Europäischer Polizeikongress
Behörden Spiegel / Oktober 2021
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ie Kritik von Medien, Öffentlichkeit und Einsatzkräften am teilweisen Versagen der Warnprozesse bei der Flut in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, an der eingeschränkten Nutzbarkeit des BOS-Digitalfunks wie auch am Zusammenbruch und der mühsamen Wiederinbetriebnahme der kommerziellen Funknetze ist erwartungsgemäß ätzend ausgefallen. Jetzt ist Ursachenanalyse angesagt – und erst recht ein strategischer wie pragmatischer Blick in die Zukunft, der neue Ansätze für Technik und Organisation einsatzkritischer Kommunikation ins Auge fasst. Aus der Pandemie hat man mitgenommen,
Oskar Neda von der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen und Leiter des Teilprojektes “Mobilität” des Bund-Länder-Programms Polizei 20/20 erläuterte die Anforderungen der Polizei an die Kommunikation der Zukunft. Foto: BS/Klawon
Mit Optimismus Richtung Breitband Langfristiger Aufbau von 4G/5G-Diensten für BOS vorgesehen (BS/Dr. Barbara Held) Die Corona-Pandemie und das Jahrhunderthochwasser 2021 haben in der kritischen Kommunikationsbranche Nachdenklichkeit, aber vor allem einen bestärkten Willen zu innovativen Verbesserungen hinterlassen. Performanz und Nutzerfreundlichkeit der Infrastrukturen und Dienste sind längst nicht optimal. dass Mobilität die Kommunikation der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) der Zukunft bestimmen wird. Die Voraussetzungen dafür müssen mit entsprechenden Infrastrukturen und Diensten in der Breitbandtechnologie geschaffen werden.
Erkenntnisse aus dem Ahrtal Über konkrete Erkenntnisse und Lehren aus dem Einsatz des BOS-Digitalfunks während der Flutkatastrophe berichtete Alexander Kessel, der als Leiter der Autorisierten Stelle (AS) Digitalfunk BOS in RheinlandPfalz mitten im Geschehen war. Für die AS war die Situation schon deshalb einmalig, weil allein in Rheinland-Pfalz ganze sechs Landkreise und die Stadt Trier betroffen waren. Mit dem Einsatz lokaler Rettungskräfte und dem Eintreffen auswärtiger Unterstützung stieg der Kommunikationsbedarf in den Netzen gewaltig. Gleichzeitig brachen aufgrund der Zerstörung die Datenverbindungen und teilweise auch die Stromversorgung der Infra-
Alexander Kessel, Leiter der Autorisierten Stelle (AS) Digitalfunk BOS in Rheinland-Pfalz, berichtete über Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Hochwasser im Ahrtal. Foto: BS/Klawon
strukturen zusammen. Trotzdem habe sich der BOS-Digitalfunk insgesamt gut gehalten, so Kessel. Nur zwei Antennen seien komplett ausgefallen, weitere 26 seien in den Fallback-Modus gegangen, der trotz fehlender Netzanbindung die Kommunikation innerhalb der lokalen Funkzellen erlaube. Nicht eingestellt sei man auf das Ausmaß der Zerstörung gewesen, der unter anderem die Anlieferung von Notstrom um Stunden verzöger-
Automatisierte Drohnen Effektive Einsatzmittel für Lagebild und Logistik? (BS/por) Der Einsatz von Unbemannten Luftfahrtsystemen (engl. UAS) ist bei Polizeien und Streitkräften nicht mehr wegzudenken. Auch in der Unternehmenslogistik können Drohnen sinnvoll eingesetzt werden. Das gilt unter anderem für den Hamburger Hafen. Wie UAS hier genutzt werden können, erläuterte Matthias Gronstedt, Geschäftsführer der HHLA Sky GmbH. Die Firma ist ein Tochterunternehmen der Hamburg Hafenlogistics AG (HHLA). Habe es bisher im Rahmen des Konzerns Logistikleistungen zu Lande und zu Wasser gegeben, so seien vor einigen Jahren auch Dienstleistungen zur Luft hinzugekommen. Das “fliegende” Tochterunternehmen habe das erste weltweit skalierbare “End-to-End”Drohnensystem entwickelt, so Gronstedt. Als Mobilfunk-Standards werden dabei LTE oder 5G überall auf der Welt genutzt. Bereits mit LTE (“Long Term Evolution”) können mobile Daten in großer Menge und hoher Geschwindigkeit über die Luftschnittstelle übertragen werden. 5G ist der Nachfolger von 4G (LTE) und bezeichnet die fünfte Generation des Mobilfunks. Der neue Netzstandard ermöglicht eine bis zu zehn Mal schnellere Datenübertragung als LTE und damit Kommunikation in Echtzeit.
