notwendig wäre in diesem Fall allerdings, die Stelle mit einem entsprechenden Unterbau auszustatten, ähnlich dem Apparat, über den die Staatsministerin für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters, schon heute verfügt. Neben dem eigenen Apparat müsste die Staatsministerin ein

eigenes Budget zugesprochen bekommen. An all diesen Dingen fehlt es der aktuellen Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär. Hiermit wird oft begründet, warum der Einfluss Bärs auf die Digitalpolitik begrenzt war.

Streit um Zuständigkeiten Mit einem neuen Digitalisierungsministerium sind Streitigkeiten um Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Ressorts wahrscheinlich. Ein gutes Beispiel stellt das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) dar. Zu einem Digitalisierungsministerium könnten die jetzigen BMI-Abteilungen “Digitale Gesellschaft, Informationstechnik”, “Digitale Verwaltung, Steuerung OZG” und “Cyber- und Informationssicherheit” wechseln. Ebenfalls zu einem neuen Ministerium hinzu kämen wahrscheinlich auch

mehrere dem BMI nachgeordnete Behörden wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) oder die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITIS). Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) unterliegt der Gefahr, zusammen mit dem Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) die Zuständigkeit für die Betriebskonsolidierung an ein Digitalisierungsministerium zu verlieren. So sind aus dem Umfeld der Ministerien, die zurzeit für zentrale Digitalisierungsaspekte zuständig sind, kritische Stimmen zu einem Digitalisierungsministerium zu hören. Aus dem Umfeld des BMI ist zu erfahren, dass das Ministerium unbedingt die Hoheit im Bereich Cyber-

Sicherheit behalten wolle, mit der Begründung, Cyber-Sicherheit zähle zur Inneren Sicherheit. Klar ist ebenfalls, dass das BMF die Zuständigkeit über das ITZBund auf keinen Fall verlieren will. Es wird zu Machtkämpfen zwischen den etablierten Ressorts und einem neuen, wie auch immer ausgestalteten Digitalisierungsministerium kommen. Die Gefahr besteht, dass sich das Haus nicht durchsetzen kann, weil ihm die anderen Ministerien mit Ablehnung begegnen werden. Im BMI kokettiert man derweil bereits mit der Idee, im Rahmen des allgemeinen Kompetenzgerangels die eigenen Zuständigkeiten nicht nur zu verteidigen, sondern deutlich auszuweiten. Eine durchschlagskräftige Beauftragte für Digitalisierung könne man statt im Kanzleramt ja auch im BMI ansiedeln, so der Tenor. Damit würde sich das BMI in eine herausgehobene Position katapultieren und Steuerungsmöglichkeiten erhalten, die nur mit jenen des BMF über den Haushalt vergleichbar sind.

Anforderungen an ein ­Ministerium Auch innerhalb der Berliner Digital Initiative, einem Zusammenschluss mehrerer IT- und Dienstleistungsunternehmen unter Moderation der Cyber Akademie, wird ein Digitalisierungsministerium diskutiert. “Die Parteien sollten heute konkret sagen können, was Deutschland am Ende der nächsten Legislatur digital besser kann. Erst dann stellt sich die Frage, ob ein Digitalministerium dabei hilft,“ setzt Florian Breger, Leiter Geschäftsbereich Öffentlicher Dienst bei IBM und Mitglied der Initiative, voraus. Die Initiative hat ein Positionspapier veröffentlicht, über welches wir in der Juli-Ausgabe des Behörden Spiegel berichtet haben (S. 34).

Handbuch für Verwaltungsdigitalisierung

(BS/lma) Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat ein digitales Servicehandbuch für die Verwaltungsdigitalisierung veröffentlicht. Anknüpfungspunkt ist der Servicestandard für die OZG-Umsetzung, den das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entwickelt hat. In diesem werden 19 Qualitätsprinzipien für das Design und den Betrieb guter digitaler Verwaltungsleistungen definiert. Wie der NKR mitteilt, würden sowohl er als auch der IT-Planungsrat den Servicestandard unterstützen. Das digitale Servicehandbuch solle Projektverantwortlichen Orientierung geben und als Wegweiser durch die typischen Phasen eines Digitalisierungsprojekts führen. Aufbauend auf den Qualitätsprinzipien des Servicestandards sollten Serviceverantwortliche demnach mit konkreten Anleitungen und Projektbeispielen bei ihrer Arbeit unterstützt werden.

Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung von stock.adobe.com, Hurca!

Digitalisierungsprojekte zentral vorantreiben würde ein “Bundesministerium für digitale Transformation und Innovation”(BMDT), wie es etwa MdB Manuel Höferlin (FDP), Vorsitzender des Ausschusses Digitale Agenda des Deutschen Bundestages, vorschwebt. Dem Ministerium solle eine koordinierende Aufgabe obliegen und es solle eine Plattform für den Austausch der in den Ministerien verbleibenden Digitalisierungsfachkräfte darstellen. Dieser Aspekt trägt vor allem der Streitfrage des behördeninternen Konkurrenzkampfes um die ohnehin schon rar gesäten Digitalisierungsfachkräfte Rechnung, welcher sich mit einem personalstarken Ministerium verschärfen würde.

(BS/lma) Der Digitalverband Bitkom hat mit dem “Bitkomat” ein Tool für den digitalpolitischen Parteiencheck zur Bundestagswahl 2021 veröffentlicht. Angelehnt an den “Wahl-O-Mat” hätten Interessierte die Möglichkeit, die eigenen digitalpolitischen Präferenzen mit den jeweiligen Positionen der im Bundestag vertretenen Parteien zu vergleichen, erklärt der Verband. Im Bitkomat würden 29 politische Themen aus den Bereichen Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Arbeit, Alltag und digitales Leben, Bildung und Teilhabe, Sicherheit und Datenschutz sowie Infrastruktur und Souveränität überprüft. Nutzerinnen und Nutzer könnten die Themen demnach Schritt für Schritt durchspielen. Das Programm vergleiche die persönliche Präferenz mit den Antworten der Parteien und zeige am Ende, welche Parteien den eigenen Vorstellungen wie stark entsprächen.

Digitale Verwaltung

Rheinland-Pfalz 2021

Transformation der Arbeitswelt – Transformation der Verwaltung

26. August 2021 | Online-Event www.dv-rlp.de In Kooperation mit

#dvrlp21 Eine Veranstaltung des


Baden-Württemberg 4.0

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Behörden Spiegel / August 2021

Baden-Württemberg 4.0 “E

s ist unbedingt erforderlich, dass wir uns dem Thema Cyber-Sicherheit zuwenden”, fordert Krebs. Unabdingbar sei in dieser Hinsicht zum Beispiel, alle Vorhaben nach dem Prinzip “Security by Design” zu entwickeln. In Baden-Württemberg würden darüber hinaus alle Standards des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) angewandt. Außerdem führe man in den Behörden regelmäßige Stresstests durch, um die IT-Sicherheitsstrukturen zu überprüfen.

Personal ist ein Schlüsselfaktor Wie der Landes-CIO weiter ausführt, habe das Land als weitere Maßnahme eine Cyber-Sicherheitsagentur gegründet. Ziel sei es, in den Landesbehörden bereits vorhandenes Know-how zu bündeln und Doppelstrukturen abzuschaffen. So sollen Synergieeffekte entstehen. Um mehr Personal für den Bereich der Cyber-Sicherheit zu gewinnen, unterstützt das Land laut Krebs einen neuen dualen Studiengang mit Vertiefungsschwerpunkt Cyber-Sicherheit. Auch insgesamt ist das Personal ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung. Alles in allem schätzt Krebs die Digital-Fitness der Verwaltungsangestellten in Baden-Württemberg als “gut” ein. Gerade auf kommunaler Ebene gebe es jedoch noch einige Mitarbeiter, die sich dem Thema lediglich mit “gedämpftem Optimismus” widmen würden, zum

Keine Digitalisierung ohne Cyber-Sicherheit Smart Cities brauchen Bürgerbeteiligung und Wissenstransfer (BS/Matthias Lorenz) In Baden-Württemberg schreitet die Digitalisierung der Verwaltung in großen Schritten voran. So sieht es zumindest der CIO des Landes, Stefan Krebs. Auf dem Kongress “Baden-Württemberg 4.0” macht er aber auch deutlich: Das Thema Cyber-Sicherheit muss weiter im Fokus bleiben. Immer wieder gebe es erfolgreiche Angriffe. Auch im Mittelpunkt des Interesses: Smart City-Projekte. Hier kommt es vor allem auf Bürgerbeteiligung und Wissenstransfer an. Beispiel wegen des Drucks aus der Tagesarbeit heraus. Um dem entgegenzutreten und die digitalen Kompetenzen der Landes-, Kreis- und Kommunalverwaltungen zu stärken, gebe es die Digitalakademie BW, erläutert Krebs. Auf die Entwicklung des Weiterbildungsangebots ist er stolz: “Mehr als jede dritte Kommunalverwaltung nutzt Angebote der Plattform, andere Bundesländer bauen das Modell nach.” Um mehr digitale Kompetenz in die Verwaltung zu bringen, sei im neuen Koalitionsvertrag der Landesregierung außerdem festgehalten, externen Sachverstand einzubinden.

Bürger in den Fokus nehmen Bei der Verwaltungsdigitalisierung auf kommunaler Ebene darf jedoch nicht nur ans eigene Personal gedacht werden. Die Stadt Ulm setzt konsequent darauf, Digitalisierung vom Bürger her zu denken und möglichst viele auf dem Weg mitzunehmen. “Wir beziehen die Bürger mit sehr unterschiedlichen Beteiligungsformaten mit ein”, sagt Sabine Meigel, Leiterin der Geschäftsstelle Digitale Agenda der Stadt Ulm. So werde in Kürze ein Beteiligungscontainer in der

Stadtmitte aufgestellt, wo Interessierte sich informieren und beteiligen könnten. Alternative Formate wie Spaziergänge seien wegen Corona entwickelt worden. Auch bei der Erstellung eines Datenethikkonzepts, bei dem die Stadt von Prof. Jörn von Lucke, Leiter des “The Open Government Institute” an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, unterstützt wurde, band die Stadt die Bürger mit in den Prozess ein. “Gerade die Bürgerbeteiligung ist elementar. Dadurch bekamen wir eine ganze Reihe von Vorschlägen, die wir noch gar nicht im Visier hatten”, so die Einschätzung des Professors für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik. Auch die Stadt Freiburg im Breisgau legte bei der Erstellung ihrer Digitalisierungsstrategie großen Wert auf die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger, wie Ivan Aćimović, Projektleiter des Smart-City-Projekts Freiburgs, berichtet. Beteiligung sei wichtig, um die in der Stadt vorhandene Vielfalt und Komplexität auch in der Digitalisierung abzubilden. “Insgesamt war es ein sehr aufwändiger Prozess”, sagt Aćimović. Man habe Konferenzen für die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Bürger abgehalten und unter

Post-Corona-Digitalisierung Was kommt, was geht, was bleibt? (BS/Kilian Recht) Dass die Corona-Krise der Verwaltungsdigitalisierung einen Schub verliehen hat, wird allzu oft plakatiert. Mindestens aber hat die Krise die Notwendigkeit digitaler Verwaltungsservices und Prozesse unterstrichen. Damit das Thema nach Überwinden der Krise nicht der Katastrophendemenz zum Opfer fällt, gilt es, die wichtigsten Erkenntnisse der letzten anderthalb Jahre dauerhaft zu nutzen. Prof. Dr. Birgit Schenk von der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg zweifelt an der Erzählung “Erfolgsgeschichte Homeoffice”: “Über Corona ist mir nicht bekannt, dass flächendeckend in den Kommunalverwaltungen Homeoffice umgesetzt wurde.” Es sei lediglich zaghaft damit begonnen worden. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien zu Hause ohne konkrete Arbeitsmöglichkeit gewesen. Laptops hätten gefehlt, das Wissen zur Bedienung sowie die Elektronische Akte. “Ich glaube, da haben wir noch ein ganz breites Feld vor uns, das beackert werden muss”, gibt Prof. Dr. Schenk mit Blick auf zukünftiges mobiles Arbeiten zu bedenken.

Lehren aus der Krise Dorothea Störr-Ritter, Landrätin des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald und Mitglied des Nationalen Normenkontrollrates, möchte aus den krisenbedingten Erfahrungen mit dem Homeoffice für die Zeit nach der Krise lernen: “Was bedeutet mobiles Arbeiten für uns für die Zukunft? Wie viel mobiles Arbeiten können wir als Verwaltung brauchen, können wir zulassen? Inwieweit müssen wir auch den Menschen vor der mobilen Arbeit schützen?” Laut Störr-Ritter müsse nämlich auch, und das habe sich in der Krise gezeigt, bedacht werden, wie wichtig persönliche Begegnung und Beziehungen für den

Cyber-Sicherheit müsse bei der Verwaltungsdigitalisierung weiter in den Fokus genommen werden, so der CIO des Landes Baden-Württemberg, Stefan Krebs, auf dem Kongress Baden-Württemberg 4.0. Screenshot: BS/Matthias Lorenz

anderem auch eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Im Kontext Smart City setzen Städte die verschiedensten Projekte um. “Wir wollen bei der Digitalisierung auch benachteiligte Personengruppen im Blick haben”, erklärt Meigel von der Stadt Ulm. So gebe es unter dem Titel “Ulmer Nest” Mini-Unterkünfte für Obdachlose. Diese Unterkünfte könnten Statusdaten via Long Range Wide Area Network (LoRaWAN) übermitteln. Auch Ältere sind im Fokus der Stadt: Junge, technikaffine Personen stünden als “Digitalmentoren” für Menschen bereit, die Hilfe mit digitalen Anwendungen bräuchten. Ein anderes Projekt, welches ältere Personen betreffe, sei durch Corona ausgebremst worden, berichtet Meigel. Die Stadt habe eine Musterwohnung “Leben im Alter” eingerichtet, in der viele digitale Lösungen wie ein smarter Tablettenspender oder eine universelle Fernbedienung getestet würden. Aufgrund der

Pandemie hätten bis jetzt nur wenige Menschen die Wohnung ausprobieren können. Ein Projekt, welches kürzlich in Freiburg gestartet ist, nennt sich “FreiburgRESIST”. Im Kern geht es darum, die Stadt für einen Krisenfall wie Naturkatastrophen oder eine Terrorlage resilienter zu machen. “Wir wollen ein Konzept erstellen, wie wir die Freiburger Innenstadt mit ihren engen Gassen und vielen Menschen in einer Krisenlage technologiegestützt schnell evakuieren können”, erläutert Projektleiterin Dr. Renate Häuslschmid. Helfen soll hierbei unter anderem ein digitales Stadtmodell inklusive Building Information Modelling (BIM), also digitalen 3D-Modellen von Gebäuden. “Im Einsatz helfen diese zum Beispiel Polizei und Feuerwehr sehr”, so Häuslschmid. Die Einsatzkräfte könnten zum Beispiel sehen, welche Gebäude im Umfeld des betroffenen Gebäudes lägen, welche Rettungswege es innerhalb des Gebäudes gebe,

oder anhand der Gebäudegröße einschätzen, wie viele Personen es notfalls zu retten gelte. Auf dem Weg zur Smart City legen Städte wie Ulm und Freiburg darüber hinaus Wert auf Nachhaltigkeit und das Prinzip “Offene Daten”. Dies ist vor allem wichtig, damit andere Städte und Regionen von Modellprojekten profitieren können, das Stichwort lautet Wissenstransfer. Freiburgs Smart-City-Projektleiter Aćimović hebt in diesem Zusammenhang hervor, man müsse gerade kleinere Kommunen auch befähigen, mit dem weitergegebenen Wissen auch etwas anfangen zu können. Dieser Punkt bereite ihm momentan noch Sorgen, auf diese Frage müsse eine Antwort gefunden werden. Prof. Lucke hält den Wissenstransfer ebenfalls für zentral und ist der Meinung, hierfür werde von Bundes- und Landesseite noch nicht genug getan: “Das muss man im Bund und im Land komplett neu aufstellen.” Es gehe darum, offene Schnittstellen, offene Standards und das Prinzip Open Source durchzusetzen. Heinrich Lorei, Teamleiter für kooperative Dateninfrastruktur und regionale Plattformen bei der Metropolregion Rhein-Neckar, betont, gerade kleinerer Kommunen hätten keine Kapazitäten, zwecks Wissenstransfer in jedem Arbeitskreis vertreten zu sein. Um den Austausch zu erleichtern, baue man in der Region eine Community-Plattform auf, über die sich auch Kommunen vernetzen können. Viele Projekte, wie zum Beispiel die von der Region betriebene Datenplattform, könnten solche Kommunen aber auch unmöglich allein stemmen. Deswegen führe man diese auf Ebene der Region durch. Die gesamte Veranstaltung steht in der Mediathek von Digitaler Staat Online (www.digitalerstaat.online) zum Download (kostenpflichtig) zur Verfügung.

Ein digitales Front-End … … macht noch keine digitale Kommune (BS/Kilian Recht) Baden-Württemberg ist auf einem guten Weg, die Ziele des OZG bis zum Stichtag zu erreichen. Viele OZG-Leistungen, für die das Land verantwortlich ist, wurden bereits umgesetzt oder werden es demnächst sein. Nur mit dem Angebot für Bürgerinnen und Bürger ist jedoch noch keine digitale Kommune geschaffen.

Die hochkarätig besetzte Abschlussrunde gibt einen Ausblick auf die Zeit nach Corona (v.l.n.r.): Stefan Dallinger, Dr. Eva-Charlotte Proll, Prof. Dr. Birgit Schenk, Dorothea Störr-Ritter, Peter Rommel. Foto: BS

Arbeitsalltag seien. Dies müsse Mitarbeitenden weiterhin ermöglicht werden. Damit die Verwaltung nach der Krise schnell in die Modernisierung kommt, nimmt auch Peter Rommel, Abteilungsleiter IT im Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg, den Menschen in den Blick: “Das A und O der Verwaltung, dass sie funktioniert, sind die Personen. Da könne jetzt angesetzt und schnell losgelegt werden. Die Leute müssten durch geeignete Qualifizierungsmaßnahmen auf den Stand gebracht werden, sich mit den neuen Herausforderungen, die auf sie zukämen, auseinandersetzen zu können. Dabei dürfe nicht verkannt werden, welchen Einfluss die Führungskräfte hätten: “Auch die müssen in diesem neuen

Mindset, das wir gemeinsam generieren müssen, unterwegs sein und in ihre Organisation hineintragen”, so Rommel weiter. Auch Landrat Stefan Dallinger, Vorsitzender des Verbands Region Rhein-Neckar (VRRN), hält für die Zukunft fest: “Wir müssen viel stärker noch jetzt in unsere Verwaltungen hi­ neinschauen.” Digitalisierung müsse Chefsache sein. “Wenn es nicht von oben gewollt ist, wird es nicht gelingen”, so Dallinger. Der VRRN-Vorsitzende wünscht sich außerdem mehr Krisenmodus nach der Krise: “Wir müssen intern Strukturen schaffen, damit Digitalisierung nicht so nebenbei läuft und immer nur dann zufälligerweise umgesetzt wird, wenn der Kittel brennt, sondern dass Digitalisierung das gewünschte Zielbild ist, auf das wir hinarbeiten.”

Baden-Württemberg ist für die OZG-Felder Mobilität und Reisen zuständig. Somit entfallen acht EfA-Leistungen auf das Land. Fünf davon wurden bereits digitalisiert. Die anderen drei befänden sich noch im Digitalisierungslabor und würden voraussichtlich in den nächsten zwei bis vier Monaten fertigstellt, so Dr. Michael Zügel, Referatsleiter EGovernment, Open Government, Verwaltungsmodernisierung im Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg. Man hätte dann alle Leistungen, die BadenWürttemberg anbieten müsse, zur Nachnutzung bereitgestellt und würde die Frist im Jahr 2022 aller Voraussicht nach einhalten können, so Dr. Zügel. Er ergänzt jedoch: “Die eigentliche Kür besteht aber darin, die Leistungen, die wir entwickelt haben, den anderen Ländern verfügbar zu machen.“ Dies setze voraus, dass die Länder Interesse haben. Wer seinen neuen Wagen online zulassen möchte, kann dies bereits digital tun. Jedoch nur, wenn man Bürgerin oder Bürger

ist. Juristischen Personen bleibt diese Funktion bisher vorenthalten.

Service ausweiten Gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium arbeitet das Land Baden-Württemberg aktuell daran, den Service juristischen Personen zu ermöglichen. Für das Auto-Land ein logischer Schritt. Denn die großen Automobilhersteller äußerten seit Langem den Wunsch, ihre Zulassungen, die teilweise im Millionenbereich lägen, vollautomatisch erledigen zu können: Maschine zu Maschine – vollständig Ende zu Ende digitalisiert eben, so Dr. Zügel. Daran arbeite das Land derzeit. Andere digitale Leistungen im Bereich Mobilität und Reisen stünden ebenfalls noch auf der Agenda. Beispielsweise der Personenbeförderungsschein für Taxifahrergewerbe sowie der Parkausweis für Schwerbehinderte und Handwerker. Man wolle aber nicht nur die Themenfeldleistungen abliefern und sich dann zurückziehen, versi-

chert der Referatsleiter. So weit man mit der OZG-Umsetzung in Baden-Württemberg auch ist, der Weg zur digitalen Kommune ist weiter. Dr. Michael Zügel hält fest, man habe die Pflicht, das was man tue, noch bekannter zu machen und die Akzeptanz zu erhöhen. Das OZG habe zudem nur die Aufgabe, das Front-End zu digitalisieren und nicht die Backoffices, so Dr. Zügel weiter. Eventuell sei dies sogar noch wichtiger. Die Behörden müssten selbst dazu in die Lage versetzt werden, “das, was durch die neue Eingangstüre reinkommt, auch ordentlich zu behandeln”, gibt Zügel zu bedenken. Das bedeute also, Anfragen in die Fachverfahren einzuspeisen, und zwar direkt und nicht durch Ausdrucken und Abtippen. Das Bürgermeisteramt brauche ein Dokumentenmanagementsystem, die E-Akte und eine vernünftige Internetverbindung. “Da zählt vieles drauf ein, um sagen zu können, jetzt habe ich eine wirklich digitale Kommune, da ist mit dem OZG jetzt erst der erste Schritt getan.”


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / August 2021

“D

iese und viele weitere Szenarien lassen sich virtuell, aber realistisch durchspielen, wenn es gelingt, ein digitales Abbild Deutschlands zu schaffen”, sagt Prof. Dr. Paul Becker, Präsident des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie (BKG). Ein solches digitales Abbild soll der Digitale Zwilling Deutschlands werden. Das Konzept eines digitalen Zwillings ist nicht neu und in der Industrie schon seit einigen Jahren gut bekannt. Dort werden digitale Zwillinge z. B. als Designmodell für Produkte, Produktionsanlagen, Prozesse und Dienstleistungen genutzt. Vor dem eigentlichen Fertigungsprozess wird oft eine digitale Version eines Produkts “gebaut”, bevor es in der Realität tatsächlich hergestellt wird. Auch im Baugewerbe wurde dieses Potenzial bereits erkannt und findet immer häufiger Anwendung.

Konzept auf andere Entscheidungsprozesse übertragbar Ein ähnliches Konzept ließe sich auch auf viele andere Entscheidungsprozesse übertragen. Unzählige Faktoren müssen beispielsweise bei den Auswirkungen des Klimawandels, bei der Verkehrs- und Städteplanung

Digitaler Zwilling für ganz Deutschland Bundesamt für Kartographie und Geodäsie startet Projekt zur Umsetzung (BS/BKG) Welche Auswirkungen haben lange Trocken- und Hitzeperioden auf die Landschaft Deutschlands? Welche städtebaulichen Maßnahmen bewirken eine Verbesserung der Luftqualität, des Klimas und somit der Lebensqualität in urbanen Zentren? Was geschieht, wenn in Deutschland großflächig die Stromnetze ausfallen? Was passiert innerhalb der ersten Stunde und wie ist die Situation 24 Stunden später? Wie kann auf solche Ereignisse angemessen reagiert werden und wie lassen sich etwaige Handlungsalternativen testen und gegeneinander abwägen? Welche präventiven Maßnahmen könnten getroffen werden und wie effektiv wären diese? und im Energiesektor berücksichtigt werden. Entscheidungsträger können auf solche Herausforderungen oftmals nur reagieren, ohne die Auswirkungen ihrer Entscheidungen genau zu kennen. Abhilfe schaffen könnte hier der Einsatz eines digitalen Zwillings, z. B. einer Stadt, einer Region, eines Bundeslandes, eines Landes oder auch des gesamten Globus, denn er ermöglicht realitätsnahe Simulationen. Auf diese Weise könnten Zukunftsszenarien entwickelt und Zusammenhänge analysiert werden. Umsetzungen eines digitalen Zwillings findet man in Deutschland bislang nur vereinzelt, insbesondere für den kommunalen Bereich. Deshalb geht das BKG jetzt einen digitalen Zwilling für ganz Deutschland an und unterstreicht damit auch seine Rolle

weniger als 30 Zentimetern für ganz Deutschland. Geplant ist, dieses Modell in einem dreijährigen Zyklus zu aktualisieren, um auch Veränderungen in der Landschaft Deutschlands zu erkennen und abzubilden. Für die 3D-Befliegung wird der Zeitraum, in dem sich die Landschaft Deutschlands in belaubtem Vegetationszustand befindet, genutzt. Auf diese Weise können zusätzlich digitale Oberflächenund Geländemodelle für ganz Deutschland erstellt werden. Prof. Dr. Paul Becker ist seit April 2019 Präsident des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie (BKG). Foto: BS/BKG

als zentraler Geodatenvermittler des Bundes. “Mit diesem Vorhaben wollen wir einen wichtigen Baustein für die Entwicklung Deutschlands zu einem “Smart Country” liefern”, verdeutlicht

FIT-Connect Föderale Infrastruktur für Antragsdaten-Übermittlung (BS/Jörg Kremer) Die gesetzliche Frist für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) endet in knapp eineinhalb Jahren. Erfreulicherweise gehen nun immer wieder neue Online-Dienste produktiv, die nach dem “Einer-für-alle”-Prinzip (EfA-Prinzip) erstellt wurden. Die Geschwindigkeit muss noch zunehmen – und das wird sie sicherlich auch. Online-Dienste stellen die zentrale Anlaufstelle für Bürger/innen und Wirtschaft dar. Für ein bestimmtes Anliegen soll es in der Regel nur ein Verfahren geben – zumindest dann, wenn es sich um ein Anliegen handelt, das auf einer bundesgesetzlichen Regelung basiert. Bürger/-innen können über diesen zentralen Online-Dienst z. B. Antragsverfahren initiieren. Der Online-Dienst sendet die Antragsdaten inkl. eventueller Anlagen automatisch an die für dieses Verfahren zuständige Behörde. Das OZG, oder besser das EfA-Prinzip, verlangt also vielfältige länderübergreifende technische Kommunikationsbeziehungen.

Hohe Anforderungen an Online-Dienste Um dies leisten zu können, müsste jeder Online-Dienst alle Behörden in Deutschland kennen, die für das spezifische Anliegen zuständig sind. Jeder Online-Dienst müsste zudem auch unterschiedliche Zuständigkeitsregelungen in den Ländern kennen und stetig aktuell halten. Das bedeutet für Entwickler von Online-Diensten einen hohen Aufwand; nicht nur in der initialen Erstellung, sondern auch in der zukünftigen Pflege. Die FITKO hat sich dieses Problems angenommen und bereits im Jahr 2019 eine Lösungsskizze entworfen, die 2020 im Rahmen eines Proof of Concept erprobt wurde. Seit Februar 2021 setzen wir diesen Lösungsvorschlag im Auftrag des IT-Planungsrates im Rahmen des Projektes “FITConnect” um. Mit FIT-Connect wird eine föderale Infrastruktur zur Übermittlung von Antragsdaten zur Verfügung gestellt, die das Problem der Zustellung von Antragsdaten für die Entwickler von Online-Diensten löst und dabei einfach nutzbar ist: OnlineDienste müssen sich lediglich an eine definierte API anschließen. Eine ausführliche Dokumentation der Schnittstelle sowie ein Testportal stehen online zur Verfügung. Ein Self-Service-Portal befindet sich im Aufbau und wird in Kürze ebenfalls online gehen.

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Ländern vorgestellt. Da­raus resultierte die Bitte an die FITKO, exemplarisch zu zeigen, was ein Jörg Kremer leitet den Bereich Föderales IT-ArchitekturmaArchitekturmanagement, Projekte und Stannagement zur dards bei der FITKO (Föderale konkreten Lösung IT-Kooperation). Foto: BS/FITKO von Problemen, die im Zuge der OZG-Umsetzung entstehen, beitraFIT-Connect nutzt für die Zu- gen kann: Dies war die Geburtsständigkeitsermittlung bereits stunde von FIT-Connect. Die FITKO hat früh für ein födevorhandene Mechanismen, wie z. B. die Pflegekonzepte der Zu- rales IT-Architekturmanagement ständigkeitsfinder, und greift auf geworben. Mit FIT-Connect hat Informationen zu, die über das sie gezeigt, wie sich daraus konOnline-Gateway des Portalver- krete Lösungen ableiten lassen bundes zur Verfügung stehen. und ein gutes Beispiel gegeben, Auch vorhandene Schnittstel- wie aus strategischen Instrumenlenstandards (XZuFi und XFall) ten operativ nutzbare Lösungen und weitere Komponenten der entstehen können. Um die zukünftigen Herausforföderalen Architektur (FIM, DVDV) werden genutzt. Damit derungen bewältigen zu können, baut FIT-Connect auf der vorhan- müssen wir noch einen Schritt denen föderalen IT-Infrastruktur weitergehen: Wir benötigen eine auf und ergänzt diese um eine HochgeschwindigkeitsarchitekFunktion, die der Geschwindig- tur. Wir müssen zukünftig in keit Rechnung trägt, die wir für der Lage sein, uns schnell an die OZG-Umsetzung benötigen. neue Anforderungen anpassen zu Im September werden sich die können. Flüchtlings- und Coroersten Online-Dienste an FIT- na-Krise sind nur zwei EreignisConnect anschließen. Darunter se, die uns deutlich zeigen, wie das Wirtschaftsserviceportal von schnell Veränderungen zukünftig Nordrhein-Westfalen sowie der gemanagt werden müssen. sog. Universalprozess des Landes Baden-Württemberg. Weitere Lernen, zu hinterfragen Verfahren werden im Laufe des Neben den technischen ÄndeHerbstes hinzukommen. rungen gehören aber auch VerDie Bereitstellung einer Infra- änderungen auf der Prozessebene struktur zur Übermittlung von und auf der organisatorischen Antragsdaten ist nur ein Ein- Ebene dazu. Wir müssen lersatzszenario von FIT-Connect; nen, alles zu hinterfragen. Das weitere Szenarien sind durchaus bedeutet nicht, dass zwingend alles verändert werden muss. denkbar. Aber wir sollten den Mut haben, Gestaltung der föderalen Bestehendes immer wieder zu IT-Architektur prüfen – mit dem Ziel, zu noch Die Idee zu FIT-Connect besseren Lösungen zu kommen. Dies muss durch ein strategientsprang einer Diskussion innerhalb des Architektur- sches, föderales IT-Architekturmanagements der FITKO. Aus- management gesteuert werden, gangspunkt waren Überlegungen bei dem weniger Partikularinterzur zukünftigen Gestaltung der essen, sondern gute Lösungen im föderalen IT-Architektur, die zum Vordergrund stehen. Das Projekt Plattformansatz als mögliche FIT-Connect zeigt, dass dies mögLösung führten. Die daran an- lich ist. Diesen Weg muss die föknüpfende Idee einer Plattform- derale Gemeinschaft konsequent architektur wurde der Runde der weiterverfolgen. Die gemeinsame für Digitalisierung zuständigen Umsetzung des OZG liefert dazu Abteilungsleiter aus Bund und eine gute Basis.

Prof. Becker. Auch die Europäische Kommission (EK) hat die Potenziale eines digitalen Zwilling erkannt und im Jahr 2021 mit “Destination Earth” (DestinE) eine Initiative gestartet, mit der sie die Erde digital abbilden will. Ziel ist es, in den nächsten zehn Jahren ein hochpräzises digitales Modell der Erde zur Überwachung und Simulation von natürlichen und menschlichen Aktivitäten bereitzustellen. Das BKG beabsichtigt, diese Initiative der EK mit dem digitalen Zwilling Deutschlands zu ergänzen – mit einem Fokus auf sehr hohe Auflösungen. Herzstück des digitalen Zwillings von Deutschland soll ein hochpräzises 3D-Modell auf Basis modernster luftgestützter Laserscan-Technologie sein. Angestrebt ist eine Auflösung von

Grunddatenbestand wird angereichert In einem zweiten Schritt wird dieser Grunddatenbestand mit unterschiedlichsten Informationsebenen angereichert, beispielsweise zu Klima, Infrastruktur, Landwirtschaft, Verkehrsströmen oder aktuellen Satellitenbildern. Diese zusätzlichen Informationen werden über die virtuelle 3D-Welt gelegt. Im Zusammenspiel mit weiteren hochaktuellen digitalen Technologien und Methoden, wie

dem “Internet der Dinge” (IoT), “Künstlicher Intelligenz” (KI), “Cloud Computing” oder “Big Data Analytics” und modernen Visualisierungstechniken, bieten sich zunehmend mehr Möglichkeiten im Geoinformationsbereich. Prof. Becker konkretisiert: “Das gesamte Informationsmodell wird hochdynamisch ausgelegt, einschließlich einer Messsensorik für Echtzeitdaten. Im Ergebnis entsteht ein hochkomplexes Modell unseres Landes.” Mit diesem lassen sich u. a. die am Anfang dieses Artikels gestellten Fragen und vieles mehr beantworten.

Tests im Rahmen eines Demonstrationsprojektes Bevor es allerdings so weit ist, werden am BKG wichtige, hierfür notwendige Prozesse und Abläufe im Rahmen eines Demonstrationsprojekts anhand einer Beispielregion getestet. Gemeinsam mit dem Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung der Freien und Hansestadt Hamburg sowie der Metropolregion Hamburg erarbeitet das BKG derzeit Umsetzungsmöglichkeiten mit relevanten Technologien, Methoden und Daten. Außerdem werden Kommunikationswege und -netzwerke mit weiteren Kooperationspartnern in Bund und Ländern aufgebaut und etabliert. Ziel des Demonstrationsvorhabens ist es, die Machbarkeit eines digitalen Zwillings für Deutschland aufzuzeigen.

Deutschlands digitaler Zwilling (BS) Prof. Dr. Paul Becker ist Teil einer Online-Diskussionsrunde zum Thema “Deutschlands digitaler Zwilling”, die, moderiert durch Staatssekretär a. D. Fritz Rudolf Körper, am 23. August 2021 auf Digitaler Staat Online durchgeführt wird. Weitere Informationen und eine kostenfreie Anmeldemöglichkeit unter: www.digitaler-staat.online


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / August 2021

Digitale Dekade

VIP gestartet

Verwaltung 4.0 als Jahrhundertreform

Mehr Transparenz – bessere Nutzung

(BS/Wilfried Kruse*) Man spürt es besonders nach den Erfahrungen und anstehenden (Dauer-) Herausforderungen aus der Pandemie: Die öffentliche Verwaltung muss sich in großen Qualitätsschritten weiterentwickeln und sich neuen, dauerhaft anderen Lebensumständen stellen. Die Verwaltungen in Deutschland, in NRW, in den Kommunen brauchen eine “Revolution” so hört man aus berufenem Munde z. B. vom Fraktionsvorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus. “Wir brauchen eine Jahrhundertreform” so war er in der Presse vor wenigen Wochen zu vernehmen.

(BS/Christian Zipse*) Bisher gab es keinen Überblick darüber, an welcher Stelle welche Daten in welcher Form durch öffentliche Institutionen vorgehalten werden. Mit der Verwaltungsdaten-Informationsplattform (VIP) des Statistischen Bundesamts steht erstmalig eine Gesamtübersicht zu den Datenbeständen der deutschen Verwaltung zur Verfügung. Dadurch sollen Transparenz und effiziente Nutzung dieser Bestände Ralph Brinkhaus nannte fünf digital werden, so der Unions- 4.0” entworfenen Rubrum der Katastrophenmanagement in möglich werden. Felder, in denen eine umfassende Modernisierung erforderlich sei: Verwaltung, Digitalisierung, Bund-Länder-Kooperation, Bildungssystem und Katastrophenschutz. Der Reformprozess müsse nach der Bundestagswahl in diesem Jahr ein maßgeblicher Bestandteil der Koalitionsverhandlungen werden, forderte er mit besonderer Betonung: “Ich will den Föderalismus gar nicht infrage stellen. Trotzdem müssen wir schauen, ob er noch überall effizient ist. Deutschland sei nicht darauf vorbereitet, auf Krisen schnell, flexibel und einheitlich zu reagieren. Es gibt nahezu keine Notstandsgesetzgebung für zivile Krisen. Es gibt keine schnell aktivierbaren gemeinsamen Bund-LänderKommunal-Krisenstäbe.” Auch das Bildungssystem müsse

fraktionsvorsitzende: “Es macht keinen Sinn, die Digitalisierung der Schulen den 16 Bundesländern und 16 Datenschutzbeauftragten jeweils individuell zu überlassen. So kommen wir nicht voran.” Antworten auf diese zentralen Zukunftsfragen einer “Jahrhundertreform” unter dem von IVM² bereits nach der CeBIT 2013 in Korrespondenz zur “Industrie

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 10. November 2021 ONLINE-EVENT www.e-nrw.info

“Verwaltung 4.0” soll es konsequenterweise wiederum und in neuer Qualität auf e-nrw am 10.11.2021 geben. NRW Digitalminister Prof. Andreas Pinkwart als Eröffnungsredner wird sicher auch zu seinen acht Entfesselungspaketen im digitalen Zeitalter berichten, u. a. mit dem ambitionierten Ziel “One rule in, one rule out”. NRWCIO Prof. Dr. Andreas MayerFalcke wird über sein erstes Jahr als Mitglied des IT-Planungsrates sicher über eigene Erfahrungen und neue Impulse berichten. Staatssekretär Mathias Richter wird aus dem NRW-Schulministerium einen weiten Blick auf die Digitalisierung von Schulen und Bildung werfen. Über Konsequenzen der Covid 19-Pandemie als digitaler Entwicklungsschub für Krisen-, Gesundheits- und

NRW werden Stefan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg, und Peter Lauwe, Referatsleiter im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, berichten. Ist NRW also schon auf dem Weg in den brinkhausschen fünf Feldern und Schwerpunkten – zur Verwaltung 4.0 in Land und Kommunen? “e-nrw” als langjähriger digitaler Leitkongress verspricht nach der Bundestagswahl im September in diesem Jahr ein besonders spannendes Zukunftsforum zu werden.

* Wilfried Kruse, geschäftsführender Gesellschafter IVM² ist fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses “enrw”. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.e-nrw. info

E-TRAINING: Erfolgreiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Behörden

Dieses E-Training greift die Grundlagen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf und beleuchtet die einzelnen Facetten. Es orientiert sich an den praktischen Fragestellungen der Teilnehmenden und gibt Werkzeuge für eine erfolgreiche Gestaltung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an die Hand. Zusätzlich ermöglicht es den Erfahrungsaustausch der Teilnehmenden.

