N°20 Donnerstag bis Mittwoch 19. bis 25.5.2011 www.kulturagenda.be
«Hasenleben», der Roman des Zürchers Jens Steiner, erzählt von einer Familie in Unrast. Seite 3
Ein Zusammenstoss der Stile und ein Märchenschloss in der Stadt: Die Falkenburg wurde für wohlhabende Bürger gebaut.
Ein Quartier vereint die Gegensätze Ein Hörsaal in einer Fabrikhalle, ein Revolutionär im Eigentumshaus, in der Länggasse ist alles normal. Mit «Bern architektonisch» widmet der Verein StattLand diesem Quartier einen eigenen Rundgang. «Die Länggasse ist ein junges Quartier», sagt Regula Nussbaumer, die den neuen StattLand-Rundgang leitet. Dem entsprechen die Vorstellungen von der Länggasse als Hort von Studenten und Hipstereltern. Das sei aber nicht immer so gewesen, erläutert Nussbaumer. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Länggasse noch Agrarland, danach flüchtete die Oberschicht aus der überfüllten Innenstadt hierher. Dank einer neuen Eisenbahnlinie kamen später die Fabriken hinzu. Mit dem Bau der Universität 1903 zogen die ersten Studenten ins Quartier. Kinderlachen und Revolution Den Übergang von den Arbeitern zu den Studenten zeigt das Hörsaalzentrum von Roll eindrücklich. Der Indus-
triekonzern von Roll produzierte an der Fabrikstrasse Gleisteile. Nachdem dieser den Standort gewechselt hatte, wurde die alte Weichenbauhalle zu Hörsälen umfunktioniert. Äusserlich hat sich das Gebäude nicht verändert, im Innern wuseln aber nicht mehr Arbeiter, sondern Studenten durch die Gänge. Unweit des Unigebäudes toben Kinder lachend durch den blühenden Amselweg. Vor hundert Jahren wurden hier die Unterkünfte für die Arbeiter der nahen Fabriken erstellt. Heute sind es kostspielige Eigentumswohnungen. Einst beherbergten sie auch eine Berühmtheit, verrät Nussbaumer. Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin, wohnte 1914 in der Länggasse, konnte aber mit all den Professoren in der Gegend nicht viel anfangen.
Die haben beispielsweise im Institut für Geologie an der Baltzerstrasse das Sagen. Wie ein gestrandeter Wal wirkt das in den 1930ern errichtete Bauwerk. «Die Architekten Salvisberg und Brechbühl wollten die Kargheit des Forscherlebens in der Architektur widerspiegeln», sagt Nussbaumer. Mit viel Sichtbeton und dem Verzicht auf jeglichen Bauschmuck ist ihnen das auch gelungen. Gar nicht karg präsentiert sich hingegen die reformierte Pauluskirche. Der ganz im Jugendstil gehaltene Bau wartet mit Goldmosaiken und überdimensionalem Kronleuchter auf. In der Länggasse leben Prunk und Kargheit, Religion und Wissenschaft eben Tür an Tür. Clash der Stile Einen Gipfel des Kitschs bildet die Falkenburg. Wie ein Märchenschloss thront sie auf einer Anhöhe, ihre Fassade ist ein Kuddelmuddel aus Tuffund Sandstein, Barock und Gotik, ein wahrer Clash der Stile. «Schon damals
