Berner kulturagenda 2010 N° 43

Page 1

ZVG

N°43 Donnerstag bis Mittwoch 28.10. bis 3.11.2010 www.kulturagenda.be

Antje Weithaas und die Camerata Bern spielen Werke von vier italienischen Komponisten. Seite 6

Invisible Borders

Melanie Avanzato

\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Lesen Sie online: Krimipreisgewin­ ner Volker Kutscher ist einer der zahlreichen Gäste an den Krimi­ tagen Burgdorf.

Uche Okpa-Iroha ist mit der Künstlergruppe Invisible Borders quer durch Afrika gereist und hat Männer beim Nickerchen fotografiert.

Afrikanischer Blick auf Afrika Autos, Autobahnen und Bausünden aus Beton – die Bilder im Erdgeschoss der Kunsthalle zeigen den Vorort einer Stadt, wie man ihn überall antreffen könnte. Es ist Lagos, die grösste Stadt Nigerias. Man fragt sich sogleich: Was soll jetzt afrikanisch sein an diesen Fotos? Schon hat die Ausstellung «The Idea of Africa (reinvented)» ausgelöst, was ihr Kurator und Kunsthalle-Direktor Philippe Pirotte mit ihr auslösen wollte: unseren Blick auf den schwarzen Kontinent infrage zu stellen. Wir haben diffuse Erwartungen an Afrika: eine radikale Andersartigkeit etwa, einfachste Lebensformen auf dem Land oder unübersichtliche Städte. Dabei sieht Afrika manchmal aus wie der Norden. «Unser Afrika-Bild ist noch immer stark von

der Kolonialzeit und der Ideologie der Kolonialherren geprägt», sagt Pirotte. Vor 50 Jahren wurden 17 Staaten des Kontinents von ihren Kolonialmächten in die Freiheit entlassen. Deshalb gilt 1960 als Jahr der afrikanischen Unabhängigkeit. Das Jubliäum war ein Anlass für Pirotte, in Bern den chronisch vernachlässigten Kontinent zu thematisieren. «In Europa wurde das Jubiläum kaum gefeiert», konstatiert Pirotte. Der Kontinent bleibt unbeachtet, wenn es gerade nichts über Konflikte und Katastrophen zu berichten gibt. Neuentdeckung eines Frisurenfotografen In der Ausstellung steht der afrikanische Blick auf Afrika im Vordergrund. Die eingangs erwähnten Bilder von J. D. Okhai Ojeikere bilden den ersten

Teil der Foto- und Filmausstellung. Sie zeugen von der jahrzehntelangen Auseinandersetzung des Fotografen mit seiner Stadt Lagos. Kurator Pirotte lernte ihn letztes Jahr kennen. Und mit ihm sein umfangreiches Schaffen von dem man hier bisher nur seine Bilder von ausgefallenen afrikanischen Frisuren kannte. Im Untergeschoss sind die Arbeiten des Kollektivs Invisible Borders zu sehen. Die Künstlergruppe (auch sie aus Lagos) unternimmt Reisen quer durch Afrika und untersucht mit ihren Fotound Filmkameras die Grenzen des Kontinents. Die Zölle zu passieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Trotz Freizügigkeitsabkommen zwischen den Staaten des Kontinents ist das Reisen für Afrikaner umständlich. Die meisten Bilder haben allerdings banalere Inhalte als die kritische Blog-Dokumentation der Reisenden (lagos-bamako.blogspot.com): Uche Okpa-Iroha hat beispielsweise Männer fotografiert,

die sich ausruhen. Es sind starke Bilder, haben aber kaum politische Brisanz. Zum Schluss ein europäischer Blick Eine weitere Arbeit stammt von einer Europäerin: Der Film «Lagos Wide & Close» von der holländischen Dokumentarfilmerin Bregtje van der Haak zeigt eine Collage von Strassenszenen in Lagos, gesammelt aus 55 Stunden Rohmaterial. Hier ähneln die Bilder sogleich dem Bild, das man von Afrika erwartet hatte: zum Beispiel Männer, die eine Lieferung alter Fernseher aus einem Transporter ausladen und mehrere Geräte aufeinandergestapelt durch die überfüllte Strassen transportieren. Van der Haak suchte mit der Kamera nach dem Andersartigen – und blendete dabei die Gemeinsamkeiten aus. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Kunsthalle, Bern Ausstellung bis 5.12. www.kunsthalle-bern.ch

