Berner kulturagenda 2011 N° 45

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N°45 Donnerstag bis Mittwoch 10. bis 16.11.2011 www.kulturagenda.be

Nadja Stoller bringt ihre Erfahrung aus dem Pariser Strassenmusikleben ans Minifestival der Bernau. Seite 3

Severin Nowacki

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Die heutige Informationsflut macht kommunikationskrank. Das diagnostiziert das Museum für Kommunikation und verspricht Heilung.

Leo (Timo Senff) und Emmi (Sabine Lorenz) haben Angst davor, dass ein Treffen in der realen Welt ihre Vorstellungen voneinander zerstören könnte.

Virtuelles Kreisen um die Realität «Meine Inszenierung will die Gefühlswelt von Emmi Rothner und Leo Leike zeigen», sagt Regisseur Markus Keller und stellt auch gleich klar, dass das Publikum trotz der witzigen Vorlage keine Komödie erwarten darf. Das Stück «Gut gegen Nordwind» beruht auf dem gleichnamigen Bestseller von Daniel Glattauer. Obwohl das Buch aus einem E-Mail-Dialog besteht und sich diese Ausgangslage nicht fürs Theater anbietet, wurde das Stück schon rund 40 Mal inszeniert. Bereits auch in Bern; letztes Jahr war in der Cappella eine Fassung der Theatergruppe Taff zu sehen. Die Bühnenvorlage stammt von Autor Glattauer selber. Für das Theater an der Effingerstrasse hat Keller sie zwar nicht grundlegend verändert, aber stark gestrafft. Er sieht die Inszenierung als

Herausforderung: «Die Leute haben das Buch gelesen und wollen sehen, wie wir es umgesetzt haben», sagt er. Eine existenzielle Liebesgeschichte Emmi möchte ein Abonnement beim Zeitschriftenverlag Like kündigen und vertippt sich beim Schreiben der E-MailAdresse. Deshalb landet ihre Kündigung bei Leo Leike. Aus diesem Missverständnis wächst in der Folge ein reger E-MailWechsel zwischen den beiden. Bald beginnen sie sich ineinander zu verlieben, ohne dass sie sich je begegnet sind. «Gut gegen Nordwind» ist eine Liebesgeschichte, die für die Protagonisten existenziell ist. «Die beiden brennen vor Liebe, nur ist kein reales Gegenüber da», meint Keller. Er ist davon überzeugt, dass man diese Situation als Regisseur

ernst nehmen muss. Mit Sabine Lorenz konnte Keller ein ehemaliges langjähriges Ensemblemitglied (damals noch unter dem Namen Sabine Krappweiss) für die Rolle der Emmi gewinnen. Timo Senff, der Leo verkörpert, ist zum ersten Mal im Theater an der Effingerstrasse zu sehen. «Das Stück hat viel Potenzial», davon ist auch Bühnenbildnerin Anna Bucher überzeugt. Sie entwirft mit «Gut gegen Nordwind» zum ersten Mal für das Theater an der Effingerstrasse ein Bühnenbild. Bucher, die vorher drei Jahre lang beim Stadttheater Bern als Bühnenbildassistentin tätig war, verzichtet auf die klassische Raumtrennung, wie sie für viele andere Inszenierungen des Stücks kennzeichnend ist. Sie lässt Emmi und Leo in einer transparenten Welt agieren, die von der Realität abgekapselt scheint. Auf der Bühne, die von lichtdurchlässigen Wänden umgeben ist, stehen ein langer Quader und einige Stühle. Die Trennung von Emmi und

Leo ist keine räumliche, sondern passiert durch das Schauspiel. Angst vor der realen Begegnung Die transparente Raumhülle ist symbolisch für die Ausgangslage der Liebesgeschichte, die aus dem Alltag gegriffen ist. In einer Welt, in der sich OnlineDating längst zu einem probaten Mittel bei der Suche nach der grossen Liebe gemausert hat, stellt sich aber die Frage nach der Differenz zwischen der Vorstellung eines Gegenübers und dessen Realität: «Emmis und Leos Angst, ein rales Treffen könnte alles zerstören, ist zentral», meint Keller. Die beiden geraten immer stärker in einen schwindelerregenden Strudel der Gefühle. Nelly Jaggi \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Das Theater an der Effingerstrasse, Bern Do., 10., bis Sa., 12., und Mo., 14., bis Mi., 16.11., 20 Uhr Weitere Vorstellungen bis 1.12. www.dastheater-effingerstr.ch