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konnte es sich nur das reiche Bürgertum leisten, dort zu residieren», sagt Nussbaumer. Daher stammt auch das Bonmot: «Wenn der Herr was auf sich hält, nimmt er Wohnsitz im Kirchenfeld. Ist er später dann bei Kasse, zieht er in die Länggasse.» Der Rundgang endet beim Restaurant Veranda, einst Villa Favorit. Der Seidenfabrikant Eduard Simon liess die Villa bauen, später wurde sie als Botschaft, Hotel oder Altersheim genutzt. Bezeichnenderweise trotzte sie sogar dem Sturm «Lothar», der 1999 ihr Dach fortwehte: Die Länggasse vereint die Erhabenheit der Oberschicht und die Zähheit der Arbeiterschaft. Das macht sie nicht nur architektonisch zum Bijou, sondern auch historisch. Katharina Bornhauser \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Nächste Rundgänge: Mi., 25.5., 18 Uhr, und Sa., 2.7., 14 Uhr (Treffpunkt Haltestelle Güterbahnhof, Bus 11) www.stattland.ch
1990 – Anfang voller Ende Die Theatergruppe 400asa Sektion Nord entführt mit einem Bus in die 90er-Jahre. «Der Sumpf. Europa Stunde Null» ist ein Stationendrama über zerschlagene Zukunftsträume und Pink Floyd. logischen Grenzen zwischen Ost und West sprengen. Doch der musikalische Neuanfang geriet miserabel. «Das Konzert war schal, ein Anfang voller Ende», sagt Schwarz. Die neue Freiheit entpuppte sich denn auch bald als Leere. «Die DDR war bereits ausverkauft. Man stand im Sumpf.» Während der Busfahrt an geheimnisvolle Orte verschmelzen urbaner Raum, Natur und nächtliche Spiegelungen zu einer magischen Gegend. Sarah Müller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Abfahrt ab Tojo Reitschule, Bern Sa., 21., bis Mi., 23.5., 20 Uhr www.tojo.ch
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3 Kulturtipps von Daniel Schläppi
Der mehrfach ausgezeichnete Berner Bassist Daniel Schläppi macht mit Gitarrist Tomas Sauter Kammerjazz. Nun tauft das Duo sein zweites Album, «First Day in Spring». (BeJazz Club, Bern. Fr., 20.5., 20.30 Uhr) 1. «Stürler in Rom. Ein Berner Architekt auf Bildungsreise 1792» im Schloss Jegenstorf (bis 16.10.) Auch wenn Sie 1792 etwas lange her finden und Ihnen Stürler nichts sagt, verspricht diese Ausstellung beste Unterhaltung. 2. Reto Leibundgut in der Galerie Bernhard Bischoff (bis 4.6.) Ideal zu Fuss zu erreichen: Weitgereister und prämierter Kunststicker gibt bestechende Einblicke ins Gobelinhandwerk des 21. Jahrhunderts. 3. 100 Jahre Frauenverein Riggisberg im Sekundarschulhaus Riggisberg (Sa., 21.5., 17 Uhr) Zuerst Spaghetti-Plausch zu familienfreundlichen Preisen. Danach Festakt mit Mädchenriege Riggisberg und Kabarettfrau Esther Hasler.
ZVG
Nach der fahrenden Freilichtinszenierung «Der Bus» von Lukas Bärfuss rollt die Gruppe 400asa für ihr neues Projekt, «Der Sumpf. Europa Stunde Null», wieder mit einem Stadtbus an. Am Steuer sitzt die eigens gegründete Spin-off-Gruppe 400asa Sektion Nord, zu der unter anderem der Berner Regisseur Samuel Schwarz gehört. Sie unternimmt mit dem Publikum eine Reise ans Berliner Konzert von Pink Floyd im Jahr 1990. Die Mauer war gefallen, und Europa stand eine neue Ära bevor. Pink Floyd sollte mit der Aufführung ihres Konzeptalbums «The Wall» in Berlin endgültig die ideo-
Die einflussreiche Indieband Pere Ubu führt mit «The Annotated Modern Dance» ihr erstes Album wieder auf.
ZVG
Katharina Bornhauser
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Nach dem Mauerfall: Ist das die neue Freiheit oder Leere, so weit das Auge reicht?
An jeden dieser Anlässe schicke ich mit reinem Gewissen selbst griesgrämige Kulturmuffel, ... ... weil Gutes nicht teuer sein muss.