Nach dem Rausch der Kater «D’ Party isch vrbi» heisst das dritte Solo-Album des Berner Rappers Baze. Dabei steht die nächste Sause bereits vor der Tür: Im Dachstock schreitet Baze zur Plattentaufe. Die Vielfalt ist auch Resultat einer Zusammenarbeit mit dem Berner Klangkünstler Benfay: «Er hat ein unglaubliches Gefühl für Melodien. Sie enthalten vielleicht keine offensichtliche, dafür aber eine versteckte Schönheit, die umso interessanter ist.» Was ist von Baze in Zukunft zu erwarten, wenn die Party jetzt vorbei ist? «Das kann ich noch nicht sagen. Ziemlich sicher wird die nächste Platte nicht mehr so dunkel sein, melancholisch aber schon.» Lukas Tinguely \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Dachstock in der Reitschule, Bern Sa., 30.10., 22 Uhr. www.dachstock.ch

von Katharina Lienhard

Die Schauspielerin und Erwachsenenbildnerin spielt viele Rollen: als Rundgangführerin bei StattLand oder mit Kindergeschichten im Naturhistorischen Museum («Vladin Drachenheld», So., 31.10., 11 und 14.30 Uhr). 1. «Momo» im Stadttheater Bern (Vorstellungen bis 29.1.) Das Spiel mit der Zeit ist auch für mich immer wieder ein Thema. Mir gefällt die Idee der Tanzadaptation, da Bewegung und Rhythmus zeitbestimmend sind. 2. Nina Dimitri und Silvana Gargiulo in der Cappella (Mi., 3.11., 20 Uhr) Ich finde es immer bereichernd, wenn sich verschiedene Kunstformen zum Stelldichein treffen: ein Theaterkonzert mit Emotionen, Ironie und Gesang. 3. «Gruppe Junger Hund» in den Vidmarhallen (Vorstellungen bis 5.2.) Mich spricht Skurriles und leicht Verschobenes an. Das Gespräch mit einem Käfer kann ich mir durchaus als horizonterweiternd vorstellen.

Ruben Wyttenbach

Es ist kein heiteres Werk. «D’ Party isch verbi» handelt vom bösen Erwachen nach einem jahrelangen Fest, erzählt von den Mühen des Alltags und enthält Gesellschaftskritik. Neben Selbstreflexion und satten Beats überrascht das Album aber auch mit musikalischer Vielfalt. Trompeten-Fanfaren treffen auf Piano-Melodien treffen auf SynthesizerHymnen. Baze wollte mit dem Einbinden neuer Elemente aber nicht etwa einen Abgesang auf den Hip-Hop schreiben: «Andere Musikstile hatten schon immer Bedeutung in meinem Leben. Manchmal mag ich Hip-Hop im NewYork-Style, dann wieder Folk-Songs.»

3 Kulturtipps

MfK

In der Kunsthalle stellt eine Ausstellung von J. D. Okhai Ojeikere und der Künstlergruppe Invisible Borders mit Fotografie und Film unseren Blick auf Afrika infrage. Der hat sich nämlich seit der Kolonialzeit kaum verändert.

www.kulturagenda.be \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Die Party ist vorbei, das Bassin leer. Baze schreitet weiter.

Einen naturwissenschaftlich orientierten Menschen würde ich in eine Vorstellung von «Gruppe Junger Hund» einladen, ... ... um das manchmal beschränkte eigene Denkvermögen gemeinsam zu erweitern.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.