Berner kulturagenda 2011 N° 43

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N°43 Donnerstag bis Mittwoch 27.10. bis 2.11.2011 www.kulturagenda.be

Charles Lewinsky erzählt in «Gerron» eine wahre Geschichte um die Frage: Verrat oder Leben? Seite 3

ZVG Michael Meier

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Im abgelegenen Hotel, wo der todkranke Peter (Theo Schmid, Mitte) sein Leben Revue passieren lässt, trifft er auf allerlei skurrile Gäste (Maud Koch, l., Fredi Stettler).

Der Tod kann warten Bevor sie auf die Bühne tritt, wärmt sich die Schauspieltruppe während der Proben mit Sprechübungen auf. Nach einer Runde «Ta, Te, Ti, To» und «Pa, Pe, Pi, Po» kann das Spiel beginnen: Der Grundkonflikt in jeder guten Geschichte sei jener zwischen dem Tod und der Liebe, erklärt der todkranke Lektor Peter (Theo Schmid) seiner neuen Bekanntschaft Nelly Haller (Annemarie Morgenegg). Peter ist daran, sich in Nelly zu verlieben. Sie ist die Wirtin des abgelegenen Hotels, wo er sein kleinbürgerliches Leben Revue passieren lässt. Es zählt die Intensität Erst durch diese Begegnung lernt Peter, den Moment zu geniessen. Er findet sogar den Mut, endlich seiner verdrängten

Leidenschaft für das Schreiben nachzukommen. Eigentlich wäre er ja gerne Schriftsteller geworden. Das verschweizerte Wüstenmotel Nichtsdestotrotz ist der Tod seit der vernichtenden Diagnose des Arztes sein dauernder Begleiter. «Die Quintessenz des Stückes ist, dass nicht die Dauer, sondern die Intensität unseres Lebens zählt», sagt der Regisseur, Oliver Stein. Ihm gefällt am Text das Skurrile, die Vermischung von Witz und Tragik. Anne Livia Richard, die künstlerische Leiterin des Theaters Matte, hat ihn aus dem Englischen ins Berndeutsche übersetzt. Während im Original des amerikanischen Autors Michael McKeever der Todgeweihte in einem Motel in der

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Wüste absteigt, ist es hier ein typisch schweizerisches Hotel «am Arsch der Welt», wie es der sonderbare Autostopper (Fredi Stettler) ausdrückt. Peter hat ihn mitgenommen, und nun scheint dieser merkwürdige Gast alles über ihn zu wissen. Schonungslos hält er dem unheilbar Kranken die Banalität seiner Existenz vor Augen, während es die feenhafte Erscheinung (Maud Koch), die plötzlich aus einem Schrank purzelt, gut mit Peter zu meinen scheint. Der Hotelabwart (Beat Moser) wiederum begegnet ihm mit grösstem Misstrauen. Ob Peter schliesslich über seinen Schatten springen kann und trotz seinem nahenden Tod noch einmal das Abenteuer Liebe wagt? Suggestion als Stilmittel Die sechste Figur des Stücks, die von keinem Schauspieler verkörpert wird, ist der Schwiegervater der verwitweten Hotelwirtin, der angeblich in einem Hinterzimmer liegt. Von Zeit zu Zeit

macht er bloss mit einer Klingel auf sich aufmerksam. Suggestion ist ein wichtiges Stilmittel in diesem Stück, bei dem das rustikale Hotel das einzige Bühnenbild bleibt. Es wird auch als Schauplatz von längst Vergangenem und kürzlich Erlebtem aus dem Leben des todkranken Dauergasts genutzt. Die wandelnde Nutzung des Bühnenbilds verlangt den Laienschauspielern einiges ab, auch wenn manche von ihnen schon eine dreissigjährige Bühnenerfahrung mitbringen. Der Fotograf, der gerade ein paar Probebilder schiesst, ist eine zusätzliche Herausforderung für sie. Deshalb rät Regisseur Oliver Stein, sie sollten den Fotografen einfach ignorieren, «genau wie den Tod». Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Theater Matte, Bern Premiere: Sa., 29.10., 20 Uhr Weitere Vorstellungen bis 27.11. www.theatermatte.ch

Ein Ritter der Kammermusik

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Kultur-Casino, Bern. Sa., 29.10., 19.30 Uhr www.bern.meisterzyklus.ch

Bernd Schildger ist der Direktor des Berner Tierparks Dählhölzli. Im Reberhaus Bolligen trifft sich der «Mister Bär» zum Gespräch mit Jörg André (Do., 27.10., 20 Uhr).

1. Nicholas Payton’s «XXX» in Marians Jazzroom Bern (Do., 27.10., 19.30 und 21.30 Uhr; Fr., 28., und Sa., 29.10., 19.30 und 22 Uhr) Weil Körper und Geist untrennbar zusammengehören, eben wie Genuss und Ambiente.

3. Yves Netzhammer im Kunstmuseum Bern (Ausstellung bis 31.12.2014) Weil die Wirklichkeit der Natur in unseren Köpfen entsteht und wir nur schätzen und wahren, was wir selbst für wahr halten.

Roberto Morano

mals mit seinem neuen ‹Principal Conductor› bei uns», so Pfiffner. Der 1997 zum Sir geschlagene Brite Norrington präsentiert ein Programm mit Werken von Bach, Mozart und Strawinsky. Damit werden die drei wichtigen Perioden für die Kammermusik repräsentiert: der Barock, die Klassik und das 20. Jahrhundert. Als Solist tritt der Pianist Sebastian Knauer auf, der unter Norrington bereits mit der Camerata Salzburg brillierte. Annatina Foppa

von Bernd Schildger

2. Orgelkonzert von Daniel Glaus in der Französischen Kirche Bern (Di., 1.11., 20 Uhr) Weil ich hoffe, dass Kantate und Fuge in d-Moll dabei ist und die Kirche wie ein Vulkan erbebt.

Der Berner Meisterzyklus wartet zum Saisonstart mit dem Zürcher Kammerorchester unter der Leitung von Sir Roger Norrington auf: ein wahrlich meisterlicher Auftakt. Er hat Jahrgang 1934, doch in seinem Dirigentenstab schwingt kein Zeichen von Altersmüdigkeit mit. «Sir Roger Norrington ist ein legendärer Dirigent mit einer enorm positiven Strahlkraft, der eine beschwingte Saisoneröffnung garantiert», schwärmt Thomas Pfiffner. Er ist Programmleiter des Meisterzyklus’ Bern. Dieser nichtsubventionierte Kulturanbieter führt jährlich rund sieben Abonnements- und mehrere Extrakonzerte durch und will durch Exklusivität auffallen. Der diesjährige Auftakt ist denn auch eine Berner Premiere. «Das Zürcher Kammerorchester gastiert nämlich erst-

3 Kulturtipps

ZVG

Das Theater Matte bringt Michael McKeevers Stück «Willkommen in deinem Leben» in einer Mundartfassung auf die Bühne. Erzählt wird von einem Sterbenskranken, der erst durch die Liebe erkennt, was wirklich zählt.

Unter dem Wortspiel «Bridge to Britten» stellt die Camerata Bern zwei englische Komponisten ins Zentrum ihres Programms.

Sir Roger Norrington ist der neue «Principal Conductor» des Zürcher Kammerorchesters.

Einen Freund, der nicht gerne ins Museum geht, würde ich in diese Ausstellung locken ... ... mit der Aussicht auf ein «natürliches Erlebnis» und einen Einblick in die «wahre Natur der Natur». Und natürlich würde ich ihn, so er danach ganz anderer Meinung sein sollte, zum Bärenpark führen.


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