Teil 1: Grundlagen und Rahmenbedingungen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: 02.09.2021, 10:00-13:00 Uhr, 10:00-13:00 Uhr • Rechtliche Grundlagen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland • Aufgaben, Ziele und Instrumente der PR • Erwartungen an PR: Von der Pflichterfüllung zur Imagebildung • Praktische Fragestellungen der Teilnehmenden

Die öffentliche Verwaltung ist in vielen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens allgegenwärtig. Von Aufsichtsfunktionen bis hin zu der Gewährung von Leistungen wird ein breites Spektrum bedient. Grundlage der meisten Prozesse sind Daten, die in diesem Kontext gemeldet, übermittelt oder abgerufen werden müssen. Die Verwaltung hat beim Umgang mit diesen Daten gegensätzliche Ziele zu verfolgen: Einerseits sind aktuelle und vollständige Datenbestände für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben notwendig, andererseits sollen Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen mit der dazugehörigen Bürokratie nicht belastet werden. Die amtliche Statistik befindet sich in einem ähnlichen Zwiespalt. Der Anspruch an die Güte und Aktualität ihrer Produkte steigt, gleichzeitig soll jedoch auf Erhebungen der Daten bei den Betroffenen möglichst verzichtet werden. Den statistischen Ämtern hat der Gesetzgeber bereits vorgeschrieben, die vermehrte Nutzung vorhandener Verwaltungsdaten für die Statistik zu prüfen. Dazu gehört die Qualität der Daten oder die Zugriffsmöglichkeiten darauf. Bevor ein solcher Prüfprozess eingeleitet werden kann, bedarf es jedoch eines detaillierten Wissens über den Datenbestand bei öffentlichen Stellen. An diesem Punkt soll die Verwaltungsdaten-Informationsplattform (VIP) ansetzen. Ihr Kern sind redaktionell aufbereitete Einträge zu den Inhalten von Registern, Katastern oder anderen Datenbeständen, deren Führung bundesgesetzlich vorgeschrieben ist. Wer sich in der VIP umschaut, findet beispielsweise Informationen zur Zielsetzung, Rechtsgrundlage und eventuelle Zugriffsberechtigungen anderer Stellen. Zusätzlich enthalten diese Einträge eine Übersicht der im jeweiligen Datenbestand erfassten Merkmale. Dabei wird jedoch zu keinem Zeitpunkt auf Einzeldaten zugegriffen. Es erfolgt ausschließlich eine Beschreibung der Merkmale selbst. Diese Übersicht

zessive mit registerführenden oder anderen fachlich betrauten Stellen abgestimmt. Grundlage hierfür bildet § 5a im Bundesstatistikgesetz, welcher dem Bundesamt diese Aufgabe überträgt.

“Ein Wiki für Verwaltungsdaten” Durch die öffentliche Verfügbarkeit dieses Nachschlagewerks der deutschen Registerlandschaft geht der Nutzen jedoch weit über die amtliche Statistik hinaus. Neben der Wissenschaft, die Daten für Forschungszwecke sucht, sind es sicherlich die Verwaltungsmodernisierer, die sich für die VIP interessieren werden. Denn eine bessere Nutzung vorhandener Daten führt zu effizienteren Prozessen. Im optimalen Fall müssen Daten nur einmal gemeldet werden und finden anschließend mehrfach Verwendung, das “Once-OnlyPrinzip”. Die für die Mehrfachverwendung notwendige Vernetzung sieht parallel das Registermodernisierungsgesetz vor. Neben der Optimierung des Bestands kann ein Baustein wie die VIP aber auch helfen, in Zukunft ineffiziente Verfahren schon im Ansatz zu vermeiden. Denn in kommenden Gesetzen und Verordnungen können immer wieder neue Datenbedarfe entstehen, die neue Melde- oder Nachweispflichten schaffen. Würde die VIP in diesen Fällen systematisch konsultiert, ließe sich bereits bei der Planung von Vorhaben prüfen, ob sich entstehende Datenbedarfe mit bereits vorhandenen Beständen decken lassen. Und dies gilt über alle Bundesrechtsbereiche hinweg, von der sozialen Teilhabe bis zur Unternehmensförderung, um nur zwei Beispiele zu nennen. Für einen modernen, digitalen Staat ist es entscheidend, Transparenz darüber zu schaffen, welche Daten in seinem Auftrag erfasst werden. Dieses Wissen ist momentan noch häufig verteilt über verschiedenste Informationsangebote und Gesetzestexte. Die neue VIP bietet hier ähnlich einem “Wiki” fachlich abgestimmte Infotexte an einer zentralen Adresse. Und ähnlich breit ist die Nutzungsvielfalt.

Teil 2: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der Praxis 13.-14.10.2021, jeweils 09:00-12:00 Uhr und 13:00-16:00 Uhr • Erfolgreiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit planen und umsetzen: Worauf kommt es an? • Konzepterstellung für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – mit Praxisteil zum Konzept für die eigene Behörde • Alles nur noch social? Social Media und Behörden • Zeitung, Hörfunk, Fernsehen: In Interviews bestehen • Praxisworkshop: Interviewtraining (Hinweis: Für das Interviewtraining werden mit den Teilnehmenden jeweils Online-Interviews vorab individuell abgestimmt und aufgezeichnet, die dann im Rahmen des Trainings besprochen werden.)

Teil 3: Vertiefung und Follow-Up 04.11.2021, 10:00-13:00 Uhr • Welche Erfahrungen haben die Teilnehmenden seit dem Beginn des Trainings bereits gemacht? • Welche Fragen sind dabei aufgetaucht? • Trainerinnen-Impuls: „Storytelling“ für Behörden • Praxis-Coaching der Trainerin

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de; Suchworte „Presse“ Foto: ©Milan, stock.adobe.com

wird um die jeweiligen Datenquellen sowie Angaben zur Aktualität dieser Merkmale ergänzt. Hierdurch soll eine frühzeitige Einschätzung einer potenziellen Nutzbarkeit erleichtert werden. Zur Navigation durch diese Einträge bietet die VIP eine Suchfunktion mit verschiedenen Filteroptionen. So können etwa nur bestimmte thematische Bereiche durchsucht oder gezielt nach spezifischen Merkmalen gesucht werden. Es lässt sich zum Beispiel bei der Handelsregisternummer schnell recherchieren, in welchen Beständen abgesehen vom Handelsregister diese Nummer noch geführt wird. Im Statistischen Bundesamt werden diese Informationen zusammengetragen und, um die Korrektheit und Aktualität der Angaben zu gewährleisten, suk-

Die VIP ist als Plattform konzipiert und soll im beidseitigen Austausch mit Nutzerinnen und Nutzern kontinuierlich in Umfang sowie inhaltlicher Tiefe über die Zeit anwachsen. Verschiedene Erweiterungen, beispielsweise im Kontext von Open Data, werden geprüft. Mit den bis Ende 2022 umzusetzenden OZG-Leistungen sowie dem anlaufenden Großprojekt der Registermodernisierung scheint ein guter Zeitpunkt für eine detaillierte Bestandsaufnahme gekommen zu sein. Unter www.verwaltungsdaten-info.de ist die VIP seit Ende Juli der Öffentlichkeit zugänglich. * Christian Zipse ist Referatsleiter I 11 (VerwaltungsdatenInformationsplattform) beim Statistischen Bundesamt.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / August 2021

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aten sind im digitalen Zeitalter zur Schlüsselressource für gesellschaftliche Teilhabe, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, für den Schutz von Klima und Umwelt sowie staatliches Handeln geworden. Die verantwortungsvolle Bereitstellung von hochwertigen amtlichen Daten, die weiterverwendet werden können, bieten enormes Innovationspotenzial für Staat und Gesellschaft. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, werden im Statistischen Bundesamt mit der Weiterentwicklung zum digitalen Datenmanager neue richtungsweisende Rollen und Ziele angestrebt. Mit dem Selbstverständnis als digitaler Datenmanager wird das Statistische Bundesamt das volle Potenzial des Datenökosystems in Deutschland ausschöpfen. Es baut auf jahrelanger Erfahrung als zuverlässiger Statistikproduzent auf und steigert gleichzeitig die Relevanz amtlicher Daten. Als digitaler Datenmanager kann das Statistische Bundesamt künftig noch aktuellere und bessere Statistiken für die Entscheidungsund Meinungsfindung in Politik und Gesellschaft anbieten.

Optimierung der Daten­ nutzung Mit Mehrfachnutzung von Daten, dem Once-Only-Prinzip und Open-Data-Zugängen werden Nachhaltigkeit und Effizienz der Datennutzung weiter optimiert, die Standortvorteile für Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland bedeuten. Dazu gehören auch die Möglichkeiten durch die Registermodernisierung in Deutschland. Die Transformation zum digitalen Datenmanager hat das Statistische Bundesamt bereits in der aktuellen Legislaturperiode mit einer Reihe von Projekten auf den Weg gebracht. Um die Reichweite der amtlichen Statistik und damit den Zugang zu faktenbasierten Informationen zu verbessern, entwickelt das Statistische Bundesamt kontinuierlich die nutzungsfreundliche und auf UX (User Experience) basierte Bereitstellung von Informationen weiter. Kundengerechte Informationsangebote sind ständig in Entwicklung, um Nutzerinnen und Nutzer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft noch passgenauere Angebote bereitstellen zu können. Dabei ist die Entwicklung von Dashboards für Nutzerinnen und Nutzer, die ein aktuelles und kompaktes Angebot benötigen, von zentraler Bedeutung: Durch Dashboards lassen sich kontextbezogene Analysen

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Auf dem Weg zum digitalen Datenmanager

auch eine entsprechende Berücksichtigung von Mitteln im Bundeshaushalt eine entscheidende Rolle. Denn im Wettbewerb um die klügsten Köpfe muss der Öffentliche Dienst auch finanziell mit (BS/Dr. Georg Thiel) Als zuverlässiger Statistikproduzent leistet das Statistische Bundesamt einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Willens­ privatwirtschaftlichen Arbeitgebildung in Deutschland. Digitalisierung, Big Data und neue Akteure stellen die amtliche Statistik vor neue Herausforderungen. bern mithalten können. Auch die Datenkompetenz oder Data Literacy bei unseren Dr. Georg Thiel ist Präsident des Statistischen BundesNutzerinnen und amtes. Nutzern gilt es weiterhin zu fördern. Foto: BS/Statistisches Bundesamt Neue Formate wie digitale Lernplattformen oder Seminare können so das Verständnis im Umgang mit serung unserer IT-Infrastruktur Zahlen schärfen und die Fähigkeit sein. Nur so können neue digi- fördern, individuell Wertschöpfung tale Methoden optimal Eingang aus Daten ziehen zu können. in die amtliche Statistik finden, und beispielsweise der Einsatz Mammutaufgabe Registerzensus Künstlicher Intelligenz (KI) für statistische Produktionsprozesse Als Zukunftsprojekt wird in den verstärkt werden. Ebenfalls wird kommenden Jahren der Regisdie verstärkte Nutzung von digita- terzensus eine Mammutaufgabe len Daten – wie Mobilfunkdaten, für die amtliche Statistik sein. Satellitendaten oder Plattformda- Die vollständige Umsetzung des ten – in der amtlichen Statistik Registerzensus erstreckt sich über durch Investitionen in unsere IT- einen Zeitraum von mehr als zehn Infrastruktur ermöglicht. Dadurch Jahren. Der erste große Meilenlassen sich sowohl Aktualitäts- als stein besteht aus der registerbaauch Qualitätsgewinne für amtli- sierten Bereitstellung geokodierter Bevölkerungszahlen ab 2024. Bis che Daten erzielen. Ein weiterer bedeutender Schritt 2031 sollen alle Zensusmerkmale in Richtung eines digitalen Da- – beispielsweise aus den Bereitenmanagers liegt im Ausbau chen Arbeitsmarkt und Bildung der rechtlichen Grundlagen der oder Haushalte und Familien – amtlichen Statistik auf Basis des registerbasiert ermittelt werden. bestehenden Rechtsrahmens. Die- Dafür müssen in den kommenser ist in Teilen und im Hinblick den Jahren bestehende Register auf die Nutzung von neuen digi- weiter ertüchtigt, neue Register talen Daten einengend, Bedarfe wie ein Gebäude- und Wohnungskönnen nicht schnell und flexi- register oder ein Bildungsregis Grafiken: BS/Destatis, 2021 bel genug gedeckt werden. Einen ter aufgebaut und ein modernes Schritt in diese Richtung könnte statistisches Produktionssystem und individuelle Visualisierun- unterschiedlichen Registerquel- reduziert und Bürgerinnen und ein Datenmanagementgesetz in konzipiert werden. Dabei werden gen bereitstellen, beispielsweise len Deutschlands. Die VIP ist ein Bürger durch den Wegfall von Be- der kommenden Legislaturperiode höchste Datenschutzstandards im Dashboard Deutschland oder wichtiger Baustein zur Umsetzung fragungen spürbar entlastet. Aus- ermöglichen, mit einer gesetzlichen von Anfang an mitgedacht, zum im Analyticboard Steuern und des Once-Only-Prinzips und trägt wertungen hängen nicht mehr von Grundlage für die Datentrans- Beispiel über strenge ZugriffsbeFinanzen (SteFi). somit zur Entlastung von Aus- Zensuszyklen ab, sondern können parenzstelle, deren Einrichtung schränkungen und hochmoderne kunftgebenden bei. Die Plattform in kürzeren Abständen vorgenom- durch die Datenstrategie der Bun- Verschlüsselungstechniken. Steigerung der Daten­ Ebenfalls in der kommenden steht auch für die Zwecke der Po- men werden. Durch den neuen desregierung an das Statistische transparenz litik und Verwaltung insgesamt gesetzlichen Rahmen lassen sich Bundesamt in Auftrag gegeben Legislaturperiode umzusetzen ist Die Steigerung der Datentrans- zur Verfügung und fördert so die Verwaltungsdaten datenschutz- wurde. Mit einem eigenen For- das Basisregister für Unternehparenz kann als weiterer Meilen- Standardisierung und Mehrfach- konform und registerübergreifend schungsauftrag könnten Daten der mensstammdaten. Das Vorhaben stein gesehen werden, um der verwendung von Datenbeständen. verknüpfen. Davon profitiert neben amtlichen Statistik beispielsweise ist ebenfalls Teil der Strategie der Rolle als Datenmanager auch in In ähnlicher Form sollen künftig dem Registerzensus die gesamte für kontextbezogene Analysen ver- Bundesregierung, die Registerlandschaft in Deutschland zu moderZukunft gerecht zu werden. So auch Informationen zu weiteren Verwaltung, weil bereits in Regis- wendet werden. nisieren. Es wird Unternehmen, soll ein zentraler Überblick für Datenquellen (z.B. nicht amtli- tern gespeicherte Angaben und Wirtschaft und Verwaltung durch Nutzerinnen und Nutzer geschaf- che Daten) transparent dargestellt Nachweise von Bürgerinnen und Ausbau der Datenkompetenz fen werden, die Daten zu einem werden. Bürgern nicht immer wieder aufs Auch der Ausbau von Datenkom- die Ermöglichung des Once-Onlybestimmten Thema suchen. Das Ein weiterer Meilenstein in der Neue vorgelegt werden müssen. petenz in der Verwaltung – aber Prinzips spürbar entlasten. Mit diesen und weiteren Projekten Statistische Bundesamt baut zu Weiterentwicklung zum digitalen auch bei unseren Nutzerinnen diesem Zweck derzeit eine digi- Datenmanager ist die Schaffung Verbesserung der IT-Infra­ und Nutzern – wird uns auf dem haben wir die Transformation zum struktur tale Anlaufstelle über verfügbare erster Grundlagen für den ReWeg zum digitalen Datenmanager digitalen Datenmanager bereits amtliche Daten auf, die Verwal- gisterzensus. Mit dem Umstieg Die Planungen für die Weiterent- beschäftigen. Im Hinblick auf un- vorangetrieben. Schneller, aktueller tungsdateninformationsplattform, auf den Registerzensus werden wicklung zum digitalen Datenma- sere eigene Datenkompetenz gilt und genauer durch registerbasierte kurz VIP. Die VIP liefert Metada- künftig alle Zensusmerkmale aus nager sind bereits in vollem Gang. es digitale Kompetenzen in Stel- Auswertungen und digitales Datenteninformationen über alle vor- Registern und ergänzenden Daten- Ein wesentlicher Bestandteil wird lenbesetzungsverfahren weiterhin management – das bleibt das Credo handenen amtlichen Daten aus quellen bezogen, Kosten langfristig dabei die konsequente Verbes- zu fokussieren. Dabei spielt aber des Statistischen Bundesamtes.

Die Weiterentwicklung des Statistischen Bundesamtes

KIEL

NORDL@NDERDIGITAL Verwaltung der Zukunft in SH, HH, HB, MV, NI

SCHWERIN HAMBURG BREMEN

23. SEPTEMBER 2021 | ONLINE-EVENT www.nordlaender-digital.de | #diginordland Eine Veranstaltung des:

HANNOVER


Informationstechnologie

Seite 32

Behörden Spiegel / August 2021

Zukunftssicher mit 6-GHz-WLAN

Netzwerk für digitale Aufklärung

Steigender Bedarf an Bandbreite und Stabilität

Agiles Projekt bündelt KI-gestützt Informationen der Bundesregierung

(BS/Katja Herzog) Mit der zunehmenden Nutzung von WLANs, beschleunigt durch den Digitalpakt und das Krankenhauszukunftsgesetz, sowie dem Einfluss der Corona-Pandemie steigt der Bedarf an Bandbreite und stabiler Nutzbarkeit dieser mobilen Netzwerktechnologie. Das betrifft nun auch die öffentliche Verwaltung. Denn ob hybride Arbeitsplätze, steigende Benutzerdichte oder bandbreitenintensive Anwendungen – zuverlässiges und leistungsstarkes WLAN wird heute mehr denn je benötigt.

(BS/Guido Gehrt) Anfang August wurde auf den Seiten der Bundesregierung eine neue Suchmaschine gelauncht, die Informationen erstmalig ministerienübergreifend zur Verfügung stellt: das Netzwerk für digitale Aufklärung. Durch automatisierte Bündelung der Inhalte der beteiligten Ressort-Webseiten und die KI-gestützte Aufwertung der jeweiligen Beiträge werden diese durchsuchbar und können nach relevanten Themen und Textarten gefiltert werden.

“Durch den steigenden Bedarf reicht jedoch das bisherige Spektrum des 2,4-GHz- und des 5-GHz-Bereichs nicht mehr aus”, erklärt Axel Simon, Chief Technologist bei Aruba, einem Unternehmen der Hewlett Packard Enterprise. “Für die zukünftige digitale Autobahn müssen mehr Kanäle mit größerer Breite verfügbar sein. Daher war es an der Zeit, ein drittes Frequenzband – 6 Ghz – für WLAN zu schaffen. Und wir sind sehr stolz darauf, der erste Anbieter zu sein, der Wi-Fi-6ELösungen für Unternehmen auf den Markt bringt.”

Nachhaltigkeit, Flexibilität und Anwendungssicherheit Für unsere Kunden ist uns Nachhaltigkeit, Flexibilität und Anwendungssicherheit das Grundanliegen. Daher ist Aruba, ein Unternehmen der Hewlett Packard Enterprise, in zahlreichen Standardisierungsorganisationen und Gremien zur Frequenzvergabe aktiv und von Anfang an ein starker Befürworter von 6 GHz gewesen. Denn nur durch diese Erweiterung kann der öffentliche Sektor mit einer leistungsstarken und sicheren Netzwerklösung seine Digitalisierung weiter vorantreiben.

unlizenzierte Nutzung dar. Mit der Einführung von WiFi 6E erhält die WLAN-Technologie ein globales regulatorisches Update mit Accesspoints, die nun drei Frequenzbänder zur Verfügung stellen. Die Wi-Fi-6E-Access-Points der neuen Serie 630 von Aruba vereinen dabei als erste alle drei WLAN-Bänder in einem Access Point. Ferner Katja Herzog ist Sales Direcsorgt der eingetor Public Sector bei Aruba, baute Ultra-Trieinem Unternehmen der band-Filter für Hewlett Packard Enterprise. Foto: BS/Aruba Bandbreitengewinn, zwei pa­ ra­llel betriebene Ethernet-Ports garantieren AusBandbreite und geringer Latenz fallsicherheit und sichern die störungsfrei genutzt werden.” essenzielle Stromversorgung. Mit einem nahtlosen und leistungsstarken WLAN-Empfang Meilenstein für die nächste WLAN-Generation in allen öffentlichen Einrichtungen können sich Mitarbeitende Wir von Aruba sind stolz darauf, dann auf ihre Aufgabenbereiche ein weiteres Mal einen professifokussieren und so ihr volles onellen Access Point der neuen Potenzial ausschöpfen – denn zukunftsweisenden WLAN-Geder Wunsch nach allgegenwär- neration als erster Hersteller auf tiger drahtloser Konnektivität den Markt gebracht zu haben. ist grenzenlos. Die Zuweisung des 6-GHzWeitere Informationen zum AnBandes stellt dabei die größte gebot von Aruba stehen unter Einzelzuweisung von Frequen- www.arubanetworks.com zur zen in der Geschichte für die Verfügung. “Wi-Fi 6E wird Behörden, Schulen und Krankenhäusern dabei helfen, wichtige Aktivitäten wie Videokonferenzen, Telemedizin und Fernunterricht besser zu unterstützen”, sagt Simon. “Denn nur mit Wi-Fi 6E können Dienste und Anwendungen mit maximaler

Ziel des Vorhabens ist es, die vorhandenen Informationen der Regierungsbehörden schnell und einfach zur Verfügung zu stellen und damit eine zentrale Anlaufstelle für Interessierte aus Verwaltung und Bevölkerung zu schaffen. Das Netzwerk für digitale Aufklärung ist ein Projekt der Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, in Zusammenarbeit mit dem Bundespresseamt, der init AG sowie der CoVerified GmbH. Die CoVerified GmbH ist ein Start-up, das 2020 im Zuge des #WirVsVirusHackathons der Bundesregierung entstanden ist.

Bestehende Silos aufbrechen Staatsministerin Bär erklärte hierzu gegenüber dem Behörden Spiegel: “Das Online-Informationsangebot staatlicher Institutionen ist bislang stark fragmentiert. Mit dem Netzwerk für digitale Aufklärung schaffen wir ein Angebot, welches bestehende Silos aufbricht und Informationen der Bundesregierung über die Suchmaschine erstmals ministerienübergreifend, leicht auffindbar und transparent zur Verfügung stellt. Es freut mich sehr, dass mit der CoVerified GmbH ein Start-up, das im Zuge des #WirVsVirus-Hackathons der Bundesregierung entstanden ist,

in dieses Projekt involviert ist. Hier zeigt sich zudem der nachhaltige Erfolg des Hackathons der Bundesregierung.” An der ersten Phase der Pilotierung nehmen das Bundespresseamt (BPA), das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI), das Auswärtige Amt (AA) und die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) teil. “Das Projekt zeigt, dass sich in der öffentlichen Verwaltung innovative Vorhaben binnen kurzer Zeit agil, einfach und rasch realisieren lassen. Es ist im Sinne eines transparenten Regierungshandelns wichtig, dass der Bürgerin und dem Bürger Informationen über die Arbeit der Bundesregierung leicht zugänglich sind. Wichtig zur Realisierung eines solchen Projektes ist es, Mut zu haben, schnell in die Umsetzung zu gehen und sich in unsere Bürger hineinzuversetzen – ihnen sind Zuständigkeiten egal, sie wollen, dass es funktioniert”, so Staatsministerin Bär. Nach dem Live-Gang soll der Pilot nun weiterentwickelt werden. Zur Verbesserung sollen auch die Rückmeldungen der Nutzerinnen und Nutzer beitragen. Denn die sogenannte User Experience, das Erlebnis der Nutzenden in der Interak-

tion mit dem Produkt, ist ein wichtiger Baustein im Rahmen der Produktentwicklung. “Wir freuen uns über das Feedback der Nutzerinnen und Nutzer. Dieses wird natürlich in die permanente Verbesserung und Weiterentwicklung des Angebotes einfließen, das auch sukzessive um weitere Ressorts ergänzt wird“, führt Bär aus.

Kein Mehraufwand für die beteiligten Ressorts Technisch gesehen durchforstet ein Crawler-Service zweimal täglich die Webseiten der teilnehmenden Ressorts nach relevanten Inhalten. Die vorhandenen Beiträge werden automatisiert ausgewertet und analysiert und die so gewonnenen Informationen anschließend KI-gestützt qualifiziert. Hierbei werden den Inhalten Schlagworte zugeordnet, um sie später durchsuchen und nach Themenbereichen filtern zu können. Sämtliche Daten werden nun in der Datenbank gebündelt, von der aus sie bei jeder Suchanfrage mittels Schnittstelle zielgerichtet bereitgestellt werden. Durch die automatisierte Verarbeitung soll für die Ressorts kein zusätzlicher Aufwand entstehen, es sollen vielmehr Synergien zwischen Regierungsinstitutionen geschaffen werden.

Die Parteien zur Bundestagswahl 2021

Open Source und Breitbandausbau Fachpolitiker zur Informationstechnologie

Informationstechnologie

?

Streben Sie eine Pflicht zur Nutzung von OpenSource-Software in der öffentlichen Verwaltung an, um unter anderem die Nutzung datenschutzrechtlich problematischer, proprietärer Lösungen zu vermeiden?

?

Welche Ziele bezüglich Zeitplanung und Verfügbarkeit wollen Sie beim Breitband- und 5G-Mobilfunkausbau setzen?

CDU / CSU

SPD

AfD

FDP

Linke

Grüne

Tankred Schipanski, digitalpolitischer Sprecher

Dr. Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher

Joana Cotar, digitalpolitische Sprecherin

Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher

Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin

Tabea Rößner, netzpolitische Sprecherin

Die öffentliche Verwaltung sollte nicht von wenigen (außereuropäischen) SoftwareAnbietern abhängig sein. Mehr Open-Source-Software und vor allem mehr offene Standards in der öffentlichen Verwaltung sind daher aus meiner Sicht dringend notwendig. Um dieses Ziel zu erreichen, können wir vor allem die Nachfragemacht des Staates nutzen – Stichwort Vergabekriterien.

Unser Ziel ist, dass alle Verwaltungsleistungen möglichst schnell auch digital verfügbar sind. Öffentlich finanzierte Software sollte, wo möglich, als Open Source transparent entwickelt und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dabei wollen wir den Mehrwert eines jederzeit überprüfbaren und veränderbaren offenen Codes noch viel stärker herausstellen. Auch ist es das erklärte Ziel, bestehende Abhängigkeiten abzubauen und deutsche und europäische Alternativen auf der Basis von Open Source aufzubauen. Dies muss sich auch in den Ausschreibungsbedingungen wiederfinden.

Die AfD-Fraktion befürwortet den Einsatz von OpenSource-Software in der öffentlichen Verwaltung zur Gewinnung einer digitalen Souveränität. Die technologische und digitale Souveränität Deutschlands stellt für die AfD-Fraktion einen wesentlichen Faktor für die Sicherheit und Integrität der nationalen Informations- und Kommunikationsinfrastruktur sowie sämtlicher Kritischer Infrastrukturen dar. Die Reduzierung von Abhängigkeiten einzelner ITAnbieter in der Verwaltung soll dabei im Vordergrund stehen.

Open-Source-Software wird in der öffentlichen Verwaltung häufig nicht einmal in Erwägung gezogen. Hier treten wir für einen Paradigmenwechsel ein, bei dem Open-Source-Software zum Standardfall wird und bei jeder Neubeschaffung verpflichtend geprüft und priorisiert werden soll. Außerdem soll, im Sinne von “Public Money, Public Code”, Software, die in öffentlichem Auftrag entwickelt wird, grundsätzlich als Open Source bereitgestellt sowie unter entsprechenden Lizenzen veröffentlicht werden.

Ja. DIE LINKE will Entwicklung und Betrieb von OpenSource-Betriebssystemen und Anwendungen staatlich fördern, um die Nachvollziehbarkeit, Kontrolle und Verbesserung der Systeme zu ermöglichen. Damit lässt sich auch die Entwicklung von Privacy-byDesign-Standards verbinden. Öffentliche Stellen müssen zur Anwendung von Open-SourceTechnologie verpflichtet werden, um die vollständige Kontrolle der Behörden und der Gesellschaft über die eingesetzte Technologie zu gewährleisten.

Wir wollen den großen Hebel des Vergaberechts nutzen und Open Source bei öffentlichen IT-Projekten zum Standard machen. Bei IT-Beschaffungen des Bundes müssen Herstellerabhängigkeit, Folgebeschaffung, technische Offenheit, Reparaturfähigkeit und Nachhaltigkeit zwingend in die Bewertungen einfließen. Beim EVB-ITRahmenwerk müssen Faktoren wie Souveränität, Herstellerabhängigkeit, Folgebeschaffung und Nachhaltigkeit zwingend berücksichtigt werden.

Bis 2025 wollen wir ein flächendeckendes 5G-Netz in ganz Deutschland aufbauen und insgesamt 15 Mrd. Euro für Gigabit-Netze bereitstellen.

Schnelles Internet ist unverzichtbar. Wir haben gute Zwischenschritte beim Aufbau von Gigabitnetzen erreicht. Mit der Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft sollen bis zu 5.000 Funklöcher geschlossen und ein flächendeckendes Mobilfunknetz geschaffen werden. In den 2020erJahren muss Deutschland zur “Gigabit-Gesellschaft” werden. Dafür werden wir die Ausbauförderung fortsetzen und die Versorgung aller Empfänger mit einer Bandbreite von mindestens einem Gigabit pro Sekunde garantieren – durch gesetzlich festgelegte Ausbau- und Versorgungspflichten.

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, bis 2025 gigabitfähige Infrastrukturen in Deutschland zu schaffen, dieser Zeitplan sollte verbindlich sein. Beim Breitband- wie beim Mobilfunkausbau kann es hinsichtlich der Verfügbarkeit nur das Ziel der Flächendeckung geben, in der Stadt wie auf dem Land. Hier ist eine bessere Koordinierung unumgänglich. Beim 5G-Mobilfunk sollte der Ausbau forschungsbegleitend erfolgen, um mögliche gesundheitliche Risiken auszuschließen.

Unser Zeitplan lässt sich eigentlich mit vier Buchstaben zusammenfassen: asap. So schnell wie irgendwie möglich, denn wir hängen jetzt schon hinterher. Die aktuelle Krise hat nochmals unterstrichen, wie elementar ein leistungsstarker Breitbandund Mobilfunkausbau in der heutigen Zeit ist. Dabei ist es vor allem auch wichtig, dass wir den Ausbau flächendeckend vorantreiben und weiße Flecken auf der Karte schnellstmöglich schließen.

DIE LINKE setzt sich für einen flächendeckenden Glasfaserausbau bis 2030 für alle ein, auch auf dem Land. Dafür wollen wir den Ausbau mit zehn Milliarden Euro jährlich fördern. Zudem wollen wir ein einheitliches Mobilfunknetz aus einer Hand, das eine Abdeckung der gesamten Fläche sichert. Die Konkurrenz der Anbieter führt zu unnötigen Mehrfachstrukturen und an vielen Stellen zu gar keinem Netz. Netzausbau und -betrieb sollen deswegen in öffentlicher Hand erfolgen.

Unser Ziel ist schnelles und kostengünstiges Glasfaserinternet (FTTB) in jedem Haus. Wir setzen einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet um (entlang von Nutzungsgewohnheiten). Beim Mobilfunkausbau ist eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Wir vereinfachen den Prozess für Fördergelder, stärken den offenen Zugang zu bestehender Glasfaser. Wo die Anbieter keine Kooperationsvereinbarungen schließen, um Funklöcher zu schließen, muss notfalls lokales Roaming angeordnet werden. Bei zukünftigen Frequenzversteigerungen passen wir die Versorgungsauflagen für die Fläche an. Quelle: BS/Paul Schubert/Benjamin Stiebel



Informationstechnologie

Seite 34

Digitale Identitäten

Reibungslos und vernetzt

Mitgestalten statt zuschauen!

Der Behördengang von morgen

von Martin Kaloudis

(BS/Stephanie Berlin/Dietrich Brunner*) Bürgerinnen und Bürger können öffentliche Dienstleistungen vielfach schon digital nutzen. Jetzt droht der Antragsstau auf den Schreibtischen der Sachbearbeiter – sofern die Digitalisierung der Prozesse nicht bis hin zu den Fachsystemen weitergeführt wird.

W

ir alle besitzen Dokumente wie Ausweis, Führerschein, Zeugnisse oder einen Impfpass, mit denen wir den Nachweis über unsere Identität und wichtige andere Parameter erbringen können. Dieser Nachweis kann, zum Beispiel bei Behördengängen, trotzdem mit einigem Aufwand verbunden sein. Gut wäre es deshalb, all diese Nachweise einheitlich und sicher digital abzuspeichern und verfügbar zu machen. Bei Bedarf ließen sich die benötigten Daten, zum Beispiel beim Check-in ins Hotel, dann einfach über das Smartphone zur Verfügung stellen. Durch digitale Identitäten entfallen so an vielen Stellen Wartezeiten und lästiger Papierkram und ich selbst kann entscheiden, mit wem ich meine Daten teile.

Digital souverän agieren und selbst entscheiden Die Idee, auf der das alles beruht: Statt wie bisher auf analoge Dokumente zu setzen, um die eigene Identität, erlangte Qualifikationen, Abschlüsse oder Berechtigungen nachzuweisen, läuft alles über sicher gespeicherte und jederzeit verifizierbare Identitätsdaten. Der Clou dabei: Ich teile nicht wie bislang das ganze Dokument als Kopie, sondern übermittle nur die Bestätigung, dass eine passende Bescheinigung wirklich vorliegt. Auf diesem Weg

Behörden Spiegel / August 2021

Martin Kaloudis ist Chief Executive Officer (CEO) und Vorsitzender der Geschäftsführung der BWI GmbH, des ITSystemhauses der Bundeswehr. Foto: BS/BWI

können Nutzer digital souverän agieren und selbst entscheiden, wann, wie und mit wem sie ihre Daten teilen möchten. Man spricht hier von der SelfSovereign Identity (SSI), einer technischen Umsetzung informationeller Selbstbestimmung. Die vielfältigen Möglichkeiten und großen Potenziale haben die Bundesregierung und auch viele Behörden und Unternehmen dazu bewegt, sich intensiv mit dem Thema zu befassen. Auch die BWI erprobt bereits den praktischen Einsatz der digitalen Identitäten. In einem unserer Innovationsvorhaben nutzen wir diese zum Beispiel für ein digitales Zugangsmanagement in Bundeswehr-Liegenschaften und beteiligen uns an verschiedenen Initiativen

wie der europäischen DigitaleIdentitäten-Initiative des Bundeskanzleramts. Denn eines ist klar: Nur im Schulterschluss können Behörden, Unternehmen und Politik dieses wichtige Thema erfolgreich angehen.

Viel Potenzial und viele Herausforderungen So groß die Euphorie bei diesem Thema ist, so gibt es doch auch einige Skepsis. Nicht nur fehlen vielfach noch die Standards, auch gibt es ganz konkrete Risiken. Was passiert, wenn mein Smartphone, auf dem sich die digitale Identität befindet, gestohlen oder auf irgendeine Weise angezapft wird? Kann der Dieb dann komplett in meinem Namen agieren? Und wie kann ich meine digitalen

Zertifikate zurückerhalten, wenn ich sie einmal verloren habe? Auch wenn es gegen die skizzierten Fälle bereits Absicherungen gibt, so stimmt es doch, dass noch nicht für alle Herausforderungen die abschließenden Antworten gefunden sind. Trotzdem sollten wir nicht damit warten, das Thema anzugehen. Denn damit Behörden und Unternehmen das Potenzial, das in der Nutzung selbstbestimmter digitaler Identitäten liegt, optimal nutzen können, ist es wichtig, die Umsetzung mitzugestalten. So haben wir die Chance, die Umsetzung an unseren Bedürfnissen auszurichten, um so am Ende auch beim Betrieb neuer Lösungen digital souverän agieren zu können. Durch unsere Aktivität und die dabei gesammelten Erfahrungen können wir unseren Teil dazu beitragen, die Regeln für die Nutzung der digitalen Identitäten zu definieren, Standards zu schaffen und Antworten für noch offene Fragen zu finden. Oft sehen wir uns in Deutschland dem Vorwurf ausgesetzt, beim Einsatz neuer Technologien zu zögerlich zu sein. Unser Ziel muss es sein, durch mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in diesem Bereich weiter vorne mitzuspielen. Die digitalen Identitäten sind ein gutes Beispiel dafür, wie uns das gelingen kann.

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) zeigt Wirkung. Für viele Basisthemen – vom Anwohnerparkausweis über den Bafög-Antrag bis zur Wohnsitzänderung – finden sich digitale Antragsformulare im Netz. Je nach Kommune und Reifegrade der digitalen Transformation fällt die Abwicklung zwar unterschiedlich aus, aber der Gang zum Amt lässt sich komplett einsparen oder zumindest zeitlich präzise terminieren. In der Regel können Ortsansässige wählen, ob sie lieber das OnlineFormular digital verwenden, das PDF ausdrucken und ausgefüllt per Post einschicken, anrufen oder ein Fax senden.

Ein digitales Front-End reicht nicht aus Das ist für die Bevölkerung im Zuständigkeitsbereich der Verwaltungen ein wichtiger Schritt nach vorn. Das Nachsehen droht für die Bearbeitenden hinter den digitalen Fassaden. Denn die Anträge, die sich elegant vom heimischen PC oder mobil über Handy einreichen lassen, benötigen in der Bearbeitung oft noch kleinteilig-manuelles Sortieren, Zuordnen, Übertragen und Weiterleiten – vielleicht auch Ausdrucken, Abschreiben, Abheften. Vom Hantieren zwischen unterschiedlichen Fachsystemen ganz zu schweigen.

Leitbild Privatwirtschaft

Alles, was es im Kern zusätzlich braucht, ist eine leistungsfähige Plattform, die ein nutzerfreundliches Portal zur Verfügung stellen kann. Eine Plattform, die intuitive Nutzeroberflächen für Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stellt und gleichzeitig einen hohen Automatisierungsgrad für die Weiterbearbeitung durch die Fachangestellten schafft. Eine Plattform, die die lokalen Fachsysteme in durchgehend digitale Arbeitsprozesse integriert und in Workflows abbildet. Mit einem solchen System ist auch das leicht zu realisieren, was für heutige Online-Shopper etablierter Standard ist: automatisierte Statusmeldungen über den aktuellen Bearbeitungsstand eines Auftrags.

Zusatznutzen Begleitinformation und Servicebündelung Mit der kleinteiligen manuellen Bearbeitung von Basisthemen geht in den Verwaltungen oft die Gesamtsicht auf die Bedürfnisse der Bürger verloren. Dabei steckt hier ein gewaltiges Service-Potenzial. Wer heute eine Geburtsurkunde benötigt, wird morgen Interesse an einer Tagesbetreuung haben, in einigen Jahren einen Kita-Platz benötigen oder die Einschulung organisieren müssen. Wer umzieht, benötigt zum aktualisierten Personalausweis möglicherweise auch einen neuen Anwohnerparkausweis. Ein kommunales Service Center, das als zentrale Anlaufstelle für kommunale Anfragen fungiert, erhöht nicht nur die

Gleichzeitig steigt der Erwartungsdruck vonseiten der Bürgerinnen und Bürger. Kommerzielle Dienstleister wie Amazon, Uber und Co. machen vor, wie sich Interaktionen bis auf wenige Klicks automatisieren lassen. Für typische Probleme gibt es dort vorbereitete, digitale Lösungen, begleitende Informationen werden aktiv zur Verfügung gestellt, der voreingestellte Takt ist “sofort”. Wer nur Stephanie Berlin ist Lösungsexpertin für den Public das Front-End digiSector bei ServiceNow. Dietrich Brunner ist im talisiert, droht die Unternehmen für den Vertrieb von KundenserviceLösungen zuständig. Arbeitslast auf die Fotos: BS/ServiceNow Schreibtische in den Verwaltungen zu verlagern – und verschärft Zufriedenheit von Bürgerinnen womöglich die ohnehin schon und Bürgern dadurch, dass alle vielerorts herrschende Perso- Anfragen von einer Stelle aus an nalknappheit. die zuständigen Verwaltungsbereiche weitergeleitet werden, Mehr Zeit für wichtige sondern es ermöglicht auch Aufgaben schaffen intelligente Querverbindungen Ziel muss es dagegen sein, ein- und eben die Gesamtsicht auf zelne Service-Prozesse durch- Anträge und das gesamte komgehend zu digitalisieren. Das munale Service-Portfolio. Eine heißt zum Beispiel: Ein digital Gesamtsicht auf Anliegen, die eingereichtes Antragsformular aus Verwaltungsperspektive völstößt automatisiert den dazuge- lig unterschiedliche Abteilungen hörigen Arbeitsablauf (Workflow) betreffen können und doch aus an. Über diesen werden die feh- der Perspektive der Betroffenen lenden Informationen aus den organisch zusammengehören. unterschiedlichen Fachsystemen extrahiert und der festgelegte Voraussetzung zur durchgehenden Freigabeprozess abgearbeitet. Digitalisierung schaffen Statt im Sumpf der manuellen Nacharbeit zu versinken, bleibt ServiceNow bietet die Möglichfür die Fachangestellten dann vor keiten zur durchgehenden Diallem die Prüfung und Freigabe gitalisierung. Die Now-Platform des Arbeitsauftrags übrig. Damit unterstützt nicht nur das Frontbekommen sie mehr Zeit, sich End mit intelligenten Bots und den wirklich wichtigen Sachfra- nutzerfreundlichen Mobile-Apps, gen der Bürgerinnen und Bürger sondern auch das einfache Ersowie der Vermittlung von Kon- stellen von Back-End-Routinen textinformationen zu widmen. mittels eines breiten VorlagenDie gute Nachricht: Das Föde- Portfolios und Low- oder Norale Informationsmanagement, Code-Programmierumgebungen kurz FIM, hat entscheidende etwa für Citizen-Developer. So Vorarbeit geleistet. Es stellt klar kann die ServiceNow dafür sordefinierte Modelle für einzelne gen, dass die Bemühungen der Verwaltungsprozesse und stan- ersten Digitalisierungswelle nicht dardisierte Datenfelder für For- zu einem “Antragstsunami” für mulare und den nötigen Informa- die Sachbearbeitenden in den tionsaustausch zur Verfügung. Verwaltungen führen.


