Berner kulturagenda 2010 N° 34

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N°34 Donnerstag bis Mittwoch 26.8. bis 1.9.2010 www.kulturagenda.be

StattLand führt im neuen Rundgang an «Orte der Wut»

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Patent Ochsner spielt zusammen mit dem Berner Symphonieorchester auf dem Bundesplatz

Mit szenischen Interventionen der geheimnisvollen roten Figur (Katharina Lienhard) werden verschiedene Wutgeschichten der Stadt Bern erzählt.

Büne Huber (Bild) wird sich für einmal einem Dirigenten unterordnen müssen. Eine ungewohnte Rolle für den Frontmann von Patent Ochsner, der dem Konzert gespannt und ein wenig nervös entgegenfiebert.

Wütendes Bern

Rockband trifft Sinfonieorchester

Der neue Rundgang von StattLand führt in mehreren Etappen an Orte wo Berner stinksauer gewütet haben. An «Orten der Wut» erfährt man, was für verschiedene Gesichter Wut haben kann. Immer mit dabei: Die rote Figur.

Dieses Jahr gibt es bloss eine einzige Gelegenheit, Patent Ochsner live zu hören. Aber was für eine. Büne Huber und seine Band spielen ihre Songs auf dem Bundesplatz zusammen mit dem Berner Symphonieorchester.

Strippender Ritter Ein anderes Gesicht der Wut ist die Provokation. Der Künstler Carlo E. Lischetti machte mit einem zwinkernden Auge auf Missstände aufmerksam und provozierte damit die konservativen Kreise. Eines seiner Werke ist «Keine Brunnenfigur», ein Brunnen mit Rednerplattform und Treppe – gedacht als bernische Variante zum Speaker’s Corner im Londoner Hyde Park. Trotz Einsprache des Vereins «Heit Sorg zu Bärn» wurde 1992 der Brunnen ohne Brunnenfigur realisiert. Bei der Übergabe an die Öffentlichkeit stieg Lischetti in Ritterrüstung hinauf und zog sich aus. «Abrüstung oder Ritterstripper», kommentierte er die Aktion. Zurück zum Rundgang: Eine ganz in Rot gekleidete Figur unterbricht die Anekdoten und springt auf das Publikum zu. «Zickzacken Sie, dreivierteltakten Sie», ruft sie und mimt die Aufforde-

rung Lischettis, sich dem gesellschaftlichen Zwang, immer gerade aus zu gehen, zu widersetzen. Weiter führt der Rundgang zum Kornhaus und anschliessend zum Käfigturm, wo Fankhauser von Hungerperioden und Arbeiterkrawallen erzählt. An allen Standorten bereichert die «Rote Figur» mit szenischen Interventionen die Ausführungen: etwa als Stadtpräsident Eduard Müller, der bei den Käfigturmkrawallen mit harter Hand durchgriff. Wenn der FC Basel gewinnt Weiter gehts zum Meret Oppenheim Brunnen, der bei seiner Einweihung laute Buhrufe provozierte. Gegenüber ist das Waisenhaus, das seit 1942 als Hauptquartier der Berner Stadtpolizei fungiert und Ausnüchterungszellen beherbergt. Aus einem Rekorder hört das Publikum von Polizeisprecher Franz Märki so einige Geschichten über Hitzköpfe, die diese Zellen von innen kennen: Etwa wie YB-Fans nach einem veryoungboysten Match beruhigt werden müssen, erst recht wenn der Gegner FC Basel hiess. Die letze Etappe führt zur Reithalle, wo Wut auch kreative Impulse auslöst. Das Kulturzentrum hat sich aus einer Hausbesetzung im Rahmen der Schweizer Jugendunruhen der 80erJahre entwickelt. Bis heute muss es für seine Existenz kämpfen: Die nächste Abstimmung steht am 26. September an. Sicher ist: Das Resultat wird auf einer Seite wütende Gemüter zurücklassen. Regine Gerber

Laut lachend wehrt Büne Huber ab: «Nein, nein. Dirigieren werde ich sicher nicht! Das kann ich nun wirklich nicht.» Am gemeinsamen Openairkonzert von seiner Band Patent Ochsner und dem Berner Symphonieorchester BSO überlässt er das Dirigentenpult ganz gerne Lavard Skou-Larsen, einem Meister seines Fachs. «Ich bin einfach Teil des Klangs und muss mich da unterordnen», erklärt der Sänger seine ungewohnte Rolle. Aber bei gut 80 beteiligten Musikerinnen und Musikern bleibe ohnehin kein Platz für spontane Einfälle und Improvisationen. Nach dem Auftakt des Orchesters mit Leonard Bernsteins Ouvertüre zu «Candide» und George Gershwins wohl bekanntestem Werk, «Rhapsody in Blue», gesellt sich Patent Ochsner dazu und verwandelt das Orchester zur vollsinfonischen Rockband. Zusammen spielen sie sich durch eine Auswahl von PatentOchsner-Songs, die von Simon Hostettler arrangiert wurden. Das genaue Programm steht zwar noch nicht fest. Doch

