Berner kulturagenda 2010 N° 34

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N°35 Donnerstag bis Mittwoch 2. bis 8.9.2010 www.kulturagenda.be

Benfay tauft im Dachstock sein neues Album

Die Krimireihe «Tatort Reitschule» im Kino in der Reitschule

«Hey, what’s wrong baby!» heisst das Album des Berner Musiktüftlers Benfay. Darauf finden sich rohe Klänge aus mehreren musikalischen Welten.

Knarren, Blut und Polizei: Soviel Genre-Treue muss auch im Film «Mörder auf Amrum» von Markus Imboden sein. Ansonsten spielt der Schweizer Filmer auch mit Motiven aus dem Western. Im Bild: Thomas Thieme (links) und Hinnerk Schönemann als Beamte sind fündig geworden.

Jäger und Sammler

Schusswechsel in der Reitschule

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Als musikalischer Kopf der Round Table Knights hat sich Benfay vor allem in der Elektro-Musik einen Namen gemacht. Doch auf seinem Album sind auch Einflüsse aus Jazz und Klassik zu hören – und viele Gastmusiker. Im Keller klopfte er hier auf eine Tonne, trommelte da auf einem Plastikfass herum und nahm alle Geräusche und Klänge auf. Für seine neuste Platte «Hey, what’s wrong baby!» (Everest Records) zog sich Benfay letzten Winter für zwei Wochen an einen abgelegenen Ort in der Innerschweiz zurück. Mit dabei hatte er ein Aufnahmegerät und einen Sampler, aber keinerlei vorproduzierte Sounds. Die Klänge suchte er mit dem Aufnahmegerät in der Hand im Haus zusammen: im Keller, in der Küche oder im Wohnzimmer aus der Sammlung alter Klassikplatten. Mit diesem Material entwarf Klangjäger und -sammler Benfay die vierzehn Tracks des Albums, die er, zurück im Berner Studio, ausarbeitete. Eine Reihe von Gastmusikerinnen und -musiker steuerten ihrerseits Melodielinien, Klänge und Beats bei. «Eine Art Schmelztiegel» Entstanden ist so ein Album, das zwischen elektronischer Musik, Jazz und Klassik pendelt. Wohl fühlt sich Benfay in all diesen Welten. Er studierte Kontrabass an der Musikhochschule, hat sich aber als Produzent der Round Table Knights und als Mitglied von Jagged insbesondere in der elektronischen Musikszene einen Namen gemacht. Von den unterschiedlichen Einflüssen zeugen etwa der hymnische Opener «Obey» und die klagende Geigenlinie auf «Nice Biscuits» oder die nervösen Beats auf «No Thoughts». «Das Album ist eine Art Schmelztiegel der verschiedenen Welten: der elektronischen, der klassischen und der Jazzwelt», charak-

terisiert Benfay sein Album. Die Instrumentalaufnahmen sind in der Regel unbeschönigt wiedergegeben. Das ist in der elektronischen Musik eher ungewöhnlich. Die Schlagzeugparts von Simon Baumann wurden in voller Länge eingespielt und nicht etwa als Samples zusammengebastelt. So passt es auch, dass Benfay seine Musik nicht als Partymusik für die Tanzfläche verstanden wissen will, dazu ist sie zu anspruchsvoll. «Die perfekte Umgebung für mein Album ist definitiv das ruhige Wohnzimmer», meint er. «Am besten auf einer guten Stereoanlage.» Dachstock heisst die gute Stube Mit seinem heimeligen Holzgebälk ist der Dachstock der Reitschule, wo die Releaseparty über die Bühne geht, ein guter Stuben-Ersatz. Mit dabei sind einige der auf dem Album vertretenen Musikerinnen und Musiker: Der Klarinettist und Saxofonist Jan Galega Brönnimann, Simon Baumann am Schlagzeug und die Sängerin Gwendolyn Masin. Weitere Gäste, deren Namen Benfay noch nicht verraten will, unterstützen den Produzenten ebenfalls. Benfay freut sich auf jeden Fall schon jetzt darauf, «wenn die Stücke zum ersten Mal über die Anlage donnern». David Loher \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Dachstock in der Reitschule, Bern Plattentaufe mit Benfay und Gästen sowie den DJs Round Table Knights und Jay Sanders. Sa., 4.9., 22 Uhr