Kaperung unmöglich Die HHLA stelle eine Kritische Infrastruktur (KRITIS) für Logistik in Deutschland dar. Der technologische Trend gehe auch auf diesem Geschäftsfeld klar in Richtung von noch mehr Automatisierung – auch in der Luft, so der gelernte Informatiker Gronstedt. Aber es gebe dafür zwei Grundvoraussetzungen:
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Diskutierten über den Einsatz von Drohnen im Bereich der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), bei Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) und in der Logistik: Matthias Gronstedt (l.) und Heinz-Dieter Meier. Foto: BS/Boris Trenkel
“Cyber Security” und “Industry Safety”. Letztlich gehe es da rum, “sicher durch die Luft zu fliegen”. Im Kontrollzentrum der HHLA Sky, vergleichbar einer staatlichen Einsatzleitzentrale, könne das System “mit einem Piloten bis zu zehn Drohnen problemlos gleichzeitig steuern” beziehungsweise überwachen, so der CEO, dessen Unternehmen in diesem Jahr den Deutschen Innovationspreis in der Kategorie Start-up gewonnen hat. Das Fernziel sei ein regelrechtes “Drohnenflottenmanagement”. Das Fliegen laufe “voll verschlüsselt ab”, sodass keine Gefahr einer digitalen Drohnenkaperung bestehe. Auch die Personalerkennung sei vorprogrammiert, erklärte der Geschäftsführer. Zudem erlaube
das System den sicheren Betrieb von Drohnen auch außerhalb der Sichtweite (BVLOS), so Gronstedt. Trotzdem müsse der “untere Luftraum flugrechtlich neu organisiert werden”, findet er. In Zukunft würden ganze Drohnenschwärme automatisiert in der dritten Dimension unterwegs sein, prognostizierte Bundespolizeidirektor a. D. HeinzDieter Meier. Er hat in seiner aktiven Zeit unter anderem als Hubschrauberpilot und später bei der Einführung des Controllings gearbeitet. Noch würden einzelne Drohnen aber von Piloten gesteuert. Meier wies zudem auf das besondere Problem des automatisierten Fliegens außerhalb des eigenen Sichtbereichs hin.
te habe. Bewährt habe sich der Einsatz der mobilen Basisstationen, obwohl die Topologie des Ahrtals hier besondere Herausforderungen vorhalte.
BDBOS bereitet bundesweites BOS-Breitband vor Claus-Dieter Spletter, Abteilungsleiter Betrieb der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS), verwies auf die besonderen Anstrengungen, die seine Behörde unternommen habe, um die Netze und Dienste dem steil ansteigenden Kommunikationsbedarf anzupassen. Die Probleme der Flutkatastrophe habe man im Zusammenwirken mit den zuständigen Autorisierten Stellen gut bewältigt. Die Betonung lag aber auf dem Blick voraus. Derzeit betreibt die BDBOS eine umfassende Netzmodernisierung, um den Digitalfunk mit der Umstellung auf IP zukunftsfähig zu machen. Betroffen sind sämtliche Standorte des Kern- und Zugangsnetzes. Im Ergebnis rechnet man mit einer Kapazitätserweiterung auf bis zu vier Millionen Teilnehmer. Der Abschluss der Maßnahmen sei derzeit für 2023 geplant, so Spletter. Nach dem erfolgreichen “Breitband-Test” der BDBOS mit Vodafone und Telekom strebt die BDBOS jetzt den stufenweisen Aufbau eines bundesweit einBOS-Breitbandheitlichen netzes über Verträge mit den kommerziellen Betreibern an. Anvisiert wird jedoch ein eigenes Kernnetz zur Wahrung der BOS-spezifischen Anforderungen und für ein ganzheitliches Teilnehmer-Management im zunächst noch hybriden BOSNetz. Langfristig benötigten BOS und Bundeswehr aber ausreichend eigenes nutzbares Spektrum im 470-694-MHz-Bereich für ihre einsatzkritischen mobile Breitbanddienste, heißt es aus der BDBOS. Vertreter der Bundesanstalt engagieren sich dafür in nationalen und internationalen Entscheidungsgremien der World Radio Conference.