Behörden Spiegel / August 2021

F

Informationstechnik/Informationssicherheit

Durchbruch für E-Health

Seite 35

und häufig zu langsam reagiert. Trotz einiger Erfolge fehlte es gänzlich, auch mal einen Schritt vorauszudenken. Der Staat reagierte, anstatt sich proaktiv auf die prognostizierten Szenarien (BS/Dr. Ariane Schenk) Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens verhielt es sich wie mit vielen anderen Themen: Das Land schlief einen einzustellen. Im Behördendjahrelangen Dornröschenschlaf. Aber einmal aufgewacht, gab es Grund für vorsichtigen Optimismus: Die elektronische Patientenakte (ePA) und schungel und Zuständigkeitsdas E-Rezept wurden auf den Weg gebracht, die Apps auf Rezept kamen und fast schien es, als könnten wir 20 Jahre digitalpolitische Lethargie dickicht digitalisiert es sich eben aufholen. Eben in unserem deutschen Tempo: häufig zu langsam, aber mit soliden Ergebnissen. Dann kam die Pandemie. Es war ein Virus, das dem nicht gut. Genau daraus heißt Land den längst nötigen Digitalisierungsschub verlieh. Digitale Technologien halfen in den vergangenen fünfzehn Monaten und sie werden uns es zu lernen. Der Staat muss auch auf absehbare Zeit bei der Pandemiebekämpfung unterstützen. den Unternehmen einen Rahmen geben, um schnell Lösungen zu tung der Datensi- nicht mehr erlauben. Für die entwickeln und sollte sich nicht zeit ihre eigenen Insellösungen Zwischen Faxgeräten und cherheit. geschaffen. Dass es SORMAS Entwicklung des digitalen Impf- selbst daran versuchen – staatlidigitalen Lösungen Derzeit werden zertifikats hatte ein Konsortium che Lösungen haben im Bereich gibt, ist ein Erfolg. Der schlephierzulande zwei aus IT-Unternehmen etwa vier der digitalen GesundheitswirtDie Medienberichte zur pan- pende Rollout nicht. v e r s c h i e d e n e Monate Zeit. schaft bisher demischen Kontaktverfolgung I m p f z e r t i f i k a t e Es wurde mit selten funktiin den Gesundheitsämtern of- Apps für die “Staatliche Lösungen diskutiert: das einer absoluten oniert. Da Zeit fenbarten ein Trauerspiel: Auf- Pandemiebekämpfung Dr. Ariane Schenk ist Behaben in der digitalen der wesentliche reichsleiterin Health & Phardigitale Covid- Punktlandung grund fehlender Schnittstellen Ein weiterer Erfolg ist die Coma im Bitkom. 19-Impfzertifikat bereitgestellt wurden Gesundheitsdaten hän- rona-Warn-App (CWA). Sie ging Gesundheitswirtschaft Erfolgsfaktor und der digita- und befindet disch in Excel-Tabellen zusam- schnell an den Start, hat eine ist, müssen Foto: BS/Bitkom e. V. bisher selten le Impfausweis. sich aktuell im mengeführt. Zeit ging verloren, gute Verbreitung gefunden und wir an Tempo funktioniert.” Letzterer soll ab Rollout. BisFehler passierten. Dem Robert erfreute die Datenschützer. Dort zulegen. Für Koch-Institut (RKI) fehlten Co- liegt das Manko: Da der Anwendie neue LeJanuar 2022 in lang können gislaturperiode rona-Infektionsdaten, weil die dende anonym bleibt und keine Aufenthaltsort erfassen. Anders den ePA integriert werden und A p o t h e k e n , behördliche Meldekette von den personenbezogenen Daten erho- als in der CWA werden die Daten die gesamte Impfhistorie umfas- Impfzentren und einzelne Arzt- braucht es eine allumfassende Laboren über die Gesundheits- ben werden, kann die App den gespeichert und Gesundheitsäm- sen. Patientinnen und Patienten praxen das digitale Impfzertifikat Digitalstrategie und eine klare ämter bis zum RKI unregelmäßig Gesundheitsämtern nicht helfen, ter könnten bei Bedarf Kontakt erhalten einen besseren Über- ausstellen. Die große Herausfor- Vision für das digitale Gesundund lückenhaft war. In der Regel Infektionsketten zu durchbre- aufnehmen, um Infektionsketten blick über ihren Impfstatus und derung dabei war, wie bereits Ge- heitswesen. Geschlafen haben wurden sie per chen. Die Wei- zu durchbrechen. werden benachrichtigt, wenn eine impfte ihr Zertifikat erhalten. Da wir genug. es an einer zentra­len Datenbasis Fax geschickt. terentwicklung Der Datenschutz macht es Auffrischung nötig ist. So basierten “Der Datenschutz macht der App verlief digitalen Anwendungen im Gefehlt, wurde entschieden, dass politische Entes digitalen Anwendun- ebenfalls zu sundheitsbereich häufig nicht Deutschland und der digitale Apotheken es nach Überprüfung Smart Country Convention Impfnachweis scheidungen des Impfstatus ausstellen dürfen. gen im Gesundheitsbe- langsam. Mitt- leicht. Auch bei der Pandemieoft auf nicht lerweile ist es bekämpfung rauben ermüdenDas digitale Covid-19-Impfzer- Im Vergleich zu anderen EU-LänMehr zum Thema E-Health reich nicht leicht.” möglich, den de Diskussionen wertvolle Zeit. tifikat wurde unabhängig davon dern hat Deutschland übrigens gibt es im Rahmen der “Smart aktuellen MelCountry Convention”, die der Schnelltest zu Die Menschen haben wenig entwickelt; die EU einigte sich auf auch ein digitales Impfregister dezahlen. Die Bitkom und die Messe Berlin digitale Lösung für das Melde- verknüpfen, sich einzuchecken Verständnis, wenn Grundsatz- eine europäische digitale Lösung verschlafen. vom 26. – 28. Oktober 2021 in Fiasko wartete bereits auf ihren und auch das digitale Impfzer- streitigkeiten eine rasche und zum Nachweis von Corona-ImpBerlin veranstalten. Der BehörRollout: SORMAS. Das Kontakt- tifikat wurde mit dem neuesten zuverlässige Lösung, die in der fungen, Tests und überstandenen Was in der neuen Legislatur wichtig ist den Spiegel ist Partner dieser verfolgungssystem sollte alle Update nachgereicht. Zum Rei- Praxis gut funktioniert, verhin- Erkrankungen. Veranstaltung. Schon seit Jahresbeginn liefen Gesundheitsämter miteinander sen empfiehlt sie sich ebenso: dern. Darum empfehle ich hier Die aktuellen Entwicklungen Weitere Informationen unter: vernetzen und Daten ans RKI Die CWA ist mit allen Contact- stets eine pragmatische Abwä- Gespräche zu den Rahmenbe- um das EU-konforme digitale www.smartcountry.berlin übermitteln. Die Gesundheitsmi- Tracing-Apps der EU-Mitglieds- gung zwischen Schutz von Da- dingungen eines interoperablen Impfzertifikat und das Impfmanisterien in Bund und Ländern staaten kompatibel. Je länger die ten und Schutz von Leben. Was Impfzertifikats. Interoperabilität nagement zeigen erneut, dass sollten für einen reibungslosen Pandemie anhält, umso nützli- dabei überwiegt, liegt klar auf ist dabei ein Thema, das uns auch Deutschland im Ländervergleich Transfer von Daten sorgen und cher wird die CWA demnach für der Hand. In der Medizin sind in Zukunft bei der Digitalisierung bei der Digitalisierung des Geeinen unbürokratischen Weg fin- den Nutzenden. Um das normale Daten die Quelle neuer Dia­gnose- des Gesundheitswesens begleiten sundheitswesens im unteren den – doch die flächendecken- Leben zurückzuholen, gingen und Behandlungsoptionen. Statt wird. Deutschland hinkt schon Mittelfeld agiert. Hierzulande de Implementierung läuft noch als Ergänzung zur CWA weitere Datenschutzgesetzen benötigen heute hinter den europäischen fehlt es einfach an der nötigen immer, viele Gesundheitsämter Apps an den Start, zum Beispiel wir Datennutzungsgesetze, statt und internationalen Entwicklun- Infrastruktur. Im dynamischen wollten die Software nicht nut- die Luca-App. Nutzende geben Datensparsamkeit harmonisierte gen hinterher. Weitere nationa- Pandemiegeschehen haben wir zen, viele hatten in der Zwischen- ihre Daten an und können ihren Rahmenbedingungen zur Einhal- le Alleingänge können wir uns mehr als einmal Zeit verspielt ragt man die Bevölkerung, so ist klar: Ohne die Digitalisierung der Medizin geht es nicht mehr. Mehr als zwei Drittel (65 Prozent) forderten schon im Frühjahr 2020 laut einer BitkomStudie mehr Tempo beim Ausbau digitaler Gesundheitsangebote. Die Nutzung von Videosprechstunden und Online-Terminvergaben stiegen pandemiebedingt sprunghaft an. Ein Zurück ist keine Option mehr.

Wie ein Virus den längst nötigen Weckruf brachte


Informationssicherheit

Seite 36

Behörden Spiegel / August 2021

Mithören ausgeschlossen

Schutz kaum möglich

EU setzt auf Quantenkommunikation

BSI warnt vor Pegasus

(BS/Benjamin Stiebel) Die Europäische Union will eine hochsichere Infrastruktur für die Kommunikation einrichten. Basis sind Quantenkryptografie und quantenbasierte Übertragungssysteme. Damit wäre technisch ausgeschlossen, dass Dritte bei der Kommunikation mithören können. Die Initiative setzt auf die Vernetzung leistungsfähiger nationaler Infrastrukturen. So baut Deutschland schon länger an einer quantenbasierten Lösung für die Verwaltung. Zunächst soll testweise eine Leitung zwischen zwei Bundeseinrichtungen eingerichtet werden.

(BS/stb) Nach Medienberichten über Angriffe auf Journalisten, Menschenrechtler und Politiker weltweit warnt nun auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) offiziell vor der Spionagesoftware Pegasus. Die Behörde macht dabei wenig Hoffnung auf einen effektiven Schutz vor dem hochprofessionellen Werkzeug.

Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich verpflichtet, eine gemeinsame Quantenkommunikationsinfrastruktur aufzubauen. Die European Quantum Communication Infrastructure (EuroQCI) soll gemeinsam mit der Europäischen Kommission und der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) entstehen. Der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton betonte die herausragende Rolle der CyberSicherheit für die digitale Souveränität der EU. EuroQCI sei eine “Schlüsselkomponente unserer bevorstehenden Initiative für sichere Konnektivität, die allen Europäerinnen und Europäern den Zugang zu geschützten, zuverlässigen Kommunikationsdiensten ermöglichen wird.”

Nachweisbar sicher Gemeint ist ein satellitengestütztes System, das überall in Europa HochgeschwindigkeitsBreitbandverbindungen bereitstellen soll. EuroQCI stellt in dem Rahmen eine hochsichere Kommunikationskomponente für sensible Kommunikation in der Verwaltung und für Kritische Infrastrukturen dar. EUInstitutionen, Gemeinden und Botschaften, aber auch Krankenhäuser und Energienetzbetreiber sollen für die Datenübertragung untereinander auf Verschlüsselung nach dem Prinzip der Quantenschlüsselverteilung zurückgreifen. Die Methode macht sich die Eigenschaft von Quantenteilchen zunutze, dass sie nicht unbemerkt vermessen

oder kopiert werden können. So lassen sich zwei Schlüssel erzeugen, die garantiert nur Sender und Empfänger bekannt sind. Ein Abhören oder eine Manipulation durch einen Angreifer gelten als unmöglich. Einige der heute verwendeten Verschlüsselungsverfahren können prinzipiell geknackt werden, nur reicht die bisher verfügbare Leistung von Rechnern dafür nicht aus. Doch das wird sich in absehbarer Zeit mit der Einführung von Quantencomputern ändern. Bei EuroQCI soll die sichere Quantentechnologie in bestehende Kommunikationsinfrastrukturen als zusätzliche Sicherheitsebene integriert werden. Das System soll aus einem terrestrieschen und einem Weltraumsegment besteht. Über Glasfasernetze sollen wichtige Standorte miteinander verbunden werden. Nationale Quantenkommunikationsnetze sollen EU und perspektivisch weltwert satellitengetützt verbunden werden. Voll funktionsfähig soll das EuroQCI bis 2027 sein. Zunächst liegt der Fokus auf dem Ausbau erster nationaler und grenzüberschreitender Netze. Zudem soll eine Test- und Zertifizierungsstruktur aufgebaut werden.

Deutschland legt vor Hierzulande wird ein entsprechendes Netz für die Verwaltung und Kritische Infrastrukturen im Rahmen des Projekts QuNet entwickelt. Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) arbeiten

seit fast zwei Jahren mehrere Forschungsinstitute und Unternehmen an verschiedenen Teilbereichen. So vermeldete das Fraunhofer-Institut für angewandte Optik und Feinmechanik zuletzt Erfolge bei der Übertragung von Quantenzuständen über bestehende Glasfaserverbindungen auf Distanzen bis etwa 100 Kilometer. Damit ist der quantensichere Schlüsselaustausch innerhalb von Städten möglich. Mit Satelliten soll das bald auch über Landesgrenzen hinweg gelingen. Daran forscht parallel das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Entsprechende Sende- und Empfangseinheiten konnten bereits erfolgreich am Boden getestet werden. An der Kernarchitektur für die Erstellung und den Austausch der Schlüssel arbeitet das MaxPlanck-Institut für die Physik des Lichts (MPL).

Demonstration im August Zur Demonstration der abhörsicheren Kommunikation war für Ende 2020 eine quantengesicherte Videokonferenz geplant. Das wurde wegen pandemiebedingten Schwierigkeiten verschoben und soll nun Anfang August nachgeholt werden. In den abhörsicheren Austausch werden Bundesforschungsministerin Anja Karliczek in Berlin und ein Vertreter des Bundesministeriums des Innern treten, der sich im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in Bonn zuschalten soll.

Pegasus, ein Produkt des israelischen Anbieters von Überwachungssoftware NSO, soll in der Lage sein, auf Smartphones mit Android oder iOS Gespräche, Chats und Standortdaten abzugreifen. Dabei soll die Software auch unbemerkt die Kamera der Geräte aktivieren und Verschlüsselung von Messengern umgehen können. Die Infektion erfolgt über Zero-Day-Exploits – also unter Ausnutzung von Sicherheitslücken, die den Herstellern nicht bekannt sind. Entsprechend sind alle aktuellen Versionen der Smartphone-Betriebssysteme anfällig. Angriffsvektoren sind SMS-Nachrichten mit schadhaftem Link, präparierte iMessages sowie kompromittierte WLANoder Mobilfunknetze, auf die Betroffene unbemerkt geleitet werden. Im BSI wird davon ausgegangen, dass NSO ständig nach neuen Exploits für unterschiedliche Plattformen sucht, “sodass selbst bei einer etwaigen zukünftigen Behebung der derzeit genutzten Schwachstellen eine weitere Bedrohung durch Pegasus nicht ausgeschlossen werden kann”. Entsprechend sei die Umsetzung präventiver Schutzmaßnahmen sehr schwierig. Denkbar wäre die radikale Herangehensweise, die angreifbaren Dienste – insbesondere SMS, iMessage und WLAN in der Nutzung zu beschränken oder ganz zu deaktivieren. Das kann am Gerät oder zentral über ein Mobile-Device-Managementsystem geschehen. Einen effektiven Schutz vor kompromittieren Mobilfunknetzen per IMSI-Catcher gebe es allerdings nicht.

Die Bedrohungslage wird derzeit vom BSI trotzdem nicht als kritisch eingestuft. Es handele sich nicht um eine auf Massenverbreitung abzielende Angriffskampagne, vielmehr beschränkten sich Infektionen auf ausgewählte Personenkreise. Das sind vor allem Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, aber auch Regierungsbeamte. Über Betroffene in Deutschland gibt es bisher keine Erkenntnisse. Pegasus soll vor allem totalitären Regimen als Überwachungsin­

strument dienen. Das Risiko ist aber auch in Demokratien real. So gab es Berichte über eine Überwachung von hohen französischen Regierungsvertretern einschließlich Staatspräsident Emmanuel Macron. Der Angriff soll von der marokkanischen Regierung ausgegangen sein, die vehement dementiert. Macron hat die Bedrohung offenbar ernst genommen. Er ließ sein Diensttelefon austauschen und hat Sicherheitsmaßnahmen nachschärfen lassen.

Netzwerktreffen bei G4C

(BS/stb) Ende Juli trafen sich Vertreter des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und des Bundeskriminalamts (BKA) zu einem Austausch zum Kampf gegen Cyber-Kriminalität beim Verein G4C (German Competence Centre against Cyber Crime). Vor Ort waren BSI-Präsident Arne Schönbohm (rechts im Bild), BKA-Präsident Holger Münch (Mitte) sowie Carsten Meywirth, Leiter der Abteilung Cybercrime im BKA (2. v.r.). Gastgeber waren der G4C-Geschäftsführer Peter-Michael Kessow (2. v. l.) und der G4C-Projektleiter und ehemalige Direktor des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern, Ingmar Weitemeier (l.). G4C vernetzt seine Mitglieder, um Know-how und Erfahrungen auszutauschen und praktisch nutzbar zu machen. Zu den Mitgliedern gehören Banken und Versicherer, aber auch Unternehmen aus dem Cyber-Sicherheitsumfeld wie die Cyber Akademie. Der Verein arbeitet von Beginn an eng mit dem BKA zusammen, seit 2015 ist auch das BSI offizieller Kooperationspartner. Foto: BS/BSI

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Informationssicherheit

Behörden Spiegel / August 2021

S

upply-Chain-Angriffe sind eine Sonderform der CyberAttacke, weil sie den Verteilerweg eines Dienstleisters benutzen und den Schadcode nicht selbst verbreiten. Der klassische Weg – Hacker infiltrieren ein System und platzieren ihre Schadsoftware eigenständig – gerät immer mehr in den Hintergrund. Die Angreifer(inn)en nutzen dabei Ransomware: “Damit werden die Daten nur verschlüsselt, verbleiben aber weiter auf den Servern. Der Schlüssel kann dann von den jeweiligen Unternehmen gekauft werden, mit dem die Daten wieder entschlüsselt werden können”, erklärt Vahrenhorst. Durch die neue Verfahrensweise der digitalen Angriffe ändert sich auch die Strategie der Sicherheitsbehörden: “Wir verstehen uns in diesem Kontext mehr als Feuerwehr. Bei RansomwareInfiltration unterstützen unsere Spezialist(inn)en dabei, dass der Schaden nicht größer wird und wir versuchen, den HackingProzess zu unterbinden. Wir setzen nicht mehr zu 100 Prozent darauf, die Täter/-innen zu identifizieren, weil in der digitalen Welt verschiedene Hindernisse existieren, die die Strafverfolgung sehr schwer gestalten. Das weiß auch die Justiz”, erläutert Vahrenhorst. Der Fokus der Maßnahmen liegt darauf, die Schäden für Unternehmen und Verwaltung zu minimieren, das gilt auch für die Unterstützung bei der Ultima Ratio: “Wenn Unternehmen und auch die öffentliche Verwaltung keine andere Chance haben, ihre Daten zurückzuerlangen – weil ihre Back-up-Infrastruktur unzureichend ist und es da um Existenzen und Abschaltung von Infrastruktur geht –, dann kann

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Supply-Chain-Angriffe häufen sich “Ransomware ist die Pest des 21. Jahrhunderts” (BS/Paul Schubert) Nach der Solarwinds-Attacke ist es mit dem Kaseya-Hack zu einem weiteren Supply-Chain-Angriff gekommen. “Dabei handelt es sich um klassische Erpressung”, urteilt Peter Vahrenhorst, Kriminalhauptkommissar des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen. Die Auswirkungen des Angriffs waren insgesamt überschaubar. Mittlerweile hat Kaseya Zugriff auf den Generalschlüssel zur Entschlüsselung der Daten erhalten. auch die Zahlung von Lösegeld in Erwägung gezogen werden. Diesen Zahlungsprozess würden wir dann auch begleiten”, stellt der Kriminalhauptkommissar klar. Hierbei würde die Behörde vor allem beratend tätig werden. Dies umfasst sowohl die Kommunikation mit den Täter(inn)en, als auch die Umwandlung von Echtgeld in Krypto-Währung. “Vor allem die öffentliche Verwaltung hat in der Regel keine CryptoBeträge vorrätig”, so Vahrenhorst. Dennoch stellt der Beamte klar, dass eine Lösegeldzahlung – wann immer möglich – vermieden werden sollte: “Man muss den finanziellen Kreislauf der Angreifer(inn)en unterbrechen. Wenn keiner mehr Geld zahlt, wird es unattraktiv, dann werden sich die Cyber-Straftäter/innen eine neue Methode ausdenken müssen.”

Ausmaß bisher überschaubar Im Fall Kaseya sind die Auswirkungen bisher noch weniger stark zu spüren als beim Supply-Chain-Angriff auf das IT-Unternehmen Solarwinds. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) teilte mit, dass lediglich eine Behörde unmittelbar durch den Vorfall betroffen sei. Die Infektion erfolgte durch einen externen Dienstleister, der die Software von Kaseya zur Verwaltung externer Systeme

genutzt”, so Peter Vahrenhorst. Im Gegensatz zu Solarwinds seien die Auswirkungen zwar geringer, die Attacke zeige aber auch, dass die Hacker(inn)en nun ein weiteres Einfallstor gefunden hätten, dem man bisher nur wenig Beachtung geschenkt habe: “Ransomware ist die Pest des 21. Jahrhunderts”, stellt der Kriminalhauptkommissar fest.

Gelungene Kooperation

Supply-Chain-Hacks sind attraktiv, weil Organisationen nicht direkt angegriffen werden müssen, sondern Schadcode sich über Services von IT-Dienstleistern eigenständig verbreitet. Foto: BS/WilliamsCreativity, pixabay.com

einsetzt. Es wurden allerdings keine für die Verwaltung relevanten Daten verschlüsselt. Interessant ist die Vorgehensweise der Hacker-Gruppe REvil – welche mutmaßlich für den Angriff verantwortlich ist – im Gegensatz zu den Exchange- und SolarwindsAttacken: “Bei Kaseya wurden die Opfer automatisiert ohne Vorauswahl mit Ransomware infiziert. Hier wurden IT-Systemhäuser getroffen, bei denen eine Verschlüsselung auch zu Ausfällen bei den Kund(inn)en führte”, so eine Sprecherin des BSI. Das prominenteste Beispiel dafür war die schwedische Supermarkt-Kette Coop, welche einen Ausfall der Kassensysteme

hinnehmen und 800 Filialen in Schweden über mehrere Tage hinweg schließen musste. In der Gesamtbetrachtung verliefen die Angriffe aber weniger stark als befürchtet. Der Schaden hätte auch weitaus höher ausfallen können, Kaseya hat weltweit über 36.000 Kund(inn)en. Auch in Nordrhein-Westfalen sind die Unternehmen und Behörden bisher glimpflich davongekommen. “Bisher gingen bei uns nur zwei Meldungen ein, das Dunkelfeld bleibt dabei natürlich außen vor. Dabei ist auch nicht klar, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist, die Betriebe haben aber auf jeden Fall den IT-Dienstleister Kaseya

Auch Prof. Dr. Andreas MeyerFalcke, Beauftragter der Landesregierung für Informationstechnik in Nordrhein-Westfalen, ordnet die Auswirkungen aktuell als entspannt ein: “Das Landesverwaltungsnetz in NRW ist nicht betroffen. In der Landesverwaltung wird im Zwecke der Fernwartung eine andere, einheitliche Lösung als Kaseya eingesetzt.” Des Weiteren sei man durch das CERT-NRW – also das Computer Emergency Response Team NRW gut aufgestellt, sagt Meyer-Falck– e: “Das CERT-NRW warnt vor aktuellen Bedrohungen, informiert über bekannt gewordene Schwachstellen und unterstützt im Ernstfall bei der Aufklärung, Abwehr und Absicherung der Landesverwaltung.” Im Kaseya-Hack sei auch die effektive Zusammenarbeit von BSI und CERT-NRW zu beobachten gewesen, so Meyer-Falcke: “Das Bundesministerium hat soge-

nannte Indicators of Compromise zur Verfügung gestellt. Darunter sind Merkmale zu verstehen, nach denen das CERT NRW auf Computern und im Netzwerk suchen kann. Diese Merkmale wurden an alle Behörden und Einrichtungen der Landesverwaltung weitergegeben.” Im Zuge dessen seien Sperrlisten entstanden, die jeden Verkehr zwischen einem möglicherweise befallenen System und der Steuerungsin­ frastruktur der Angreifer/innen unterbänden, erklärte der CIO der nordrhein-westfälischen Landesregierung.

Zurückschlagen? Besser nicht! Kritisch bleibt weiter die Frage, inwiefern Sicherheitsbehörden in der Lage sind, Cyber-Attacken in Zukunft effektiv abzuwenden. “Hacker arbeiten nie von ihrem eigenen System aus. Im Regelfall nutzen sie andere In­ frastrukturen. Falls wir bei einem Hacker-Angriff zurückschlagen würden, müsste man alle dazwischengeschalteten Systeme auch abschalten, dann stellt sich jedes Mal die Frage der Verhältnismäßigkeit”, erklärt Vahrenhorst. Cyber-Angriffe erschweren also die Strafverfolgung immens und verwandeln die Vollzugsbehörden des Öfteren in Institutionen mit Präventions- und Beratungsfunktion. Mittlerweile ist Kaseya in den Besitz des sogenannten “Generalschlüssels” gelangt und kann die codierten Daten der Kund(inn) en wieder entschlüsseln. Das Unternehmen teilte mit, man sei an das Decodierwerkzeug durch eine “vertrauenswürdige Drittpartei” gekommen. Nach eigenen Angaben sei dabei kein Lösegeld geflossen.

Die Parteien zur Bundestagswahl 2021

Digitale Abhängigkeiten beseitigen Nutzung von Open-Source-Software weiter intensivieren

IT-Sicherheit

?

Durch welche konkreten Maßnahmen wollen Sie das CyberSicherheitsniveau in der Bundes-IT verbessern?

?

Durch welche konkreten Maßnahmen wollen Sie das Sicherheitsniveau von IT-Produkten und -Dienstleistungen verbessern?

CDU / CSU

SPD

AfD

FDP

Linke

Grüne

Tankred Schipanski, digitalpolitischer Sprecher

Dr. Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher

Joana Cotar, digitalpolitische Sprecherin

Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher

Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin

Tabea Rößner, netzpolitische Sprecherin

Mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 haben wir das BSI weiter gestärkt. Das BSI kann jetzt IT-Mindeststandards für die Bundesbehörden verbindlich festlegen. Cyber-Sicherheit ist allerdings nicht statisch, deshalb muss ständig am Cyber-Sicherheitsniveau weiter gearbeitet werden. Konkret müssen wir erstens dafür sorgen, dass im Falle eines Cyber-Angriffs alle zuständigen Behörden noch besser zusammenarbeiten können und, zweitens, müssen wir die Cyber-Sicherheitsforschung noch viel stärker ausbauen.

Um digitale Souveränität zu erhalten, sind größere Anstrengungen erforderlich. Zuletzt hatten eine Studie des BMI die bestehenden Abhängigkeiten zu den Monopolanbietern aufgezeigt. Wir begrüßen, dass Konsequenzen gezogen und neue Ansätze gewählt werden. Hier wird eine konsequente Hybrid-Strategie verfolgt, indem auf der einen Seite mit den großen Anbietern verhandelt wird, gleichzeitig aber auf mögliche Alternativen auf der Basis von offenem Code gesetzt wird. Ziel ist es, Abhängigkeiten abzubauen und Open-Source-Alternativen aufzubauen.

Die Sicherheit der Bundes-IT beginnt mit der Speicherung der Daten. Hier muss der Bund auf Dienstleister zurückgreifen, die ihre Server ausschließlich in Deutschland betreiben. Weiter muss vor einer Fortschreibung der Cyber-Sicherheitsstrategie ihre Evaluation stehen, wie in der Datenstrategie der Bundesregierung vermerkt. Die für das digitale Verwaltungshandeln vorgesehene Bundescloud muss unverzüglich realisiert werden. Der Datenaustausch zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss einheitlich gedacht und befördert werden.

Einer der wichtigsten Bausteine hierbei ist es, Schwachstellen in Software konsequent zu schließen, statt diese nutzen zu wollen. Denn jede offen gehaltene Lücke stellt ein eklatantes Sicherheitsrisiko dar. Dazu braucht es auch endlich ein Schwachstellenmanagement, dass Cyber-Sicherheit und nicht nur die Wünsche des BMI im Blick hat. Deshalb müssen wir auch das BSI aus der Zuständigkeit des BMI lösen und einem neu geschaffenen Digitalministerium zuordnen.

Das BSI muss in eine unabhängige und neutrale Stelle für die Sicherheit in der Informationsgesellschaft überführt werden. Es sind erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung sicherer Infrarstrukturen notwendig. Als Gegenmodell zur Dominanz vor allem amerikanischer Anbieter mit unkontrollierbarem Datenabfluss muss eine europäische Open-SourceInfrastruktur mit offenen und transparent entwickelten Standards etabliert werden.

Im Bereich der IT-Sicherheit insgesamt, im Bereich des Schutzes Kritischer Infrastrukturen im Speziellen ist der gesetzgeberische Handlungsbedarf nach wie vor extrem hoch. Hierzu gehören auch die Anpassung des Anwendungsbereiches des IT-Sicherheitsgesetzes und klare Verantwortlichkeiten von Bundes- und Landesbehörden. Die wichtige Arbeit der unabhängigen Aufsichtsbehörden muss stärker unterstützt und die Mitarbeiter/-innen in den Behörden müssen geschult und sensibilisiert werden.

Auch hier haben wir entscheidende Schritte mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 gemacht, das den Verbraucherschutz auch als eine Aufgabe des BSI festschreibt und ein einheitliches ITSicherheitskennzeichen für Produkte einführt. Um das IT-Sicherheitskennzeichen weiter zu stärken, brauchen wir in einem nächsten Schritt eine Verbindlichkeit des Kennzeichens auch auf europäischer Ebene. Außerdem gilt es aus meiner Sicht, bezüglich der IT-Produkte insbesondere Security-by-Design-Lösungen zu forcieren.

Das BSI als zentrale und präventiv ausgerichtete Cyber-Sicherheitsbehörde werden wir stärken, die Verschlüsselungsforschung ausbauen. Wir wollen Hersteller verpflichten, digitale Produkte und Dienste so zu konzipieren, dass sie sicher sind und als Standardeinstellung die sicherste Variante wählen. Wir wollen die europäische Entwicklung von IT- und Netzwerkkomponenten strategisch aufbauen und setzen uns für eine gezielte und koordinierte Unterstützung auf allen Technologie-Ebenen entlang der gesamten Wertschöpfungsketten ein.

Bei der Sicherheit von ITProdukten möchten wir auf die Selbstregulierung der Anbieter setzen. So erscheint uns die Normungsroadmap KI, die vom DIN und von der DKE herausgegeben wurde, ein gutes Beispiel zu sein, wie Produzenten mit dem Schadenspotenzial (Kritikalität) einer emergenten Technologie umgehen können. Anbieter, die mit ihren Produkten den selbst gegebenen Normen der Branche nicht genügen, sollten nicht mit einer Zertifizierung rechnen können und werden ihre Produkte kaum verkaufen.

Wir Freien Demokraten fordern eine Update- und Warnpflicht für die Anbieter zusammen mit einer entsprechenden Haftung für grob fahrlässig herbeigeführte Schäden aufgrund veralteter Software. Nur so können wir dem dynamischen Charakter von Software gerecht werden und das Sicherheitsniveau von Software nachhaltig verbessern.

Die Haftung der Hersteller für IT-Sicherheit muss ausgeweitet werden. Wir brauchen gesetzliche Vorgaben zur Produktionslebensdauer, die den verpflichtenden Support und Sicherheitsupdates für diese Zeit vorsehen. Per Verordung muss Security by Design und by Default vorgeschrieben werden. Das sollte auf europäischer Ebene als Regelung für den Binnenmarkt umgesetzt werden. Eine Sicherheitszertifizierung muss obligatorisch für den Marktzugang werden.

Wir setzen Anreize für guten Datenschutz und beste IT-Sicherheit, wollen innovative, technische Ansätze zum effektiven Schutz der Privatsphäre ausbauen und Auditierungen und europäisch einheitliche Zertifizierungen vorantreiben. Wir führen eine Verpflichtung zu einer angemessenen, risikoorientierten und benutzerfreundlichen Bereitstellung von Sicherheitsupdates ein. Wir wollen die Herstellerhaftung erweitern – insbesondere für Sicherheitslücken – und treiben Security by Design und by Default voran.

Quelle: BS/Paul Schubert/Benjamin Stiebel


Der Kongress Deutschlands für IT- und Cyber-Sicherheit bei Staat und Verwaltung www.public-it-security.de

PITS 2021

Foto: ©sdecoret - stock.adobe.com

Panta Rhei – IT-Security by future 9.–10. September 2021, bcc Berlin Programm 9. September 09.00 Uhr Eröffnung des Kongresses und Begrüßung der Teilnehmer Dr. Eva-Charlotte Proll, Mitglied der Geschäftsleitung, Behörden Spiegel Jörn Fieseler, Leiter der Berliner Redaktion, Behörden Spiegel 09.05 Uhr Keynote Thomas Strobl*, stellv. Ministerpräsident und Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration des Landes Baden-Württemberg 09.25 Uhr Partnervortrag N.N., Kongresspartner 09.40 Uhr Keynote Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik

Programm 10. September 09:00 Uhr

Keynote Andreas Könen, Abteilungsleiter „Cyber- und Informationssicherheit“, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

09.20 Uhr

Cyber-Krieg oder Cyber-Diplomatie Moderation und Impuls: Dr. Haya Schulman, Abteilungsleitung Cybersecurity Analytics and Defences, Fraunhofer SIT Dr. Regine Grienberger, Beauftragte für Cyberaußen- und Cybersicherheitspolitik, Auswärtiges Amt Brigadegeneral Jens-Olaf Koltermann, Unterabteilungsleiter Cyber/Informationstechnik, Bundesministerium der Verteidigung Dr. Annegret Bendiek, Stellvertretende Forschungsgruppenleiterin EU/Europa, Stiftung Wissenschaft und Politik Hakan Tanriverdi, Reporter für Cyber- und IT-Sicherheit, Bayerischer Rundfunk N.N., Kongresspartner

10.20 Uhr

Partnervortrag N.N., Kongresspartner

10.35 Uhr

Datensicherheit als Grundvoraussetzung für Datensouveränität Moderation: Rebekka Weiß, Leiterin Vertrauen & Sicherheit, Bitkom Andreas Könen, Abteilungsleiter „Cyber- und Informationssicherheit“, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Generalmajor Jürgen Setzer, stellvertretender Inspekteur des Cyber- und Informationsraums der Bundeswehr Dr. Sven Stephen Egyedy*, Leiter Auslands-IT/Chief Information Officer, Auswärtiges Amt N.N.*, Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich N.N., Kongresspartner

11.45 Uhr

Kaffeepause

12.30 Uhr

EXPERTENRUNDE 3

14:00 Uhr

Ende der Veranstaltung

10.00 Uhr Partnervortrag Martin Kaloudis, Chief Executive Officer, BWI 10.15 Uhr Sicherheitsarchitektur für die digitale Zukunft Moderation und Impuls: Andreas Könen, Abteilungsleiter „Cyber- und Informationssicherheit“, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Ammar Alkassar, Bevollmächtigter des Saarlandes für Innovation und Strategie/CIO Thomas Strobl*, stellv. Ministerpräsident und Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration des Landes Baden-Württemberg Wilfried Karl, Präsident der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich N.N., Kongresspartner 11.15 Uhr Kaffeepause 11.45 Uhr EXPERTENRUNDE 1 13.15 Uhr Mittagspause 14.15 Uhr EXPERTENRUNDE 2 15.45 Uhr Kaffeepause 16.15 Uhr Keine Angst vor KI – automatisiert, verantwortungsvoll, sicher Moderation: Benjamin Stiebel, Redakteur IT-Sicherheit, Behörden Spiegel Hans-Christian Witthauer*, Vizepräsident der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich Martin Kaloudis, Chief Executive Officer, BWI N.N., Kongresspartner 17.15 Uhr

Partnervortrag N.N., Kongresspartner

17.30 Uhr Cyber-Resilienz Moderation: Thomas Rehbohm*, CISO, Zentrales IT-Management und Digitalisierung öffentlicher Dienste, Senatorin für Finanzen in der Freien Hansestadt Bremen Martin Schallbruch, Direktor des Digital Society Instituts des ESMT Berlin Ralf Stettner, Abteilungsleiter Cyber- und IT-Sicherheit, Verwaltungsdigitalisierung, Hessisches Ministerium des Innern und für Sport und CISO der Hessischen Landesverwaltung N.N., Kongresspartner

*angefragt

Expertenrunde 3 Versorgung in Gefahr – Cyber-Angriffe auf KRITIS

Smart Cities: Effizient, lebenswert, inklusiv – aber auch sicher?

Social Engineering, Phishing & Fraud – Bleibt zuverlässiger Schutz vor Cybercrime eine Illusion?

Klemmbrett außer Dienst – sichere IT-Strukturen für das Gesundheitswesen

Sicher trotz oder dank Künstlicher Intelligenz?

Cloud-Computing nach Corona-Boost: Stellschrauben für die IT-Sicherheit

18.30 Uhr Ende des ersten Kongresstages

Expertenrunde 1

Expertenrunde 2

Softwarebasierte VPN-Lösung für VS-NfD

Business Continuity Management – krisensicher mit IT-Risikomanagement und -Notfallplanung

Sicherheitskonzepte, Angriffserkennung, Awareness – was hilft wirklich gegen Ransomware?

Zero-Trust-Konzepte für den öffentlichen Sektor

CERT-Verbund – viele Augen sehen mehr

Cyber-Defence im Falle hochprofessioneller Angriffsversuche

Partnerforum Check Point

Über Nullen und Einsen hinaus denken – physische Aspekte von IT-Sicherheit

Wer darf was? Rollen und Rechte managen

Chat, Voice, E-Mail – wie können deutsche Behörden sicher mobil arbeiten?

IT-Security made in Germany

Cyber-Sicherheit von Verwaltungsnetzen – technische und organisatorische Maßnahmen zur Absicherung

Cyber-Sicherheit in Kommunen – Big Game Hunting oder bin ich wirklich zu klein?

