N°38 Donnerstag bis Mittwoch 18. bis 24.9.2014 www.kulturagenda.be
DIE BERNER KULTURAGENDA SAGT DIR, WOS L ANGGEHT, WENNS AUSGEHT!
Margrit Bornet hat den Text vergessen. In der Cappella zeigt sie trotzdem ihr neues Stück. Seite 3
Annette Boutellier
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Die Bedeutung der Worte unter der Last der Zitate: «Faust» im Stadttheater Bern.
Ein Abend voller Sprachwirren und überhitzter Atmosphäre: Goethes «Faust» feierte im Stadttheater Bern unter der Regie von Claudia Bauer Premiere. Schon das Vorspiel gibt den Ton an: Auf den roten Samtvorhang sind je zwei Schauspielerinnen und Schauspieler projiziert. In einer hitzigen Diskussion begraben sie einander förmlich unter Sprachlawinen. Zwischen Versen von Goethe stellen sie Fragen nach der Relevanz und Funktion von Theater heute. Es gilt: Wer lauter schreit und schneller redet, hat gewonnen – eine gelungene Persiflage auf das Gegenwartstheater. Ein Meer von Zitaten Der Gegenpol folgt nach dem Prolog im Himmel (eine herrliche Ein-MannShow von Stefano Wenk): Wie ein klassisches Streichquartett sitzen die Schauspielerinnen und Schauspieler Henriette Blumenau, Sophie Hottinger, Stefano Wenk und Benedikt Greiner in
Abendkleid und Anzug auf vier Lederstühlen, das Textbuch in der Hand. Auf der Leinwand über ihren Köpfen sieht man Faust (Christian Kerepeszki) in seiner zugemüllten Wohnung. Das Arsenal der als Zitate legendär gewordenen Verse ist kaum zu übertreffen. Entsprechend ist die Umsetzung dieses Stücks eine wahre Herausforderung. Oft erwartet das Publikum eine «klassische» Inszenierung, in der es den Text mitflüstern kann. In Claudia Bauers Fassung wird der Kampf mit den Versen auf die Spitze getrieben. Mal werden sie in Endlosschlaufe wiederholt, dann in die Länge gezogen, überbetont. Bauer geht bis an die Grenze des Erträglichen. Doch so schüttelt sie den Staub vom Text, kommt das Gewicht der Worte zum Vorschein.
Der rasante Wechsel zwischen hohem Tempo und kriechender Stagnation gibt den Rhythmus der Inszenierung vor. Er ist Abbild von Fausts Getriebensein und seiner Ungeduld. Nichts kann dem Gelehrten schnell genug gehen. Und bevor es ungemütlich zu werden droht, drängt er schon zum Aufbruch. «Ich hätte Lust, nun abzufahren!» ruft er jeweils, worauf die Blaskapelle angerannt kommt und den Szenenwechsel musikalisch begleitet. Eigenwilliges Spiel Auch auf der Figurenebene wiederholt sich der Turnus: Sämtliche Figuren um Faust werden von insgesamt vier Schauspielerinnen und Schauspielern dargestellt. Und statt einem gibt es gleich drei Mephistos. Oft werden ganze Dialoge von einer einzigen Person gesprochen, mitsamt den Regieanweisungen. Es entsteht ein eigenwilliges Spiel mit dem Text, dessen Höhepunkt Gretchens Konfrontation mit ihrem Bruder Valen-
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tin bildet (beide dargestellt von Henriette Blumenau): ihre Darbietung steigert sich in den Ausdruck purer Verzweiflung. Voller Körpereinsatz Wie bereits in «Volpone», ihrer letzten Inszenierung für das Konzert Theater Bern, setzt Bauer auch in «Faust» auf den Einsatz von Live-Kameras. Sie bringen Nähe auf die grosse StadttheaterBühne, die das Spiel manchmal fast zu schlucken droht. Dieser Wechsel trägt zur überhitzten und überladenen Atmosphäre bei, die ruhig noch derber und überspitzter hätte sein können. Doch der volle Körpereinsatz der Schauspieler beeindruckt. Die Inszenierungs-Maschinerie ist gut geölt. Franziska Burger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Stadttheater, Bern. Vorstellungen bis 15.2. www.konzerttheaterbern.ch Die Kulturagenda verlost 2 × 2 Tickets für Do.,18.9.: tickets@kulturagenda.be
Näher als einem lieb ist
Auf der Bühne heisst Sara Rutz Emma. Ein «alter» Name, der in den letzten Jahren wieder beliebt geworden ist. Emma macht Chansons, die vom Klimpercharme der Brockenstuben leben, dank Pop aber ganz zeitgemäss klingen. Jetzt lässt sie die Konzertreihe zur CD «so oder so» mit ihrer Band «& Co» und Überraschungsgast ausklingen (Schlosskeller, Fraubrunnen. Fr., 19.9., 20.15 Uhr).
2. Racletteplausch auf der Alp, Engstligenalp, Adelboden (täglich, 17 Uhr) Ein toller Herbstausflug inmitten grandioser Bergkulisse.
Bernisches Historisches Museum
Gegenmittel gibt es (noch) nicht. Auf einer Führung in den Dauerausstellungen des Historischen Museums nimmt Ursula Schweizer mit in jene Zeit, als die Pest in Bern wütete. Sie erzählt vom Halbwissen, vom Sterben und (Über-) Leben. Alles lange her? Eine Folge der Pest in Bern ist schweizweit bekannt: Das Inselspital geht zurück auf die Stiftung der Bernburgerin Anna Seiler, die während der Pestwelle 1350 Kranke gepflegt hatte. Silvano Cerutti \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Bernisches Historisches Museum So., 21.9., 11 Uhr. www.bhm.ch
von Sara Rutz
1. Biennale, diverse Orte, Bern (bis Sa., 20.9.) Ein wunderbares zeitgenössisches Festival, das einen staunen und Neues entdecken lässt.
Geschichte ist nicht immer so weit weg, wie man sich das wünschen würde. Ein Rundgang im Bernischen Historischen Museum führt zurück in die Zeit der Pest. Manche verbinden Geschichte von der Schule her mit Jahreszahlen und Schlachten. Andere behaupten, die Geschichte wiederhole sich immer – und dann ist sie doch jedes Mal ein bisschen anders. Aber es gibt frappierende Verbindungen. Ebola zum Beispiel verschwindet nicht mehr aus den Schlagzeilen. Allein in Liberia haben sich tausende Menschen angesteckt, die Schutzmittel sind unzureichend, mehrere Dutzend Pflegepersonen sind bereits gestorben. Die Verbreitung von Ebola erinnert fatal an die Pest. Unwissen beschleunigt die Zahl der Ansteckungen und ein
3 Kulturtipps
Karin Scheidegger
«Ich hätte Lust, nun abzufahren!»
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Nach ihm sprachen die Farben für sich selbst: Das Kunstmuseum Bern würdigt Augusto Giacometti, den Schweizer Pionier der Abstraktion.
Ein «Tödlein» aus Süddeutschland: die kleine Figur diente als Symbol der Endlichkeit.
3. Berner Brocante, Alte Markthalle, Bern (Sa., 20.9., 9 Uhr) Ich liebe Märkte und Brockenhäuser – die Gegenstände erzählen einem geheime Geschichten; da lässt sich schmökern, träumen und die Zeit vergessen. Ich würde einen Freund, der mit zeitgenössischer Kunst nichts am Hut hat, … … mit dem feinen Racelette gluschtig machen, um dann gestärkt in die Biennale einzutauchen und das Wochenende auf der Brocante ausklingen zu lassen.