Breitband-Eco-Systeme für die BOS-Kommunikation Das Big Picture der Breitbandentwicklung haben vor allem die großen Player der Branche vor Augen. Neben dem Aufbau ei-
ner Breitbandinfrastruktur für die künftig überwiegend mobile Kommunikation der BOS halten sie alle Cloud-Technologien und Künstliche Intelligenz (KI) für notwendige Grundlagen eines zukunftsfähigen Informationsmanagements. “TechnologieMega-Trends: Fluch oder Segen?”, fragte Tobias Ehret von Motorola Solutions zunächst provokant, um dann doch ihre Unentbehrlichkeit angesichts der rasant wachsenden technischen Kapazitäten und des exponentiell steigenden Datenvolumens zu erläutern. Wichtig seien adäquate(r) Implementierung und Einsatz. Für die BOS setze dies ein neues Verständnis für Zusammenwirken und Abhängigkeiten von Informationen voraus, das zur Auflösung der traditionellen Daten-Silos führe. Dies bedinge wiederum Veränderungen bei Prozessen und Organisationen. Die Hersteller ihrerseits müssten sich auf die Bedürfnisse der End-Nutzerinnen und -Nutzer im Einsatz konzentrieren, die auf Bilder, Daten, virtuelle Realität in Realzeit zugreifen wollten: Intuitive Handhabung sei Pflicht für die Kommunikationsausrüstung, die für den Anwendungsfall hergestellt werden müsse. “Die BOS müssen Technologie als Potenzial begreifen, nicht als Hürde”, brachte es Ehret auf den Punkt. Der Umstellungsprozess auf Breitband werde viele Jahre dauern, sind sich Hersteller und Betreiber einig: Unausweichlich scheine der Betrieb von “hybriden” BOS-Netzinfrastrukturen, die Tetra und Breitband sowie kommerzielle wie dedizierte Netzanteile umfassten.
Hybride Übergangszeit Dr. Ralf Irmer von Vodafone konzentrierte sich auf die erweiterten Möglichkeiten von 5G und stellte vor, wie auch im 3GPP-standardisierten Breitband BOS-Bedarfe in einer hochsicheren Architektur realisiert werden können – inklusive Übergang in die Tetra-Welt. Airbus präsentierte sein “hybrides Eco-System”, dessen Architektur zentrale Komponenten, Endgeräte inklusive Software und Applikationen vereint. Konstantin König erläuterte die Vorteile dieses unter einheitlicher Bedienung kombinierten Betriebs von Tetra- und Breitbanddiensten bei Einsätzen im In- und Ausland. Die Nutzung sicherheitskritischer Breitbandkommunikation im Rahmen nationaler wie grenzüberschreitender Szenarien untersucht derzeit die EU-finanzierte BroadWay-Studie, an der elf Mitgliedsstaaten teilnehmen. Dr. Charlotte Rösener vom Unternehmen Frequentis konnte von ermutigenden Test-Ergebnissen berichten, aber: “Es muss Klarheit über das Budget geben, denn Bandbreite, Datensicherheit, Netzabdeckung, Zuverlässigkeit sind alles Kostenfaktoren.” Stephan Kornrumpf von Ericsson lieferte einen er-
gänzenden Rundblick zu weiter fortgeschrittenen europäischen und amerikanischen Umsetzungsstrategien. Speziell für BOS dürften in Krisensituationen wie der Situation im Ahrtal künftig verlegfähige und temporäre Netze eine zunehmende Rolle spiele, erklärte Kornrumpf darüber hinaus. Mobile Ad-hoc-Netzwerke, die Satelliten und terrestrische Kommunikationstechnologien kombinieren, waren auch die Empfehlung von Jens Elsner von Vites für eine schnelle Versorgung in Krisensituationen. ESIM-Karten ermöglichten hier neuerdings ein effizientes wie flexibles Teilnehmermanagement.
Ins Digitale überführen Für einen ganz anderen Aspekt von Mobilität steht die polizeiliche App des Dataport-Projekts @rtus. Grundidee, so der Produktveranwortliche Michael Roß, sei gewesen, die traditionellen Merkhefte der Polizei ins Digitale zu überführen. Die neue App erlaube nicht nur Notizen auf dem Smartphone, sondern auch den direkten Zugriff auf das Vorgangsbearbeitungssystem @rtus, Datenbankrecherchen, digitale Aufzeichnungen etc.
Erläuterte die umfassende Netzmodernisierung durch die BDBOS: Claus-Dieter Spletter. Foto: BS/Klawon
Im Rahmen des Bund-LänderProgramms Polizei 20/20 konkretisiert das Teilprojekt “Mobilität” die Anforderungen der Polizei an die Kommunikation der Zukunft: ortsunabhängiger Zugriff auf Informationen, Erleichterung der Arbeit, Handlungssicherheit und Flexibilität stehen ganz vorn. Das Team um Teilprojekt-Leiter Oskar Neda von der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen geht das Vorhaben mit agilen Methoden und im iterativen Austausch mit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern an. Zunächst steht eine Marktschau an.
Kooperative Leitstelle für Berlin Dass man einen langen Atem zur Umsetzung braucht, haben Berlins Feuerwehr und Polizei in den letzten Jahren beim Aufbau ihrer gemeinsamen kooperativen Leitstelle erfahren, die nicht nur neue einheitliche Technik, Organisationsveränderungen und Umbauten, sondern sogar einen Neubau erfordert. Doch jetzt können Projektleiter Thomas Schnitzer und sein IABGBerater Dr. Stephan Gottwald erstmals strahlen: Die komplexe Planung stehe, der Zuschlag für die Technik sei erteilt. Nur beim geplanten Neubau stünden noch Genehmigungen aus. Angestrebt wird eine Inbetriebnahme ab 2023/2024. Die Fachwelt ist gespannt.