Fit für morgen: New Work, Quantencomputer, Künstliche Intelligenz

Eine Veranstaltung des


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / August 2021

Gebrochene Kette

KNAPP Neue Lkw-Auslesetechnik

Warnungen vor der Hochwasserkatastrophe

(BS/Bennet Klawon) Eine Gefahr wird akut. Behörden verschicken Meldungen über die verschiedenen Warnkanäle. Schnell sollen Bürgerinnen und Bürger nach weiteren Informationen (BS/mfe) In Sachsen kann die suchen, um in der Gefahrensituation richtig zu handeln. So zumindest stellen sich Verantwortliche verkürzt gesprochen einen Warnweg vor. Die Warnung der Bevölkerung funktioniert Verkehrspolizei mithilfe einer nur, wenn alle Glieder der Warnkette ihrer Aufgabe nachkommen können. Defizite im System führten jedoch jetzt zu Toten. Probleme werden auf andere Ebenen abgeschoben. neuen Technik digitale LkwDas Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sieht weniger Schuld beim Warnsystem als eher beim Handeln der betroffenen Kommunen und der ansässigen Bevölkerung. “Die Warninfrastruktur ist nicht unser Problem gewesen, sondern die Frage, wie sensibel reagieren Behörden, aber auch die Bevölkerung”, sagte Armin Schuster, Präsident des BBK. Der Grund für dieses nachlässige Handeln sei, dass es eine derartige Katastrophe bisher nicht gegeben habe. Die Warninfrastruktur habe aber funktioniert. Anders als während des Warntages 2020 sei das Modulare Warnsystem (MoWaS), das bundeseigene Warnsystem, stabil geblieben. Alle Warnmeldungen (insgesamt über 180) seien innerhalb der vorgegebenen Zeiten sowohl durch MoWaS als auch die Warn-App NINA ausgeliefert worden.

Pflichtaufgabe der Kommunen Auch die Verantwortlichen im Innenministerium von Rheinland-Pfalz verweisen beim Thema Warnen auf die Gemeinden, kreisfreien Städte und Landkreise. Diese würden im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung eigenverantwortlich entscheiden, wie, wann und in welchem Umfang die Bevölkerung gewarnt werde. Die Kommunen entschieden auch, welche Warnmittel sie vorhielten und einsetzten. Diese Aufgabe im Rahmen des Katastrophenschutzes sei eine Pflichtaufgabe der kommunalen Selbstverwaltung. Aus dem Innenministerium heißt es aber auch: “Der Rückzug des Bundes hinsichtlich der von ihm für den Zivilschutz vorgehaltenen Sirenen in ganz Deutschland war nach heutiger

die Kosten pro Mobilfunknetz zwischen 500.000 und 1,5 Millionen Euro liegen. Er sieht die größeren Probleme bei der Integration der IT-Systeme bei den zuständigen Behörden. “Je nachdem, wie geschickt sich die Politik anstellt, können die komplexen föderalen Berechtigungen und Zuständigkeiten auch zu deutlichen Kostensteigerungen führen”, so Rundfeldt.

Der liebe Datenschutz

Die Warnkette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Die Schlussfolgerung aus dem Warntag 2020 konnte bisher noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Foto: BS/dexmac, pixabay.com

Einschätzung ein Fehler.” Durch das aufgesetzte Förderprogramm für die Sireneninfrastruktur des BBK würde der Bund seiner Verantwortung für den Zivilschutz in Gänze gerecht werden, denn der Zivilschutz erfordere ein flächendeckendes Sirenennetz in jedem Bundesland. Diese Infrastruktur würde dann in Rahmen des Hilfeleistungssystems auch dem Katastrophenschutz zur Verfügung stehen.

“Wir hatten keine Möglichkeit” Burkhard Müller, Geschäftsführender Direktor des Landkreistages Rheinland-Pfalz, widerspricht, dass die Behörden vor Ort nicht sensibel genug agiert hätten. Die Warnmittel, die vorhanden seien, würden für Lagen dieser Art nicht ausreichen. Es brauche mehr Unterstützung beim Ausbau der Sireneninfrastruktur vonseiten des Bundes. Müller sieht jedoch noch weitere Probleme bei der Warninfrastruktur. Sobald der

Strom flächendeckend ausgefallen sei, könne weder über Sirene noch über Mobiltelefon effektiv gewarnt werden. Ebenso sei die Warnung über Lautsprecherwagen bei unterspülten Straßen und der Geräuschkulisse nicht möglich gewesen. “Wir hatten keine Möglichkeit, zu warnen”, so Müller. Außerdem müsse die Bevölkerung über die verschiedenen Warnsignale intensiver aufgeklärt werden, damit diese Bescheid wisse, was zu tun sei. Das Thema Warnen müsse neu durchdacht werden, fordert der Direktor.

Cell Broadcast soll es richten Als weiterer Warnkanal wird von mehreren Seiten Cell Broadcast eingebracht. Cell Broadcast ist ein Push-Dienst, der Textnachrichten an alle Empfänger innerhalb einer Funkzelle versendet. Anders als bei der SMS, die nur an einen Empfänger gerichtet ist, wird eine Cell-BroadcastNachricht von der Basisstation an alle Mobiltelefone in der Zelle

geschickt. Das System benötigt keine Mobiltelefonnummern. Es wird auch kein Smartphone oder eine App benötigt. Noch im vergangenen Jahr teilte das BBK dem Behörden Spiegel auf Anfrage mit, dass die Cell-Broadcast-Technologie zur Warnung aus technischen und operativen Gründen nicht in Betracht komme. Neben den technischen Voraussetzungen bei der Einführung von Cell Broadcast sah das Bundesinnenministerium (BMI) damals Schwierigkeiten in Bezug auf die Inhalte und die Akzeptanz der Warnung. Neben den vermuteten Akzeptanz- und technischen Problemen werden, warum es bisher diesen Warnkanal nicht gegeben hat, auch die hohen Kosten angeführt. Der BBK-Chef geht von 20 bis 40 Millionen Euro für die Einrichtung des Systems aus. Johannes Rundfeldt, Sprecher von AG KRITIS, hält die Kosten für die Einführung eines CellBroadcast-Management-Systems für überschaubar. So könnten

Auch versucht man wieder den Datenschutz als Hemmschuh darzustellen. Schuster will zuerst alle datenschutzrechtlichen Bedenken ausräumen, bevor es los gehen soll. Auch der Bundesverkehrsminister, Andreas Scheuer (CSU), verwies auf Datenschutzbedenken, die die Einführung von Cell Broadcast verhindern würden. Einzig der Datenschutz ist diesmal nicht das Problem. Auf Anfrage des Behörden Spiegel heißt es vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI): “Der BfDI hat keine grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken, die gegen die Einführung eines Cell-Broadcasting-Systems zur Warnung im Katastrophenfall sprechen. Tatsächlich wäre diese Lösung sogar sehr datenschutzfreundlich, weil sie keine Daten sammelt, sondern nur wie ein Radiosender Informationen verschickt.” Die Lehre aus dem Warntag, dass die Warnkette nur so stark ist wie ihre einzelnen Glieder, wurde eigentlich schon 2020 gezogen. Damals lag das schwächste Glied am Anfang beim BBK und dem MoWaS. Jetzt scheint das Problem am anderen Ende der Kette zu liegen. Es ist also ein ganzheitlicher Ansatz beim Thema Warnen gefragt.

Fahrtenschreiber auslesen. Flächendeckend zum Einsatz kommt dabei das “Dedicated Short Range Communication” – (DSRC)-System. Damit können die Beamtinnen und Beamten via Fernauslese im Vorbeifahren feststellen, ob es Auffälligkeiten bei einem Lastkraftwagen gibt, ohne ihn anhalten zu müssen. Diese Technik wird sowohl mobil als auch stationär eingesetzt. Sie kommt insbesondere an Autobahnen zum Einsatz. Anhand von 19 fernausgelesenen Basisdaten, die Aufschluss geben, ob beispielsweise die Stromversorgung unterbrochen wurde oder die Fahrerkarte ungültig ist, findet eine Vorselektion statt. Meldet das Gerät eine Unregelmäßigkeit, kontrolliert die Polizei anschließend gezielt. Andernfalls fährt der Lastkraftwagen ohne anzuhalten weiter.

Kooperation mit Norwegen (BS/df) Die Kooperation mit Norwegen ist in der Größenordnung und dem Umfang ein absolutes Novum im Bereich der maritimen Rüstung. Im Juli wurden nun die beiden Verträge gezeichnet. Mit dem ersten gingen die U-Boote des Typs Common Design (CD), die U212CD, unter Vertrag. Zwei sind für Deutschland bestimmt, vier für Norwegen. Hiervon profitiert vor allem die deutsche Industrie. Mit dem zweiten orderte das Beschaffungsamt der Bundeswehr, das BAAINBw, Seezielflugkörper beim norwegischen Unternehmen Kongsberg. Diese Seezielflugkörper sind als Bewaffnung der Fregatten F124, F125 und F126 vorgesehen und ersetzen die alten Harpoons. Auch wenn es als Kompensation entsteht, handelt es sich um eine moderne Bewaffnung, die auch von den USA genutzt wird.

Europa im Krisenmodus: Legitimität – Führung – Ausstattung

Foto: © Toby Giessen / Tobias Giessen

14.—15. September 2021

www.europaeischer-polizeikongress.de

Eine Veranstaltung des


Innere Sicherheit

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roblematisch könnte es allerdings werden, all diese neuen Stellen auch tatsächlich mit geeignetem Personal zu besetzen, räumte sie ein. Thomas Liebel, stellvertretender Bundesvorsitzender des BDZ Deutsche Zollund Finanzgewerkschaft, fordert insbesondere personelle Verstärkungen in der Zollfahndung sowie bei den Kontrolleinheiten der Hauptzollämter. Denn nur so könne effektiv gegen Schmuggel und Organisierte Kriminalität (OK) vorgegangen werden. Derzeit verfüge die Zollfahndung jedoch nur noch über rund 2.400 Beschäftigte. Das reiche nicht mehr aus. Hier könne nur noch an der Oberfläche gekratzt werden. Mit Blick auf die Arbeit der “Financial Intelligence Unit” (FIU), bei der es sich inzwischen um eine eigene Direktion innerhalb der Generalzolldirektion (GZD) handelt, fordert Liebel, dass dort künftig stärker risikobasierte Ansätze bei der Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen verfolgt werden müssten. Anderenfalls sei der Masse an Meldungen kaum mehr Herr zu werden. Für sinnvoll hält der Gewerkschafter im Kampf gegen Geldwäsche zudem eine Bargeldobergrenze sowie eine Beweislastumkehr. Auch wenn aus seiner Sicht keine kernstrukturelle Erneuerung des Zolls notwendig ist, brauche es dennoch eine noch bessere Kommunikation innerhalb der Behörde. Hierfür benötigten die Beschäftigten auch eine bessere digitale Ausstattung. Der Vergangenheit angehören müsse ein Denken in verschiedenen Silos innerhalb der Zollverwaltung, so Liebel im Rahmen des Digitalen Zolltages des Behörden Spiegel.

Verzahnung wichtig Denn bei der Arbeit des Zolls komme es entscheidend auf die Verzahnung verschiedener Prozesse und Akteure an, unterstrich GZD-Präsidentin Colette Hercher. Ihre Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMF sorge in diesem Zusammenhang dafür, dass die operative Steuerung der Zollverwaltung funktioniere und es keine Doppelkontrollen gebe. Dies sei bei den immensen Warenströmen, die insbesondere an den See- und Flughäfen innerhalb kürzester Zeitspannen abgefertigt werden müssten, von entscheidender Bedeutung. Zur Verdeutlichung der Dimension nannte Hercher dabei eine imposante Zahl: 165 Millionen Abfertigungen durch den deutschen Zoll im Rahmen der

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ie Angehörigen von Spezialkräften zeigen nach Expertenmeinungen eine deutlich höhere Affinität zu rassistisch-rechtsextremen Mustern. Das liege unter anderem in ihrem oft vom Rest der Umwelt abgeschotteten Agieren sowie in den kleinen Gruppengefügen begründet. Außerdem wiesen die Mitglieder ein besonders enges Zusammengehörigkeitsgefühl auf. Spezialeinheiten stellten ein eigenes soziales System dar, das anders funktioniere als übrige soziale Gruppen, auch weil es hier ganz besonders auf gegenseitiges Vertrauen ankomme. Werte wie absolute Folgebereitschaft, Solidarisierung und ein Abgrenzungswunsch zu NichtMitgliedern spielten hier oft eine herausgehobene Rolle. Außerdem müssten sich Neumitglieder, die Aufnahme in die kleine Gruppe der Spezialkräfte finden wollten, neu sozialisieren und “ein Opfer bringen”, erläutern Fachleute. Damit lassen sich die teilweise als extrem und unangemessen empfundenen Aufnahmerituale erklären. Ein weiterer wichtiger Erklärungsfaktor ist eine spezielle Polizei- und Organisationskultur, die durch ein ganz besonderes internes Beziehungssystem, ein gemeinsames Ethos

Behörden Spiegel / August 2021

Tausende zusätzliche Planstellen Zoll soll bis 2029 zahlreiche neue Beschäftigte bekommen (BS/Marco Feldmann) Die Zollverwaltung soll in allen Bereichen weiter personell verstärkt werden. Seit 2018 habe es bereits 4.000 zusätzliche Planstellen gegeben. Bis 2029 sollen es 7.000 weitere sein. Außerdem werde es massive Investitionen in neue Aus- und Fortbildungskapazitäten geben. Das kündigte die für Zollfragen zuständige Abteilungsleiterin im Bundesfinanzministerium (BMF), Tanja Mildenberger, an.

Sieht noch Verbesserungspotenzial, wenn auch kein grundlegendes, in der Zollverwaltung: Thomas Liebel, stellvertretender Bundesvorsitzender des BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft. Screenshots: BS/Feldmann

Warenausfuhr im Jahr 2020. Hier gehe es nicht ohne einen risikobasierten Ansatz, bei dem nur Teile dieser Abfertigungen einer genaueren Kontrolle unterzogen würden, so Hercher. Dabei würden auch Erkenntnisse nationaler und internationaler Partnerbehörden berücksichtigt. Und auch die Unternehmen selbst könnten die Abfertigung erleichtern, indem sie im Vorfeld des Warenversandes eine Art Sicherheitsüberprüfung durchliefen. Klar ist dabei aber auch: Nicht jeder Container kann überprüft werden. So berichtete der Leiter des Hauptzollamtes Frankfurt am Main, Markus Tönsgerlemann, dass nur ein Prozent der Waren vom Zoll eingehender kontrolliert würden. Dies sei allerdings auch darauf zurückzuführen, dass im Vorfeld bereits mehrere Risikoanalysen stattgefunden hätten. So habe es dann bereits eine zentrale und eine regionale Risikoanalyse der Sendung gegeben, erläuterte der Präsident des Zollkriminalamtes (ZKA), Dr. Rainer Mellwig. Dadurch würden verdächtige Akteure, Lieferwege und Modi Operandi identifiziert. Um das sicherzustellen, engagiere sich der Zoll auch im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) und entsende national wie international Verbindungsbeamte. Ungeachtet dessen plädierte Mellwig dafür, gemeinsame und multidisziplinäre Lösungsansätze und Bekämpfungsstrategien auf nationaler und internationaler Ebene fortzuentwickeln und noch intensiver zu implementieren. Wichtig sei es zudem, eng mit

anderen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zu kooperieren und auch abgeschlossene Verfahren genau zu betrachten. Aus diesen ließen sich nämlich oftmals Anhaltspunkte für neue Verfahren ex­ trahieren, meint Réne Matschke, Leiter des Zollfahndungsamtes Hamburg. Ziel seiner Behörde sowie der deutschlandweit sieben anderen Zollfahndungsämter sei es, Schmuggel- und OK-Strukturen nachhaltig zu stören oder gar zu zerstören und illegale Waren vom Markt zu nehmen. Zur Erreichung dieser Ziele arbeiteten die Zollfahnder sowohl mit offenen als auch mit verdeckten Methoden, wie Observationen oder Telekommunikationsüberwachungen. Für die Zukunft sieht er auch Möglichkeiten zur Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) und anderer moderner Methoden. Dazu gehörten unter anderem solche zur Ad-hoc-Auswertung digitaler Spuren zur schnellen Aufklärung von OK und Finanzkriminalität, meint Peter Warnke, Account Executive beim Unternehmen Magnet Forensics. Hier brauche es angesichts der riesigen Datenmengen, die inzwischen in Ermittlungsverfahren bewältigt werden müssten, dringend eine rasche und standardisierte Datenauswertung. Helfen kann möglicherweise auch eine 3D-gestützte Zollfahndung zum Aufspüren verdeckter Räume. Eine solche Lösung hält Roland Raith, Director Business Development EMEA – Forensic bei Hexagon Geosystems, für

Die für Zollfragen zuständige Abteilungsleiterin im Bundesfinanzministerium (BMF), Tanja Mildenberger, versprach eine weitere deutliche personelle Verstärkung des Zolls bis zum Ende der Dekade.

sinnvoll. Lukas Schiffer, Head of Sales Law Enforcement bei TactiScan, erachtet Möglichkeiten zur spektralen Betäubungsmittel- und Medikamentenidentifikation unmittelbar am Tatort als wichtiges künftiges Instrument der Drogenfahndung. Und Dominik Kampmann, EMEA Leader for Law Enforcement, Defense and Intelligence Services bei der Bureau van Dijk Electronic Publishing GmbH, hält weltweite Personen- und Unternehmensinformationen für die Analyse und Bekämpfung von OK für unerlässlich.

Direkte Schnittstelle schaffen Lena Olschewski von der Kerberos Compliance Management Systeme GmbH legt einen anderen Schwerpunkt. Sie ist der Auffassung, dass es auch im Bereich der Geldwäschebekämpfung künftig KI-Lösungen geben müsse. Denn dadurch würden sowohl die FIU als auch die Aufsichtsbehörden im Nicht-Finanzsektor entlastet. Ebenfalls erforderlich ist aus ihrer Sicht die Schaffung einer direkten Schnittstelle zwischen der FIU und den Verpflichteten. Eine solche würde auch den digitalen Austausch der Beteiligten verbessern. Zudem könnte die FIU dann verstärkt Rückmeldungen an die Verpflichteten geben und so zu einer Verbesserung der Meldungsqualität beitragen. Die Einheit erhalte inzwischen deutlich mehr Verdachtsmeldungen von

Immobilienmaklern, Rechtsanwälten und Notaren. Für Letztere, die zuvor kaum Geldwäscheverdachtsfälle gemeldet hätten, sei im Herbst vergangenen Jahres eine Meldeverordnung eingeführt worden, berichtete Ilja Schmidtke von der FIU. Die Gesamtzahl der von diesen Berufsgruppen eingehenden Meldungen bewege sich allerdings weiterhin nur im niedrigen dreistelligen Bereich pro Jahr. Eine andere Schwierigkeit besteht in Berlin bei der Kontrolle von Verpflichteten aus dem Nicht-Finanzbereich. Dort ist die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe für diese Aufgabe zuständig. Rein rechtlich dürften seine Mitarbeiter und er bei den Verpflichteten, zu denen unter anderem Juweliere, Autound Mineralölhändler sowie andere Gütehändler zählten, während der Geschäftszeiten unangekündigte Kontrollen durchführen, erklärt Jörg Lehnert. Aufgrund personeller Limitationen – für die Überwachung von rund 22.000 Verpflichteten aus dem Nicht-Finanzbereich stünden in der Bundeshauptstadt nur zehn Kontrollkräfte zur Verfügung – fänden solche Besuche allerdings nur selten statt. In anderen Bundesländern sehe es jedoch noch schlechter aus. Man kooperiere allerdings eng mit der Polizei und führe auch gemeinsame Verbundeinsätze durch. Das sei deutschlandweit in dieser Form einzigartig, unterstrich Lehnert. Informationen bekämen seine Mitarbeiter und er auch von Finanzbehörden und dem Zoll. Die Kooperation mit Letzterem könnte aber noch besser werden.

Verbesserungen weiterhin möglich Im politischen Raum wird die Zollstrukturreform, in deren Zusammenhang vor fünf Jahren die GZD gegründet wurde, dabei unterschiedlich bewertet. Während die SPD-Bundestagsabgeordnete Ingrid Arndt-Brauer ein positive Resümee zieht, betrachtet die finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag, Lisa Paus, die Neuorganisation kritischer. Sie sieht noch Potenzial, unter anderem bei

Höhere Affinität zum Rechtsextremismus Spezialeinheiten wegen Größe und Aufgabenbereich dafür prädestiniert (BS/Marco Feldmann) Die Fälle unangemessenen Verhaltens von Mitgliedern der Spezialkräfte von Polizei und Bundeswehr häufen sich in jüngerer Vergangenheit. In Hessen wurden zuletzt weitgehende Konsequenzen gezogen und ein Spezialeinsatzkommando aufgelöst. Doch wie lassen sich die rechtsextremistischen Auswüchse in den Einheiten erklären? Ihre Strukturen und Aufgaben spielen dabei eine zentrale Rolle. und eine professionelle Solidarität gekennzeichnet ist.

Dauerhaft in Ausnahme­ situationen tätig Darüber hinaus verstehen sich Kräfte der Spezialeinheiten oftmals als besondere Elite, auch weil sie in einem von Gewalt geprägten Kontext arbeiten. Dies verträgt sich aber nicht unbedingt mit der besonderen demokratischen Verantwortung der Polizei. Zudem agieren die Beamten am Horizont der Gefahr, des körperlich ausgetragenen Kampfes und des Wettbewerbes. Es geht bei ihren Einsätzen demnach unter Umständen um Sieg und Niederlage, um Nullsummenspielen, bei denen nur einer gewinnen kann. Die Gefahr, um die es geht, ist eine ganz reale Lebensgefahr. Das Agieren in einem solchen Umfeld kann zu einem dichotomen Denken führen, auch wenn die Landschaft der Spezialeinheiten sehr heterogen und der

Forschungsstand noch sehr rudimentär ist. Es entsteht ein gefährliches Freund-Feind-Denken. Außerdem sieht man sich ständig im Wettbewerb und in Konkurrenz zu anderen. Zentrale Werte in einer derartigen Gewaltmoral sind dann Dominanz, Durchsetzungsstärke, Über- und Unterordnung sowie das Denken in Hierarchien. Hinzu kommen zwei weitere strukturelle Probleme. Wissenschaftler kritisieren schon länger, dass es in der Polizei keinen etablierten Anti-Rassismus und auch nur sehr bedingt eine echte demokratische Diskussionskultur gebe. Vielmehr herrsche ein sehr starkes Bedürfnis vor, zu den “Guten” zu gehören beziehungsweise auf deren Seite zu stehen. Zweifel und Irritationen würden hier eher als unpassend empfunden. Das erschwere eine Kultur der (Selbst-)Kritik, heißt es. Potenziert würden die Probleme dann noch, wenn kein gutes Führungspersonal mit entsprechenden

Spezialkräfte schotten sich oftmals stark ab – nicht nur nach außen, sondern auch gegenüber der eigenen Organisation. Dieses Verhalten und ihre gefahrenträchtige Tätigkeit machen ihre Mitglieder oftmals anfälliger und empfänglicher für rechtsradikale Denkmuster und Verhaltensweisen. Dagegen helfen können vor allem neue Ansätze im Rahmen der Ausbildung, der Auswahl und der Einstellung. Foto: BS/pixelrecords, stock.adobe

Qualitäten vorhanden sei oder die Führungskräfte zu weit von den Einheiten vor Ort entfernt seien.

Auffangmöglichkeiten schaffen Um diesen Tendenzen entgegenzuwirken und Fehlverhalten möglichst zu verhindern, komme es

darauf an, die Arbeitsbedingungen anzupassen und Auffangmöglichkeiten seitens der Organisation zu schaffen. Besonders wichtig seien dabei Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen der Organisation. Ebenso wichtig sei eine Sensibilisierung für die speziellen gruppendynamischen

der FIU. Ähnlich äußern sich die Bundestagsabgeordneten Markus Herbrand (FDP) und Jörg Cezanne (Linke). Sie sehen noch Verbesserungsmöglichkeiten bei der Arbeit der FIU und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Insbesondere bei Ersterer seien noch zu viele Stellen unbesetzt, meint Cezanne. Ebenfalls nicht gänzlich zufrieden ist Sebastian Brehm von der Unionsfraktion. Der CSU-Politiker merkt an, dass der Zoll noch mehr Personal benötige, um all seinen Aufgaben angemessen gerecht werden zu können. Dies gelte nicht nur für die Bekämpfung von Geldwäsche. Zudem müssten die Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden weiter verbessert werden, waren sich Brehm und Paus einig. Es brauche dringend einen besseren Datenaustausch und eine effektivere Kooperation zwischen Bundes- und Landesbehörden. Uneinigkeit zwischen den Bundestagsabgeordneten bestand hingegen bei der Frage nach der Notwendigkeit einer Bundesfinanzpolizei. Während Paus und Cezanne sich dem Vorhaben gegenüber aufgeschlossen zeigten oder es sogar als mittelfristiges Projekt bezeichneten, war der FDP-Vertreter Herbrand skeptisch. Aus seiner Sicht sollten lieber Schwachstellen im bestehenden System identifiziert und behoben werden. Deshalb ist er auch dagegen, die Zuständigkeit für die Geldwäscheaufsicht dem Nicht-Finanzsektor der FIU zuzuschlagen. Wie die Geldwäschebekämpfung in Österreich organisiert ist, erläuterte schließlich Wilfried Lehner. Der Bereichsleiter Finanzpolizei im Amt für Betrugsbekämpfung im Bundesministerium für Finanzen berichtete, dass die Zahl der Scheinfirmen in der Alpenrepublik immer weiter zunehme. Das fordere die Finanzpolizei, die sowohl arbeitsrechtliche als auch abgabenrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Sachverhalte ermittle. Ein Vorgehen gegen diese Konstrukte sei aber enorm wichtig, da hier Sozialbetrug begangen werde. Würden Scheinunternehmen rechtssicher festgestellt, erfolgteihre Nennung auf der Internetseite des Bundesfinanzministeriums. Außerdem würden sie aus dem Firmenbuch gelöscht, erläuterte Lehner. Die gesamte Online-Veranstaltung kann kostenpflichtig in der Mediathek+ des “Digitalen Staat Online” unter www.digitaler-staat. online angeschaut werden.

Prozesse von Spezialeinheiten. Zudem müssten Kontroll- und Sanktionsstrukturen angepasst werden. Es sollte mehr auf Konflikttrainings und die Stärkung der Fähigkeit zur Selbstreflektion schon in der Ausbildung gesetzt werden. Denn der Ausbildung kommt beim Entgegenwirken von Fehlverhalten eine ganz besondere Bedeutung zu. Selbst wenn man auch hier nicht oder nur sehr bedingt in die Köpfe der Anwärterinnen und Anwärter schauen kann, bieten sich dort noch deutlich mehr Einwirkungsmöglichkeiten für den Dienstherrn als bei der Fortbildung. Denn bei Letzterer ließen sich Grundeinstellungen kaum noch ändern, geben Fachleute zu bedenken. Sinnvoller könnten hier Vorprüfungen im Rahmen der Einstellung sein. So sollen künftig Anwärter der hessischen Polizei regelhaft durch den Verfassungsschutz überprüft werden. Auch in Brandenburg gibt es aus dem Innenministerium Überlegungen zu einer Art “Verfassungstreue-Check”. Ein solcher ist rechtlich allerdings nicht ganz einfach und innerhalb des Hauses durchaus umstritten.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / August 2021

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ehörden Spiegel: Herr Busch, wie findet man bei Busch PROtective den richtigen Helm für den jeweiligen Einsatz?

Busch: Neben dem passenden Grundmodell setzen wir auf die Modularität eines Helmes. Dabei kommt es uns darauf an, dass der Anwender den Helm individuell an seine Bedürfnisse anpassen und auf diese zuschneiden kann. Denn nur so ist gewährleistet, dass er bestmöglich mit dem Helm agieren kann. Wir verstehen unter Modularität deshalb die bestmögliche Anpassung an das Nutzungsverhalten.

Individualität und Modularität zählen Helme von Busch PROtective sollen bestmöglich zum Kunden passen (BS) Ballistische Schutzhelme sind bei den Polizeien immer weiter verbreitet. Die jeweils gestellten Anforderungen an sie unterscheiden sich aber je nach Einsatzgebiet. Ein Streifenbeamter will einen anderen Helm haben als ein Angehöriger einer Spezialeinheit. Wie Hersteller dieses Portfolio abdecken können, erklärt der CEO von Busch PROtective Germany, Edwin Busch. Die Fragen stellte Behörden Spiegel-Redakteur Marco Feldmann.

“Die Modularität ballistischer Helme ist von großer Bedeutung, weil die Anwendungsfelder der Helme in Deutschland sehr groß und breit gefächert sind.”

Behörden Spiegel: Warum ist die Modularität eines ballistischen Helmes so wichtig? Busch: Die Modularität ballistischer Helme ist von großer Bedeutung, weil die Anwendungsfelder der Helme in Deutschland sehr groß und breit gefächert sind. Ballistische Helme sind inzwischen sowohl im Streifendienst als auch bei Spezialeinheiten im Einsatz. Deshalb gibt es jeweils unterschiedliche Erwartungshaltungen der Bedarfsträger. Streifenpolizisten benötigen vor allem einen passiven Schutz durch den Helm, Angehörige von Spezialeinheiten hingegen insbesondere einen aktiven ballistischen Schutz. Denn ein Helm bringt nur etwas, wenn er auch tatsächlich getragen wird. Er hat keine Wirkung, sofern er nicht genutzt wird, weil er die individuellen Anforderungen der Bedarfsträger nicht erfüllt.

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Edwin Busch ist Geschäftsführer der Busch PROtective Germany GmbH & Co. KG. Fotos: BS/Busch PROtective Germany GmbH & Co. KG

Behörden Spiegel: Welche Tools verwenden Sie, um Ihre Kunden individuell und praxisorientiert zu beraten? Busch: Besonders wichtig ist die Gefährdungsbeurteilung. Diese erstellt der Kunde im Vorfeld und wir unterstützen ihn dabei gegebenenfalls mithilfe von Checklisten. Denn nur wenn eine gute Gefährdungsbeurteilung vorliegt, können wir tatsächlich herausfinden, wo und wie der Helm genutzt werden soll. Nur so kann das bestmögliche Produkt entstehen, das auf

die individuellen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten ist. Behörden Spiegel: Wie erstellen Sie Anwendungsprofile mithilfe von Checklisten, um die Bedürfnisse Ihrer Kunden klar zu definieren und passende Produkte anzubieten? Busch: Wir prüfen anhand von Checklisten die Eigenschaften von Helmen in verschiedenen Bereichen. Außerdem legen wir die jeweilige Gefährdungsbeurteilung und unsere Checkliste übereinander und versuchen, ei-

Alle Elemente der Helme von Busch PROtective sind modular aufgebaut. Dadurch können recht schnell hohe Stückzahlen produziert werden. Foto: BS/Busch PROtective

ne größtmögliche Überlappung zu erreichen. Unser Ziel ist immer das bestmögliche Produkt für unsere Kunden.

Behörden Spiegel: Wie gestaltet sich aus Ihrer Sicht eine zusammen mit den Kunden individuell konzipierte Modularität in allen Etappen der Zusammenarbeit – also bei der Beschaffung, Produktion und Anwendung? Busch: Wir denken bei den Eigenschaften unserer Helme in Modulen. Dazu zählen etwa der ballistische Schutz und die Stoßdämpfung. Innerhalb dieser Kategorien denken wir dann nochmals in Ausprägungen. Das führt dazu, dass alle Ele-

mente unserer Helme modular aufgebaut sind. Dadurch können mit relativ wenigen Basiskomponenten schnell viele unterschiedliche Helme produziert werden. Zudem ist unsere Produktion dezentralisiert. Das ist wichtig, denn Polizeibehörden wollen die gewünschten Helme oftmals rasch erhalten, weil sie einen konkreten Bedarf haben. Da sie im Gegenzug in der Regel keine riesigen Stückzahlen benötigen, können Produktion und Lieferung durch uns meist sehr schnell erfolgen. Dabei machen wir aber keine Abstriche in der Performance und beim Service. Das ist uns beides äußerst wichtig. Behörden Spiegel: Welche Entwicklungen wird es aus Ihrer Sicht künftig im Bereich der bal-

listischen Helme im Besonderen und der polizeilichen Schutzausstattung im Allgemeinen geben? Busch: Helme werden immer mehr zur polizeilichen Standardausrüstung. Zugleich wird das Spektrum, das Helme inzwischen abdecken müssen, immer größer. Wir stellen immer öfter fest, dass Kunden hybride Anforderungen an uns stellen. Das führt zu neuen Produktfamilien. Außerdem verändert sich das Material der Helme immer weiter. Und die Helme werden immer leichter. Alle weiteren Fragen zur Modularität der Helme können an sales@busch-protective.com gesendet werden.

Fehlerteufel

In eigener Sache (BS/mfe) Im Interview mit dem Gesamtprojektleiter des Programms “Polizei 2020” in unserer Juli-Ausgabe (Seite 38) waren leider falsche Angaben enthalten. Die Einigung auf die Saarbrücker Agenda erfolgte bereits im November 2016, nicht erst 2018. Beginn des Programms “Polizei 2020” war 2017 und nicht erst Anfang 2018. Holger Gadorosi ist seit September 2019 Gesamtprojektleiter und nicht erst seit September 2020. Auf unserer Grafikseite (Seite 42) wurden in einer Abbildung Baden-Württemberg und Bayern verwechselt. Wir bitten um Entschuldigung.

Die Parteien zur Bundestagswahl 2021

Keine Einigkeit zwischen den Parteien

Strafverschärfungen bei Attacken auf Polizisten und Kennzeichnungspflicht für Beamte umstritten Innere Sicherheit

?

Braucht es weitere Strafver­schärfungen bei Angriffen auf Polizei-­­ beamtinnen und -beamte?

?

Sollte es bei der Bundespolizei eine Kennzeichnungspflicht und einen Polizeibeauftragten geben?

CDU / CSU

SPD

AfD

FDP

Linke

Grüne

Dr. Mathias Middelberg, MdB, Innenpolitischer Sprecher

Ute Vogt, MdB, Innenpolitische Sprecherin

Dr. Gottfried Curio, MdB, Innenpolitischer Sprecher

Benjamin Strasser, MdB, Obmann im Ausschuss für Inneres und Heimat

Ulla Jelpke, MdB, Innenpolitische Sprecherin

Dr. Irene Mihalic, MdB, Innenpolitische Sprecherin

Weder von der CDU noch von der CSU waren bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe Antworten auf die Frage zu erhalten.

Es ist mit Sorge zu sehen, dass die Hemmschwelle spürbar gesunken ist, was Gewalt und Drohungen gegenüber Beschäftigen des Öffentlichen Dienstes, insbesondere gegenüber Polizeibeamten und -beamtinnen angeht. Mit Strafverschärfungen ist es nicht getan. Neben besserer statistischer Erfassung über das Ausmaß müssen bedarfsorientierte Maßnahmen getroffen werden. Das können Schulungen der Betroffenen sein zu Kommunikation und Deeskalation sein, konkrete Handlungsleitfäden, aber auch der Einsatz von Sicherheitstechniken und die Einrichtung von runden Tischen.

Polizisten und Polizistinnen sind die Hüter der staatlichen Ordnung auf der Straße. Da ein Angriff auf Polizisten und Polizistinnen auch ein Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol und die allgemeine Sicherheit ist und der Staat zudem gegenüber seinen Beamten eine besondere Schutzverantwortung hat, muss dies als besonders schwerwiegend vom Gesetzgeber beurteilt werden: Dem Sittenverfall muss auch mit einem äußeren Zeichen Einhalt geboten werden; der Staat darf in der Durchsetzung des Rechts nicht zurückweichen.

Wir verurteilen Angriffe auf Polizeibeamtinnen und -beamte auf das Schärfste. Für gewalttätige Übergriffe gibt es keinerlei Rechtfertigung. Bereits heute ermöglicht es das Strafrecht, solche Angriffe scharf zu ahnden. Wir wollen künftig zusätzlich eine bessere Dokumentation von Gewalt gegen unsere Einsatzkräfte erreichen, um zusätzliche politische Handlungsoptionen zu entwickeln.

Keinesfalls. Stattdessen müssen Verschärfungen der letzten Jahre zurückgenommen werden. Dies betrifft insbesondere die Gummiformulierungen in den Strafrechtsparagrafen 113 und 114, die beispielsweise Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Demonstrationen zunehmend polizeilicher Willkür ausliefern. Außerdem muss es endlich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit rechtswidriger Polizeigewalt geben, die aus meiner Sicht ein wesentlich größeres Problem darstellt als vereinzelte Angriffe auf Einsatzkräfte.

Wir brauchen keine Strafverschärfungen bei Angriffen auf Polizeibeamtinnen und -beamte, sondern eine konsequente Strafverfolgung und Anwendung des Strafrechts. Entscheidend ist außerdem die Ausund Fortbildung von Polizistinnen und Polizisten, um auf die unterschiedlich herausfordernden Einsatzsituationen vorzubereiten. Gleichzeitig müssen insbesondere schwierige Einsätze nachbereitet werden, um das taktische Vorgehen der Polizei kontinuierlich zu verbessern und Polizeibeamte bestmöglich zu schützen.

Weder von der CDU noch von der CSU waren bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe Antworten auf die Frage zu erhalten.

Eine Kennzeichnungspflicht ist eine gute vorsorgende Maßnahme. Keinem Polizeibeamten und keiner polizeibeamtin entstehen dadurch Nachteile. Im Gegenteil, solche Kennzahlen zeigen, dass jeder und jede Einzelne für die eigenen Handlungen einsteht. Es war falsch und schädlich, dass diese Kennzeichnung, die sich zum Beispiel auch in NRW bewährt hatte, unter der Regierung von Herrn Laschet abgeschafft wurde.

Eine Kennzeichnungspflicht soll Polizisten und Polizistinnen unter Generalverdacht stellen und damit eine Täter-OpferUmkehr im öffentlichen Diskurs zugunsten bestimmter Milieus bewirken. Neben dem Clan-Umfeld ist es eine gewaltaffine Linke, die selbst das Gewaltmonopol des Staates infrage stellt und damit eine Einschüchterung gerne bewirken würde, dass unter Umständen notwendige Zwangsmaßnahmen gegen sie aus Furcht vor willkürlichen Vorwürfen nicht durchgeführt werden. Die Maßnahme ist abzulehnen.

Unsere Polizistinnen und Polizisten leisten eine hervorragende Arbeit. Als Freie Demokraten lehnen wir einen Generalverdacht gegenüber unserer Polizei ab. Für uns ist jedoch auch klar, dass polizeiliches Handeln immer nachvollziehbar sein muss. Wir wollen daher eine pseudonyme Kennzeichnungspflicht für Beamtinnen und Beamte einführen. Statt eines Polizeibeauftragten wollen wir die bestehende Vertrauensstelle bei der Bundespolizei ausbauen.

Unbedingt sollte bei der Bundespolizei eine Kennzeichnungspflicht eingeführt werden, das fordert meine Fraktion schon seit Langem. Damit können bei Weitem nicht alle Probleme gelöst werden, aber es wäre ein wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz. Es darf nicht sein, dass Ermittlungen schon daran scheitern, dass beschuldigte Polizisten nicht identifizierbar sind. Dringlich ist auch die Einrichtung unabhängiger Ermittlungsstellen, in denen sowohl Bürger als auch Beamte Fehlverhalten melden können.

Die Kennzeichnungspflicht würde bei der Bundespolizei zu mehr Transparenz und Bürgernähe beitragen. Für nachhaltiges Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ist die Nachvollziehbarkeit polizeilichen Handelns entscheidend. Seit Langem fordern wir einen Polizeibeauftragten als Ansprechpartner für Menschen innerhalb und außerhalb der Polizei. Allerdings nicht bei der Bundespolizei, sondern unabhängig gestellt beim Deutschen Bundestag.

