Berner kulturagenda 2011 N° 31

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N°31 Donnerstag bis Mittwoch 4. bis 10.8.2011 www.kulturagenda.be

75 Jahre Mani Matter Das Phänomen Mani Matter kam erst nach seinem Tod so richtig zum Tragen. Ein Hype? Sein Compagnon Jacob Stickelberger verneint. Und er feiert auf der kleinen Schanze den Geburtstag Matters – zum ersten Mal.

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Matters Compagnon Jacob Stickelberger. len sich eigentlich alle von ihm verstanden – von Micheline Calmy-Rey bis hin zu Oscar Freysinger», sagt Stickelberger überspitzt. Das liegt nicht etwa daran, dass seine Texte unpolitisch wären. Denn er sang in seinen Liedern darüber, wie Menschen miteinander umgehen, was man als die Essenz der Politik bezeichnen könnte. Vielmehr liegt es an der Allgemeingültigkeit seiner Aussagen, die nach ihm in der Schweiz keiner mehr zustande gebracht hat. «Er war ein sehr integrativer Musiker», bringt es Stickelberger auf den Punkt.

Grosse Augen für grosse Steine: Im Naturhistorischen Museum funkeln die Riesenkristalle vom Planggenstock.

Qualität setzt sich durch Als er noch lebte, war Matter zwar bekannt, aber kein Star, der in grossem Ausmass Platten verkaufte. Seine höchste Hitparaden-Platzierung war der 22. Platz. Heute kann jeder Deutschweizer mindestens ein Mani-Matter-Lied singen. «Dr Eskimo», «Ds Zündhölzli», «Dr Alpeflug» oder «Dr Sidi Abdel Assar» sind längst zum Volkskulturgut geworden. Ist das Matter-Phänomen nicht bloss ein postmortaler Hype? Jacob Stickelberger verneint vehement: «Es war einzig die Qualität seiner Lieder, die sich durchsetzte. » Michael Feller Mani-Matter-Konzertabend mit Ueli Schmetzers Matter Live, Jacob Stickelberger, Franz Hohler und Fräulein Da Capo. Musikpavillon auf der Kleinen Schanze, Bern. Do., 4.8., 19 Uhr

3 Kulturtipps von Fabio Baechtold

Yakov Titov

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Rodo Wyss

Sie tüftelten an den Chansons Paradoxerweise hatte Stickelberger nie Geburtstage mit Matter gefeiert, sie gratulierten sich nicht einmal am Telefon. Das hatte damals keine grosse Bedeutung. Wichtiger war die gemeinsame Arbeit an den Texten. Sie spielten einander die Lieder vor – nachdem Stickelberger nach Zürich gezogen war, oft durch den Telefonhörer. Dabei habe ihn besonders Matters präziser Umgang mit der Sprache beeindruckt. Mani Matter sagte, ein einziges falsches Wort könne ein Lied kaputtmachen. «Er hatte Recht», sagt Stickelberger. «Seine Intelligenz brachte ihn dazu, beim Einfachen zu bleiben.» Der Austausch mit Matter ist für den Rechtsanwalt bis heute essenziell geblieben. «Auch wenn das kitschig klingen mag: Ich halte noch heute bei jedem neuen Chanson Zwiesprache mit Mani», sagt er, der seinen verstorbenen Freund verehrt, welcher sein Tun zeitlebens nie auf Verehrung ausgelegt hat. Wie der Mensch, so sein Lied: Nie habe sich Mani Matter mit seiner Musik bei jemandem angebiedert. «Und doch füh-

Am Openair Vinelz gibt Stephen Burch alias The Great Park seine musikalischen Rauchzeichen. ZVG

Wenn Jacob Stickelberger von Mani Matter redet, erzählt er nicht nur von einem Freund, und Chanson-Compagnon, sondern auch von einem Vorbild. Vom «blitzgescheiten Menschen» ohne Dünkel, vom witzigen, geselligen, belesenen Phänomen, das wie seine Lieder war: vordergründig einfach und mit grossem Tiefgang. Am 4. August würde Matter 75 Jahre alt werden. Aus diesem Anlass tritt Stickelberger zusammen mit Franz Hohler auf und singt Matter-Lieder, darunter unbekannte wie «Einisch am Morge». Dieses Chanson habe Matter kurz vor seinem tödlichen Verkehrsunfall vom 24. November 1972 geschrieben. «Er sang darin sehr persönlich über sich. Mehr verrate ich nicht.»

