Berner kulturagenda 2011 N° 15

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N°15 Donnerstag bis Mittwoch 14. bis 20.4.2011 www.kulturagenda.be

Mord und Häkelpunk Mit «Dings» präsentiert das Basler Frauenquartett Les Reines Prochaines in der Dampfzentrale ein kriminal-philosophisch-cinematografisches Singspiel. Es handelt von Mord, falschen Gefühlen und dem Häkeln.

Lustvolles Wüten Während die Figuren auf der Leinwand äusserst amtlich und trocken agieren, geraten die Königinnen aus Fleisch und Blut regelrecht in ein lustvolles musikalisches Wüten. Naegelin entdeckt auf ihrer E-Gitarre den Hardrock. «Das liebe Geld. Was tut man damit? Wird es zu Dynamit?», kreischt sie und erweist dabei Rammstein alle Ehre. Die Multi-Instrumentalistinnen von Les Reines Prochaines sind allesamt keine Musikerinnen, doch die Damen, die bald 25 Jahre zusammen spielen, rocken die Bühne. «Wir kommen von der Video-Performance», sagt Madörin nach der Vorstellung. «Von der Methode her hat unser Musizieren viel mit Punk zu tun. Wir nehmen die Impulse der 80er-Jahre auf. Da geht man drauflos.» Um Musik zu machen, brauche es keine akademische Ausbildung, findet ausserdem Hauert und gibt ihre kleine Punkanleitung zum Besten: «Zuerst spielst du A, dann E, und jetzt machst du ein Konzert.» Sarah Müller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Dampfzentrale, Bern Fr., 15.4., 20 Uhr www.dampfzentrale.ch

Arrogant, zickig und maulfaul oder einfach nur schrecklich nervös? Die Dum Dum Girls im ISC. Seite 3 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Schweizer Werke, zurück aus München – das Kunstmuseum reist mit Liotard, Rist und Oppenheim durch die Epochen Seite 12 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

3 Kulturtipps von Jonathan Loosli

ZVG

Wer ist Dings? Der Krimiplot ist betont simpel. Das Opfer war Millionär und in dunkle Geschäfte verwickelt. Das Geld ist natürlich verschwunden. Als plötzlich aber auch die Witwe und der Gärtner verschwinden und das Phantombild eines drolligen Dings auftaucht, wird es knifflig. Sieht dieses Dings nicht wie ein fetter Geldsack aus? In einer Gartenbeiz wird es allerdings beim Limonadeschlürfen ge-

sichtet. Wer ist dieses befremdliche Torsomonster, das an die Figur Slimer aus der Kinderserie Ghostbusters erinnert? Vor der Leinwand leisten sich die Krimidamen herrliche Exkurse. Die schöne, reiche Witwe, gepeinigt von Liebe und Hass zu ihrem Mann, gesteht ihre heimlichen Mordfantasien: «Drown you in the tub. I killed you a thousand times in my mind. But this time it wasn’t me.» Indessen gerät Polizeipsychologin Madörin ganz privat über ihr subversives Häkelhobby ins Schwärmen, mit dem sie die ganze Stadt einzuhäkeln droht.

Sarah Müller

Eine zerstückelte Leiche liegt im grünen Frühlingswald. Hier der Kopf und eine Wade, dort eine Hand mit einem verdächtigen Wurstbrot. Ein Fall für Les Reines Prochaines. Im Opel-CorsaPolizeiauto braust das Viererkommissariat zum Tatort. Lakonisch lautet der Befund: «Es ist ein Mann. Der Mann ist tot.» Billig und makaber beginnt der Leinwandkrimi nach dem Drehbuch der Berliner Regisseurin Nathalie Percillier. Das Theater Roxy im baslerischen Birsfelden ist pumpenvoll. Standesbewusst, im schicken Etuikleid und Hosenanzug, treten nun die Königinnen mit ihren mehrsprachigen Songs auf die Bühne. Und sie kommen mit Verstärkung: Die beiden ehemaligen Reines-Mitglieder Sybille Hauert und Barbara Naegelin sowie der amerikanische Rockschlagzeuger David Kerman sind dabei. Muda Mathis (Klarinette), eine grosse Knarre an der drallen Wade, und Sus Zwick (Saxofon), mit Balkanschick, führen den Fall. Polizeipsychologin Fränzi Madörin ergründet das Böse mal am kleinen Akkordeon, mal am Bass, und Pathologin Michèle Fuchs erfasst nicht nur am Horn einen grotesk makabren Grundtenor. Daneben existieren die üblichen Verdächtigen: die reiche Witwe (Fuchs), die Köchin (Hauert) und der Gärtner alias Kerman.