Quelle: BS/Feldmann


SONDERBEILAGE des Behörden Spiegel

zum einhunderjährigen Geburtstag des Deutschen Roten Kreuzes Berlin und Bonn / August 2021

Ohne die vielen Ehrenamtlichen nicht denkbar DRK-Präsidentin Hasselfeldt zu 100 Jahren DRK

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(BS) Der Dachverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) feiert in diesem Jahr seinen hundertersten Geburtstag. 1921 schlossen sich in Bamberg die zum Teil bereits seit 1863 bestehenden deutschen Rotkreuz-Landesvereine zum DRK e. V. als Dachverband zusammen. Die Rotkreuz-Gesellschaft prägt seitdem die deutsche Gesellschaft. DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt sieht besonders die ehrenamtlichen Kräfte als Erfolgsgarant für die Organisation. Aber auch die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt ist von zentraler Bedeutung. Die Fragen stellte Bennet Klawon.

ehörden Spiegel: Was bedeutet unterschätzt werden. Ich glaube, dass grundsätzlich ehrenamtliche für Sie die Arbeit beim DRK? und freiwillige Tätigkeiten außerGerda Hasselfeldt: Die Idee der halb des beruflichen Alltags der Internationalen Rotkreuz- und Kit in unserer Gesellschaft und für Rothalbmond-Bewegung, Men- das Zusammengehörigkeitsgefühl schen allein nach dem Maß der absolut notwendig sind. Not, also unabhängig von ihrer Nationalität, sozialen Stellung oder po- Behörden Spiegel: Welche Lehren litischen Haltung zu helfen, finde ich ziehen Sie für das ehrenamtliche großartig. Genauso großartig finde Engagement aus der Corona-Krise? ich das persönliche Engagement der vielen haupt- und ehrenamtlichen Hasselfeldt: Wir haben ziemlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. deutlich gemerkt, dass neben eiDas motiviert auch mich, meine ner ausreichenden MaterialvorhalKenntnisse und Kontakte aus der tung – Stichwort Schutzkleidung, jahrzehntelangen politischen Ar- Masken und Ähnliches – auch eine beit in das Deutsche Rote Kreuz ausreichende Personalvorhaltung einzubringen. Ich empfinde diese notwendig ist. Hilfreich wäre z. B. ehrenamtliche Tätigkeit als persön- ein Angebot für die Bevölkerung in pflegerischen Grundkenntnissen liche Bereicherung. als Vorbereitung für Pandemien und Behörden Spiegel: Welchen Stel- andere Krisen. Wir denken etwa an Erste-Hilfe-Kurse mit krisenbelenwert hat das Ehrenamt heute? zogenen Inhalten zur Selbsthilfe Hasselfeldt: Ohne die vielen Eh- oder an eine Basisausbildung in renamtlichen – wir haben im Deut- pflegeunterstützenden Maßnahmen schen Roten Kreuz über 430.000 für den ehrenamtlichen Bereich im davon – wäre das Rote Kreuz über- Wohn- und Nachbarschaftsbereich. haupt nicht denkbar. Diese vielen Unser Ziel ist es, dass etwa ein ProEhrenamtlichen spielen seit der zent der Bevölkerung in fünf Jahren Gründung bis heute eine zentrale entsprechend ausgebildet wird. Das zweite Thema ist die längst Rolle. Wichtig ist dabei auch die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und überfällige rechtliche GleichstelEhrenamt. Das hat sich besonders lung von Helfern aller verschiedein der Pandemie gezeigt. Die vielen nen Hilfsorganisationen. Wir haben Teststationen und Impfzentren wä- heute in vielen Bundesländern eine ren ohne dieses gute Miteinander Sonderstellung für Helfer aus dem zwischen Haupt- und Ehrenamt Technischen Hilfswerk (THW) oder nicht möglich gewesen. Manche der Feuerwehr, was die ArbeitsfreiTätigkeiten bei uns werden auch stellung und die Lohnfortzahlung fast vollständig von Ehrenamtlichen betrifft. Für die Mitarbeiterinnen und ausgeführt, wie z. B. die Bergwacht, Mitarbeiter des DRK und anderer die Wasserwacht, die Bereitschaften, anerkannter Hilfsorganisationen, die Wohlfahrtspflege oder auch die die Ähnliches leisten und teilweise tagelang bei Großeinsätzen unterArbeit im Jugendrotkreuz.

ie Grundidee des Roten D Kreuzes, Menschen in Not zu helfen, ist bei jungen Leuten durchaus stark ausgeprägt. Behörden Spiegel: Wie hat sich wegs sind, haben wir das nicht. Wir das Engagement aus ihrer Sicht brauchen also eine wirkliche Gleichstellung der Helferinnen und Helfer verändert? in allen Bundesländern. Drittens setzen wir uns dafür ein, Hasselfeldt: In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich ei- dass die Freiwilligendienste in niges getan. Sehr bezeichnend Deutschland attraktiver werden und ist, dass sich die Menschen we- das Angebot für Freiwilligendiensniger auf Dauer fest in Vereinen te speziell im Bevölkerungsschutz und Verbänden organisieren und ausgebaut wird. engagieren wollen, sondern mehr Behörden Spiegel: Sie und der in Projekten z. B. in der Nachbarschaftshilfe, in der Flüchtlingshilfe DRK-Generalsekretär, Christian Reuund Ähnlichem. Dem tragen wir ter, forderten, dass 0,5 Prozent des auch Rechnung. Aber trotzdem sind Bundeshaushaltes für einen “nachfeste Strukturen unerlässlich, denn haltigen, umfassenden Bevölkerungsfür viele ehrenamtliche Tätigkeiten schutz” aufgewendet werden müssen. ist eben eine gewisse Ausbildung Löst Geld allein die Defizite? und Qualifikation notwendig. Auch sind regelmäßige Übungen wichtig. Hasselfeldt: Es ist natürlich nicht Deshalb ist auch die Pflege der Ge- nur das Geld. Aber das, was notmeinschaft von Bedeutung. Gerade wendig ist, geht nicht ohne Geld. in Pandemiezeiten hat das ein biss- Es ist ganz eindeutig, dass wir für chen gelitten, weil viele persönli- mögliche Krisen und Katastrophen che Treffen gar nicht oder nur noch eine bessere Vorhaltung von Matedigital stattfinden konnten. Diese rialien brauchen. Das umfasst eine Pflege der Gemeinschaft darf für das Bundesvorhaltung beispielsweise für ehrenamtliche Engagement nicht die Betreuung von Menschen, die

Gerda Hasselfeldt ist seit 2017 Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Zuvor war sie Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und Bundesministerin für Gesundheit. Foto: BS/DRK, Henning Schacht

evakuiert werden müssen, oder eine nationale Gesundheitsreserve von Materialien im medizinischen Bereich. Schutzausrüstung gegen das Coronavirus hatten wir zu Beginn der Pandemie nicht. Sie musste dann teuer besorgt werden, um Menschen und Fachpersonal entsprechend schützen zu können. Wir haben Nachholbedarf auch in der technischen Ausstattung in manchen Bereichen für Krisen und Katastrophenfälle. Das ist eine Erkenntnis. Eine zweite Erkenntnis neben der notwendigen Bundesvorhaltung ist aber auch, dass wir eine entsprechende Aus- und Fortbildung der Hilfskräfte und gemeinsame Übungen brauchen, um für solche Fälle gewappnet zu sein. Das geht natürlich nicht ohne Organisation und auch nicht ohne finanzielle Hilfen aus dem Bundeshaushalt. Wir begrüßen außerdem ausdrücklich, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) neu ausgerichtet wird und ein gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz beim BBK angesiedelt werden soll, das alle wichtigen Akteure in diesem Bereich miteinander vernetzt.

Arbeit wichtig. Der Fantasie sind dabei im Konkreten keine Grenzen gesetzt. Ich nenne hier nur beispielhaft Eintrittskarten für kulturelle oder sportliche Veranstaltungen. Manche Kommunen sind übrigens dabei durchaus sehr fantasiereich und auch vorbildhaft. Neben dieser Anerkennung muss die notwendige Ausstattung für Übungen und Einsätze kommen. Auch Räumlichkeiten für die Pflege der Gemeinschaft sind dabei nicht zu unterschätzen. Für die klassischen Freiwilligendienste wie das Freiwillige Soziale Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst brauchen wir eine höhere Attraktivität. Denn unsere Erfahrungen sind eindeutig: Die Ableistung eines solchen Dienstes ist häufig der Einstieg in eine anschließende oder spätere langfristige ehrenamtliche oder hauptberufliche Tätigkeit. Diese höhere Attraktivität kann sich in einem angemessenen Taschengeld wiederfinden. Sie kann aber durch eine kostengünstige Unterbringung, eine kostenlose Verpflegung, den Erwerb von Qualifikationsnachweisen oder auch den erleichterten Zugang zum bevorstehenden Berufsweg erreicht werden.

Behörden Spiegel: Wie kann Behörden Spiegel: Wie lassen sich Freiwilliges Engagement gestärkt junge Menschen für ein ehrenamtliches Engagement motivieren? werden? Hasselfeldt: Als Erstes ist eine gute Hasselfeldt: Als Erstes ist die und spürbare gesellschaftliche so- Information an den Schulen notwie politische Anerkennung dieser wendig. Eine aktuelle DRK-Umfrage

Das Ehrenamt spielt seit der Gründung bis heute eine zentrale Rolle.

zeigt eindeutig, dass viele junge Menschen zwar Interesse an einem freiwilligen Dienst oder an einem ehrenamtlichen Engagement haben, aber ihnen häufig die entsprechenden Informationen fehlen, wo sie sich engagieren können. Zum Zweiten will ich darauf hinweisen, dass in jedem Alter ein ehrenamtliches Engagement für die Menschen einen Sinn geben muss. Sie müssen spüren: Es ist etwas Gutes, wo ich meine Talente und meine Eigenschaften einbringen kann und wo ich vielleicht auch noch was lernen kann. Spaß und Freude dürfen natürlich auch nicht fehlen. Offensichtlich gelingt uns das im Deutschen Roten Kreuz ganz gut. Wir haben 140.000 Mitglieder des Jugendrotkreuzes und viele von ihnen beginnen z. B. als Schulsanitäter. Sie bringen damit Kenntnisse ein, die andere nicht haben. Sie setzen sich in Gesprächskreisen mit Drogenund Alkoholproblemen auseinander und lernen über Gesundheit eben mehr als andere. Außerdem haben wir eine sehr aktive Wasserwacht und Bergwacht. Wir sind zudem in vielen Bereichen auch mit Rettungshunden unterwegs. Das alles ist für technisch Interessierte, für sportlich Interessierte oder für Tierliebhaber ein interessantes Betätigungsfeld. Die Grundidee des Roten Kreuzes, Menschen in Not zu helfen, ist bei jungen Leuten durchaus stark ausgeprägt. Bei all den Schwerpunkten für die Jungen will ich aber auch daran erinnern, dass es viele ältere Menschen gibt, die z. B. nach dem Ruhestand eine sinnvolle Betätigung suchen, um sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Das ist ein hoher Wert für unsere Gesellschaft. Da sind wir auch als Hilfsorganisation und Wohlfahrtsverband selbst gefordert, diese Menschen anzusprechen und ihnen ein Angebot zu machen. Behörden Spiegel: Welche Herausforderungen warten am Horizont auf das DRK und wie begegnet das DRK diesen Herausforderungen? Hasselfeldt: Einmal ist natürlich die demografische Entwicklung in der Gesellschaft eine große Herausforderung. Diese wirkt sich in besonderer Weise auf die Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes aus, z. B. in der Pflegearbeit. Die Aufgabe ist, die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte zu verbessern, den Fachkräftemangel zu beheben und für ausreichendes Fachpersonal im Pflegebereich zu sorgen. Das werden wir in den Verbänden nicht alleine können. Dazu sind politische Anstrengungen notwendig. Aber auch die Ehrenamtlichen z. B. in der Wohlfahrtsarbeit sind hier besonders zusätzlich gefordert. Ich denke an die Betreuung von Demenzkranken oder von hilfsbedürftigen Personen als Ergänzung zur Arbeit der hauptamtlichen Pflegekräfte. Eine zweite Herausforderung ergibt sich aus der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung für das Ehrenamt schlechthin, denn mit zunehmender Berufstätigkeit der Frauen fallen viele bisher eh-

renamtlich Tätige weg. Andererseits sind immer mehr ältere Menschen rüstig; diese müssen wir für zusätzliches ehrenamtliches Engagement gewinnen. Eine weitere Herausforderung ist die Gefahr von Katastrophen wie Extremwetterereignisse, CyberAngriffe oder eben auch Pandemien. Dazu muss der Bevölkerungsschutz mit Material und Personal gestärkt werden. Auch muss die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Hilfsorganisationen verbessert werden. Nicht vergessen möchte ich auch die Entwicklung der Digitalisierung. Gerade in der Pandemie haben wir gespürt, wie notwendig die Verzahnung und die schnelle Weitergabe von Informationen zum Beispiel aus den Gesundheitsämtern ist. Da besteht meines Erachtens großer politischer Handlungsbedarf. Auch Online-Beratungsangebote des DRK werden größere Verbreitung bekommen. Behörden Spiegel: Welche Impulse konnten sie aus der Diskussion zur Entwicklung der Strategie 2030 ziehen? Hasselfeldt: Wir haben momentan eine intensive Diskussion innerhalb des DRK über die künftige Strategie unseres Verbandes. Ein hochinteressanter und demokratischer Diskussionsprozess, wie ich finde. Der Prozess sollte eigentlich 2020 schon abgeschlossen sein, um daraus die Strategie für die nächsten zehn Jahre zu entwickeln. Wir haben den Prozess pandemiebedingt bis Ende 2021 verlängert. In der ersten Phase haben sich mehr als 10.000 Personen beteiligt – das hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Die zweite Phase wird derzeit ausgewertet. Da geht es um die Fragen, wie die Attraktivität des Deutschen Roten Kreuzes gesteigert werden kann, wie Freiwillige und Ehrenamtliche nachhaltig gewonnen und eingebunden werden können und vieles andere mehr. Es geht nicht in erster Linie um die Wünsche an andere, z. B. an die Politik, sondern es geht um uns selbst und unsere strategische Aufstellung in den nächsten zehn Jahren. Behörden Spiegel: Wie geht der Prozess weiter? Was erwarten Sie von diesem Prozess? Hasselfeldt: Wir werden Ende des Jahres zu einem Abschluss kommen. Den Ergebnissen will ich und kann ich nicht vorgreifen, weil der Diskussionsprozess noch läuft. Wir werden ihn zum Jahresende abschließen und dann die Strategie für die nächsten zehn Jahre festlegen. Ich finde diesen Prozess äußerst spannend und interessant, weil er die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Haupt- und Ehrenamtlichen in diese Diskussion voll miteinbezieht. Wir stülpen nichts über, sondern wollen aus den Erfahrungen der Praxis lernen. Deshalb nehme ich diese Ergebnisse auch sehr ernst und freue mich auf diese Diskussion.


100 Jahre DRK

Behörden Spiegel / August 2021

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Am Wendepunkt Umdenken im Bevölkerungsschutz (BS/Christian Reuter) Vielleicht musste erst eine globale Katastrophe wie die Corona-Pandemie geschehen, damit ein Umdenken im Bevölkerungsschutz in Deutschland in Gang kommt. Denn schon seit einigen Jahren warnt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) – allen voran DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt – davor, dass Deutschland nicht genügend auf Krisen der unterschiedlichsten Art vorbereitet ist. Schon die Flüchtlingsbewegung der Jahre 2015/16, als innerhalb kurzer Zeit eine Million Menschen ins Land gekommen sind, zeigte einige Defizite im Bevölkerungsschutz auf: Es fehlte vor allem an Unterbringungsmöglichkeiten, Zelten und Feldbetten, um alle angemessen versorgen zu können. Das DRK musste daher sogar aus Kanada und den USA Feldbetten besorgen. Auch der Ebola-Ausbruch 2014/15 in Westafrika gab einen Vorgeschmack darauf, was eine weltweite Pandemie an Herausforderungen mit sich bringen kann.

D

ie Corona-Pandemie ist noch nicht bewältigt; und es ist unwahrscheinlich, dass eine neue Pandemie wieder 100 Jahre auf sich warten lässt. Wir müssen uns künftig aber auch auf Krisenszenarien ganz anderer Art einstellen. Expertinnen und Experten befürchten, dass in den kommenden Jahren Cyber-Angriffe auf die Infrastruktur der Bundesrepublik zunehmen und ein höheres Schadenspotenzial haben werden. Und der Klimawandel wird mehr extreme Wetterereignisse auch in Deutschland mit sich bringen. Aber wie kam es eigentlich, dass Deutschland die Krisenvorsorge in den letzten Jahrzehnten so stark vernachlässigt hat? Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs Ende der 80erJahre war das noch anders. Vor dem Hintergrund der Ost-West-Konfrontation hatte die alte Bundesrepublik einiges in den Bevölkerungsschutz investiert. Nach Ende des Kalten Krieges sind wichtige Maßnahmen des Zivilschutzes wie eine Bundesvorhaltung im Einklang mit allen gesellschaftlichen Kräften als eine Art “Friedensdividende“ abgebaut worden. Inzwischen ist klar, dass dieser Schritt nicht zweckmäßig war. Durch die Corona-Pandemie ist nun der gesamte Bereich Bevölkerungsschutz aus seinem jahrzehntelan-

gen Nischendasein in den Fokus der Innen- und Gesundheitspolitik gerückt. Offensichtlich wurden die Defizite schon zu Beginn der Corona-Krise, als die deutschen Behörden, Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegeeinrichtungen und -dienste händeringend nach Masken und anderer Schutzausrüstung suchten. Inzwischen hat die Politik erkannt, dass der Bevölkerungsschutz einen größeren Stellenwert einnehmen muss. Erste Weichen wurden gestellt, indem zum Beispiel das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) neu ausgerichtet wurde. Wir begrüßen ausdrücklich die Einrichtung eines interdisziplinären “Gemeinsamen Kompetenzzentrums Bevölkerungsschutz“ für die Vernetzung aller maßgeblichen Akteure, angesiedelt beim BBK. Bund, Länder, DRK, anerkannte Hilfsorganisationen, Experten, Fachinstitutionen und kommunale Spitzenverbände werden in dem Kompetenzzentrum auf gegenseitiger Augenhöhe die inhaltliche Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzes vorantreiben. Das DRK hat bereits einen substanziellen Beitrag zu diesem Gemeinsamen Kompetenzzentrum geleistet, indem es ein erstes Verbindungsbüro der Hilfsorganisationen beim BBK besetzt hat.

Ebenso befürworten wir sehr die konkrete Planung, dass Bundesgesundheitsministerium und Bundesinnenministerium den Aufbau einer “Nationalen Reserve Gesundheitsschutz“ durch das BBK und andere Akteure voranbringen wollen. Wir freuen uns darauf, als DRK hierzu unseren Beitrag zum Schutz der Bevölkerung leisten zu können. Das DRK fordert seit Langem den raschen Aufbau einer nationalen Betreuungsreserve mit bundesweit zehn Logistikzentren zur Versorgung von jeweils 5.000 Menschen in Krisenfällen. In Zusammenarbeit des DRK mit den anerkannten Hilfsorganisationen wurde ein Konzept zum Aufbau einer nationalen Zivilschutzreserve des Bundes, die als Teil der zivilen Verteidigung die Versorgung und den Schutz der Bevölkerung in Notlagen sicherstellen soll, entwickelt. Im Rahmen des Pilotprojekts “Labor Betreuung 5.000“ wird in Brandenburg aktuell das erste der insgesamt zehn geplanten mobilen Betreuungsmodule umgesetzt. Dies geschieht durch einen im DRK-Generalsekretariat angesiedelten Aufstellungsstab im Wege einer Vollfinanzierung aus Bundesmitteln. Die mobilen Betreuungsmodule sehen vor, dass bei Bedarf in Notlagen bis zu 5.000 Menschen kurzfristig, gleichzeitig

100 Gründe für das DRK

Das ehrenamtliche Engagement im Deutschen Roten Kreuz zeichnet sich für mich durch ein enormes Maß an Kameradschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl aus. Außerdem gelten für alle im DRK-Aktiven uneingeschränkt die sieben Grundsätze: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität. Im Maße der Not zu helfen, also nicht über Schuld oder Unschuld zu entscheiden, sondern allen, die Hilfe benötigen, diese auch zukommen zu lassen – das ist es, was das DRK und die ehrenamtliche Arbeit für mich ausmacht.

Andrea Basermann (61) ist u. a. in Braunschweig ehrenamtlich tätig. Foto: BS/DRK

Es ist unheimlich interessant, die Persönlichkeiten in meinem Haus kennenzulernen und es ist auch schön, von ihnen akzeptiert zu werden. Denn wenn einer der Bewohner beim Spazieren meine Hand nimmt und mich grinsend ansieht, vergesse ich Corona ganz schnell. Viel Beobachten, viel Lachen, viel Pasta, viel Kaffee – es sind sehr viele interessante und vor allem schöne Erfahrungen und Momente, die ich für nichts tauschen würde. Vera Ludmann (19), DRK-Freiwillige in einem Projekt für Menschen mit Behinderungen in Ciampino (Italien) Foto: BS/DRK

Christian Reuter ist seit April 2015 Generalsekretär und Vorsitzender des Vorstands des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Foto: BS/DRK, Henning Schacht

und weitgehend autark für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr untergebracht und betreut werden können. Es ist geplant, in den nächsten Jahren zehn solcher Betreuungsmodule aufzubauen, wodurch sich bei vollständiger Umsetzung eine Pufferkapazität von 50.000 Menschen ergibt. Mittel für ein zweites Modul wurden bereits in den Bundeshaushalt 2021 aufgenommen; als Vorbereitung für zukünftige Krisenlagen und angesichts der durch die Corona-Pandemie offenbarten Engpässe bei den Ressourcen muss so schnell wie möglich mit dem Aufbau der gesamten Bundesvorhaltung begonnen werden. Mehr finanzielle Ressourcen sind für den Bevölkerungsschutz deshalb unerlässlich. Derzeit wird versucht, den gesamten Bedarf auf nationaler Ebene mit rund 700 Millionen Euro jährlich im Bundeshaushalt des Innenministeriums abzudecken. Das sind etwa 0,14 Prozent der Gesamtausgaben des Bundeshaushaltes. Dieser Betrag reicht, wie die Aufstellung einer Betreuungsreserve des Bundes und die aktuelle Covid 19-Lage gezeigt haben, nicht

aus, um einen nachhaltigen und umfassenden Bevölkerungsschutz sicherzustellen. Dafür wären nach unserer Schätzung mindestens zwei Milliarden Euro jährlich oder 0,5 Prozent des Bundeshaushaltes notwendig. Ohne eine Stärkung des Pfeilers “Bevölkerungsschutz” wankt die Sicherheitsarchitektur. Nur zum Vergleich: Für die Entwicklungszusammenarbeit strebt Deutschland ein Ziel von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens an, der Verteidigungshaushalt liegt mit 51,6 Milliarden derzeit bei 1,56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der gesamte Bevölkerungsschutz kommt derzeit dagegen nur auf 0,02 Prozent des BIP. Neben einer Bundesvorhaltung sollte mit diesen Mitteln auch ein unbedingt erforderliches Sofortprogramm für den Bevölkerungsschutz finanziert werden. Der Bevölkerung muss insbesondere ein Angebot in pflegerischen Grundkenntnissen als Vorbereitung auf Pandemien und andere Krisen gemacht werden. Dazu gehören erweiterte Erste-HilfeKurse, die auch Selbsthilfe in Krisenfällen zum Schwerpunkt haben. In

wenigen Stunden lassen sich hier Grundkenntnisse vermitteln. Ein weiterer Pfeiler ist eine Basisausbildung für Pflegeunterstützungskräfte für den ehrenamtlichen Einsatz im engeren Wohn- und Nachbarschaftsverhältnis in Notlagen. Als dritte Komponente ist die Ausbildung von professionellen Krisenmanagern geplant, die zum Beispiel den Einsatz der Pflegeunterstützungskräfte steuern oder fachlich begleiten könnten. Das Ziel ist, in der Breite ein Prozent der Bevölkerung in fünf Jahren entsprechend auszubilden. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht gewinnen die bundesgeförderten Freiwilligendienste immer mehr Bedeutung im örtlichen Hilfsangebot des DRK. Wir wollen eine Grundqualifikation Bevölkerungsschutz als Pflichtmodul in allen Feldern der Freiwilligendienste einführen. Freiwilligendienste mit Schwerpunkt Bevölkerungsschutz sind bereits jetzt möglich. Diese wollen wir ausweiten auf 5.000 Plätze zusätzlich für folgende Bereiche: Betreuung im Katastrophenschutz, Rettungsdienst, Psychosoziale Notfallversorgung, Sanitätsdienst, Blutspende, Wasserwacht, Bergwacht, Zivilschutz. Eine bessere Krisenvorsorge ist nicht umsonst zu haben. Der Wendepunkt im Bevölkerungsschutz in Deutschland ist deshalb überfällig.


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Behörden Spiegel / August 2021

Einmal DRK, immer DRK Ehrenamt zwischen Büroarbeit und Katastrophenschutzeinsatz (BS/Ann Kathrin Herweg) Die Entschärfung einer Fliegerbombe, ein Großbrand oder eine andere Katastrophenlage – wenn der Melder klingelt, macht Kai Falke sich auf den Weg. Er kümmert sich darum, dass Menschen, die Hals über Kopf ihre Wohnung verlassen mussten, mit allem zu versorgt werden, was sie brauchen. Der 30-Jährige ist seit seiner Jugend beim Roten Kreuz und hat dort schon in verschiedenen Bereichen mitgearbeitet. Besonders am Herzen liegt ihm der Betreuungsdienst.

A

ls seine Freunde ihn zum Jugendrotkreuz mitnahmen, hatte ihn das Konzept schnell überzeugt: der Umgang miteinander, die Kameradschaft und die Hilfe allein nach dem Maß der Not. Später hat Falke selbst begonnen, Gruppenstunden für Jugendliche zu leiten. Er ist in die Gemeinschaft Bereitschaften eingetreten, hat dann die Ausbildung zum Sanitäter absolviert und sich später entschieden, tiefer in den Betreuungsdienst einzusteigen. Hier hat er außerdem die Gruppenführerausbildung gemacht und dann für einige Jahre die Katastrophenschutzeinheit Betreuung geführt, bevor er von den Bereitschaften der Ortsvereine zur Kreisbereitschaftsleitung des Kreisverbands Bad Dürkheim e. V. gewählt wurde. Seine Aufgaben sind vielfältig, beispielsweise koordiniert er Einsätze und vertritt die Bereitschaften gegenüber höheren Ebenen. Bei Bedarf springt der junge Ehrenamtler gerne dort ein, wo seine Hilfe gebraucht wird, schließlich hat er – das ist üblich beim DRK, um je nach Schadensfall und Bedürfnissen überall helfen zu können – eine breite Ausbildung genossen, zudem ist er Feldkoch und im Bereich Technik und Arbeitssicherheit geschult.

Verständnis Das Schönste, was das Rote Kreuz ihm bringen konnte, ist für Falke, dass er seine Frau Isabell dort kennengelernt hat. Sie ist in der Verpflegung und Jugendarbeit tätig und beide Ehepartner unterstützen sich gegenseitig bei ihrer Arbeit. Verständnis sei wichtig, erklärt Falke, denn wenn der

Melder klingelt, muss er los. Nicht in jedem Unternehmen wird das gerne gesehen, doch Falkes Arbeitgeber – ein Automobilzulieferer, bei dem Falke im Projektmanagement und Vertrieb tätig ist – unterstützt die ehrenamtlichen Einsätze und die Kollegen und Kunden haben ebenfalls Verständnis. Viel Freizeit bleibt dem Ehrenamtler neben seinem Engagement beim Roten Kreuz nicht, doch auch er sucht hin und wieder einen Ausgleich. Das helfe, wenn es mal stressig werde. Falke geht gerne Wandern, arbeitet in seinem Garten und trifft sich mit Freunden.

Falke ist vielseitig ausgebildet. Auf dem Feldkochlehrgang ist er hier nicht als Feldkoch, sondern als Techniker im Einsatz und repariert einen Ölbrenner für die Feldküche. Foto: BS/privat

mal ein Aggregat anzuschmeißen oder Licht aufzubauen, sei nämlich etwas Besonderes geworden. “Es gibt ja diesen Slogan “Aus Liebe zum Menschen.” Ich glaube, das trifft's, es geht um den Menschen oder es sollte um den Menschen gehen”, beschreibt Falke die Arbeit des DRK. Dass der Mensch für ihn im Mittelpunkt steht, merkt man dem jungen Ingenieur an – das war auch der Grund, aus dem er sich für den Betreuungsdienst entschieden hat. Hier habe man mehr Kontakt zu den Menschen, man höre anders hin, frage, wie es den Leuten gehe und versuche, ins Gespräch zu kommen.

u. a. auch für WLAN und Lademöglichkeiten für Handys gesorgt werden, zählt Falke einige Dinge auf, an die vor Ort gedacht werden muss. Gerade wer in einer solchen Aus Liebe zum Menschen Die “typische Katastrophe” Ausnahmesituation ist, möchte Obwohl ihm die organisatorischen Der Fund einer Weltkriegsbombe schließlich Kontakt zu Verwandten Aufgaben als Kreisbereitschafts- und die Evakuierung benachbarter halten können. leiter viel Freude bereiten – am Gebäude stellen ein ganz typisches Ein Ziel meisten Spaß macht Falke die Szenario dar, bei dem Falke und Arbeit an der Basis. Der Kontakt seine Kolleginnen und Kollegen Besonders einprägsam war für Falzu Patienten bzw. Betroffenen, vom Betreuungsdienst anrücken. ke sein Einsatz während der FlüchtSie richten eine Notunterkunft ein, lingskrise. Es hat ihn stark betroffen in der Betroffene Zuflucht finden gemacht, kleine Kinder zu sehen, können, und sorgen für ausrei- die schon seit mehreren Tagen chend Verpflegung. Von vornerein nichts mehr gegessen hatten. Auf bereiten sich die Einsatzkräfte auch belastende Situationen werden die darauf vor, dass die Sprengung sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im verzögern oder sogar schiefgehen DRK vorbereitet, es gibt Strategien, kann und dann evtl. noch mehr um Erlebtes zu verarbeiten. Falke Menschen versorgt werden müs- hilft es nach schwierigen Einsätzen, sen. Neben einem Dach über dem sich daran zu erinnern, dass er sein Kopf und Lebensmitteln müsse Bestes gegeben hat. Wichtig sind außerdem die Kameradschaft und die Möglichkeit, miteinander reden zu können und einander zu unterNach der zweiwöchigen Quarantäne stützen. Was Teamarbeit ausmache, in Germersheim muss der Abtransport sei das gemeinsame Ziel, so Falke. organisiert werden. Die Abholung der Jeder habe seine Stärke, mit der er Betroffenen wird koordiniert und es zur Erreichung des Ziels beisteuern gibt Marschpakete für den Heimweg. könne und wenn jemand mal nichts Foto: BS/DRK, Philipp Köhler beisteuern könnte, dann nehme man ihn trotzdem mit und errei-

che das Ziel gemeinsam. Das sei Kameradschaft.

Jedem wird geholfen Die Idee des Roten Kreuzes, Menschen helfen zu können und zu dürfen, motiviert Falke. Dabei ist es egal, wer dieser Mensch ist oder wo er herkommt: “enn jemand Hilfe braucht, bekommt er die auch”, und zwar unabhängig von der eigenen politischen Einstellung, das ist Falke wichtig. “Wenn man im Roten Kreuz ist, dann hilft man halt erst mal, man kann das gut oder schlecht finden, aber man hilft und den Menschen wird geholfen und da kommt immer Dankbarkeit zurück.” Neben den Momenten in der Kameradschaft und der Anerkennung untereinander macht diese Dankbarkeit die Arbeit für Falke besonders schön; ein einfaches “Danke”, jemand, der zwei Flaschen Saft vorbeibringe oder ein Dankesbrief nach einer Evakuierung. Es gebe zum Glück mehr als einen schönen Moment bei der Arbeit, erinnert sich Falke.

In Quarantäne Im Februar letzten Jahres erreichte Falke eine Mail, in der das DRK nach Freiwilligen für einen zweiwöchigen

100 Gründe für das DRK

Mehr als ein Transportsystem DRK-Rettungsdienst als Element des gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes (BS/Kilian Recht) Der Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) bildet die Brücke zwischen Gefahrenabwehr und Gesundheitswesen. Er ist Teil der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr, der alltäglichen Aufgabenerfüllung im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz und an Vorbereitungen zum Schutz der Bevölkerung in bewaffneten Konflikten beteiligt. Die Corona-Pandemie hat die miteinander verzahnten Aufgaben des Rettungsdienstes noch einmal deutlich gemacht. Dennoch stehen Reformen ins Haus, die mit Mandat und Selbstverständnis des DRK schwer zu vereinbaren sein könnten.

G

erade in der Corona-Krise und auch bei der Hochwasserkatas­ trophe zeigt sich das Selbstverständnis des Rettungsdienstes. Es wird deutlich, dass sich die Entwicklung hin zur Doktrin “Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz” in der Krise als der richtige Weg erwiesen hat – den Rettungsdienst nicht als land- oder luftgebundenes Transportsystem zu verstehen, sondern als holistisches Angebot im Rahmen der Gefahrenabwehr an die Bevölkerung. Dabei ist das Deutsche Rote Kreuz weder nur Hilfsorganisation noch nur Wohlfahrtsverband. Das DRK ist die

die staatlich anerkannte nationale Gesellschaft des Roten Kreuzes (DRK-Gesetz). Damit hat das DRK ein Mandat. Und innerhalb dieses Mandats wird insbesondere auch die Arbeit des Wohlfahrtsverbandes und die Arbeit der Hilfsorganisation geleistet, vernetzt in der Strategie “Komplexes Hilfsleistungssystem”. Das bedeutet, den Alltag der Aufgaben und Tätigkeiten des DRK katastrophentauglich zu machen und damit das Mandat zu erfüllen. Der Rettungsdienst müsse weiter zum Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz ausgebaut werden,

lautet die zentrale Forderung des DRK. Denn die Auslegung von Mandatierung und Selbstverständnis des Rettungsdienstes steht durch aktuelle Reformvorhaben in der Gesundheitspolitik zur Debatte. Mit der Forderung des DRK solle verhindert werden, dass durch die anstehende Reform der Notfallversorgung Entscheidungen getroffen würden, die mit der Mandatierung des DRK nur schwer bis gar nicht umzusetzen seien. Dieses Mandat besagt, dass das DRK die Nationale Gesellschaft des Roten Kreuzes auf dem Territorium der Bundesrepu-

Der Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) stellt eine bedeutende Säule im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz dar. Aber es bedarf auch hier einer Weiterentwicklung. Foto: BS/DRK, Brigitte Hiss

Einsatz suchte, der Anlass war die beginnende Corona-Pandemie. Nur drei Tage später sollte ein Regierungsflieger Reiserückkehrer aus Wuhan nach Deutschland zurückbringen, wo sie in einer Kaserne in Germersheim ihre Quarantäne verbringen mussten. Auf solche Ereignisse werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim DRK jahrelang vorbereitet und auch wenn sie natürlich hoffen, dass der Ernstfall nicht eintritt, war dieser Einsatz eine spannende Herausforderung für Falke. Gleichzeitig sei ihm klar gewesen, dass wohl nicht viele der ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen für einen solchen Einsatz von der Arbeit freigestellt würden. Ohne zu zögern, bezog er zusammen mit weiteren Ehrenamtlichen einen abgetrennten Flügel in der Kaserne. Unter den Wuhan-Rückkehrern seien Geschäftsleute, Studenten und Diplomaten gewesen, “die dann da eine unfreiwillige WG mit uns eingegangen sind”, denkt Falke an die außergewöhnliche Wohnsituation zurück. Obwohl die Ehrenamtler sich vorher nicht kannten: Dank der guten Ausbildung beim DRK wusste jeder, was zu tun war. Falke hat z. B. als Feldkoch zusammen mit einem externen Caterer die Verpflegung in der Kaserne organisiert. Die Zusammenarbeit war, genau wie die Stimmung im Team, gut und die Reiserückkehrer waren bestens versorgt. Schlussendlich wollten einige der Kinder gar nicht mehr weg, viel zu gut gefiel es ihnen, immer neues Spielzeug zu bekommen, das sie – aus hygienischen Gründen – weder teilen noch wieder abgeben mussten.

blik Deutschland und Auxiliar des Staates ist. Im DRK-Gesetz wird diese besondere Beziehung zum Staat für Deutschland definiert. Die Mitgliedsverbände des Deutschen Roten Kreuzes e. V. wirken in Erfüllung des DRK-Gesetzes und der entsprechenden Gesetze der Länder im Rahmen des Zivil- und Katastrophenschutzes der Bundesrepublik Deutschland in den katastrophenmedizinischen, sanitätsdienstlichen und betreuungsdienstlichen Aufgaben als größter Akteur mit. In diesem Zusammenhang stellt das DRK auch Ressourcen zur Bewältigung von Notfallereignissen unterhalb der Katastrophenschwelle zur Verfügung und beteiligt sich am Rettungsdienst. Das derzeitige Gesundheitswesen berücksichtige den gesundheitlichen Bevölkerungsschutz jedoch nur unzureichend, gibt Björn Stahlhut, Generalsekretariat des DRK, zu bedenken. Die Corona-Pandemie habe gerade gezeigt, dass medizinische Leistung und die Vorhaltung für Gefahrenabwehr keine Trennschärfe bräuchten, sondern eine Verzahnung der Elemente, um eine volle Leistungsfähigkeit zu entfalten, so Stahlhut weiter. Der bisherige Re-

Marc Histermann (29), Kreisbereitschaftsleiter beim Kreisverband Prignitz des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Foto: BS/DRK

formvorschlag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sieht unter anderem vor, gemeinsame Notfallleitstellen einzurichten, die Patienten nach einer Ersteinschätzung in die entsprechende Versorgungsebene vermitteln. Sprich, dort soll neben der Ersteinschätzung auch der Rettungsdienst koordiniert werden, eine telefonische ärztliche Beratung oder sogar die Koordination von Terminen niedergelassener Ärzte stattfinden. “Und das ist too much”, so Stahlhut. Und weiter: “Man müsste natürlich dann darüber nachsinnen, was das für alle anderen Aspekte der Gefahrenabwehr bedeutet.” Dabei müsse, so Raymund Schneider, Generalsekretariat des DRK, eine wesentliche Beteiligung des DRK und anderer Hilfsorgani-

Der Zusammenhalt und das breite Aufgabenfeld im DRK-Ehrenamt sind der Motor des besonderen Engagements in unseren Bereitschaften. Die vielen verschiedenen Tätigkeiten in den Sanitäts-, Betreuungs- und Technikeinheiten ermöglichen es, die Vorlieben und Interessen jeder Person zu berücksichtigen und die Weiterentwicklung zu fördern.

sationen am Rettungsdienst und damit am Bevölkerungsschutz im Interesse des Gesamtsystems unterstützt werden. Hierzu bedürfe es eines vernetzungsfähigen, flexiblen Hilfeleistungssystems. Gerade die ehrenamtlichen Kräfte der Hilfsorganisationen stellten eine Reserve dar, die durch die Einsätze im Rettungsdienst die notwendige Erfahrung und Routine bekämen, weshalb diese Mitwirkung auch gesetzlich verankert werden sollte. Merke: Der DRK-Rettungsdienst ist mehr als die Erbringung einer landesrechtlich normierten Dienstleistung. Als integraler Bestandteil des Bevölkerungsschutzes bildet er die (Notfall-)medizinische Brücke zwischen Gefahrenabwehr und Gesundheitswesen.


100 Jahre DRK

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Eine besondere Partnerschaft

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100 Gründe für das DRK

Das DRK im nationalen und internationalen Kontext (BS/Dr. Katja Schöberl) Der Zusammenschluss der deutschen Rotkreuzvereine durch die Gründung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) e. V. 1921 führte nicht nur zu einer Neuorganisation des Roten Kreuzes und seiner Aufgaben in Deutschland. Er vereinfachte auch die Einbindung des Deutschen Roten Kreuzes in die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, die sich heute aus 192 anerkannten Nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRK) und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zusammensetzt.

A

ls 1863 im Königreich Württemberg mit dem Württembergischen Sanitätsverein die weltweit erste Nationale Rotkreuzgesellschaft gegründet und somit die Idee Henri Dunants zur Schaffung von Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege verwirklicht

wurde, waren die Voraussetzungen für die Anerkennung Nationaler Gesellschaften noch wenig formalisiert. Heute sind sie in den Statuten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung verbindlich geregelt, die gemeinsam von den Komponenten der Bewegung und den Vertragsstaaten der Genfer Abkommen angenommen wurden. Demnach muss eine Nationale Gesellschaft, um durch das IKRK anerkannt und Teil der Bewegung werden zu können, nicht nur ordnungsgemäß Dr. Katja Schöberl ist Referentin für Internationale Beziehungen im Büro des Generalsekretärs des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Foto: BS/DRK, Breloer

Durch die Anerkennung als Auxiliar verbindet DRK und deutsche Behörden eine besondere Partnerschaft.

durch die rechtmäßige Regierung ihres Landes als freiwillige Hilfsgesellschaft der Behörden im humanitären Bereich (das heißt als ihr Auxiliar des Staates) anerkannt sein. Sie muss auch die einzige Nationale Gesellschaft des Roten Kreuzes oder Roten Halbmondes auf dem Staatsgebiet einer Vertragspartei des I. Genfer Abkommens von 1949 sein und “von einem Zentralorgan geleitet werden, das sie allein gegenüber den anderen Komponenten der Bewegung vertritt“. Hierdurch sollen Koordination und Kooperation innerhalb der Bewegung erleichtert und ihre Wirksamkeit erhöht werden.