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Münsterplatz, Bern. Sa., 28.8. 18 Uhr www.stattland.ch

die beiden unsterblichen Hits «Scharlachrot» und «W. Nuss vo Bümpliz» werden nicht fehlen. Soviel kann Büne Huber bereits verraten. Diese Songs haben bereits eine sehr klassische Anlehnung und lassen sich ausgezeichnet für ein Sinfonieorchester arrangieren. Pathetisches Klanggemälde Den Sänger interessierte aber vor allem die Frage, ob der Brückenschlag auch bei einem Stück wie «Vohinger u vovor» gelingen würde, das nicht besonders klassiktauglich zu sein scheint. Lässt sich der geradlinige, durch seine rohe, punkige Energie geprägte Song trotzdem mit einem klassischen Orchester umsetzen? Die ersten Proben überzeugten Büne Huber. Und mit dem für die Grossformation arrangierten «21 Gramm» aus dem «Rimini Flashdown»-Programm erfüllt sich der Sänger einen lang gehegten Wunsch, wie er erzählt: «Ich träumte schon beim Schreiben davon, daraus etwas Pathetisches zu machen: ein Song, bei dem sich der Klang über drei, vier Minuten aufbläht und zu einem riesigen Breitleinwandgemälde wird. Im Konzert mit dem BSO kann ich das nun endlich verwirklichen.» In eine ähnliche Richtung wird auch «Apollo 11», ebenfalls ein Song aus dem «Rimini Flashdown»-Programm, gehen.

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Ausser Rand und Band muss das Volk gewesen sein, als es 1528 im Zuge der Reformation die Skulpturen aus dem Berner Münster entfernt hat. 1986 wurden unter der Münsterplattform die Überreste der zerstörten Figuren gefunden. «Viele hatten keinen Kopf mehr. Sie wurden symbolisch hingerichtet», schildert Rundgangleiterin Franziska Fankhauser den Bildersturm. Gewalt ist das Thema der ersten Etappe der neuen Stadtführung von StattLand. Sie führt an Orte, wo Menschen Wut erzeugten oder zum Ausdruck brachten. Der Rundgang wurde im Auftrag der Biennale Bern konzipiert, die vom 10. bis zum 18. September stattfindet.

nervös und hoffe, dass alles klappt». Es gebe nur wenige gute Beispiele, wo die Verbindung zwischen der Klassikwelt und Rock funktionierte und etwas Starkes entstanden sei, erklärt er und erinnert an das Konzert von Deep Purple mit dem Royal Philharmonic Orchestra von 1970. «Als ich diese Aufnahme hörte, da dachte ich: Sogar Deep Purple kann ja scheisse klingen.» Und dass man nach dem Konzert dasselbe von Patent Ochsner sagt, will er natürlich auf keinen Fall. Deshalb wird diese Woche noch fleissig an den Songs gefeilt, damit das Zusammenspiel auch wirklich funktioniert. Einfach ist es bestimmt nicht, eine Band – die anarchische Antithese zum durchorganisierten Orchester – dazu zu bringen, sich dem Diktat eines Dirigenten zu unterwerfen. Ganz unbegründet ist Büne Hubers Nervosität nicht: Als er nämlich das letzte Mal mit seinen Songs fremdging und vor einigen Jahren für ein Projekt des Swiss Jazz Orchestras mit der Bigband «Scharlachrot» einspielte, war das Resultat nicht besonders überzeugend. Aufgrund der bisherigen Proben mit dem Orchester ist der Frontmann von Patent Ochsner trotz einer gewissen Anspannung überzeugt, dass der Brückenschlag zwischen Klassik und Rock gelingen wird: «Ich glaube, dass es auch einem Publikum gefallen wird, das sonst vor allem Klassikkonzerte besucht. Schliesslich wird sogar meine Mutter ans Konzert kommen.»

Lavard Skou-Larsen, Gastdirigent in Bern.

Vorfreude – und Nervosität Mit so vielen Musikerinnen und Musikern hat Büne Huber noch nie auf der Bühne gestanden. Deshalb hat er auch Respekt vor dem Grossexperiment: «Ich freue mich sehr, bin aber auch etwas

David Loher

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Bundesplatz, Bern Sa., 28.8., 20.30 Uhr Freier Eintritt www.bsorchester.ch www.patentochsner.ch


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