Dem Mörder bereits dicht auf den Fersen. Die Königinnen auf rasanter Verbrecherjagd.

Experimentieren mit Pop, Jazz und Avantgarde Die Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch prägt den Sound des internationalen Quartetts Schneeweiss und Rosenrot mit ihrer klaren Stimme. Bei BeJazz präsentiert die Band ihr neues Album, «Pretty Frank». Schneeweiss und Rosenrot, das war zunächst ein Frauenduo, bestehend aus Lucia Cadotsch und Johanna Borchert. Die Sängerin aus Zürich und die deutsche Pianistin lernten sich während des Jazzstudiums in Berlin kennen und starteten ein gemeinsames Musikprojekt. Bald hatten sie aber Lust auf mehr. Der Kontrabassist Petter Eldh aus Schweden sowie der Schlagzeuger und Elektronik-Künstler Marc Lohr aus Luxemburg machten aus dem Duo ein Quartett, und 2009 veröffentlichte die Band mit «Salt Crusted Dreams» ihr Debütalbum. Nun doppelt sie mit «Pretty Frank» nach und stellt die Platte ein paar Tage nach der Taufe im Zürcher Moods dem Berner Jazzpublikum vor.

me lasziv durch die Songs wie in «Coast Starlight Espress» oder «Fresh Prince», dann wieder springt sie wie in «The End» energisch über den musikalischen Teppich, den ihr die drei Musiker auslegen. So variabel wie Cadotschs Stimme ist auch der Sound des internationalen Quartetts. Die vier Musiker bewegen sich gekonnt und verspielt zwischen Jazz, Pop und Avantgarde. Die Experimentierfreude und die Verspieltheit widerspiegeln sich auch in den lautmalerischen Texten, mit denen Lucia Cadotsch witzige, nachdenkliche und schräge Geschichten erzählt von «Pretty Frank», «Daddy Longleg» oder «Newman’s Housecat».

Verspielt und experimentierfreudig Elf Kompositionen finden sich auf dem Album. Mal schlängelt sich Lucia Cadotschs klare und ausdrucksstarke Stim-

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1. «Hyde» The Rock Opera im Tojo Theater (Do., 14.4., bis Sa., 16.4., 20.30 Uhr; Werkeinführung: 20 Uhr) Ich bin gespannt ... Musik, Bewegung und Sprache neu zusammengebaut. Bern braucht innovative Opernprojekte wie dieses. 2. «Tsunderobsi», offene Bühne im Schlachthaus (Mo., 18.4., 20 Uhr) Diese Plattform für junge Theaterschaffende ist die richtige Antwort auf den aktuellen Talentshow-Tsunami. 3. Katzenjammer bei Bee-flat in der Turnhalle (So., 17.4., 20.30 Uhr) Hört sich vielversprechend an und passt perfekt zum Frühling.

ZVG

Simone Tanner BeJazz-Club in den Vidmarhallen, Liebefeld. Do., 14.4., 20 Uhr www.bejazz.ch

Der Berner Jonathan Loosli ist Schauspieler am Stadttheater und zurzeit im Stück «Wut» zu sehen (Sa., 16.4., 19.30 Uhr, Vidmar 1). Zudem kuratiert er die Partyreihe «Spiel mit uns» in den Vidmarhallen. Die nächste Party mit dem Motto «Blut, Mord und Totschlag» und einem Auftritt der Tequila Boys findet am Sa., 16.4., ab 22 Uhr statt.

Schneeweiss und Rosenrot mit der Zürcher Sängerin Lucia Cadotsch (2. v. r.).

Wie ich jemanden überreden würde, mich ans Konzert in die Turnhalle zu begleiten? Nicht diskutieren – bewusstlos schlagen und hinschleppen.


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