Treue Zeugen einer vergangenen Ära In strengen Linien und Diagonalen, feierlich-pathetisch und ohne je den roten Farbtupfer zu vergessen, eröffnen sich in den kleinen Flächen von 148 × 101 Millimetern Szenen aus dem sowjetischen Arbeitsleben sowie Sujets aus Erziehung, Sport und Geschichte. Im Mittelpunkt der Bilder stehen die Union liebende stramme Frauen, Männer und Kinder oder Massen von Menschen, oft dargestellt im Profil und in einer leichten Untersicht. Zum Versand in alle Welt bestimmt, waren diese Ansichtskarten Teil des riesigen Propaganda-Apparates der Kommunistischen Partei der UdSSR. De-

ren Zentralkomitee verordnete bereits 1932 den sozialistischen Realismus als künstlerisch-stilistische Richtlinie sowohl für die Werke der bildenden Kunst als auch für die Literatur- und Musikproduktion im gesamten sozialistischen System. An der Vernissage bezeichnete die Basler Historikerin Julia Richers diese Strategie als «Visuelle Soll-WertSetzung staatlich verordneter Verführungskunst». Unter den Exponaten finden sich aber nicht nur ernste Motive, sondern auch wunderbare Beispiele für die politische Karikatur oder Abwandlungen der berühmten traditionellen Palech-Ma-

lereien. Dass die kleinformatigen Alltagsgegenstände gleich in 1500-facher Ausführung zu sehen sind, ist Ulrich Gribi, einem passionierten Sammler aus Büren an der Aare, zu verdanken. Für die Ausstellung im Kornhausforum hat er die kaum überschaubare Menge an Karten thematisch gruppiert und bringt sie so einem grösseren Publikum verständlich näher.

Die Thurgauerin Sarah Hugentobler absolvierte die Hochschule der Künste in Bern und ist Trägerin des eidgenössischen Kunstpreises 2010. Im Ausstellungsraum 9a am Stauffacherplatz in Bern wird ihre Videoarbeit «Chor» gezeigt, die vom Trottoir aus sicht- und hörbar ist (12. bis 26.11., ausser So. täglich von 17 bis 20 Uhr).

2. Berlinde De Bruyckere im Kunstmuseum Bern (Ausstellung bis 12.2.) «Mysterium Leib» ist sicherlich eine aufwühlende Ausstellung, der ich mich aber gerne aussetzen möchte. 3. «101 Reykjavik» in der Cinématte in Bern (Do., 10.11., 21 Uhr) Diesen Film schaue ich immer wieder gerne: Gute Musik, schwarzer Humor und skurrile Figuren.

Christine A. Bloch \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Galerie im Kornhausforum, Bern Ausstellung bis 17.12. Mo., 5.12., 19 Uhr: Vortrag von Dr. Eva Maurer, Universitätsbibliothek Bern: Postkarten aus den Ferien: Sowjetische Landschaften als Erholungsräume, 1920–1960 www.kornhausforum.ch

von Sarah Hugentobler

1. Pablopolar im Bierhübeli in Bern (Sa., 12.11., 20.30 Uhr) Weil ich die süss-melancholischen Melodien der Band und ihren Schlagzeuger mag.

ZVG

1500 Postkarten schmücken die Wände und Räume der Galerie im Kornhausforum und geben Einsichten in Geschichte und Alltag der ehemaligen Sowjetunion. Möglich macht dies der passionierte Sammler Ulrich Gribi.

3 Kulturtipps

ZVG

Markus Keller bringt im Theater an der Effingerstrasse Daniel Glattauers Roman «Gut gegen Nordwind» auf die Bühne. Die Liebesgeschichte handelt von realen Ängsten in der virtuellen Welt.

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Sowjetische Bildwelten in Postkartenformat.

Ich würde einem Freund, der die Kombination von Essen und anschliessendem Kinobesuch nur im Westside kennt, vorschwärmen, ... ... wie gut das Essen, wie nah die Aare und wie ausgewählt das Kinoprogramm in der Cinématte ist.


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