Mitglied der Liga seit 1922 Wenngleich das Erfordernis eines “Zentralorgans“ erst 1948 durch eine Resolution der Internationalen Konferenz festgeschrieben wurde, trug der Zusammenschluss der deutschen Rotkreuzvereine 1921 entschieden zur Handlungssicherheit des Deutschen Roten Kreuzes in seinen internationalen Beziehungen bei. Er vereinfachte 1922 insbesondere den Beitritt des DRK zur 1919 gegründeten “Liga der Rotkreuzgesellschaften” als Dachverband der Nationalen Gesellschaften auf internationaler Ebene, die seit 1991 als “Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften“ bezeichnet wird. Der Status des DRK als die Nationale

Ein Ehrenamt im DRK ist so besonders, weil es einen Unterschied macht, wenn im Notfall jemand da ist. Wir helfen schnell, unparteilich und kompetent – ohne zu fragen wem oder warum. Im DRK bin ich Teil einer globalen Gemeinschaft, die Unglaubliches stemmen kann – weltweit und direkt vor Ort. Eine starke Basis und die Freiheit, unsere Leitungskräfte selbst zu wählen – dafür steht das DRK. Darum investiere ich meine Zeit in den Katastrophenschutz. Und darum investiert das DRK in meine fachliche und persönliche Entwicklung.

Mattes Brähmig (35), Stellv. Bereitschaftsleiter und Einsatzkoordinator Rettungshundestaffel beim Kreisverband Dresden-Land des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Foto: BS/DRK, Vicky Adler

Gesellschaft des Roten Kreuzes auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und seine Zugehörigkeit zur Internationalen Rotkreuzund Rothalbmondbewegung sind heute gesetzlich verankert. Das im Jahr 2008 in Kraft getretene DRK-Gesetz bestätigt die von den Statuten geforderte Anerkennung des DRK durch ihre Regierung in Gesetzesform, nachdem seine Anerkennung zuletzt nach Herstellung der deutschen Einheit durch eine Erklärung des Bundeskanzlers im März 1991 bestätigt worden war. Es schreibt das Recht des DRK fest, das Zeichen “Rotes Kreuz auf weißem Grund“ sowie die Bezeichnung “Rotes Kreuz“ zu verwenden, auch um deutlich zu machen, dass das DRK Teil der Bewegung ist. Das Gesetz

stellt zudem zentrale Aufgaben des DRK heraus, die sich aus den Genfer Abkommen und ihren Zusatzprotokollen ergeben und die für Nationale Gesellschaften allgemein in den Statuten der Bewegung definiert sind.

Handeln nach Grundsätzen Durch die Anerkennung als Auxiliar verbindet DRK und deutsche Behörden eine besondere Partnerschaft, durch die sich das DRK von staatlichen Organisationen einerseits und Nichtregierungsorganisationen andererseits unterscheidet. Die Vertragsstaaten der Genfer Abkommen und die Komponenten der Bewegung haben in einer Resolution der Internationalen Konferenz 2007 gemeinsam definiert, dass diese Partnerschaft

durch gegenseitige Verantwortung und Unterstützung gekennzeichnet ist. Nationale Gesellschaften haben danach die Pflicht, Anfragen der Behörden zur Übernahme humanitärer und in ihr Mandat fallender Aufgaben zu prüfen. Die Behörden sind ihrerseits verpflichtet, die Bindung der Nationalen Gesellschaft an die Grundsätze der Bewegung zu respektieren. Das DRK muss daher jederzeit gemäß den Grundsätzen der Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität handeln und – nun seit 100 Jahren geschlossen als e. V. – zur Erfüllung der humanitären Mission der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung beitragen können.

Auf der Suche nach 1,3 Millionen Schicksalen Der DRK-Suchdienst (BS) Noch immer hat der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) 1,3 Millionen Suchanfragen, bei denen das Schicksal der oder des Vermissten noch nicht geklärt werden konnte. Doch die Schicksalsklärung ist nicht die einzige Aufgabe des DRK-Suchdienstes. Im Interview erklärt Dorota Dziwoki, Leiterin der Suchdienst-Leitstelle im Generalsekretariat des DRK, welche weiteren Aufgaben übernommen werden und wie der Dienst fündig wird. Das Interview führte Behörden Spiegel-Redakteur Marco Feldmann.

B

ehörden Spiegel: Frau Dziwoki, welche Aufgaben hat der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK)? Dorota Dziwoki: Den DRK-Suchdienst gibt es schon seit mehr als 150 Jahren. Er war lange Zeit aber nur während Kriegen und kurz danach aktiv. Dauerhaft existiert er seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir helfen Personen, die aufgrund von Kriegen oder bewaffneten Konflikten den Kontakt zu ihrer Familie beziehungsweise zu ihren Angehörigen verloren haben, indem wir den Kontakt wiederherstellen oder den Verbleib der Vermissten klären. Außerdem sorgen wir dafür, dass Kriegsgefangene oder zivil Internierte während ihrer Gefangenschaft Kontakt zu ihren Familien halten können. Darüber hinaus beraten wir Flüchtlinge zum Familiennachzug und kümmern uns um Spätaussiedler. Zudem können wir über unser Amtliches Auskunftsbüro im Falle eines bewaffneten Konflikts auf deutschem Boden Informationen über den Verbleib von Kriegsgefangenen der gegnerischen Partei bereitstellen und über deutsche Kriegsgefangene erhalten.

halb wird er institutionell auch seit 1953 zu 100 Prozent vom Bund finanziert. Das zuständige Ministerium ist das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Alle Aufgaben, die wir wahrnehmen, nehmen wir als internationales Suchdienstnetzwerk der Rotkreuzund Rothalbmondbewegung war, zu dem auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf gehört. Im Übrigen haben wir immer noch 1,3 Millionen Suchanfragen, bei denen das Schicksal der oder des Vermissten noch nicht geklärt werden konnte. Behörden Spiegel: Wie viele Fälle haben Sie pro Jahr heute noch? Wie oft werden Sie fündig? Dziwoki: Das Interesse an unserer Arbeit ist weiterhin hoch, insbesondere durch die Kinder- und Enkelkindergeneration der Vermissten des Zweiten Weltkrieges. Das gilt sowohl in Deutschland als auch in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, aber auch in Norwegen, Österreich, Polen. Im vergangenen Jahr hatten wir rund 11.500 Suchanfragen zu vermissten Angehörigen des Zweiten Weltkrieges. Bei rund 20 Prozent der Anfragen kann das Schicksal geklärt werden.

www.tracetheface.org, die weltweit einsehbar ist, können Suchende ein Foto von sich einstellen lassen und angeben, welchen Familienangehörigen die abgebildete Person sucht (Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Tochter etc.). Weitere personenbezogene Daten werden unter dem Foto der suchenden Person zu deren Schutz nicht angezeigt. Erkennt der Gesuchte den Suchenden oder kann Angaben zu diesem machen, wird er über einen Button Vereinbarungen zum Erwerb von unter dem Foto direkt an diejenige Datenbeständen treffen können. Rotkreuzgesellschaft geleitet, die Durch die erneute Übertragung der das Foto eingestellt hat. Ist das der Namen jetzt aus dem Kyrillischen DRK-Suchdienst, dann verifizieren ins Deutsche ist die Zuordnung der wir die Angaben und stellen den Daten aus den ehemals sowjetischen Kontakt zwischen Suchendem und Archiven zu den Suchanfragen nicht Gesuchtem her. immer einfach, aber die Mitarbeitenden des DRK-Suchdienstes sind Behörden Spiegel: Wie sieht die Zukunft des DRK-Suchdienstes aus? sehr erfahren.

Im vergangenen Jahr hatten wir rund 11.500 Suchanfragen zu vermissten Angehörigen des Zweiten Weltkrieges.

Dorota Dziwoki ist Leiterin der Suchdienst-Leitstelle im Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Foto: BS/DRK

Dziwoki: Bei Suchen nach Vermissten in Kriegsregionen wenden wir uns an die jeweilige Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in den Regionen der bewaffneten Konflikte. Denn dessen Mitarbeitende haben auch Zugang zu Kriegsgefangenen- und Internierungslagern. Bei Suchen in Nicht-Konfliktregionen kontaktieren Behörden Spiegel: Warum braucht wir den Suchdienst der jeweiligen es heute noch einen DRK-Suchdienst? nationalen Rotkreuz- oder RothalbBehörden Spiegel: Wie gelingt es mondgesellschaft vor Ort. Bei KonDziwoki: Der Suchdienst ist eine humanitäre Aufgabe, die auf den Ihnen, Personen ausfindig zu ma- taktverlust infolge von bewaffneten Konflikten der Gegenwart haben wir Genfer Abkommen basiert. Des- chen?

festgestellt, dass die Suche mit dem klassischen Suchformular schwierig sein kann, aufgrund von Transkriptionsfehlern der Namen, kommen sie doch aus anderen Schriftsystemen wie etwa dem Arabischen. Diese Schwierigkeiten hatten und haben wir auch bei der Schicksalsklärung der Vermissten des Zweiten Weltkrieges in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, dort wurden die deutschen Namen der Kriegsgefangenen ins Kyrillische übertragen. Mit den dortigen Archiven haben wir seit den 1990er-Jahren direkte

Behörden Spiegel: Was tun Sie noch, um Vermisste ausfindig zu machen? Dziwoki: Jahrzehnte nach den Heimkehrerbefragungen mit den Vermisstenbildlisten sucht der DRK-Suchdienst Menschen erneut mithilfe von Fotos. Wegen der Problematik mit den zahlreichen Transkriptionsfehlern bei der Namenserfassung haben die europäischen Rotkreuzsuchdienste ein Internetmodul namens “trace the face” entwickelt. Auf dieser online basierten Suchplattform des IKRK

Dziwoki: Das BMI hat die Finanzierung der Suche nach den Vermissten des Zweiten Weltkrieges letztmalig bis Ende 2025 verlängert. Danach werden wir diese Aufgabe nicht weiterverfolgen. Weiterhin bestehen bleiben werden aber auch nach diesem Datum die Rechtsberatung für Flüchtlinge zum Familiennachzug und die Arbeit mit Spätaussiedlern. Gleiches gilt für die Suche nach Flüchtlingen und Migranten, die aufgrund von Kriegen, bewaffneten Konflikten oder während ihrer Flucht den Kontakt zur Familie verloren haben.


100 Jahre DRK

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Den eigenen Prinzipien treu bleiben – gerade in der Krise 100 Jahre DRK – Teil einer internationalen humanitären Bewegung (BS/Malin Jacobson) “Das klassische zyklische Modell – Soforthilfe, Wiederaufbau, Vorsorge – funktioniert heute oft nicht mehr. Die unterschiedlichen Katastrophenphasen verlaufen nebeneinanderher, zeitgleich oder in unterschiedlicher Reihenfolge. Wenn man meint, man könne sich dem Wiederaufbau widmen, dann knallt es auf einmal wieder!” So sei es beispielsweise bei der Syrien-Krise, wo es Situationen gebe, die der Soforthilfe bedürften, erklärt Marc-André Souvignier, Teamleiter Operations & National Society Cooperation im Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).

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as DRK ist eine von 192 Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften weltweit. Ihre Kernaufgaben hat jede Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaft in ihrem jeweiligen Heimatland. Darüber hinaus ist das DRK in Katastrophen- und Krisenregionen auf der ganzen Welt präsent. Es gilt, gemeinsam mit seinen Schwestergesellschaften nach dem Maß der Not Hilfe zu leisten. Sie alle handeln nach den gleichen sieben Grundsätzen und sind dazu aufgerufen, sich als Teil der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung gegenseitig zu unterstützen. Dabei macht man sich natürlich auch die Ressourcen aus der nationalen Rotkreuz-Arbeit zunutze. Internationale Zusammenarbeit ist laut Souvignier allerdings keine optionale Aufgabe in der Rotkreuzfamilie, sondern Pflicht. Er selbst war bis 2005 Freiwilliger des DRK-Landesverbandes Bayerisches Rotes Kreuz. Im Zuge des Tsunamis in Südostasien von 2004 stieß das DRK immer mehr an seine personellen Grenzen. “Nach zwölf Monaten war viel von dem Personal, das ausgebildet und spezialisiert war, zum Einsatz gebracht. Das DRK hat damals verstärkt innerhalb des eigenen Verbands Nachwuchskräfte für die internationale Arbeit gesucht”, erklärt Souvignier. Er wechselte dann kurzentschlossen von der nati-

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist durch seine Einbindung auf der ganzen Welt präsent. In Krisenregionen verteilt die Hilfsorganisation Hilfsgüter, wie nach dem Taifun “Haiyan” in der Region Cebu auf den Philippinen (Bild), oder unterstützt bei der medizinischen Versorgung oder Trinkwasseraufbereitung. Foto: BS/DRK, Clemens Bilan

onalen zur internationalen Hilfe und übernahm das Projektmanagement der gemeindebasierten Katastrophenvorsorge in Indonesien. Das sei allerdings nicht der zwingende Weg, erklärt er, da die internationale Zusammenarbeit sehr spezifische Anforderungen an die Mitarbeitenden stelle. “Das fängt bei Sprachkenntnissen an, die nicht jeder automatisch mitbringt, über Erfahrungen mit der Region, in der man arbeitet, bis hin zu fachlichen

Kenntnissen, die in dieser Form im nationalen Bereich nicht unbedingt gefordert sind.” Zudem sei beim Personal eine erhebliche Flexibilität und Kreativität gefordert, um maßgeschneiderte Lösungen für die spezifischen Herausforderungen vor Ort zu schaffen.

Trinkwasseraufbereitung in den speziellen Aufgabenbereich der Auslandshilfe – je nach Bedarf der Krisenregion. Den Bedarf schnell zu ermitteln und mit anderen Akteuren abzustimmen, das ist die Aufgabe der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) in Genf. Sie Aspekte der Auslandshilfe mobilisiert bei ihren NationalgeNeben der Verteilung von Hilfs- sellschaften, die über entsprechengütern fallen beispielsweise auch de Einsatzmodule, Material und die medizinische Versorgung oder Personal verfügen, die passenden

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Komponenten für einen Einsatz, erläutert Souvignier. Derzeit habe allein das DRK in 26 Ländern Auslandsbüros, die die jeweilige Schwestergesellschaft unterstützen. Die Büros umfassen mehrere expatriierte Mitarbeitende (“Delegierte”) sowie eine Handvoll lokaler Mitarbeiter. Die Projekte, deren Laufzeit je nach Bedarf einige Monate oder mehrere Jahre beträgt, werden im Land partnerschaftlich konzipiert und gemanagt. Die jeweilige nationale Schwestergesellschaft ist dabei stets Anker und Partner aller Anstrengungen. Nicht nur die akut Notleidenden werden unterstützt, sondern immer auch die nationalen Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaft im Einsatzland. Souvignier: “Das macht die Hilfe im Rotkreuz- und Rothalbmond-System so besonders: Wir bringen nicht irgendetwas ins Land, leisten Hilfe, substituieren Dienstleistungen, die es weder vorher noch hinterher vor Ort gibt und gehen dann wieder. Stattdessen bauen wir auf dem auf, was es in beinahe jedem Land der Erde vor und nach unserem Hilfseinsatz gibt: Eine Rotkreuz- oder eine Rothalbmondgesellschaft, die die örtlichen Behörden in humanitären Aufgaben unterstützt und die gleichzeitig ein völkerrechtliches Mandat innehat.” So sind die Hilfsleistungen immer auf die Kapazitäten und Ressourcen des nationalen Partners ausgerichtet. Das DRK arbeitet ausschließlich mit seinen Schwestergesellschaften zusammen. “Das verleiht dem Ganzen eine ganz andere Augenhöhe, wenn die nationale Gesellschaft ihre Kontakte, ihre Ehrenamtlichen sowie ihre Ressourcen in das Programm mit einfließen lässt.”

Vorsorge wird wichtiger

schneller in den Einsatz bringen zu können. Derzeit wird dieses Konzept einen Schritt weitergedacht: Es geht dann darum, antizipativ zu handeln. Dabei wird die Vorsorge um Früherkennung, wissenschaftlich basierte Vorhersagemodelle und Geldgeber erweitert, die nicht erst auf eine Katastrophe warten, um Mittel bereitzustellen. So kann man beispielsweise schon vor einer absehbaren Hungersnot wissenschaftlich messbare Faktoren identifizieren und Grenzwerte messen. Daraufhin werden Nahrungsmittel und Futtervorräte in die entsprechende Region gebracht, die Menschen werden gezielt auf die bevorstehende Krise vorbereitet. Dass Hilfsgüter und -gelder nicht als vergeudet gelten, sollte der Ernstfall doch nicht eintreten, das ist laut Souvignier ein bedeutender Paradigmenwechsel der letzten Jahrzehnte. Die immer knapper werdenden Mittel und Hilfsgüter sind so gezielter und gewinnbringender einsetzbar.

Grundsätze und Prinzipien Neben der langjährigen Erfahrung und der internationalen Vernetzung ist auch der Grundsatz der Neutralität ein wichtiger Faktor für die DRK-Hilfsleistungen. Auch wenn das Rote Kreuz Bedarf und Leistungen mit den Vereinten Nationen (UN) und anderen Akteuren koordiniert, ist die Hilfe doch unabhängig und einzig nach dem Maß der Not bemessen. Das sichert den Helferinnen und Helfern Zugang und Akzeptanz, gerade in bewaffneten Konflikten, und ist zudem deren Lebensversicherung. “Wir setzen auf die Akzeptanz der Bevölkerung und der Konfliktparteien, die durch unsere unterschiedslose humanitäre Hilfe entsteht. Deswegen sind wir sehr darauf bedacht, nicht von einer einzelnen Konfliktpartei vereinnahmt zu werden.” Mit Sorge beobachtet Souvignier, dass immer wieder versucht wird, humanitäre Hilfe für politische Zwecke oder eine bestimmte Konfliktpartei zu missbrauchen. “An dieser Stelle müssen wir als Rotes Kreuz unseren Prinzipien treu bleiben. Der humanitäre Raum muss gewahrt bleiben und darf nicht irgendwelchen politischen Zwängen untergeordnet werden. Immer wieder darauf zu pochen, dass auch in bewaffneten Konflikten Regeln gelten und dass humanitäre Hilfe keine politische Verfügungsmasse ist, das ist in komplexen und langanhaltenden Krisen eine Daueraufgabe für die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung.”

Der Aufbau von Katastrophenschutzeinheiten, deren Training und die Einrichtung und Erprobung einer einheitlichen Kommando- und Führungsstruktur ist neben der materiellen Hilfe eine der wichtigsten Vorsorgen. Auch die Gemeinden selbst werden einbezogen, um die Resilienz zu erhöhen. Das war al(BS/bk) Das Lob hätte nicht größer sein können. Zum 100-jährigen Geburtstag des Dachverbandes des Deutschen lerdings nicht immer so. Noch bis Roten Kreuzes (DRK) gratulierte Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Wohlfahrtsverband überschwänglich: “Sie zu Beginn der 2000er-Jahre sei die alle verbindet, dass Ihnen das Wohl der Mitmenschen am Herzen liegt. So machen Sie sich als starke Gemeinschaft Mentalität eher auf “Hilfe, wenn es um das Wohl und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft verdient. Das Funktionieren unseres Sozialstaates hat geknallt hat” ausgerichtet gewesen, also viel mit dem Deutschen Roten Kreuz zu tun. Als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege ist es aus unserem berichtet der Teamleiter. Danach haLand schlichtweg nicht wegzudenken.” Dies ist wenig verwunderlich, wenn man auf den Beginn der Wohlfahrt be man angefangen, die negativen blickt. Doch auch neue Herausforderungen warten auf die DRK-Wohlfahrt. Folgen von Naturkatastrophen oder Krisen auch durch entsprechende Als der Dachverband 1921 in Bam- beit, um nur einige wenige Felder ke wie ein “Brennglas” oder ein per App an die Beratungsstellen Vorsorge abzumildern. Dazu geberg gegründet wurde, stellte schon zu nennen. In der Altenhilfe und “Brandbeschleuniger”. Das klingt, wenden. Das Angebot versteht sich hört in einem ersten Schritt, Freidie Präambel der Satzung klar, dass -pflege unterstützen 590 ambulante als würde die Pandemie ausschließ- als Ergänzung zu den Präsenzbe- willige zu trainieren und Hilfsgüter das DRK eine Vereinigung bildet, Pflegedienste rund 45.000 Seniorin- lich verbrannte Erde hinterlassen ratungen. Momentan beraten in einzulagern, um sie dann deutlich die alle Kräfte des Roten Kreuzes nen und Senioren in ihrem Alltag. und nichts anderes von unserer mbeon schon 325 Beraterinnen im Deutschen Reich zu Wohlfahrts- Ähnlich viele Senioren werden in 537 Welt übrigbleiben. Das sehe ich und Berater aus vier Verbänden in arbeit zusammenfassen soll. Die stationären Einrichtungen betreut. ausdrücklich anders.” Zwar würde 40 Sprachen. In Zukunft soll noch Vereinigung solle sich für die Ver- Für mehr als 320.000 Menschen es kein Zurück zum Status quo ante weiter in diesen Bereich investiert hütung, Bekämpfung und Linderung stehen Hausnotruf-Dienste zur geben, aber es sei auch nicht alles werden und das Grundgerüst der gesundheitlicher, wirtschaftlicher Verfügung. Das DRK betreibt 44 verbrannt. Der jetzt eingeschlagene Beratungs-App auf alle Formen der und sittlicher Not einsetzen. Wäh- Krankenhäuser mit rund 6.900 Bet- Weg müsse konsequent weiterbe- Beratung im Verband ausgeweitet rend vor und im Ersten Weltkrieg ten. Zudem engagieren sich 35.000 schritten und die Modernisierung werden. die Kriegswohlfahrtspflege im ehrenamtliche Frauen und Männer der Struktur vorangetrieben werden. Neue Wege werden auch in den Vordergrund stand, setzte mit der in sozialen Diensten. Außerdem sind Dies gelte besonders im Bereich der Landesverbänden Baden-Württemwirtschaftlichen Not in der Wei- rund 15.000 Menschen in nationalen Digitalisierung der Angebote der berg und Sachsen beschritten. Auf marer Republik eine Veränderung und internationalen Freiwilligen- DRK-Wohlfahrt. dem DRK-Elterncampus werden der Wohlfahrtsarbeit und des Ver- diensten tätig. Die DRK-Wohlfahrt verschiedene Online-Kurse etwa für Gemeinwohl steht weiterhin hältnisses zum Staat ein. Die da- ist in einer weiten Bandbreite für Erste Hilfe am Kind oder für Babyim Mittelpunkt malige Regierung verabschiedete das Gemeinwohl aktiv und bietet Ernährung angeboten. Das Angebot Esther Fienhold (47), Landesverschiedene Gesetze, die die Ver- auf vielen Ebenen auch den Ländern Die Bandbreite von digitalen Lö- hatte in kürzester Zeit enormen leiterin Wohlfahrts- und Soziantwortung und die Finanzierung sowie den Kommunen Unterstüt- sungen kann sich dabei schon sehen Zulauf. Steinke ist sich sicher: “Solalarbeit beim Landesverband der Wohlfahrt regelten. Besonders zung. Doch auch die Zukunft hält lassen. Gerade bei Beratungsange- che digitalen Angebote sind die Thüringen des Deutschen Roten die Organisationen der privaten Herausforderungen bereit. Gerade boten wird es keinen Weg zurück in Zukunft.” Dennoch warnt er, dass Kreuzes (DRK) Foto: BS/DRK Wohlfahrtspflege entwickelten sich die Corona-Pandemie hat die Wei- die rein analoge Welt geben – auch man nicht einfach ein vorhandenes zu wesentlichen Akteuren im Deut- terentwicklung vorangetrieben. ohne Einschränkungen durch die Angebot eins zu eins ins Digitale schen Reich im Bereich der sozialen Corona-Pandemie. Mit dem Online- übersetzen kann. Es müsse immer Digitalisierung als Chance Seit mehr als 20 Jahren bin ich im DRK engagiert. Zuerst Arbeit. Auch das DRK wuchs unter Angebot “mbeon” der Migrations- an die neue Umgebung angepasst diesen Vorzeichen zu einem gleichWährend manche die Krise nur beratung für erwachsene Zuwande- werden. Schnell, nebenbei und ohne das Jugendrotkreuz, dann die Bereitschaften und heute berechtigten Partner heran. rein destruktiv betrachten, sieht rer (MBE) habe man “bundesweite Investitionen gehe es nicht. die Wohlfahrts- und Sozialarbeit waren mir stets HeiDr. Joß Steinke, Bereichsleiter für Maßstäbe” gesetzt, so Steinke. Das Man dürfe aber trotz aller Veränmat und der Ort, wo ich Kameradschaft und FreundDie DRK-Wohlfahrt heute Jugend und Wohlfahrtspflege im Tool wurde seit 2015 in Zusam- derungen den Kern als Wohlfahrtsschaft fand und finde. Kurz gesagt: Mein Verein, mein Die gewachsenen Strukturen aus DRK-Generalsekretariat, den Ein- menarbeit mit dem Bundesamt für verband nicht vergessen. Man sei Ehrenamt, mein DRK: Hier kann man Coolness, Lebensder Weimarer Republik prägen die fluss der Corona-Pandemie positi- Migration und Flüchtlinge (BAMF) immer noch dem Gemeinwohl und art und soziale Verantwortung unter einen Hut DRK-Wohlfahrt bis heute stark. ver. “Immer wieder lese und höre entwickelt und implementiert. Im Ja- den Menschen verpflichtet. “In einer bringen – und das ein Leben lang! Die Betätigungsfelder reichen von ich, dass Feuerbilder herangezogen nuar 2020 ist es in den Regelbetrieb sich rasant veränderten Welt müsder Altenpflege über Kinder- und werden, wenn es um Erfahrungen übergegangen. Mit mbeon können sen wir unsere Mitte, unseren Kern Jugendhilfe bis zur Migrationsar- aus der Pandemie geht: Sie wir- Migrantinnen und Migranten sich immer im Blick haben”, sagt Steinke.

Die DRK-Wohlfahrt “Nicht wegzudenken”

100 Gründe für das DRK


100 Jahre DRK

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chon der Blick auf die reinen Zahlen ist beeindruckend: Ein komplettes Modul findet in 224 Containern Platz und ist auf 4.800 Paletten und Boxen aufgeteilt. Man braucht ca. 130 Lkws, um den Transport zu gewährleisten. Für den Aufbau werden 200.000 Quadratmeter Fläche und 5.000 Quadratmeter Lagerfläche in den Vorhaltungen benötigt. Über 800 Zelte zur Unterbringung und 40 Zelte zur Gesundheitsversorgung sind vorgesehen. Es können bis zu 800.000 Liter Abwasser am Tag aus dem Betrieb der Sanitäranlagen, der Küche und für die Trinkwasserversorgung entstehen. Dies ist jedoch nur ein kleiner Ausschnitt des Pilotvorhabens. Zusammen mit den vier anderen anerkannten Hilfsorganisationen, bestehend aus dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) und dem Malteser Hilfsdienst (MHD), stellt das DRK seit 2020 eine nationale Betreuungsreserve auf. Dazu wurde ein Konzept erstellt, welches den Namen “Labor 5000” trägt. Es wurde im Rahmen des Forschungsprojekts des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) “Fähigkeitsprofil Betreuung Zivilschutz – Anforderungen und Umsetzbarkeit” entwickelt. Der Aufstellungsstab ist beim DRK-Generalsekretariat angesiedelt.

Das Labor als Überbrückung Das Betreuungsmodul ist in Katas­ trophen- oder Zivilschutzlagen als Pufferkapazität zur Überbrückung der Versorgung bei Ressourcenmangel vorgesehen. Dazu ist es als “Krisenbewältigungsreserve des Bundes” konzipiert. Für einen Zeitraum von wenigen Monaten soll

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Das Labor 5000 Konzeption Zivile Verteidigung weitergedacht (BS/bk) Ob nun Cyber-Angriffe auf die Wasser- und Stromversorgung oder auf Krankenhäuser, Überschwemmungen wie in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen oder militärische Spannungsfälle – Störungen von Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) und die Versorgung von großen Personengruppen, die schlagartig wohnungslos geworden sind, stellen den Bevölkerungsschutz vor große Herausforderungen. Um mehreren tausend Menschen Schutz zu bieten und sie betreuen zu können, entwickelt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ein mobiles Betreuungsmodul: das “Labor 5000”.

Das Labor 5000 kam bei der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz zum Einsatz. Hier zu sehen: der Stromerzeuger aus der Zivilschutzreserve des Bundes. Foto: BS/DRK, Philipp Köhler

durch das Modul die medizinische Versorgung, die Unterbringung und die Verpflegung mit 5.000 Betreuungsplätzen sichergestellt werden. Bestehende Einrichtungen sowie die bestehende Infrastruktur sollen so kurzfristig unterstützt werden, bis es eine längerfristige Lösung gibt oder andere Maßnah-

men ergriffen wurden. Dabei ist die Anzahl von 5.000 Personen als Rechengrundlage und Modellwert und nicht als bedarfsorientiertes Planungsziel zu verstehen.

vorausgesetzt es wurde ein geeignetes Gelände zugewiesen. Dabei beschränkt sich der Einsatzbereich nicht nur auf Deutschland. Da das Labor 5000 komplett autark betrieben werden kann, kann auch das Weiterentwicklung der KZV europäische Ausland abgedeckt Eine Mobilisierung soll innerhalb werden. von 72 Stunden möglich sein – Überlegungen für eine Reaktion

Viele Teile – eine Organisation

100 Gründe für das DRK

Das DRK als Organisation (BS) Häufig wird das Deutsche Rote Kreuz (DRK) als ein großes Ganzes betrachtet. Dabei setzt es sich aus vielen kleinen Teilen erst zusammen. Das DRK ist in Ortsvereinen, Kreis- und Landesverbänden, Schwesternschaften, dem Verband der Schwesternschaften und dem DRK-Generalsekretariat organisiert. Alle sind eingetragene Vereine. Einzig das Bayerische Rote Kreuz (BRK) bildet eine Ausnahme. Es bildet eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Verbände sind in ihren eigenen Bereichen eigenverantwortlich tätig. Alle DRK-Landesverbände und der Verband der Schwesternschaften vom DRK sind Mitglied im Deutschen Roten Kreuz e. V., dem DRK-Generalsekretariat in Berlin. Das Generalsekretariat hat die Aufgabe, gemeinsame Regeln und Ziele festzulegen. Die DRKPräsidentin und das DRK-Präsidium haben das Initiativrecht für allgemeingültige Beschlüsse im DRK. Die Regeln im DRK werden mit einem Beschluss des DRKPräsidialrates wirksam. Dieses Gremium setzt sich aus den 19 Landespräsidenten und der Ge-

Mit Herzblut leiste ich erste Hilfe für die Seele, was mich demütig, zufrieden und dankbar macht. Als Teil eines starken Teams erlebe ich Zusammenhalt und Freundschaft.

Alexandra Heinz, Kriseninterventionsteam (KIT) beim Landesverband Hamburg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Foto: BS/DRK

Grafik: BS/B. Dach; Quelle: DRK

neraloberin des Verbandes der Schwesternschaften zusammen. Die operative Führung und die Koordination aller Aktivitäten des DRK-Generalsekretariats obliegen dem hauptamtlichen Vorstand. Ähnliche Entscheidungsstrukturen finden sich auch auf der Landes- und der Kreisebene. Jetzt wird man sich fragen: Warum gibt es 19 Landesverbände?

Dies hat historische Gründe. Da nach dem Zweiten Weltkrieg die Bundesländer neu organisiert und zusammengefasst wurden, gibt es nun weniger Bundesländern als Landesverbände. Während aus Württemberg und Baden ein Bundesland wurde – Baden-Württemberg – besteht das Badische Rote Kreuz neben dem Landesverband BadenWürttemberg fort. Gleiches

gilt für die frühere preußische Rheinprovinz. Aus Westfalen und dem Land Lippe stammt der Landesverband Westfalen-Lippe. Im gleichen Bundesland besteht der DRK-Verband Nordrhein weiter fort. Ebenso hat sich der Landesverband Oldenburg nicht mit dem Verband Niedersachsen vereinigt. Alle übrigen DRK-Landesverbände sind räumlich mit ihrem Bundesland identisch.

Die DRK-Landesverbände Rotkreuz-Landesverbände • Baden-Württemberg e. V. • Badisches Rotes Kreuz e. V. • Bayerisches Rotes Kreuz • Berliner Rotes Kreuz e. V. • Brandenburg e. V. • Bremen e. V. • Hamburg e. V.

auf unkontrollierte Bevölkerungsbewegungen aufgrund z. B. von CBRN-Lagen, also chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen Gefahrenlagen, oder eines Spannungsfalls fanden in der Vergangenheit in Deutschland wenig Beachtung. Es stehen, wie bei anderen Katastrophenschutzvor-

haltungen auch, nicht genügend Ressourcen zur Verfügung. Sowohl bei den Kapazitäten für die Notunterkünfte als auch bei der Versorgung haben sich Schutzlücken im Bevölkerungsschutz-System ergeben. Hier setzt das Projekt des DRK an. Durch das Labor 5000 soll die Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) und ihre zukünftige Operationalisierung durch Bund, Länder und die Hilfsorganisationen weiterentwickelt und vorangetrieben werden. Die Konzeption sieht als eine Vorsorgemaßnahme vor, dass ein bis zwei Prozent der Wohnbevölkerung in einem Schadensfall betreut und untergebracht werden müssen. Doch die Betreuungskapazitäten werden bislang noch nicht erreicht. Mit dem Projekt erhoffen sich die Verantwortlichen beim DRK, diese Lücke schließen zu können. Dennoch muss bei einer erfolgreichen Pilotierung noch einiges geklärt werden. So muss geklärt werden, welche Zuständigkeiten und Kompetenzen bei den Hilfsorganisationen und den Behörden liegen. Es muss geklärt werden, ob vorab schon Flächen für das Modul zugewiesen werden. Zudem muss auch über alternative Lösungen zur Unterbringung nachgedacht werden, damit das Labor 5000 das letzte Mittel der Wahl bleibt.

• Hessen e. V. • Mecklenburg-Vorpommern e. V. • Niedersachsen e. V. • Nordrhein e. V. • Oldenburg e. V. • Rheinland-Pfalz e. V. • Saarland e. V.

• Sachsen e. V. • Sachsen-Anhalt e. V. • Schleswig-Holstein e. V. • Thüringen e. V. • Verband der Schwesternschaften vom DRK e. V. • Westfalen-Lippe e. V.

Mit Kameradeninnen und Kameraden Menschen in Notlagen zu helfen, ist eine schöne Sache. Das Rote Kreuz ist so breit aufgestellt, dass es für jeden eine passende Aufgabe gibt, sich zu engagieren. Im Team Dinge zu leisten, die einer allein nicht schaffen kann, hält Maximilian Türk, Katastro­ meine Begeisterung hoch, phenschutzbeauftragter immer weiterzumachen beim Kreisverband Kulmund neue Fähigkeiten zu bach des Bayerischen Roten erlernen und weiterzugeKreuzes (BRK) Foto: BS/BRK ben. Regional und überregional habe ich Kameraden kennengelernt, die ebenfalls vom “Rotkreuz-Fieber” gepackt sind. Das hat auch in komplexen Einsatzsituationen weitergeholfen. Aus Kameraden wurden häufig gute Freunde.


Amtshilfe Hochwasser

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ie Bundeswehr ist mit rund 2.000 Einsatzkräften (Stand Ende Juli 2021) im Einsatz. Das Technische Hilfswerk (THW) hat in der Spitze 4.000 Einsatzkräfte pro Tag entsandt und ein Ende ist noch nicht in Sicht. “Die Aufgabenschwerpunkte verändern sich mit der zunehmenden Einsatzdauer”, erläuterte THWPräsident Gerd Friedsam. “In den ersten Tagen ging es vor allem um Menschenrettung, Pump- und Sicherungsarbeiten. Jetzt liegt der Schwerpunkt auf der Wiederherstellung der Infrastruktur in den besonders betroffenen Gebieten.” Neben Feuerwehr, THW, Polizei und Bundeswehr haben allerdings auch viele Freiwillige aus der Region substanzielle Hilfe geleistet. Mit Traktoren, Kipplastern, Baggern und Kränen rückten sie an, um den Menschen zu helfen. Statt sich um Schäden im eigenen Betrieb zu kümmern, fuhren Landwirte und Bauunternehmer ihre Maschinen in die Katastrophengebiete, um jenen zu helfen, denen es noch schlechter geht. Nach den schweren Maschinen ist nun die Feinarbeit gefragt. Elektriker und Installateure brauchen ihre eigenen Ersatzteillager auf, um in den Häusern das Leben wieder möglich zu machen. Bisher unentgeltlich. Die Bundeswehr hat

Die Organisation im Chaos Zusammenspiel der zivilen und staatlichen Helfer (BS/Dorothee Frank) Auch wenn die Katastrophe mittlerweile von den Titelblättern der überregionalen Zeitungen verschwunden ist, wird es noch Monate dauern, bis einige Ortschaften wieder mit dem notwendigen Mindeststandard bewohnbar sind. Die Koordinierung dieser Hilfe wird ein Marathonlauf, kein Kurzsprint. zwar auch auf die übliche Gebühr für ein Amtshilfeverfahren verzichtet, sie wird allerdings durch Steuergelder grundfinanziert. Der Elektriker und der Bauunternehmer nicht. Es handelt sich dabei nicht nur um einzelne Personen. Vor Ort machen diese professionellen privaten Helfer durchaus die Hälfte der Einsatzkräfte aus, ohne sie würde sich die Schadensbeseitigung sich um Monate oder Jahre verzögern. Berühmt geworden ist der (ebenfalls privat agierende) Tiefbauunternehmer Hubert Schilles, der sein Leben riskierte, um einen Bruch des Dammes der Steinbachtalsperre zu verhindern. Der Staat hat also ein großes Interesse daran, dass solche professionellen Helfer zusätzlich zum THW, der Bundeswehr, den Feuerwehren und der Polizei in den Einsatzgebieten tätig sind. Nicht nur die Bezahlung – nach den aktuellen Bestimmungen könnten wohl nur Schäden am Material abgerechnet werden, aber nicht

Zusammenarbeit ist in Katastrophen dieses Ausmaßes essenziell. In Schuld machten Kräfte von THW und Bundeswehr gemeinsam eine Brücke wieder befahrbar. Foto: BS/THW, Alexander Steinruck

das Material oder dessen Einsatz – auch die Koordinierung wäre verbesserungswürdig.

Grenzen der Katastrophenhilfe Diese Katastrophe machte vor den Grenzen nicht halt, ganz im Gegensatz zum deutschen Katas­ trophenschutz. So war ein Schwer-

“Handlungsfähigkeit muss verbessert werden” Einsatzerfahrungen im Hochwassergebiet (BS) Die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sei ein traumatisches Erlebnis für die heutige Generation gewesen, sagt Jochen Stein, Leiter der Berufsfeuerwehr Bonn. Die Feuerwehr Bonn erfüllte neben den Einsätzen im Stadtgebiet der Bundesstadt auch zahlreiche Einsätze im schwer getroffenen Ahrtal. Die Bonner Feuerwehr arbeitet weiterhin in der Einsatzleitung des Kreises Ahrweiler in Bad Neuenahr mit. Der Führungsdienst der Bonner Feuerwehr steht zudem in Kontakt mit den örtlichen Einsatzleitungen, um schnell Hilfe anbieten zu können. Die Fragen stellte Bennet Klawon. Behörden Spiegel: Wie schätzen Sie die Lage im Ahrtal ein?

planmäßigen Lähmung der Hilfeleistung führen.