In der Reitschule regiert das Verbrechen – zumindest im Kino. Mit Derrick, Tatort und Markus Imbodens «Mörder auf Amrum» huldigt die Reihe «Tatort Reitschule» dem Krimi. Einen Seitenhieb auf die Reitschule-Initivative will man sich nicht verkneifen. Wenige Wochen vor der Abstimmung zur Reitschulinitiative tut etwas Zerstreuung inmitten des Kampfs um den Kulturort wohl. Lilo Spahr vom Kino Reitschule hat gemeinsam mit Eva Hardmeier und Catherine Weber das Programm «Tatort Reitschule» zusammengestellt, das sich mit dem Filmgenre Krimi befasst. Als Tatort, als Ort des Verbrechens sehen die Gegner die Reitschule, während sie für die Kulturszene als Begegnungsort unerlässlich geworden ist. Ein Ort, an dem viel Schräges Platz hat, was sich auch im Programm der Veranstaltungsreihe zeigt. So flimmert am kommenden Sonntag sinnigerweise der «Tatort» über die Leinwand des Reitschul-Kinos. «Wir wollen zum gemeinsamen Fernsehschauen animieren», erklärt Lilo Spahr. Die 1970 gestartete Fernsehproduktion ist die älteste und beliebteste Krimireihe im deutschen Sprachraum. «Tatort-Fans gibt es in allen Schichten der Gesellschaft, er verbindet die unterschiedlichsten Menschen», ist Lilo Spahr überzeugt. Tatort-Fans schätzten die Nähe zur Realität und die authentischen Figuren. Mord auf der Insel Glaubwürdigkeit ist auch dem Filmemacher Markus Imboden (siehe Interview) sehr wichtig. Im Rahmen von «Tatort Reitschule» wird im Beisein des Regisseurs sein Film «Mörder auf Amrum» gezeigt. Auf der beschaulichen, kargen Nordseeinsel ist die Hölle los: Der einfache Polizist Helge Vogt muss über sich hinauswachsen, denn Mitglieder der russischen Mafia wollen eine Moldawierin umbringen, eine Zeugin im

Zeugenschutzprogramm, die sich auf die Insel zurückgezogen hat. Hilfe vom Festland kann er wegen eines Orkans nicht holen. Es gibt kein Entkommen. Nonsensunterhaltung aus losem Mundwerk Wenn es um Mord und Totschlag geht, darf natürlich auch der für seine Tränensäcke, seinen BMW und seine Rolex berühmte Kommissar Stephan Derrick nicht fehlen. Zwei Derrick-Specials stehen auf dem Programm. Die Gruppe Sisters Funky Tongue, bestehend aus den Bernerinnen El Khoury und Claudia Lozano, werden alte Folgen mit dem Kultdarsteller Horst Trappert (1923– 2008) live synchronisieren. Das Werkzeug der beiden Frauen ist ihr Mundwerk, die Einsätze werden via Handzeichen oder Blickkontakt vereinbart. Was entsteht ist «Nonsensunterhaltung» mit garantiert skurrilen Momenten. Der zweite Beitrag zu Derrick stammt von Michael Schaak. Seine Comicverfilmung «Derrick – die Pflicht ruft» ist eine Parodie auf die Vorlage. Auf Klamauk und Schenkelklopfhumor wird hierbei ebenso wenig verzichtet wie in dem berühmten Film «Werner – Gekotzt wird später!» des gleichen Regisseurs. Diesen Film darf man trotz Schusswechseln getrost bereits ab sechs Jahren schauen. Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Kino in der Reitschule, Bern Gemeinsam Tatort gucken: So., 5.9., 20.15 Uhr Derrick-Special: Sa., 11.9., 20 Uhr «Mörder auf Amrum»: Do., 16.9., 19 Uhr www.reitschulebietetmehr.ch

Imbodens Western-Krimi Markus Imboden, Ihr Film «Mörder auf Amrum» spielt auf einer Nordseeinsel. Was war das reizvolle an diesem Drehort? Die Geschichte verlangt nach dieser Abgeschiedenheit, die den Polizisten und die Killer einschliesst. Speziell an Amrum sind sowohl die karge Landschaft wie auch die Verschlossenheit der Insel-Bewohner. Das sind Flachländler, gewöhnt an die Launen der Natur, die ein wenig den Berglern in der Schweiz ähneln. «Mörder auf Amrum» wurde auch als Western bezeichnet. Wie stark halten Sie sich an Genre-Regeln? Genre-Konventionen finde ich völlig blöd, dagegen kämpfe ich an. Sie nehmen jeder Geschichte die Möglichkeit, sich zu etwas Spannendem zu entwickeln. Ich glaube, es sind eher die Kritiker, die in Genres denken und nicht die Filmer und Schauspieler. Was ist denn das Geheimnis einer guten Geschichte? Der Plot muss simpel sein, so dass man sich auf die Figuren und deren Motive kümmern kann. Mir persönlich ist auch die Glaubwürdigkeit sehr wichtig. Ich informiere mich bei der Polizei, um deren Alltag zu verstehen, oder frage Mediziner, ob man bei einem Schuss in dieses oder jenes Körperteil überlebt und wie die Wunden aussehen. Interview: hel


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