Mani Matter im Blauen Bähnli von Bern nach Worb. (Foto zur Mani-Matter-Ausstellung im Landesmuseum Zürich. Infos: www.landesmuseen.ch)

Nils Althaus, Liedermacher und Schauspieler «Ich habe Mani Matter zweimal entdeckt. Als Kind hat mir mein Vater seine Lieder auf der Bettkante vorgesungen. Als ich im Gymnasium war, ist er mir wieder über den Weg gelaufen. Erst beim zweiten Mal sind mir die vielen Zweideutigkeiten und die präzisen Wortspiele aufgefallen. Meine ersten Lieder waren sehr stark inspiriert von Mani Matter. Mittlerweile habe ich natürlich auch viele andere Einflüsse. Aber die Präzision in seinen Texten ist für mich noch immer eine Messlatte. Von Matters Liedern gefällt mir ‹Di Strass won i drannwone› sehr gut. Es vereint die traurige und die heitere Seite unserer eigenen Endlichkeit.»

Myria Poffet Sängerin von Chantemoiselle «Mani Matter war und ist für mich der Inbegriff von Berner Mundart und ein grosses Vorbild. Seine Texte sind zeitlos, etwa das ‹D Nase› oder der ‹Bim Coiffeur›. Ich liebe ‹Ds Lied vo de Bahnhöf›. Beim Hören sehe ich sogleich vor meinem inneren Auge die Perrons vom Bahnhof Bern und die Wartenden, so treffend ist Mani Matters Beschreibung. Beim ‹Dällebach Kari› versinke ich noch immer in Melancholie ab der traurigen Geschichte. Ich vermute, dass die Mundartmusik heute auch ohne Mani Matters Zutun existieren und sich weiterentwickeln würde. Ich bin aber sicher, dass ein grossartiges Vorbild fehlen würde.»

Christian Häni Sänger von Halunke «Mit etwa sechs Jahren habe ich den ‹Eskimo› und das ‹Zündhölzli› entdeckt. Ich hab ziemlich früh kapiert, wie man den Plattenspieler bedient. Von da an war es vorbei mit der Ruhe. Meine ganze Familie hatte bestimmt eine Mani-Matter-Überdosis … Matter war für mich einer der Gründe, wieso ich angefangen habe, auf Mundart zu singen. Mich hat fasziniert, dass sich beim Hören seiner Lieder immer eine Bilderwelt aufmacht. ‹Warum syt dir so truurig› gefällt mir am besten. Es ist ein poetisches und musikalisches Meisterwerk … Für mich bedeutet Mani Matter unerreichtes Schaffen. Noch. Ich arbeite daran.»

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Die Generation der 30-Jährigen über Mani Matter

Christoph Trummer Sänger «Mani gab es irgendwie schon immer für mich. Mein grosses Erlebnis mit ihm war ein langweiliger Sonntagmorgen, als ich etwa 18 war. Da habe ich seine Kassetten eingelegt und zum ersten Mal auch die Tiefen in seinen scheinbar einfachen Liedern wahrgenommen. Ich war begeistert. Mich hat Matters ‹Farbfoto› immer speziell berührt, weil es diese Sehnsucht nach Unerreichbarem so wunderbar trifft. Direkten Einfluss auf meine Musik hatte Matter nicht. Geprägt hat mich eher seine dialektische Art zu denken, wie sie im ‹Rumpelbuch› und den ‹Sudelheften› festgehalten ist.» Umfrage: mfe

Fabio Baechtold ist Programmleiter des Konzertveranstalters BeJazz, der bereits zum neunten Mal ein Sommerfestival organisiert. Während fünf Tagen kommen sieben Konzerte zur Aufführung (Rathausplatz, Bern. Di., 2., bis Sa., 6.8., Programm: www.bejazz.ch) 1. «J’ai toujours rêvé d’être un gangster» im Hofkino der Reitschule (Do., 4.8., 21.30 Uhr) Eine unschlagbare Kulisse für ein Open-Air-Kino und ein ganz toller Film. 2. Berne Optimist vs Tini B. im Wohnzimmer Les Amis (Sa., 6.8., 22 Uhr) Als Altstadtbewohner liebe ich die Cafés, Bars und Clubs gleich um die Ecke. In der Sommerpause des Sous Soul entdecke ich im Wohnzimmer vom «Les Amis» immer wieder Erstaunliches. 3. Posters – Plakate der Gestalter Claude Kuhn und Stephan Bundi im Gutenberg Museum Fribourg (bis 28.8.) Ein wunderbarer Vorwand, um danach im Café Populaire mal wieder einen der schweizweit besten Burger zu essen. Einen Museumsskeptiker würde ich zur Poster-Ausstellung überreden, … … weil Kulturplakate gut für Museumseinsteiger sind und ich das Programm danach lieber in Gesellschaft bestreite.


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