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N°42 Donnerstag bis Mittwoch 21. bis 27.10.2010 www.kulturagenda.be
Ein Tanzfilm inmitten von Tanz: «Véronique Doisenau» von Jérôme Bel am Tanz In. Bern. Seite 4
Den grauen Herren zerrinnt sie zwischen den Fingern, während Momo jede Menge davon hat: Zeit. Für Bühne und Kostüme zeichnet Becs Andews verantwortlich.
Momo tanzt gegen die grauen Herren an Eine zeitlose Geschichte über die Zeit: Gastchoreografin Didy Veldman hat für das Stadttheater Bern Michael Endes berühmten Roman «Momo» adaptiert – zum Ochesterballett mit Musik von Dimitri Schostakowitsch. «Jamais Fermé», «Open 24/7», «Fast Food» – umgeben von aufdringlichen Werbeslogans hetzen bleiche, seelenlose Gestalten über die Bühne. Es sind Kunden der Zeitsparkasse, sie sparen Stunden, Minuten, Sekunden. Es ist, als hätte Michael Ende vor gut vierzig Jahren mit «Momo» eine erschreckend treffende Vorhersage zur heutigen Gesellschaft geschrieben. Nun erzählt das Ballettensemble des Stadttheaters, begleitet vom Berner Symphonieorchester, die Geschichte in einer Tanzadaption: Das Mädchen Momo (Hui-Chen Tsai) lebt am Rande einer Stadt in den Ruinen eines Amphitheaters. Sie besitzt kein Geld, aber eine bereichernde Fantasie und die Gabe, den Menschen zuzuhören. Die Welt von Momo und ihren Freunden verdüstert sich, als die
hinterhältigen grauen Herren beginnen, den Menschen die Zeit zu stehlen. Wie eine Krankheit breiten sich Hektik, Anonymität und Missmut in der Stadt aus. Doch die struppige kleine Heldin bekämpft die Zeitdiebe mit nichts als einer Schildkröte und einer Blume. Spiel mit der Zeit Das Stadttheater führt jedes Jahr eine Orchester-Ballett-Produktion auf. Erstmals wird sie von einer Gastchoreografin gestaltet. Die Niederländerin Didy Veldman nähert sich mit poetischen Bildern dem Geheimnis der Zeit. Veldman hat mit bedeutenden Ensembles und internationalen Grössen wie Jiˇrí Kylián, Mats Ek, Ohad Naharin und Christopher Bruce gearbeitet. Anfang der 90er-Jahre gründete sie mit Guil-
herme Botelho in Genf das Tanzensemble «Cie. Alias». Die Geschichte von «Momo» ist für Veldman nach wie vor aktuell: «Der Roman thematisiert, wie schwierig es ist, im Hier und Jetzt zu leben – heute vielleicht noch schwieriger als vor vierzig Jahren.» In einer durch Computer, Handys und Verkehr hoch beschleunigten Welt sei es erst recht eine Herausforderung, sich auf den Augenblick einzulassen. «Es ist so einfach, in den Strom hineingezogen zu werden», gibt Veldman zu bedenken, «man lässt sich leicht von Geschwindigkeit, Geld und Ambitionen einnehmen.» Um den Umgang mit Zeit sichtbar zu machen, hat die Choreografin mit dem Ensemble verschiedene Bewegungssprachen entwickelt. Durch Slow Motion, Beschleunigung und Stillstand spielt sie mit der Zeitwahrnehmung des Publikums. Für Momo scheint die Zeit in unerschöpflichem Masse vorhanden zu sein, derweil sie den grauen Herren wie Sand zwischen den Fingern zerrinnt.
