Berner kulturagenda 2011 N° 50

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N°50 Donnerstag bis Mittwoch 15. bis 21.12.2011 www.kulturagenda.be

Das Berner Kammerorchester sucht den Brückenschlag von klassischer zu orientalischer Musik. Seite 3

Ursula Meisser

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Im Theater Matte geraten «Ox und Esel» aneinander, weil das Jesuskind in der Krippe beim Fressen stört.

In seinem neuen Stück, «Big Bang», pflegt Lorenz Keiser die Beteiligung des Publikums genauso wie dessen Verwirrung.

Das neue Programm von Lorenz Keiser heisst «Big Bang» und handelt «von allem». Sagt der Kabarettist selbst. Im Theater am Käfigturm rollt Keiser nämlich die Geschichte der Erde auf. Das physikalische Gesetz der Entropie besagt, sehr vereinfacht, dass in einem geschlossenen System alles in schönster Ordnung beginnt und in grösstmöglicher Unordnung endet. Anders gesagt: Vor dem Urknall war das ganze Universum auf einen winzig kleinen Punkt konzentriert, seit dem Urknall breitet sich das Chaos mit immer grösserer Geschwindigkeit aus. Nur einen kleinen Anteil am sich ausbreitenden Chaos hat der Mensch. Weil wir uns am nächsten sind, spüren wir den aber am deutlichsten. Ein Kabarettist wie Lorenz Keiser, dieser Spürhund im Dienst der Logik, bestreitet sogar seinen Lebensunterhalt damit, die unlogischen Zusammenhänge unseres Tuns blosszustellen. Ganz besonders im neuen Programm, «Big Bang».

«Während ich am Programm arbeitete, hatte ich einfach Lust zu fragen: Weshalb ist etwas so und woher kommt das?», erzählt Keiser im Gespräch. «Da kommt man schnell auf die lustigsten Zusammenhänge.» Und scheinbar auch vom Kleinen ins Grosse. «Big Bang» ist nämlich nicht weniger als die Geschichte der Erde vom Urknall bis ins Jahr 3000, «ein streng unchronologischer Abriss», wie der Zürcher warnt. Lust an Publikumsbeteiligung Dabei geht Keiser mit der Zeit, formal wie inhaltlich. Die Kunst der Publikumsbeteiligung, die im Kabarett des englischen Sprachraums schon lange gepflegt wird, erobert je länger, je mehr das satirische Bühnenschaffen im deutschen Sprachraum. Auch Keiser sagt, er

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habe diese live improvisierenden Kabarettisten immer bewundert. Nach und nach, mit jedem Programm ein wenig mehr, wagte er sich selbst an Abschnitte ohne festen Text. «Ich habe früher viel mehr das Gefühl gehabt, ich könne nicht improvisieren. Inzwischen habe ich eine gewisse Lust am direkten Kontakt mit dem Publikum entwickelt.» In «Big Bang» richte er schon in der ersten Minute eine Frage ans Publikum. Im Sog des Zwielichts Inhaltlich hingegen stellt sich das Problem, dass die Fronten heute oft unklar verlaufen. Er habe zwar nicht den Eindruck, seit dem Mauerfall sei es schwieriger geworden, Kabarett zu machen. «Es erfordert mehr Beweglichkeit und es gibt auch Angriffsziele auf der politisch linken Seite», sagt Keiser. Hinterfrage man das jeweils behauptete Allgemeininteresse, stelle man oft fest, dass es sich mit seinen persönlichen Interessen nicht decke. Das mache er

zum Thema und damit «können sich erfahrungsgemäss eine gewisse Anzahl Leute identifizieren.» Als eine Art Sisyphos der Satire stemmte sich Keiser früher mit aller Macht und grossem Rechercheaufwand gegen die entropischen Kräfte der Unlogik. Sein Kabarett war eine Art angewandter Politjournalismus. Heute habe er «mehr als einen Teil, bei dem die Leute wirklich verunsichert sind, weil man nicht genau weiss, gegen wen der Angriff geht. Dieses Zwielicht finde ich je länger, je interessanter, weil es unsere Gesellschaft abbildet.» Den Gesetzen der Physik kann sich der Mensch halt nicht entziehen, oder, um es in den Worten Keisers zu sagen: «Am Ende weiss man alles nicht.»

Silvano Cerutti

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Theater am Käfigturm, Bern Fr., 16., und Sa., 17.12., 20 Uhr www.theater-am-kaefigturm.ch

Seinen letzten Auftritt des Jahres widmet das Swiss Jazz Orchestra den legendären Melodien aus dem Film «The Wizard of Oz» und anderen musikalischen Kinoperlen.

Die Tänzerin und Choreografin Anna Huber zeigt mit dem Klavierduo Huber/Thomet in der Dampfzentrale ihr Stück «tasten», für das sie im Rahmen von Tanz in Bern 2010 den Schweizer Tanz- und Choreografiepreis erhalten hat (Fr., 16., und Sa., 17.12., 20 Uhr, So., 18.12., 19 Uhr).

2. «Awkward Human» von und mit Phil Hayes (Schlachthaus, Fr., 16., und Sa., 17.12.) Weil lustvolles und gekonntes Scheitern menschlicher und komischer ist als gelungene Perfektion.

Swing-Manier. Phil Wilson, PosaunenLehrer am renommierten Berklee College in Boston, hat die Filmmusik für Big Bands arrangiert. Unter der musikalischen Leitung seines ehemaligen Schülers Stefan Schlegel führen die 21 Musiker des SJO die gesamte Suite auf. Danach folgen weitere Filmlieder – unter anderem von Grössen wie Duke Ellington –, die in Erinnerung rufen, dass viele legendäre Jazzmelodien aus Filmen oder Musicals stammen. Annatina Foppa

Reto Andreoli

3. «Drei Nüsse für Aschenbrödel» (Kino Kunstmuseum, Sa., 17.12.) Ein klassisches Märchen, das auf poetische Weise die Hoffnung nach Erfüllung geheimer Träume wachhält.

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Bierhübeli, Bern. Mo., 19.12., 20 Uhr www.swissjazzorchestra.com

von Anna Huber

1. «Mysterium Leib» im Kunstmuseum (Ausstellung bis 12.2.) Berlinde De Bruyckeres untersucht Verletzlichkeit, Grenzen, Wandlungsfähigkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Körpers auf berührende und irritierende Weise.

Zauberhafte Filmmusik «Some ...», dann der Oktavensprung, «... where over the Rainbow», und schon ist man von den Klängen eingelullt. Das Lied von E. Y. Harburg und Harold Arlen ist etwa so bekannt wie die Geschichte, zu der sie es schrieben: «The Wizard of Oz», der Zauberer von Oz, in dem ein Waisenkind in ein magisches Land mit Blechmännern und feigen Löwen gewirbelt wird. Die junge Judy Garland interpretierte das Lied in der Verfilmung von 1939 als Erste; seither haben es etliche Musiker adaptiert. Das Swiss Jazz Orchestra (SJO) spielt an seinem letzten Montagskonzert des Jahres die Stücke des «Wizard of Oz» in

3 Kulturtipps

Bettina Stöss

Die Physik der Satire

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Auch eine Art Blechmänner: die Blasmusiker des Swiss Jazz Orchestra.

Als inspirierende Alternative, dem Adventsrummel zu entfliehen, empfehle ich … … einen Besuch im Kunstmuseum Bern, um Sinne, Wahrnehmung und frische Gedankengänge anzuregen.


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