Jochen Stein: Das Ahrtal wurde offenbar am stärksten vom Unwetter getroffen. Viele dreigeschossige Gebäude standen bis zum Dach unter Wasser. Die Maßnahmen der Feuerwehren und Rettungsdienste werden erst in einigen Tagen vollständig abgeschlossen sein. Parallel haben schon die Aufräumarbeiten begonnen. Die Wiederherstellung der Infrastruktur wird sicherlich schnell angegangen und hat auch schon begonnen. Es werden einige Jahre vergehen, bis alles wieder vollständig hergestellt ist. In der Zwischenzeit wird einiges mit Provisorien im wahrsten Wortsinn überbrückt werden müssen. Dies wird aber gelingen, das Leben wird auch im Ahrtal für die Menschen weitergehen. Es haben sich viele traumatische Erlebnisse im Ahrtal ereignet. Menschenrettungen waren über mehrere Tage notwendig. Es wird schwierig und bedarf viel Unterstützung, dies alles zu verarbeiten.

Behörden Spiegel: Wie bewerten Sie die organisationsübergreifende Zusammenarbeit im Ahrtal?

Behörden Spiegel: Wie ordnen Sie das Hochwasser ein? Stein: Für die heutige Generation war dies ein traumatisches Erlebnis. Es hat alles selbst Erlebte bei Weitem überstiegen. Der erreichte Pegel am 14. Juli 2021 wird noch rekonstruiert werden müssen, da in der Nacht alle Messstellen ausgefallen sind. Nach jetzigen Schätzungen dürfte dieser mit bis zu neun Metern fast das Dreifache des höchsten bisher gemessenen Wertes erreicht haben. Wir müssen aber lernen, dass wir im Katastrophenschutz und der Vorsorge über die eigene Lebenserfahrung hinaus die Historie beachten müssen. Der Klimawandel mag für das jetzige Ereignis eine Mitursache sein. Die aus der Zeit vor den heutigen Pegelmessungen rekonstruierten Hochwasser waren aber schon mehrfach höher als die bisher

Behörden Spiegel / August 2021

Stein: Alle, die vor Ort waren, haben im Rahmen ihres grundsätzlichen Organisationsauftrages sehr konstruktiv unterstützt und zusammengearbeitet. Die Hilfsbereitschaft war sehr groß. Das Ausmaß an Hilfsbedürftigkeit mit der Hilfeleistung schnell zusammenzubringen, hat die Strukturen Jochen Stein ist seit 2005 Leiter der überfordert. Dies wäre sicherlich Feuerwehr Bonn und Vorsitzender der überall der Fall gewesen. Die geArbeitsgemeinschaft der Leiter der Be- wonnenen Erkenntnisse werden rufsfeuerwehren in der Bundesrepublik hoffentlich in Verbesserungen Deutschland (AGBF Bund). Foto: BS/privat von Strukturen und Abläufen in der Zukunft münden. gemessenen Höchstwerte. Das Hochwasser im Jahr 1804 mit Behörden Spiegel: Wo lagen die 63 Todesfällen dürfte mit einem Haupteinsatzschwerpunkte beim rekonstruierten Scheitelabfluss Einsatz in Bonn und im Ahrtal? von etwa 1.200 m³/s noch über dem gerade erlebten Hochwasser Stein: Durch die Nähe zum gelegen haben. Schadensgebiet mit entsprechenden Berichten von vor Ort Behörden Spiegel: Wie bewer- konnten die Dramatik und das ten Sie die länderübergreifende Ausmaß schnell nachvollzogen werden. Eine erste unmittelbare Zusammenarbeit? Anfrage zur Unterstützung hat Stein: Die Handlungsfähigkeit uns am Abend des 14. Julis erin Katastrophen dieses Ausmaßes reicht. Trotz noch großer eigener muss innerhalb der Länder als Betroffenheit durch Einsatzstelauch länderübergreifend drin- len im Stadtgebiet und hoher Ausgend verbessert werden. Über lastung der Notrufabfrage durch mehrere Tage musste die noch von anderen Leitstellenbereichen nicht ausreichend vorhandene weitergeleiteten Notrufen wurFührungsfähigkeit der überge- de daher unmittelbar eine erste ordneten Strukturen auf kommu- Einheit zusammengestellt und naler Ebene durch unmittelbare in den Einsatz entsandt. In der Hilfeleistungen kompensiert wer- Folge wurden von uns mehrere den, auch über Ländergrenzen Einsatzabschnitte übernommen. hinaus. Mehrere Ortslagen waren über Das in der Entstehung befind- einige Tage nicht über Straßen liche Kompetenzzentrum Bevöl- erreichbar. Seit dem 17. Juli sind kerungsschutz beim gleichna- bis auf kleine Ausnahmen alle migen Bundesamt bietet für die operativen Maßnahmen für uns Zukunft die richtige Grundlage. beendet. Seit dem 15. Juli unterEs kann aber nur Erfolg haben, stützen wir die Einsatzleitung in wenn zum Beispiel länderüber- Ahrweiler mit Führungskräften greifende Kräfteentsendungen und IuK-Personal. In der Folge vorgeplant sind und das Zentrum halfen auch die Feuerwehr Köln für solche Alarmierungen vorab und weitere Berufsfeuerwehren autorisiert ist. Ein Vorbehalt der dort mit. Diese Tätigkeit ist noch Länder im Ereignisfall würde zur bis auf Weiteres so geplant.

punkt der Katastrophe das Gebiet um Bad Neuenahr und Ahrweiler, die in Rheinland-Pfalz liegen. Ebenfalls überflutet und evakuiert wurde beispielsweise der wenige Kilometer entfernt liegende Ort Rheinbach, der allerdings in Nordrhein-Westfalen liegt. Der Strom und die Kommunikation inklusive Handys fielen in beiden Städten (und vielen weiteren entlang der Ländergrenze) aus. Ein koordiniertes Vorgehen gab es nicht, weil die Zuständigkeiten nun mal an der Landesgrenze enden. Zuerst sind bei Katastrophen die sogenannten unteren Katas­ trophenschutzbehörden, also die Gemeinden und Kreise bzw. kreisfreien Städte, verantwortlich. Bei größeren Schadenslagen kann das Bundesland übernehmen. Zudem können Bundeskräfte – wie THW, Bundeswehr, Bundespolizei oder Zoll – zur Unterstützung angefordert werden. “Die Einsatzleitung obliegt dem Land”, beschrieb dies eine Sprecherin der Stabsstelle für den Bereich Kreis Ahrweiler gegenüber dem Behörden Spiegel. “Sie ist gewechselt von der Kreisebene zum Land. Das gilt aber nur für Rheinland-Pfalz – hier für den Kreis Ahrweiler. Nordrhein-Westfalen hat natürlich eine ganz eigene Landesregelung.” Die Stabsstelle für den Kreis Ahrweiler hat wiederum Bundeskräfte integriert, besonders die Bundeswehr und das THW, um mit diesen gemeinsam die Zusammenarbeit zu planen. Nicht mit dabei sind allerdings Helfer aus anderen Kreisen oder gar dem direkten Nachbarland Nordrhein-Westfalen. Ursprünglich war der Hochwasserdienst (HWD) für die Koordinierung der Katastrophenhilfe verantwortlich. Samstagabend, 17.07.21, übernahm der Stab in Ahrweiler dann die Leitung des Einsatzes.

Koordinierung der Helfer Die genauen Zuständigkeiten beschrieb ein Sprecher der Landesfacheinheit Presse- und Medienarbeit (LFE PuMA) des Landes Rheinland-Pfalz gegenüber dem Behörden Spiegel: “Der Einsatz im Katastrophenfall wird von der zuständigen Kreisverwaltung koordiniert. Dafür ist die sogenannte Technische Einsatzleitung (TEL) zuständig, die sich in Stäben – also Arbeitsgebieten, z. B. S2 Lage, S3 Einsatz, S4 Logistik … – organisiert. Aufgrund der Dimension dieser nie dagewesenen Lage hat das Land die technische Einsatzleitung in der Nacht von Samstag, den 17.07.21, auf Sonntag, den 18.07.21 übernommen. Der Landrat Dr. Pföhler hatte das Land darum gebeten. Seitdem leitet nicht mehr der Landkreis, sondern das Land Rheinland-Pfalz den Rettungs- und Hilfseinsatz in den betroffenen Gebieten. Einsatzleiter ist seitdem der Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), Thomas Linnertz.”

Zur Erinnerung: Die Katas­trophe fand am 14. Juli, einem Mittwoch, statt. Das Land RheinlandPfalz hatte die Koordination erst in der Nacht von Samstag auf Sonntag übernommen, weil bis zu diesem Zeitpunkt das Ausmaß des Schadens noch nicht vollständig hatte erfasst werden können. In Nordrhein-Westfalen wurde hingegen noch nicht einmal ein Krisenstab eingerichtet. “Zum derzeitigen Zeitpunkt werden von der TEL über 5.000 Einsatzkräfte aller Fachdienste koordiniert und eingesetzt. Die Koordination erfolgt von der Technischen Einsatzleitung Rheinland-Pfalz zentral aus den Räumlichkeiten der Bundesa­ kademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung in Ahrweiler. Von hier aus werden sowohl die Lage selbst als auch die Einsatzabschnitte und die Bereitstellungsräume koordiniert”, führte der Sprecher der LFE PuMA weiter aus. “Zivile Helfer können natürlich nur dann koordiniert werden, wenn die Hilfsangebote angemeldet werden. Dazu steht die neue Online-Plattform https://fluthilfe.rlp.de/ bereit.” Die Plattform wurde erst mehrere Tage nach der Katastrophe eingerichtet. Zu einem Zeitpunkt also, wo sich die privaten Helfer bereits selbst organisiert hatten. Rheinland-Pfalz ist damit allerdings deutlich organisierter als das direkt nebenan liegende Nordrhein-Westfalen, wo bisher nur ein zentrales Portal für Geldspenden oder für Anträge zur finanziellen Unterstützung eingerichtet wurde. Diese Zergliederung und Aufteilung der Zuständigkeiten und Koordinierungsmöglichkeiten sind durch das Gesetz für den Katastrophenschutz zwar so vorgesehen, bei länderübergreifenden Vorfällen allerdings kaum nachvollziehbar. Weder ist der Bürger ein reiner Hilfsempfänger, noch ist die kleinteilige Führung auf kommunaler, Kreisoder sogar Landesebene besonders effizient. Wie die aktuelle Katastrophenreaktion bewiesen hat.

Üben für den Ernstfall Bei der Bundeswehr heißt es: “Train as you fight.” Die im Katastrophenfall benötigten Strukturen wären also vorher aufzubauen und zu üben. Gedanken, die nicht neu sind und die zum Aufbau des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) geführt hatten. Dieses organisiert seit 2004 alle zwei Jahre eine Länderübergreifende Krisenmanagementübung (LÜKEX). Sogar Hochwasser sollte im Jahr 2015 geübt werden. Die zweitägige Übung fiel aus, da “vor dem Hintergrund der enormen Herausforderungen der Flüchtlingssituation in Deutschland, Bund und Länder gemeinsam beschlossen [haben], die Durchführung der LÜKEX 15 abzusagen”, so die damalige Aussage des BBK. Weiter führte das BBK

aus: “Auch wenn mit dem Ausbleiben der intensiven zweitägigen Übungsdurchführung ein wichtiger Stresstest für die Gewinnung von Übungserkenntnissen wegfällt, so hat doch die LÜKEX 15 bis dahin schon viel bewegt. Für jede LÜKEX gilt das Motto: Der Weg ist das Ziel! Jeder Übungsdurchführung geht eine fast zweijährige Planungs- und Vorbereitungsphase voraus, in deren Verlauf sich alle Übungsbeteiligten intensiv mit dem Übungsthema, damit zusammenhängenden Herausforderungen und ihren eigenen Krisenmanagementstrukturen auseinandersetzen. So können viele Erkenntnisse, die letztendlich zu einer Verbesserung des Krisenmanagements führen, bereits vor der eigentlichen Übungsdurchführung gewonnen werden. Vielfach nutzen die Beteiligten die Vorbereitungsphase, um vorhandene Krisenbewältigungskonzepte intensiv auf den Prüfstand zu stellen, mit anderen Akteuren abzustimmen und sie gegebenenfalls zu überarbeiten oder anzupassen.” Nach 17 Jahren LÜKEX ist die Katastrophenhilfe in Deutschland offensichtlich immer noch zu zerstückelt, um einer Großschadenslage gewachsen zu sein. Vieles wurde durch die Wissenschaftler in der Projektgruppe LÜKEX im BBK, welche die Übungen organisierten, nicht bedacht. Z. B. dass hochqualifizierte zivile Helfer mit professionellem Gerät und Fachkenntnissen in ebenso großer Anzahl im Katastrophengebiet helfen werden wie staatlich organisierte. Anderes wurde bedacht. So wäre etwa die Sicherung des Digitalfunknetzes ein Übungsszenario der (ausgefallenen) LÜKEX 2015 gewesen.

Lehren aus dem Einsatz Diese Jahrhundertkatastrophe brachte mehr Erkenntnisse als alle vorherigen wissenschaftlichen Modelle und Überlegungen, Übungen und LÜKEX. Viele davon sind positiv. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung etwa, ohne die eine Erstversorgung der Menschen mit Lebensmitteln und Kleidung kaum möglich gewesen wäre. Oder die freiwilligen Helfer in den Gemeinden, welche die Unterkünfte herrichteten, Essen sowie Kleidung organisierten und die Ankömmlinge in Empfang nahmen. Fast zeitgleich gingen bei den Gemeinden zahlreiche Angebote für kostenlosen Wohnraum ein. So viele, dass Bonn nach nur einem Tag über 1.000 private Quartiere auf seiner Liste hatte. Es wurden – ebenfalls privat organisiert – Depots geschaffen, in denen Sachspenden gesammelt und sortiert wurden. In den Katastrophengebieten entstanden richtige “Läden”, nur dass hier niemand bezahlen musste. Ebenfalls tatkräftig half die Bevölkerung beim Räumen. Unter den Helfern waren viele Experten, Bauunternehmer beispielsweise, deren Gerät und Bediener sogar geeigneter und professioneller waren als etwa die Hilfe der Bundeswehr. Nur muss diese Hilfe frühzeitig durch den Staat mit eingebunden und organisiert werden, ohne bürokratische Hürden. Ein Portal zur Helferregistrierung – wie jenes, das Rheinland-Pfalz schnell erstellte – müsste durch den Bund aufgebaut und betrieben werden. Damit es bekannt ist und genutzt werden kann, wenn der Ernstfall eintritt. Hinzu kommt die Koordination der staatlichen Helfer. Es muss für Großschadenslagen eine staatliche Stelle geben, die ähnlich dem Territorialen Befehlshaber bei der Bundeswehr das Kommando übernimmt und Stäbe aufbaut, welche die Kräfte gezielt einsetzen. Wenn die Bundeswehr nicht koordinieren soll, so könnte das THW dies übernehmen. An der Grenze zum nächsten Bundesland haltzumachen und zivile Kräfte nicht einzubinden, hat sich schließlich als wenig geeignet erwiesen.


Amtshilfe Hochwasser

Behörden Spiegel / August 2021

W

ährend in den Bildern und Berichten oft das “schwere Gerät” im Vordergrund steht, leisten andere Bereiche der Bundeswehr ebenfalls essenzielle, weil einmalige, Hilfe. Darunter das Zentrum für Geoinformationswesen der Bundeswehr (ZGeoBw), das nicht nur mit Einsatzgeologen und anderen Spezialisten, sondern vor allem mit Kartenmaterial unterstützt. Fast alle Karten der Hilfskräfte – Polizei, Feuerwehr, THW, Bundeswehr und andere – stammen vom ZGeoBw in Euskirchen. In den ersten Tagen wurden über 14.000 Karten produziert, die neben den Hilfskräften auch an alle Lagezentren gingen. Das Besondere an den Karten der Bundeswehr: Sie zeigten die tagesaktuelle Lage im jeweiligen Gebiet. Die Daten stammen vom europäischen WeltraumProgramm Copernicus.

Karten von Copernicus Copernicus ist ein Programm der Europäischen Union, das durch die Europäische Weltraumorganisation (ESA) betrieben wird. Dabei gibt es innerhalb von Copernicus sechs Kerndienste, für die jeweils Satelliten unterschiedlicher Missionen bzw. Ausstattungen verantwortlich sind. Bei den sechs Kerndiensten handelt es sich um Land-

D

er Vertrag zu den Zellularen Netzen Verlegefähig (ZNV), mit denen Kommunikationsnetze aufgebaut werden sollen, die eine sichere Kommunikation und Datenverbindung sowohl stationär als auch verlegefähig realisieren, wurde im Februar zwischen dem BAAINBw und Motorola Solutions geschlossen. Diese neuen verlegefähigen sicherheitskritischen Netze vereinen eine TE­ TRA(Terrestrial Trunked Radio)Lösung mit einer LTE-Lösung zur Übertragung von Daten. Darüber hinaus ist das neue System interoperabel mit dem Digitalfunknetz der deutschen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) der NATO und der EU. Dies soll eine erfolgreiche Zusammenarbeit in Krisensituationen oder bei Katastrophen ermöglichen, bei denen eine behördenübergreifende Kommunikation die kritische Voraussetzung ist. Im Rahmen des Projekts werden bis zu 120 Funksysteme in zwei Varianten beschafft. Bei der ersten Version (40 Systeme) werden die Komponenten für größere Nutzerzahlen und Abdeckungen/ Reichweite in 20-Fuß-ISO-Containern eingebaut, in der zweiten Version (80 Systeme) werden die Komponenten in Betriebs-, Transport- und Lagerbehälter integriert. Der Vertrag beinhaltet die Modernisierung und den Aufbau eines verlegefähigen, digitalen Kommunikationsnetzwerks innerhalb der nächsten vier Jahre sowie die Lieferung von 12.500 Handsprechfunkgeräten und 4.000 Fahrzeug- und stationären Funkgeräten. Die ZNV besitzen eine Distributed Architecture und hätten im Grunde alle Aufgaben übernehmen können, welche durch den BOS-Digitalfunk mit seiner zentralen Architektur und den ausgefallenen Masten bzw. in zu geringer Stückzahl vorhandenen mobilen Basisstationen nicht bedient werden konnten. Da es sich um eine Containerlösung handelt, hätten sie mit Hubschraubern oder Lkws in die Gebiete transportiert werden können, um dort mithilfe von Masten oder Satellitenanbindung direkt ein Kommunikationsnetz aufzubauen. Genau dies wird schließlich ihre Hauptaufgabe bei der Bundeswehr: Eine Kommunikation für viele Nutzer an Orten zu schaffen, wo keine Infrastruktur existiert.

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Amtshilfe durch die Bundeswehr Aufklärung und Lagedarstellung der betroffenen Gebiete (BS/Dorothee Frank) Die Bundeswehr befindet sich seit mittlerweile über zwei Jahren im Amtshilfe-Dauereinsatz. Während in den vergangenen Monaten vor allem die Corona-Unterstützung durchgehend tausende Soldaten band, trat seit dem 14. Juli der Einsatz in der Katastrophenhilfe in den Vordergrund. überwachung, Überwachung der Meeresumwelt, Katastrophen- und Krisenmanagement, Überwachung der Atmosphäre, Überwachung des Klimawandels, sowie Sicherheit. Das Besondere an Copernicus ist: Alle Daten sind kostenlos durch jeden nutzbar. “Die Sentinel-Daten und Copernicus-Dienste sind für jedermann kostenlos – egal ob für behördliche Anwender, für die Wissenschaft, für kommerzielle Unternehmen, Start-ups oder gemeinnützige Organisationen und Bürger”, lautet das offizielle Statement. Für die Katastrophengebiete hat Copernicus sehr schnell eine eigene Page eingerichtet, wo jeder die aktuellen Satellitenbilder aufrufen oder downloaden kann. Die Details und die Auflösung dieser Satellitenbilder sind mit Luftbildern vergleichbar. Bei jeder Karte steht das genaue Aufnahmedatum mit Uhrzeit. Auf diese Page war das ZGeoBw natürlich nicht angewiesen, da

man durchgehend direkt auf die Karten zugreifen kann, es sich also um ein etabliertes Verfahren handelt. Dank des europäischen Satellitenprogramms und der eigenen Druckerei konnten die Mitarbeiter des ZGeoBw schnell allen eintreffenden Hilfskräften und den sich neu bildenden Stäben aktuelle Lagekarten der Gebiete zur Verfügung stellen. Dies ist vor allem deshalb eine herausragende Leistung, weil viele Mitarbeiter des ZGeoBw selbst von der Katastrophe betroffen sind. Dennoch konnte die Bundeswehr hier schnell und professionell Hilfe leisten, dank der Vorarbeit innerhalb des europäischen CopernicusProgramms.

Erster Einsatz der Recce-Eurofighter Ebenfalls wertvolle Bilder lieferte die Luftwaffe an den Rhein-ErftKreis, der ein entsprechendes Amtshilfeersuchen an die Bundeswehr gestellt hatte. Die Be-

Aktuelle Lagedarstellung

Eurofighter mit RecceLite-Pod (in der Mitte unter dem Rumpf). Der erste Einsatz der Eurofighter in ihrer Aufklärungsrolle fand am 29. Juli im Rahmen der Hochwasserhilfe statt. Foto: BS/Bundeswehr, Jane Schmidt

sonderheit dabei: Am 29. Juli lieferten erstmals die Eurofighter mit ihren neuen RecceLite-Pods die Daten. Es handelt sich also um den allerersten Einsatzflug der Eurofighter in ihrer Aufklärungsrolle. Da die Tage zuvor die Recce-Tornados diese Aufgabe übernommen hatten, konnte die Luftwaffe einen direkten Ver-

gleich ziehen. Die erste Erprobung eines RecceLite-Pods an einem Eurofighter fand 2019 statt, in diesem Jahr begann die Geschwader-übergreifende Ausbildung der Piloten. Der RecceLite-Pod wiegt um die 200 kg und liefert Bilder aus einer Einsatzhöhe bon bis zu fünf km bei einer Spitzengeschwindigkeit

Militärische Fähigkeiten für den Katastrophenschutz Neue Systeme mit flexibler Einsetzbarkeit (BS/df) Es befinden sich aktuell mehrere Systeme in der Beschaffung durch die Bundeswehr, die im Rahmen der Amtshilfe in Zukunft ebenfalls wertvolle Hilfe leisten könnten. So stünde ab Ende dieses Jahres ein System zur Verfügung, das die Kommunikation zwischen den Einsatzkräften übernehmen könnte: Zellulare Netze Verlegefähig (ZNV). Aufgrund verschiedener Verzögerungen kommen die ersten ZNV allerdings erst im Herbst in die Bundeswehr. Zumindest im Einsatzgebiet werden sie dann das leisten, woran es während der Katastrophe mangelte. Ob sie diese Leistung auch in Deutschland bei einer erneuten Katastrophe erbringen könnten, ist allerdings fraglich, da sie hierfür zugewiesene Frequenzen benötigen. Die ursprünglich für den Katas­trophenschutz, die Polizei und die Bundeswehr vorgesehenen 450-Megahertz-Frequenzen verkauft das für die Verwaltung zuständige Bundesverkehrsministerium allerdings aktuell an das Unternehmen “450Connect” (siehe hierzu auch den Artikel auf Seite 26).

Der neue Pionierpanzer der Bundeswehr Eines jener Geräte, die in den von der Sturzflut getroffenen Gebieten in fast jedem Ort gebraucht wurden, war der Pionierpanzer Dachs. Dank seiner Kette kann er auch auf nicht optimalem Boden mit enormen Kräften wirken und dadurch beispielsweise Lkws oder Schutthalden aus dem Weg räumen. Dabei verfügt der Pionierpanzer vorne über ein Dozerschild zum Schieben von Schutt oder Erde sowie über einen seitlich angebrachten Baggerarm. Der Dachs bewährt sich zwar aktuell im Hochwassergebiet, ist allerdings dennoch in die Jahre gekommen. Das erste Serien-

fahrzeug wurde bereits 1989 – ein Jahr vor dem damaligen Auslieferungsziel – an die Bundeswehr übergeben. Die Technik – besonders Schutz, Elektronik und IT – hat sich seitdem deutlich weiterentwickelt. Dementsprechend ersetzt die Bundeswehr ihre Dachse durch insgesamt 44 Pionierpanzer Kodiak. Der Kodiak basiert auf einem Leopard-2-Fahrgestell und wurde in enger Zusammenarbeit mit der Schweizer Armee entwickelt. Im Unterschied zum Dachs befindet sich der Baggerarm nicht an der Seite, sondern in der Mitte der Fahrzeugfront, was für zusätzliche Stabilität und Einsatzmöglichkeiten sorgt. Zudem verfügt er über ein flexibles Dozerschild und ist – verglichen mit dem Dachs auf Leopard-1-Fahrgestell – besser gegen Minen geschützt. Dank der sehr guten Geländegängigkeit und dem 1.100 kW starken Antrieb (rund 1.500 PS) kann der Kodiak den Gefechtsverbänden folgen. Das neu entwickelte Schutzpaket sowie die Leopard-2-Basis machen ihn zudem zu einem der sichersten Pionierpanzer weltweit. Das herausragende Merkmal des Kodiaks ist allerdings der in der Mitte der Fahrzeugfront angebrachte dreiteilige Baggerarm. Dieses Mittelarmkonzept bietet den Vorteil, dass die Besatzung bei Baggerarbeiten den besseren Überblick behält und das Fahrzeug auch in Engstellen einsetzbar ist. Weiterhin ermöglicht

es einen maximalen Arbeitsbereich bei minimaler Abhängigkeit der Fahrzeugausrichtung. Der Knickarmbagger lässt sich darüber hinaus ebenfalls zum Anheben und Versetzen von Lasten einsetzen. Zudem steht eine Vielzahl weiterer unter Schutz wechselbarer Werkzeuge zur Verfügung. Der Kodiak verfügt über ein Räumschild mit Schnitt- und Neigungswinkelverstellung. Die im Frontbereich des Fahrzeugs angebrachte Windenanlage ist mit zwei unabhängig voneinander nutzbaren Spillwinden ausgestattet. Die vergleichsweise leichten Windenseile können schnell und ohne zusätzliche Hilfsmittel oder Werkzeuge von einem Soldaten an einem Objekt verankert werden, wodurch der Aufenthalt außerhalb des geschützten Fahrzeugs minimiert wird. Sechs Kameras an Baggeranlage, Räumschild und an Front- und Heckseite unterstützen die aus drei Soldaten bestehende Besatzung bei der Fahrt und während der pioniertechnischen Aufgaben bei Tag und bei eingeschränkter Sicht. Jedes Besatzungsmitglied kann sich jederzeit das für ihn wichtige Kamerabild auf seinem Monitor anzeigen lassen. Die Kameras erlauben es, den Werkzeugwechsel und alle PionierAufgaben unter Panzerschutz durchzuführen. Ein Hilfsaggregat zur Energieerzeugung (Auxiliary Power Unit) liefert bei Bedarf die elektrische Energie, ohne dass der Hauptmotor in Betrieb ist. Es versorgt zugleich die Kampfraumkühl- und Heizanlage. Für den Selbstschutz verfügt der Kodiak über eine Nebelmittelwurfanlage im Kaliber 76 mm sowie über die von Rheinmetall entwickelte fernbedienbare Waffenstation “Natter”. Die Waffenstation kann wahlweise mit einem Maschinengewehr im Kaliber 7,62 mm x 51 oder 12,7 mm x 99 (.50 BMG) ausgerüstet werden oder eine 40-mm-Granatmaschinenwaffe aufnehmen.

Neue ungeschützte ­Verwundetentransporter Ein Pionierpanzer Dachs während des Hochwassereinsatzes im Ahrtal am 25. Juli 2021. Foto: BS/Bundeswehr, Tom Twardy

von bis zu 1.000 km/h. Der Pod ist am Rumpf des Flugzeugs angebracht und besteht aus dem Behälter mit schwenkbaren Kameras und dem digitalen Breitbanddatenlink. Hinzu kommt eine Auswertungsstation am Boden. “Das System kann so programmiert werden, dass es ein Ziel selbstständig und kontinuierlich verfolgt”, beschreibt die Bundeswehr. “Die Kameras können bei Tag und Nacht mit Infrarot und optischen Sensoren hochauflösendes optisches Bildmaterial sammeln, von bewegten und stationären Zielen. So erhalten die Aufklärer ein hochaktuelles Lagebild.”

Die Bundeswehr erhält zudem neue ungeschützte Verwunde-

tentransportfahrzeuge. Bis zu 500 Fahrzeuge können in den kommenden 15 Jahren über einen entsprechenden Rahmenvertrag abgerufen werden, den das BAAINBw am 22. Juli mit dem Unternehmen Iveco Magirus AG schloss. Zur Erfüllung der vielfältigen Aufgaben verfügen die allradgetriebenen Fahrzeuge über eine hohe Bodenfreiheit sowie Watfähigkeit. Diese ermöglicht es, auch in überschwemmten Gebieten zu fahren. Eine Eigenschaft, wodurch der Sanitätsdienst der Bundeswehr in den Stunden nach der Katas­trophe in Gebiete fahren konnte, wo zivile Rettungswagen noch weggeschwemmt worden wären. Der Kofferaufbau enthält einen dem aktuellen Stand der Technik entsprechenden sanitätsdienstlichen Ausbau sowie die entsprechenden Sanitätsgeräte für den Transport und die Versorgung eines liegenden Patienten. Ergänzend zum zivilen BOSFunk werden die Fahrzeuge mit Schnittstellen zur Aufnahme einer umfangreichen militärischen Funk- und Führungsausstattung ausgestattet. Hierdurch ist es zukünftig möglich, die Fähigkeiten der Fahrzeuge einsatz- und missionsspezifisch durch die gezielte Ausstattung mit militärischen Geräten für den Truppen- und Bündelfunk, Satellitenkommunikation, einer Schutzausstattung (Jammer) sowie einem Führungssystem zu erweitern. In einer ersten Tranche sind 294 Fahrzeuge inklusive Sanitätsausstattungen und Zubehör beauftragt. Die ersten Serienfahrzeuge sollen Mitte 2022 an die Bundeswehr ausgeliefert werden und der Truppe nach erfolgreicher Nachweisführung beginnend ab dem ersten Quartal 2023 zur Verfügung stehen. Bis Ende 2027 soll der Zulauf der ersten Tranche abgeschlossen sein. Mit dem Projekt “Ungeschützter Verwundetentransport geländegängig” (UVT gl) werden die in den 1980er-Jahren beschafften und seit einigen Jahren aufgrund der Überalterung nur noch mit Ein-

Dieses Lagebild ist weiterhin überaus wertvoll für die Katas­ trophenhelfer. Auch Wochen nach der Flut sind nicht alle Straßen und Wege passierbar, es besteht das Risiko, dass sich Bäume aus ihrer aktuellen Verankerung lösen oder Hänge bzw. Schuttberge ins Rutschen geraten. Zum Schutz der betroffenen Menschen und der Hilfskräfte sind weiterhin tagesaktuelle Karten und Lagebilder notwendig. Daten und Material, das bereits direkt zu Beginn der Katastrophe schnell und unbürokratisch durch die Bundeswehr zur Verfügung gestellt wurde.

schränkungen nutzbaren Lkws 2t tmil gl (Zwotonner) in den Varianten Krankenkraftwagen (KrKw) und Beweglicher Arzttrupp (BAT) ersetzt. Somit steht auch in den kommenden Jahren ein geländegängiger Krankenwagen zur Verfügung, der im Notfall die zivilen Kräfte unterstützen kann.

Mangel an Hubschraubern Bei all diesen positiven Nachrichten – auch für die Amtshilfe und den Katastrophenschutz – darf allerdings ein weiterhin bestehender Mangel nicht unerwähnt bleiben: Hubschrauber. Nicht nur die Luftbeweglichkeit der Bundeswehr leidet darunter. Nach der Flutkatastrophe saßen Menschen teilweise fast 24 Stunden lang auf den Dächern fest, einige überlebten dies nicht. Militärische Hubschrauber hätten die Fähigkeiten und deren Piloten die Ausbildung, um in einer Großaktion diese Menschen zu retten. Es muss sie allerdings auch geben. Das Vorhaben Schwerer Transporthubschrauber (STH) wird seit Jahren immer wieder um ein paar Monate verschoben, während die CH-53G, welche der STH ablösen soll, aufgrund der Obsoleszenzproblematik immer weniger in Bereitschaft ist. Die Kampfhubschrauber sind wiederum für solche Einsätze nicht geeignet. Von den Marinetransporthubschraubern steht aktuell erst eine geringe Stückzahl zur Verfügung. Hubschraubereinsätze im Katastrophenfall kann allerdings nur das Militär leisten. Die Rettungshubschrauber des ADAC werden kaum dazu in der Lage sein, in überfluteten Gebieten mitten in der Nacht Menschen von Dächern bergen. Genauso wie nur militärische Krankenwagen in überflutete Gebiete fahren, nur militärische Pionierpanzer Lkws und Schuttberge räumen und nur militärische Kommunikationslösungen Netze in Gebieten ohne Infrastruktur schaffen können. All dies gehört zum Anspruch und den Fähigkeiten der Bundeswehr. Der staatliche Katastrophenschutz kann solche Großlagen nicht ohne die Bundeswehr bewältigen. Die Beschaffung – auch von Hubschraubern – kommt also nicht nur im Verteidigungsfall den Bürgern zugute.


Wehrtechnik

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Planungen und Forschung zum Gläsernen Gefechtsfeld Erkenntnisse des ersten Defence Day des Behörden Spiegel

Behörden Spiegel / August 2021

MELDUNGEN

Fähigkeitserweiterung der Schützenpanzer (BS/df) Das BAAINBw hat einen

wie das neue Fahrersichtsystem

vereinbarten Maßnahmen soll die Hälfte der Pumas des ersten Loses auf einen einheitlichen Konstruktionsstand gebracht werden, mit der Option zur Umrüstung der verbliebenen Pumas. "Der Vertrag umfasst als Basisleistung die Umrüstung von 150 SPz Puma (zuzüglich vier Nachweismustern), eine Konzeptstudie zur Erreichung der vollständigen operationellen Einsatzreife, die Beschaffung von Transport- und Lagerbehältern sowie umfassende logistische Leistungen. Das Auftragsvolumen beläuft sich auf etwa eine Milliarde Euro", schreibt das BAAINBw. "Darüber hinaus wurden Optionen zur Umrüstung weiterer 143 SPz Puma sowie Maßnahmen zur Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts auf 45 Tonnen vereinbart." Neuerungen der Puma-Version S1 sind u. a. die Integration abstandsfähiger Effektoren wie des Mehrrollenfähigen Leichten Lenkflugkörpersystems (MELLS), zusätzliche Sensoren

und nicht wie beim Marder als Waffe für den abgesessenen Einsatz mitgeführt. "Die Integration der Waffenanlage Mehrrollenfähiges Leichtes Lenkflugkörper System (MELLS) ermöglicht die Bekämpfung hochgeschützter Ziele", berichtet das BAAINBw. "Zudem werden vorbereitende Maßnahmen getroffen, die in der Entwicklung befindliche, turmunabhängige sekundäre Waffenanlage (TSWA) zu integrieren." Zu den weiteren neuen Fähigkeiten schreibt Rheinmetall: "Das neue Rundum- und Fahrersichtsystem leitet das Ende der Ära des Winkelspiegels ein. Erstmalig kann die gesamte Besatzung bei Tag wie bei Nacht 'durch die Panzerung' sehen. Der Fusionsmodus verbindet die Tagsicht mit dem leistungsstarken Wärmebild und ermöglicht die frühzeitige Aufklärung getarnter Ziele bei Tag wie bei Nacht. Der Puma ist das erste westliche Gefechtsfahrzeug, das serienmäßig mit einem solchen System in der Nutzung ist.”

(BS/df) "Die Bundeswehr steht wie alle Streitkräfte vor einer digitalen und technischen Herausforderung", begann Generalmajor a.D. Reinhard Großauftrag zur Fähigkeitser- und eine verbesserte FührungsWolski den ersten Defence Day des Behörden Spiegel. Unter dem Stichwort "Gläsernes Gefechtsfeld" erläuterten Redner aus den unterschied- weiterung der Schützenpanzer architektur. MELLS wird beim lichsten Bereichen die Möglichkeiten zur Vernetzung in schwierigen Situationen. (SPz) Puma vergeben. Mit den Puma in den Turm integriert Die für das Gläserne Gefechtsfeld notwendigen Technologien wären auch beim aktuellen Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz dringend benötigt worden. Somit griff der Behörden Spiegel ein aktuelles Thema direkt auf. Schließlich braucht die Bundeswehr immer Infrastruktur in nicht erschlossenen Gebieten. Sie muss kommunizieren und Informationen austauschen, wo nichts vorhanden ist.

Durch diese Verbindung könnten die Fahrzeuge als Verbund agieren. Sensorergebnisse aller Fahrzeuge würden in das Battle Management System einfließen, das dann wiederum die beste Reaktion vorschlägt. “Ein Fahrzeug erkennt eine Bedrohung und weist die Bekämpfung einem anderen Fahrzeug zu, das sich in einer besseren Position befindet”, nannte Mabile als Beispiel. “Es gibt einen permanenten Datenaustausch zwischen allen Einheiten auf dem Gefechtsfeld.”

Zellulare Netze statt Software Defined Radios Ein Fokus des Defence Day lag allerdings auf dem Ausland, damit nicht nur die deutschen, sondern auch die technischen Vorgehensweisen anderer Nationen in die Betrachtung einfließen. Israel gilt als besonders fortschrittlich. Deren Perspektive brachte Oded Nachmoni, der seinen Dienst im Electronics Engineering Corps für die Entwicklung der Merkava Panzer bei den israelischen Streitkräften leistete und nun für das israelische Unternehmen IAI arbeitet, in die Diskussion ein. Die Zunahme an Sensoren und vernetzbaren Effektoren erfordere eine größere Vernetzung und dies wiederum benötige eine größere und vor allem unbedingt stabile Datenübertragung, auch unter schwierigen Bedingungen. “Heute haben die meisten Systeme ihren eigenen und einzigen Kommunikationskanal”, beschrieb Nachmoni. Dabei müsse eine moderne Armee zur Vernetzten Operationsführung fähig sein, was eine Verbindung aller Einheiten und Systeme erfordere. “Wir befinden uns aktuell in einer Situation, in der die üblichen militärischen Netzwerke – die normalerweise aus Software Defined Radios bestehen – diese Anforderungen nicht erfüllen, weil sie keine größeren Verbindungsraten oder keine größeren Nutzerzahlen leisten können”, sagte Nachmoni. Dies werde zum limitierenden Element und sei der Grund, warum viele Armeen weiterhin auf schmalbandige Kommunikation wie Sprechfunk setzen müssen. Seiner Einschätzung nach seien die aktuellen Software Defined Radios den heutigen Anforderungen nicht gewachsen, weshalb IAI Elta aktuell mit zellularen Funksystemen forsche. Eine Herausforderung stelle die Kommunikation in der Bewegung dar. Üblicherweise bestünde ein zellulares Netzwerk aus festen Basisstationen, zwischen denen der Nutzer sich bewegt. Da im militärischen Bereich nicht mit festen Basisstationen gerechnet werden kann, müsse sich diese Infrastruktur mit den militärischen Kräften bewegen. Hierfür wurden sehr kleine NetzwerkDevices entwickelt, die weniger als zwei Kilogramm wiegen, dabei aber alle Technologien für das zellulare Netzwerk enthalten. Die Bundeswehr setzt mit ihrem Vorhaben “Zellulare Netze Verlegefähig” (ZNV – siehe Artikel auf Seite 49) ebenfalls auf eine Dis-

Dieser QR-Code führt zum Video, in dem das Deutsche Heer seine Gedanken zum Digitalen Gefechtsfeld erläutert.

Austausch über alle Ebenen

Richtschütze in einem Puma. Mit der Einführung der neuen Schützenpanzer wurde ein wichtiger Schritt Richtung Kampf im Gläsernen Gefechtsfeld gemacht.

tributed Architecture. Während Israel allerdings nicht für den Einsatz außerhalb der eigenen Grenzen plant – und das Land sich zudem durch eine funktechnisch sehr geeignete Landschaft auszeichnet – ließen sich die entsprechenden Technologien schneller aufbauen und implementieren als beispielsweise in Deutschland.