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In einer traumartigen Bühnenlandschaft, gestaltet von Becs Andrews, erlebt das Publikum zwei Welten. Die lebendige, verspielte Welt von Momo und die monotone, kalte Welt der Zeitsparer und grauen Herren. Dieser Gegensatz lässt sich laut Veldman mit Kompositionen von Dimitri Schostakowitsch (Arrangement: Philip Feeney) besonders gut ausdrücken: «Seine Musik hat eine Leichtherzigkeit – aber auch ein dunkle Seite.» Neben Ballett-, Kammer- und Filmmusik sind Ausschnitte aus dem Klavierkonzert Nr. 2 F-Dur und der berühmten Jazz-Suite des russischen Komponisten zu hören. Die musikalische Leitung hat Dorian Keilhack. Erwachsene und Kinder werden mitgenommen auf eine Zeitreise, die märchenhaft und realistisch zugleich ist. Ruth Huber \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Stadttheater Bern. So., 24.10.,15 Uhr Weitere Vorstellungen bis 29.1. www.stadttheaterbern.ch
Freunde der Lebensfreude In der Mühle Hunziken tauft Phanamanation zum 10-Jahr-Bandjubiläum das dritte Album, «Pha Pha». Eine Afrobeat-Funk-Mischung, die auch als Hochnebel-Therapie durchgehen würde. blickt der frohmütige Drittling das nebelgedimmte Licht der Welt. Peter Burkharts Mühle Hunziken ist ein feiner Ort zum Feiern des Bandgeburtstags mit Taufe. «Vor vier Jahren durften wir hier bereits für Groove Collective einspringen. Nach dem Konzert meinte Mühli-Pesche, wir sollten uns wieder melden, wenn wir etwas Neues ausgebrütet hätten», sagt Claudio von Arx. Jetzt ist sie da, die Brut, in der viel Herzblut und Lebensfreude steckt. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Mühle Hunziken, Rubigen. Fr., 22.10., 21 Uhr. www.muehlehunziken.ch
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3 Kulturtipps von Christoph «Biru» Haller
Christoph Haller ist die eine Hälfte des Berner DJ-Duos Round Table Knights. Im Club Bonsoir ist er ausserdem verantwortlich für das Musikprogramm. 1. Vernissage von Anja Schori in der Milieu Galerie (Do., 21.10., 18 Uhr) Ich sah Anja Schori, eine gute Freundin, einmal in Zürich an den Schweizer Meisterschaften boxen. Eine ganz spezielle Atmosphäre, die sie nun in ihr Fotobuch «Box» gepackt hat. 2. Issa Bagayogo im Club Bonsoir (Do., 21.10., 21 Uhr) Wir wagen ein Experiment: zum ersten Mal ein World-Music-Konzert im Bonsoir. Endlich ein Anlass, an den ich einmal meine Eltern einladen kann! 3. Paul Chambers im Wasserwerk Club (Sa., 23.10., 22 Uhr) Paul Chambers ist der neue Schützling der Rockband Soulwax, ein grossartiger Elektro-Musiker.
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Reggae, Afro-Beat, Funk und Hip-Hop stecken in der karibikwarmen Musik der Berner Band Phanamanation. «Wir legen uns stilistisch längst nicht mehr fest», antwortet Claudio von Arx auf die Frage nach der Selbstdeklaration. Seit zehn Jahren macht der Saxofonist mit seinen mittlerweile zehn Mitmusikern diesen leichten Sommer-Sound, der mit einem Bläsersatz und viel Percussion ausgestattet ist und von drei Sängern getragen wird, darunter einem Rapper. DJ-Scratches dürfen auch nicht fehlen. Auf den Herbst veröffentlicht der begnadete Freundeskreis nun «Pha Pha». Zwei Jahre nach dem letzten Album er-
«Wo bisch?» Den Bericht samt Bildstrecke zur Handy-Ausstellung im Museum für Kommunikation finden Sie online.
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Philipp Zinniker
Hannes Saxer
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Die Bandleader Claudio von Arx (Saxofon, 4. v.l.) und Sam Liniger (Gitarre/Gesang, mit Bier) mit sechs von neun Phanamanation-Freunden.
Ich würde einen Freund, der nie in einen Club geht, in die Matte mitschleppen … … zum Beispiel mit dem Argument, dass Chambers ein Live-Konzert spielt. Man sollte die Gelegenheit packen, ihn jetzt zu sehen, bevor er gross herauskommt und nur noch in Hallen auftritt.