Foto: BS/Bundeswehr/Maximilian Schulz

werden in einer so genannten Combat Cloud. “Wir müssen diese Vernetzung des Gläsernen Gefechtsfelds operativ denken. Und wir dürfen das nicht aus der Brille des Grundbetriebs machen”, forderte Oberst i.G. Schnabel. “Daher brauchen wir eine Combat Cloud Streitkräfte/Bundeswehr.” Die Voraussetzung dafür

Wie der Informationsraum über alle Ebenen eines Gefechtsfelds aufgespannt werden kann, war dann auch das Thema des Vortrags von Jürgen Meyer, Head of Defense & Intelligence Operations bei Atos. Relevant sei insbesondere, “wie relevante Services und Informationen in einem hochdynamischen Umfeld mit schmalen Bandbreiten über Sicherheitsund Informationsdomänen hinweg ihre Ziele finden”, damit der Nutzer diese Informationen nicht nur erhält, sondern auch auslesen kann. “Der kritische

Anforderungen des Deutschen Heeres Die Planungen des Deutschen Heeres stellte Oberst i.G. Eduard Schnabel, Referatsleiter Digitalisierung Landbasierte Operationen im Kommando Heer, dar. Das Heer habe relativ früh die Bedeutung der Digitalisierung erkannt und ein Referat ausgeplant und einen Generalsposten eingeführt, der sich ausschließlich mit der Digitalisierung in der Dimension Land befasst. "Wir werden oft gefragt, was will der Nutzer, was will das Deutsche Heer eigentlich”, so Oberst i.G. Schnabel. Als Antwort habe das Kommando Heer ein Video erstellt, das die Grundgedanken erläutere. “Im Prinzip wollen wir nicht viel”, sagte Oberst i.G. Schnabel. “Wir wollen die Vernetzung des Gefechtsfeldes. Wir wollen eine horizontale und eine digitale Vernetzung. Und das ist eigentlich auch nichts Neues, weil wir das schon einmal hatten: Wir sprechen von der Vernetzten Operationsführung.” Diese habe durch die Digitalisierung noch einmal einen starken Anschub erhalten, sei aber weiterhin derselbe Ansatz, den die Bundeswehr schon damals vorhergesehen hat und ausplanen wollte. Eine besondere Herausforderung sei für die Dimension Land, dass alle Informationen durch die Luft und im elektromagnetischen Spektrum zu übertragen seien. “Das ist eine riesengroße Herausforderung”, betonte Oberst i.G. Schnabel. “Andere Streitkräfte sind da in einer etwas komfortableren Situation. Die Marine hat ihr Waffensystem und muss dieses nur irgendwie einbinden. Sie hat feste Kabel, sie hat Drahtleitungen, sie hat Glasfaser in ihrem Schiff. Auch die Luftwaffe hat es relativ einfach. Sie muss nur ihr Waffensystem irgendwie in eine Cloud einbinden. Das Kommando CIR ist in ortsfesten logistischen Einrichtungen.” Auch der CloudGedanke des Sanitätsdienstes mit der elektronischen Patientenakte greift auf vorhandene ortsfeste Infrastruktur zurück. “Nur wir, das Heer, stehen da am Anfang. Wir brauchen ein Konzept dazu, wie wir diese Daten durch die Luft bringen, aber auch wie wir aus diesen Daten Informationen machen.” Das Ziel müsse es sein, dass diese einzelnen Clouds zusammengefasst

Alexis Mabile (rechts) vom Unternehmen Nexter gab Einblicke in das französische Programm "Scorpion" Screenshot:BS/Fieseler

sei das Zusammenfassen von Daten in der Dimension Land. Die Durchführung sei hochkomplex, weshalb das Deutsche Heer Testund Versuchsstrukturen für die Einbindung von digitaler Technologie in die Streitkräfte aufgebaut habe. Die Combat Cloud sei bei Beschaffungen von Anfang an mitzudenken, zu fordern und als Auflage vorzugeben. Oberst i.G. Schnabel betonte: “Wenn Sie die Combat Cloud Streitkräfte jetzt nicht in operativen Leitlinien denken und fordern, dann bleiben wir in rudimentärer Stellung und stehen vor der Herausforderung: Wie wollen wir die verschiedenen Clouds zusammenführen?”

Der französische Ansatz Andere Landstreitkräfte stehen allerdings vor denselben Herausforderungen. Wo bei der Marine ein Schiff und bei der Luftwaffe ein Flugzeug ist, sind beim Heer verschiedenste Systeme – Radare, Kommunikation, Wirkung – jeweils mit einzelnen Assets und oftmals anderen Herstellern hinterlegt, so dass das System Brigade oder auch nur das System Kompanie aus IT-Sicht in zerstückelten Kleinstteilen existiert und erst in ein Gesamtsystem eingebunden werden muss. In Deutschland brachte das "System Panzergrenadier" einen ersten Ansatz, in Frankreich heißt das Programm zur Vernetzten Operationsführung “Scorpion”. Einblicke in dieses Programm gab Alexis Mabile, Senior Vice President Innovation and Digital Transformation beim französischen Unternehmen Nexter. “Scorpion ist hauptsächlich ein Programm zur Erneuerung aller Fahrzeuge der französischen Armee”, beschrieb Mabile. Der interessante Aspekt sei allerdings, dass alle diese Fahrzeuge miteinander verbunden würden. “Die Fahrzeuge werden verbunden durch ein Funknetzwerk und ein Command and Control System.”

Erfolgsfaktor, den wir sehen, ist die Anbindung der taktischen Ebene”, sagte Meyer. “Bisherige Lösungen basieren oft auf konventionellem IP-Routing und bergen die Gefahr, dass wichtige IT-Services und Informationsanfragen in einem solchen Umfeld nicht adäquat bedient werden können.” Atos entwickele hierfür einen plattformbasierten Ansatz, der die Herausforderungen von Streitkräften berücksichtige.

Defence Day Die Bandbreite der Vorträge, der Fokussierungen und vor allem der Blickwinkel, mit denen auf das Gläserne Gefechtsfeld geschaut wurde, zeigte die Komplexität des Themas. Es kann aus Sicht des Funks, der Vernetzung, der Plattformen oder der Cloud betrachtet werden. Am Ende steht allerdings der Nutzer, der, wie Oberst i.G. Schnabel es zum Ausdruck brachte, im Grunde nicht viel, sondern nur die Vernetzung des Gefechtsfeldes wolle. Für diesen Wunsch steht allerdings jedes System, jede Plattform und jedes einzelne Gerät – vom Kampfpanzer bis zum Nachtsichtgerät – auf dem Prüfstand. Alles muss die Fähigkeit zur Einbindung besitzen. “Aufklärungsfähigkeit und Aufklärungsüberlegenheit ermöglichen Wirkungsüberlegenheit”, betonte Generalmajor a.D. Wolski. “Voraussetzung ist ein resilientes Führungs- und Aufklärungssystem mit Unterstützung durch Künstliche Intelligenz (KI) und Reach Back Möglichkeiten. Das Gläserne Gefechtsfeld wird ein wesentlicher Meilenstein sein, um gegen einen ebenbürtigen Gegner erfolgreich zu bestehen.” Wer den Defence Day “Gläsernes Gefechtsfeld” verpasste, kann hier die Aufzeichnung der Veranstaltung abrufen: www.digitaler-staat.online/ defence/

Vertrag zu den neuen Doppelhüllentankern (BS/df) Das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) hat die norddeutsche Schiffbaugruppe Lürssen mit dem Bau von zwei neuen Betriebsstofftransportern (MBV707) für die Deutsche Marine beauftragt. Der Zulauf des ersten Schiffes ist ab 2024 geplant. Die neuen Doppelhüllentanker werden die aktuellen Betriebsstoffversorger der RHÖN-Klasse ersetzen, da diese in die Jahre gekommen sind und mit nur einer Hülle nicht mehr die internationalen Auflagen an Schiffssicherheit für Kraftstofftransport erfüllen. Die neuen Tanker erlauben bei einem Ladevolumen von rund

12.000 Kubikmetern bis zu drei parallele Betankungen auf See und verfügen über zahlreiche modulare Containerstellplätze, in denen beispielsweise Werkstätten oder Ersatzteillager untergebracht werden können. Es ist eine Besatzung von rund 65 Personen vorgesehen. Neben den Eigenschaften als Transporter für Flug- und Dieselkraftstoff sollen die neuen Doppelhüllentanker noch weitere Fähigkeiten erhalten. So führt vom Flugdeck ein direkter Zugang zur Krankenstation, um auch bei Rettungs- und Hilfsmissionen schnell und effizient zu unterstützen.

Neue Schiffe für die WTD 71 (BS/df) 55 Jahre fuhr das Sperrwaffenversuchsboot WILHELM PULLWER der Klasse 741 für die Bundeswehr, nun wird es ersetzt. Das BAAINBw schloss einen Vertrag mit der Firma Fassmer über die Beschaffung neuer Messboote für die Wehrtechnische Dienststelle (WTD) 71. Diese neuen Schiffe sollen neben der WILHELM PULLWER auch die Mehrzweckboote BREITGRUND und MITTELGRUND der Klasse 745, die seit 32 Jahren in Dienst

sind, ablösen. Die zwei neuen Schiffe "Messboote Seeversuche Küste" basieren auf zivilen Booten, die für die besonderen Anforderungen wehrtechnischer Erprobungen modifiziert wurden. Die WTD 71 hilft der Deutschen Marine bei der Beurteilung, Analyse und Erforschung bzw. Erprobung von Wehrtechnik. Das Aufgabenspektrum umfasst die gesamte Bandbreite maritimer Wehrtechnik in allen Phasen des Entstehungsprozesses.

Luftverladbare Flugsicherungsanlage für die Bundeswehr (BS/df) Ende Juli unterzeichnete das BAAINBw einen Vertrag zur Herstellung und Lieferung einer luftverladbaren Flugsicherungsanlage mit den Unternehmen steep und ESG. Diese Flugsicherungsanlage wird den Fluglotsinnen und Fluglotsen der Bundeswehr die notwendigen technischen Hilfsmitteln für die Kommunikation, Navigation und Überwachung des Luftverkehrs zur Verfügung stellen. "Der modulare Aufbau des neuen Systems ermöglicht die ortsunabhängige Errichtung einer Flugplatz- und Anflugkontrollstelle in Containerbauweise einschließlich notwen-

diger Sensorik und Technik sowie der dazugehörigen Flugplatzbeleuchtung. Die Bundeswehr wird damit in die Lage versetzt, einen autarken Flugplatz in einem Einsatzland zu errichten und zu betreiben - insbesondere an Einsatzorten, an denen eine Flugbetriebsinfrastruktur nicht oder ungenügend verfügbar ist. Die Flugsicherungsanlage ist zudem auf allen gängigen Fahrzeugen sowie per Lufttransport mit dem Luftfahrzeug A400M transportierbar", beschreibt das BAAINBw. "Die ersten Module sollen bereits 2023 ausgeliefert werden."

Neue Laser-Licht-Module für den Nachtkampf (BS/df) Die Bundeswehr hat jüngst einen Rahmenvertrag zur Lieferung von Laser-LichtModulen unterzeichnet. Bis zu 130.000 Systeme wären damit beschaffbar. Bei dem Gerät handelt es sich um eine Version des Rheinmetall Laser-Licht-Moduls LLM-VarioRay der neusten Generation. Da diese sich über

standardisierte Schnittstellen an allen bisher bei der Bundeswehr eingeführten Sturmgewehren, Maschinenpistolen, Maschinengewehren und Scharfschützengewehren einsetzen lassen, wären sie im Grunde direkt einsetzbar. Die Auslieferung der ersten Module soll bereits in diesem Jahr beginnen.


Verteidigung

Behörden Spiegel / August 2021

W

ährend der Begriff “Bundeswehr” in den Programmen von SPD und FDP jeweils fünf Mal, bei der AfD sieben und bei den Grünen zehn Mal vorkommt, zeigt die Suchfunktion bei CDU/CSU 25 und bei der Linken 55 (!) Treffer. Das Ranking der Platzierungen des jeweiligen Bundeswehr-Absatzes in den Wahlprogrammen sieht wie folgt aus: Bei der Union läuft er bereits im ersten Zehntel, bei der AfD im ersten Drittel, bei FDP und Linken jeweils im letzten Viertel sowie bei SPD und Grünen jeweils ganz am Ende der Grundsatzpapiere.

Wahlprogramme zur Verteidigung CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Linke und Grüne zu Bundeswehr und Sicherheitspolitik (BS/Dr. Gerd Portugall) Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag steht für den 26. September dieses Jahres an. Aus diesem Anlass werden hier die Wahlprogramme der aktuell in der Ersten Kammer des Parlaments vertretenen Parteien bzgl. Fraktionen zu besonders markanter Positionen in den Themenfeldern “Bundeswehr” und “Sicherheitspolitik” analysiert.

Hier argumentiert die CDU/CSU interessengeleitet: “An Auslands­ einsätzen werden wir uns immer dann mit Bündnispartnern beteiligen, wenn deutsche Sicherheitsinteressen gefährdet sind.” Die Grünen hingegen heben auf verfassungs- und völkerrechtliche Gründe ab: “Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Ausland sind in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit – d. h. nicht in verfassungswidrige “Koalitionen der Willigen” (in Anspielung auf den Irakkrieg von 2003; G.P.) – und in ein politisches Gesamtkonzept einzubetten, basierend auf dem Grundgesetz und dem Völkerrecht.” Anders als bei Union und Bündnis 90 wird sich bei SPD und FDP nicht zum Thema “Auslandseinsätze” inhaltlich positioniert. Die politischen Ränder stehen besonders kritisch zu den Einsätzen. “Die AfD tritt dafür ein, das Einsatzgebiet der NATO auf das Gebiet der Bündnisstaaten zu begrenzen.” Noch ablehnender äußert sich die Linke: “Auslandseinsätze der Bundeswehr werden wir beenden und neue verhindern.”

umfassenden politischen und gesellschaftlichen Debatte und der sorgfältigen Würdigung aller Aspekte getroffen werden.” Die ehemalige pazifistische Partei der Grünen positioniert sich nicht eindeutig: Einerseits müsse die Bundeswehr “kontinuierlich an der Stärkung ihres Eigenschutzes arbeiten”, auch wenn diese Aussage programmatisch nur auf den Cyber-Raum bezogen wird. Andererseits äußert sie sich nicht ausdrücklich zu automatisierten Systemen (“man in/on the loop”) – wie Kampfdrohnen. Hingegen spricht sich Bündnis 90 dezidiert gegen “autonome tödliche Waffensysteme” aus, “die keiner wirksamen Steuerung mehr durch den Menschen bei Auswahl und Bekämpfung von Zielen unterliegen”. Ähnlich postuliert die SPD: “Autonome Waffensysteme senken die Schwelle für kriegerische Handlungen”, ohne allerdings – anders als die Grünen – deutlich zu machen, worin der Unterschied zwischen automatisierten und autonomen Systemen besteht. Im Gegensatz zu den Letztgenannten äußert sich die Linke unmissverständlich. Unter der Zwischenüberschrift “Keine Drohnen für den Krieg” fordert sie: “Die Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen muss verhindert werden. (...) Den Einsatz autonomer Waffensysteme und bewaffneter Drohnen wollen wir verbieten.” Und bei AfD und FDP? Schweigen im Walde.

Kampfdrohnen

Bundeswehr und Gesellschaft

Zum innenpolitisch “heißen Eisen” Kampfdrohnen stellen CDU/CSU unmissverständlich fest: “Zum Schutz unserer (...) Soldaten und im Einsatz setzen wir uns für die militärisch heute selbstverständliche Bewaffnung von Drohnen ein.” Die SPD hingegen will sich noch nicht festlegen und vertagt die Entscheidung in die nächste Legislaturperiode: “Wir stehen für den bestmöglichen Schutz unserer Soldaten. Dazu gehört auch der Einsatz von Drohnen. Die Entscheidung, ob diese auch bewaffnet werden sollen, kann verantwortbar erst nach einer

Beim Thema “Gesellschaft” geht es der Union um die gesellschaftliche Mitte: “Die Bundeswehr hat einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft. (…) Deshalb wollen wir, dass Gelöbnisse grundsätzlich in der Öffentlichkeit stattfinden.” Auch gehörten Jugendoffiziere “ganz selbstverständlich in unsere Schulen”. Den Grünen geht es hingegen mehr um die politische Mitte: “Die Bundeswehr soll die Vielfalt unserer Gesellschaft abbilden. Menschenfeindliche Ideologien und rechtsextremistische Strukturen in der Bundeswehr werden wir konsequent verfolgen und

Einsätze

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Ein politisch besonders sensibles Thema ist die Frage nach der Zukunft der nuklearen Teilhabe Deutschlands im Rahmen der NATO. Hier die bisherige Trägerplattform für die US-Atomwaffen: das Kampfflugzeug “Tornado” des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 im rheinland-pfälzischen Büchel. Foto: BS/Portugall

zerschlagen.” Die Union drückt sich hier prägnanter aus: “Für Extremisten ist in der Bundeswehr kein Platz.” Dissens gibt es hingegen an den politischen Rändern. “Die AfD tritt (...) für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht ein”, die “für eine Verankerung der Streitkräfte in der Gesellschaft gesorgt” habe” Und sie fordert ein “Gemeinschaftsdienstjahr (...) für Frauen sowie für Männer”. Rabiat hingegen die Haltung der Linken: “Die Aufrüstung der Bundeswehr wird von einer Militarisierung der Gesellschaft begleitet. (...) Die Bundeswehr soll nicht mehr in Schulen oder Universitäten werben oder auftreten dürfen. (...) Die Militärseelsorge in der jetzigen Form wollen wir abschaffen. (...) Die schon bestehenden Strukturen der ZMZ sowie die in Aufbau befindlichen Strukturen der Reservekräfte der Bundeswehr müssen aufgelöst werden.” Hingegen äußern sich Sozialdemokraten und Liberale zur Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft nur punktuell. “Wir”, so die SPD, “stehen für das Primat der Politik und für das Leitbild der Inneren Führung der Soldaten als Staatsbürger in Uniform.” Die FDP thematisiert nur den Schulbesuch von Jugendoffizieren: “Zivilklauseln oder das pauschale Aussperren (...) der Bundeswehr lehnen wir

im Bildungsbereich ab.”

Sitz im UN-Sicherheitsrat “Wir”, so CDU und CSU, “setzen uns für einen zusätzlichen (!), gemeinsamen ständigen Sitz der EU im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein”, d. h. dass Frankreich und Großbritannien ihren jeweiligen Ständigen Sitz behalten sollen. SPD und FDP hingegen fordern einen ständigen europäischen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, was bedeuten würde, dass die Regierungen in Paris und London ihren jeweiligen Sitz aufgeben müssten. Neben der “Abschaffung der gegen Deutschland gerichteten Feindstaatenklausel” in der UN-Charta erklärt die AfD: “Wir streben einen ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat an”, d. h. es soll keinen gemeinsamen europäischen Sitz geben. Die Position der Linken ist mal wieder glasklar: “Die Forderung nach einem ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat lehnen wir (...) ab.”

NATO In Bezug auf die grundsätzliche Bedeutung der NATO gibt es zwischen den etablierten Parteien weitgehende Übereinstimmungen. Die Union versteht das Bündnis sowohl “als Wertegemeinschaft” als auch als

“Rückgrat der euro-atlantischen Sicherheit.” Für die SPD ist und bleibt die NATO “ein tragender Pfeiler der transatlantischen Partnerschaft und für Europas Sicherheit unverzichtbar.” Und: “Wir Freie Demokraten bekennen uns uneingeschränkt zur NATO. Denn die NATO ist ein konkurrenzlos erfolgreiches Sicherheitsbündnis.” Auch für die Grünen “bleibt (die NATO) aus europäischer Sicht neben der EU unverzichtbarer Akteur, der die gemeinsame Sicherheit Europas garantieren kann und der als Staatenbündnis einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirkt.” Wieder fallen die politischen Ränder aus dem Rahmen. “Die Mitgliedschaft in der NATO” so die AfD, “ist bis auf Weiteres (!) zentrales Element unserer Sicherheitsstrategie.” Aber: “Die NATO muss (...) wieder ein reines Verteidigungsbündnis werden”, d. h. keine Einsätze mehr wie KFOR im Kosovo oder ISAF in Afghanistan. “Im Einklang mit (...) den europäischen Bestrebungen nach mehr Mitsprache in der NATO”, so die AfD weiter, “ist es nur folgerichtig und im deutschen Interesse, die europäische Säule der NATO zu stärken.” Ganz anders dazu die Linke: “Wir fordern die Auflösung der NATO. (...) Ebenso stellen wir uns gegen die Präsenz deutscher Soldaten im Ausland unter Verantwortung der NATO, wie derzeit etwa in Litauen, (...) wo über 10.000 Bundeswehrsoldaten ohne Mandat aktiv sind.” Nach herrschender Rechtslehre müssen jedoch Einsätze auf NATOGebiet nicht durch den Bundestag mandatiert werden. Darüber hinaus kritisiert die Linke “das Zwei-Prozent-Ziel der NATO (für; G. P.) die Bundeswehr.” Außerdem “müssen alle ausländischen Militärbasen in Deutschland geschlossen werden. (...) Jede Unterstützung für NATO-Staaten, die – wie die Türkei unter dem Erdoğan-Regime – das Völkerrecht missachten, muss umgehend gestoppt werden.”

Nukleare Teilhabe Interessant ist auch die beson-

ders heikle Frage nach der nuklearen Teilhabe Deutschlands im Rahmen der Abschreckungsdoktrin der NATO. “Wir”, so CDU/CSU, “stehen dafür, dass Deutschland sich entschlossen zur Fortsetzung seiner nuklearen Teilhabe innerhalb der NATO bekennt und die notwendigen Mittel dafür bereitstellt.” Ähnlich wie bei der Frage nach den Kampdrohnen vertagt die SPD auch hier die Entscheidung auf die Zeit nach der Bundestagswahl. “Vor der Entscheidung über ein Nachfolgesystem des Kampfflugzeugs Tornado setzen wir uns”, so die Sozialdemokraten, “für eine gewissenhafte, sachliche und sorgfältige Erörterung der technischen nuklearen Teilhabe ein.” Demgegenüber postuliert Bündnis 90 unmissverständlich: “Wir wollen ein Deutschland frei von Atomwaffen” und “lehnen Finanzierung, Produktion und Kauf von Flugzeugen und anderen Trägersystemen für Atomwaffen ab.” Hier vertreten Grüne und Linke einmal dieselbe Linie. “Die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO”, so die SED-PDSNachfolgepartei, “muss beendet werden. Es dürfen dafür keine Kampfflugzeug-Trägersysteme zur Verfügung gestellt und neu angeschafft werden.” Bei diesem Thema schlagen die Rechtspopulisten eine eigenständige Volte. Mit dem von der AfD geforderten “Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland (…) würde die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik obsolet”.

Fazit CDU/CSU bezeichnen sich selbst in ihrem gemeinsamen Wahlprogramm als “Parteien der Bundeswehr”, was sich empirisch-analytisch auch belegen lässt. Die Grünen lavieren zwischen vergangener Protest- und künftiger Volkspartei. Während sich die SPD insgesamt noch um die thematische Breite einer Volkspartei bemüht, präsentiert die FDP sich als klassische Klientel- bzw. “Patronage-Partei” (Max Weber). Auch die AfD laviert – ähnlich wie die Grünen –, hier allerdings zwischen konservativen und extremistischen Positionen. Die Linken arbeiten sich regelrecht am Thema “Bundeswehr” ab und positionieren sich ganz bewusst extremistisch: Vernichtung aller Atomwaffen, Auflösung der NATO und langfristig Abschaffung aller Armeen. Der deutschen Wählerschaft fehlt es also nicht an Alternativen.

Berlin Security Conference 2021 Europe – Developing Capabilities for a credible Defence 24.-25. November 2021, Vienna House Andel’s Berlin

S AV E T H E D AT E 2 0 2 1 • Eine der größten Veranstaltungen zur Europäischen Sicherheit und Verteidigung • Analysiert die Entwicklung der europäischen sicherheitspolitischen und militärischen Fähigkeiten und Beschaffung, eingebettet in den sicherheits- und verteidigungspolitischen Kontext von EU und NATO • Internationales Forum für Abgeordnete, Politiker und Angehörige der Streitkräfte, der Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und der Industrie • Partner in 2021: OCCAR, EDA, NCIA, NSPA • Frühere Partner: Russland, Großbritannien, Türkei, USA, Frankreich, Schweden, Niederlande, Italien, Tschechien • Nationale und internationale Aussteller • Veranstaltet vom – Deutschlands führender unabhängiger Zeitung für den Öffentlichen Dienst

Foto: Dombrowsky

Die Berliner Sicherheitskonferenz

www.euro-defence.eu


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eplant habe er seinen Lebenslauf so nicht, erklärt Dreßbach. Dass er einmal Leiter des Referats für Wirtschaft, Arbeit und digitale Infrastruktur im Main-Kinzig-Kreis werden würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt: “Da hat sich immer wieder eine Sache aus der anderen entwickelt.” Und jetzt residiert er seit rund zwei Jahren mit seinen acht Mitarbeiterinnen in angemieteten Büros am Stadtrand von Gelnhausen - mit Blick über die grüne Hügellandschaft des Kinzig-Tals. Schon im Eingangsbereich präsentieren zwei übergroße Präsentationstafeln mit unterschiedlichen Sensoren die Möglichkeiten des LoRaWANNetzwerks, das derzeit im Main-Kinzig-Kreis ausgerollt wird. Diese schmalbandige Netzwerktechnologie biete einen Einstieg in die Welt des “Internet of Things”, erklärt Hausherr Dreßbach, der gute Laune und Zuversicht ausstrahlt. Bereits jetzt leiste es einen erheblichen Beitrag zum “Smart Farming” im MainKinzig-Kreis: Landwirte nutzten LoRaWAN zur kontinuierlichen Messung der Bodenfeuchtigkeit, um die Bewässerung ihrer Felder zu automatisieren. Städte wiederum könnten darüber den Verkehrsfluss monitoren und steuern. Mit den Raumluftmessgeräten lassen sich öffentliche Gebäude mit einem Warnsystem ausstatten. In Zeiten von Corona hängen diese Sensoren selbstverständlich auch in den Meeting-Räumen des Referats.

Behörden Spiegel / August 2021

"Ich möchte keinen Tag missen" Walter Dreßbach ist Referatsleiter im Main-Kinzig-Kreis (BS/Dr. Barbara Held) In Gelnhausen-Roth geboren hat Walter Dreßbach in seiner Heimatstadt über Jahrzehnte als Techniker, freiwilliger und beruflicher Feuerwehrmann, Katastrophenschützer, Gewerkschafter, Politiker und schließlich Verwaltungsangestellter im Main-Kinzig-Kreis gewirkt. Heute ist er Referatsleiter in der Kreisverwaltung und ein lebendiges Beispiel dafür, dass Heimatverbundenheit und Weltläufigkeit sehr wohl zueinander passen.

Frage der Berufswahl stellte sich nicht Zugang zu dem flächendeckenden kreiseigenen LoRaWAN-Netzwerk haben nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern auch Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Kommunen. Diese können mit ihren eigenen Sensoren die kostenlose Funktechnik nutzen. Auf gut Hessisch: “LoRaWAN macht viel her und kostet wenig.” Die Frage der Berufswahl, erzählt der 62-Jährige, habe sich ihm nach dem Hauptschulabschluss 1973 so gar nicht gestellt. Seine alleinerziehende Mutter schickte ihn in die Ausbildung als Energieanlagenelektroniker. Niemand konnte anfangs ahnen, dass seine renommierte Ausbildungsfirma WIBAU im Zuge der Ölkrise in Schwierigkeiten geraten würde und ihren hochqualifizierten jungen Leuten keine langfristige Übernahme anbieten konnte. Weil er noch nicht bei der Bundeswehr gedient hatte, war es zu dieser Zeit sehr schwierig, eine neue Anstellung zu finden. Er sei schon entschlossen gewesen, einen Zeitvertrag mit Amerikaausbildung bei der Bundeswehr zu unterschreiben, erzählt Dreßbach, als die Kollegen von der lokalen freiwilligen Feuerwehr einschritten: “Wenn du hier unterschreibst, dass du für zehn Jahre bei der Feuerwehr bleibst, ist alles in Ordnung, haben die mir gesagt.” Der Wehrdienst war also kein Problem mehr. Mit knapp 20 Jahren wurde Dreßbach danach von der Firma Leinhaas eingestellt, die ihn im Rahmen einer Modernisierungsmaßnahme als Starkstrom-Monteur ganz

Nach einer abwechslungsreichen Karriere treibt Walter Dreßbach heute als Leiter des Referats für Wirtschaft, Arbeit und digitale Infrastruktur die technologische Zukunftsfähigkeit des Main-Kinzig-Kreises erfolgreich voran. Foto: BS/Walter Dreßler

auf sich gestellt kreuz und quer durch Europa schickte. “Das hat mich sehr geprägt”, erinnert er sich, “dass ich als junger Mensch schon so viele Entscheidungen und so viel Verantwortung übernommen habe.” Und natürlich auch das Reisen. Leider war die Modernisierung nach rund zwei Jahren abgeschlossen.

Von Berufsfeuerwehr der USArmee angeworben Aus seiner nächsten Stelle wurde Dreßbach 1981 von der Berufsfeuerwehr der US-Armee in Hanau angeworben. Man ist versucht zu sagen, dass er damit sein Hobby zum Beruf machte, war er doch von Jugend an engagiertes Mitglied der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr. Als unbedarfter junger Mann habe er bei seiner Zehn-Jahres-Verpflichtung Kleingedrucktes übersehen, berichtet Dreßbach: “Ich habe die Feuerwehr unterschrieben und habe mich im ABC-Zug des Katastrophenschutzes wiedergefunden.” Diesen durfte er dann für den Landkreis als Zugführer aufbauen. Das Ganze hatte auch sein Gutes: Der junge Mann wurde deutschlandweit in einschlägige Lehrgänge des Landes und des Bundes geschickt. “Das war Ausbildung auf sehr hohem Niveau”, erinnert sich Dreßbach, die ihm wichtiges Wissen für seine weitere Laufbahn vermit-

Sehr viel Bevölkerung (BS/bah) Mit 420.500 Einwohner ist der Main-Kinzig-Kreis der bevölkerungsreichste Landkreis Hessens, Tendenz steigend. Davon sind rund 200.000 Bürgerinnen und Bürger in ehrenamtlicher Arbeit engagiert. Die Gesamtfläche von rund 1.400 Quadratkilometern unterteilt sich in 82,6 Prozent Vegetationsfläche, 16,1 Prozent Siedlungs- und Verkehrsfläche und 1,3 Prozent Gewässerfläche. Verwaltungssitz ist Gelnhausen. Zum Kreis gehören 29 Städte und Gemeinden. Mit rund 97.200 Einwohnern ist Hanau die größte Stadt des Kreises. Mehr als 25.000 Unternehmen und Gewerbetreibende sind im Main-Kinzig-Kreis angesiedelt. Im Kreis arbeiten rund 140.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.

telt habe. Der Übergang zur Berufsfeuerwehr der US-Armee war also folgerichtig und die ersten Jahre auch äußerst spannend, da die besonderen Gefahrenlagen im Umfeld von Waffensystemen und Munitionen eine Neuausrichtung des beruflichen Trainings und Einsatzes nach sich zogen. Langfristig war sie jedoch nicht zukunftsträchtig: die Amerikaner begannen Anfang der 1990erJahre mit dem Truppenabzug. Auch heute noch klingt die Betroffenheit bei Dreßbach durch: “Ich war jung und in meinem Traumjob, war grundausgebildet, hatte Führungsverantwortung, hatte gerade eine Familie gegründet, und auf einmal hieß es: die US-Armee zieht ab. Wir machen die Kaserne zu.” So begann die nächste Karriere Dreßbachs: Er ließ sich in die Position eines freigestellten Pe r s onalrats wähle n, war zunächst für den lokalen Bereich zuständig, dann für den gesamten Truppenabbau von südlich von Hannover bis Berchtesgaden. Es folgten Jahre der Verhandlungen über Sozialpläne, die den Abzug abfedern sollten, wieder verbunden mit etlichen Fortbildungen , wieder deutschlandweit Reisen, Vorträge und Sitzungen.

Zeitweise Mitglied der SPD Außerdem kam er damals zur SPD. “Es war keine Herzenssache", sagt er heute, aber die Ziele der Partei standen ihm nahe, und ohne ihr parteipolitisches Engagement hätten die Gewerkschafter ihre Ziele politisch nicht durchsetzen können. Er wurde Bundesdelegierter für den Ausschuss für Arbeitnehmerfragen. Später war Dreßbach noch Ortsvorsteher von Gelnhausen-Roth. Über das Ende der Mitgliedschaft redet er nicht gerne. Für seine heutige

Tätigkeit aber kein Problem: “Mir war immer die Sache wichtiger.” 1992 war die Kaserne dann endgültig zu. Glücklicherweise schien Dreßbach 1993 für eine Ausschreibung in der Allgemeinen Landesverwaltung, Sachgebiet Katastrophenschutz, geradezu “prädestiniert”. Die Entscheidung war trotzdem nicht einfach. “Das Gehalt der Stelle lag sogar noch wesentlich unter meinem Arbeitslosengeld”, erzählt Dreßbach. Aber das Thema war seins, die Laufbahn nicht ohne Chancen, und er konnte seiner wachsenden Familie in Gelnhausen nahe sein: “So bin ich als Seiteneinsteiger, als unstudierter gelernter Volksschüler in den Öffentlichen Dienst im Landratsamt gewechselt. Heute bin ich Verwaltungsdirektor.” Die Verwaltung gab dem Katastrophenschutz-Experten viele Freiheiten: “Wir haben den Katastrophenschutz im Landkreis so aufgebaut, dass er funktionierte. Wir konnten den Katastrophenschutz in der täglichen Gefahrenabwehr einsetzen." Das seien zehn tolle und fruchtbare Jahre gewesen, aber: "Wenn alles funktioniert, wird es langweilig.”

Seit 2018 Referatsleiter bei der Kreisverwaltung Der Aufbau einer Ehrenamtsagentur für den Landkreis 2006 war eine willkommene Herausforderung. Der neugewählte SPD-Landrat setzte auf Dreßbachs Erfahrungen mit den Ehrenamtlichen in den Hilfsorganisationen. “Ich habe als Einzelkämpfer angefangen, nach zwei Jahren hatte ich vier Mitarbeiter”, berichtet Dreßbach. 2007 wurde er zum Leiter bestellt: “Wir haben eine Anerkennungsstruktur aufgebaut. Wir haben zum Beispiel eine Ehrenamtssuchmaschine erfunden.” Heute arbeiten

immer noch fünf Leute in der Agentur, aber Dreßbach ist längst weitergezogen. 2011 wurde er zum stellvertretenden Leiter des neugebildeten Amtes für Wirtschaft und Arbeit, Kultur und Sport bestellt. Dort hatte die Amtsleiterin schon den Aufbau eines breitbandigen Glasfasernetzes für den MainKinzig-Kreis auf dem Programm. Der Kreistag hatte für diese Infrastrukturmaßnahme 55 Millionen Euro genehmigt. Nach einer ergebnislosen europaweiten Ausschreibung konnte der Kreis seine eigene Breitband GmbH gründen. Als die Amtsleiterin 2012 zur Geschäftsführerin der Breitband GmbH bestellt wurde, ernannte man Dreßbach zum kommissarischen Leiter. 2014 wird er zum Leiter des Amts bestellt und 2018 schließlich zum Leiter des neu gebildeten Referats für Wirtschaft, Arbeit und digitale Infrastruktur. Die Breitband GmbH versorgt inzwischen über den Partner M-net rund 48.000 Privatkunden mit Internet. Home Office in Zeiten von Corona war für die Verwaltung im Main-Kinzig-Kreis übrigens kein großes Problem: sämtliche öffentlichen Gebäude, auch Schulen, verfügen über Glasfaser. Dreßbach hat heute nicht nur ein Referat, sondern auch eine Mission: “Unser Auftrag ist es, den Wirtschaftsraum zu entwickeln und seine Akteure zu unterstützen. Dem demografischen Wandel wollen wir begegnen. Es geht darum, Daten zu sammeln und Fakten zu analysieren, um sie der Politik und den Akteuren im Wirtschaftsraum zur Verfügung zu stellen. Außerdem wollen wir die Infrastruktur weiter entwickeln.” Gerade mit der Infrastrukturentwicklung sei man erfolgreich gewesen, ist Dreßbach überzeugt. Seit 2011 sind rund 22.000 Einwohner zugezogen,

zum Bespiel auch aus den neuen Bundesländern. Jetzt stehen für die Breitband GmbH die Stufen zwei und drei an. Derzeit bietet der Kreis Firmen in Industrieund Gewerbegebieten einen kostenlosen Glasfaseranschluss an. Die Fördergelder kommen zu 90 Prozent von Bund und Land. Walter Dreßbach ist etwas enttäuscht, dass sich bisher nur etwa die Hälfte der Firmen interessiert zeigte. Stufe drei befindet sich in Gründung: Zusammen mit elf Projektpartnern aus dem Rhein-Main-Gebiet wurde ein dreistelliges MillionenEuro-Projekt aufgesetzt, das als Gigabit-Region die Glasfaserversorgung für jedes Haus und jedes Grundstück (FTTH/B) realisieren wird. “Im Grunde betreiben wir klassische Netzwerkarbeiten”, beschreibt Dreßbach seine Tätigkeit. “Und dann schauen wir in die Glaskugel: was passiert die nächsten zehn Jahren? Viele mittelständische Unternehmen sind dazu zu sehr ins Tagesgeschäft verwickelt.” Für die “Glaskugel” hat Dreßbach ein besonderes Talent. Schon vor sieben Jahren hat er E-Mobilität als herausragendes Thema für seinen Landkreis, in dem etliche Unternehmen der Autozuliefererindustrie angesiedelt sind, identifiziert. Gemeinsam mit dem Bundesverband für Mittelständische Wirtschaft lud man die regionalen Eigentümer und Vorstände zu Treffen mit Experten. Im Juni 2021 organisierte die Wirtschaftsförderung sogar einen Bundeskongress zu E-Mobilität mit Wissenschaftlern und anderen Akteuren aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft. Ein zweites Technologiethema mit potenziell großen Auswirkungen auf den Main-Kinzig-Kreis sei der 3D-Druck, erklärt Dreßbach, weil dieser im Maschinenbau die Arbeitsprozesse grundlegend verändern und viele, heute noch hoch begehrte Facharbeiter überflüssig machen werde. Überhaupt kämen in Sachen Arbeitsmarkt große Probleme auf den Kreis zu, der in den nächsten sieben bis zehn Jahren über 20.000 Menschen in den Ruhestand schicken wird. Das Referat hat ein Fachkräftesicherungskonzept für den Wirtschaftsraum entwickelt. Die Liste der Initiativen und Projekte des Referats scheint unendlich: über die Frankfurt-Rhein-MainGmbH betreibt der Kreis gemeinsam mit der Stadt Frankfurt und anderen anliegenden Landkreisen internationales Marketing. Ein regionales Immobilienportal erleichtert Grundstück- wie Wohnungssuche. Mit dem werbewirksamen Qualitätslabel “made in Main-Kinzig” können sich engagierte Firmen zertifizieren lassen.

Stark sozial engagiert Besonders wichtig sind Dreßbach die Gründerzentren, die vom Kreis zertifiziert die Ansiedlung von Unternehmen fördern. Dort können sich Selbständige und Start Ups einmieten und bekommen neben Büroräumen technische Infrastrukturen und das so notwendige Networking geboten. Derzeit gibt es im Kreis bereits neun private und ein öffentliches Gründerzentrum, zwei weitere sind in Planung. Im Nachgang betrachtet, sei vieles in seinem Werdegang stressig und schwierig gewesen, sagt Dreßbach. Aber: “Ich möchte heute keinen Tag missen.” Auch der gar nicht so ferne Ruhestand macht keine Angst. Dazu hat er zu viele Ideen. Schon seit Jahren bereist er mit der Familie die Welt, zum Beispiel mit dem Wohnmobil durch Kanada. Und außerdem, so Mitarbeiterin Silvia Leußler, sei da noch sein soziales Engagement. So ist Dreßler Mitbegründer der “Gelnhäuser Tafel”.


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