Berner kulturagenda 2011 N° 52

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N°52/1 Donnerstag bis Mittwoch 29.12.2011 bis 11.1.2012 www.kulturagenda.be

DOPPELNUMMER 2 Wochen Kultur

In der Silvesternacht lockt ein reichhaltiges Angebot an Veranstaltungen. Die Übersicht. Seite 3

Annette Boutellier

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Der Jahresrückblick: Was war toll, was hat enttäuscht, was wünschen sich Exponentinnen und Exponenten des Berner Kulturlebens?

Die öffentliche Meinung (Claude Eichenberger) zwingt Orpheus (Andries Cloete), um seine Eurydike zu kämpfen. Dumm nur, dass die Ehefrau ihn so sehr langweilt wie er sie.

Laura Scozzi inszeniert fürs Stadttheater Bern die Operette «Orpheus in der Unterwelt» von Jacques Offenbach. Die Protagonisten agieren in einem modernen Wohnhaus zwischen Hölle und Olymp. Laura Scozzi hetzt von der grossen Bühne ins Foyer. Ihr Schal hängt fast bis zum Boden. «Regnet es hier eigentlich immer?», fragt sie gespielt besorgt und schaut aus dem Fenster. Die Choreografin und Regisseurin hält sich erstmals in Bern auf. Die 1964 in Mailand geborene und in Avignon lebende Künstlerin studierte an der Accademia d’Arte Drammatica in Rom und der Ecole du Mimodrame Marcel Marceau in Paris. Ihre erste Leidenschaft gilt jedoch dem Tanz. Bekannt wurde sie durch die gemeinsamen Opern-Produktionen mit dem Regisseur Laurent Pelly, bei denen sie für die Choreografie zuständig war. Dass sie von der Bewegung ausgehe, das merke man selbst dann, wenn sie wie für «Orpheus in der Unterwelt» als Regisseurin agiere. «Körper und At-

mung sind für mich ganz wichtige Elemente bei der Gestaltung eines Charakters», sagt Scozzi. Konzeptionelle Fragen stelle sie sich hingegen kaum. Teuflischer Galopp Ein allzu verkopfter Ansatz würde wohl auch nicht zu Jaques Offenbachs Operette passen, die 1858 in Paris uraufgeführt wurde. Die Opéra-bouffon verspricht viel Witz, Chaos und weltberühmte Musikpassagen wie etwa den sogenannten Höllen-Cancan, auch bekannt als «Galop infernal». Götter und Menschen treiben es bunt. In zwei Akten wird vom mittelmässigen Musiker Orpheus (Andries Cloete) und seiner Frau Eurydike (Anne-Florence Marbot) erzählt. Die beiden betrügen sich gegenseitig aus purer Langeweile.

Schliesslich wird Eurydike von ihrem Geliebten Pluto (Matthias Grätzel) in die Hölle entführt. Orpheus ist zuerst froh, sie los zu sein. Doch die personifizierte öffentliche Meinung (Claude Eichenberger) verlangt, dass er seine Frau zurückfordert. Er steigt hinauf in den Olymp zu den Göttern, wo ebenfalls Überdruss und Untreue den Alltag bestimmen. Der zweite Akt spielt schliesslich im Höllenreich. Über Glück oder Unglück entscheidet am Ende ein von Jupiter (Doppelbesetzung mit Armand Arapian, Robin Adams) geschleuderter Pfeil. Der Olymp als Altersheim Offenbach nahm den Kult um die Antike, der damals in der besseren Gesellschaft grassierte, gehörig auf die Schippe. Gleichzeitig karikierte er die Doppelmoral der Herrschenden. Napoléon III. soll sich gar in der Figur des liebestollen Jupiters erkannt haben. Laura Scozzi führt die Geschichte ins Hier

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und Jetzt. Die Bühne (Juliette Blondelle) besteht bei ihr aus einem dreistöckigen modernen Haus. In der Mitte ist die weltliche Sphäre zu Hause inklusive eines rosaroten Coiffeursalons, in dem Eurydike arbeitet. Im oberen Stock wohnen die Götter. «Sie sind frustriert, weil sie an Wichtigkeit verloren haben und längst niemand mehr ‹zum Jupiter› sagt», erklärt Scozzi. «Mein Olymp ist eine Art Altersheim, in dem sich die Götter gegenseitig anöden.» Am lustigsten geht es natürlich in der Unterwelt zu und her, in die man mit einem Lift gelangt, der alle drei Stockwerke verbindet – und wo die Ehe von Eurydike und Orpheus schliesslich wortwörtlich zur Hölle fährt. Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Stadttheater Bern Premiere: Do., 29.12., 19.30 Uhr Weitere Vorstellungen bis 22.4. www.stadttheaterbern.ch

Der begnadete Berner Electro-Produzent Dimlite findet mit seiner Musik über die Landesgrenzen hinaus Verehrer. Mit dem ebenso innovativen Schlagzeuger Julian Sartorius präsentiert er bei Bee-flat seine neue Platte.

Jamie Wong-Li ist Sängerin, Texterin und Bildredaktorin. Zum Jahresabschluss singt sich die chinesischstämmige Bernerin in Begleitung von DJ Mastra im Kapitel noch schnell die Kehle aus dem Leib. (Kapitel, Bern. So., 1.1., 0.30 Uhr)

2. Martin R. Dean & John Wolf Brennan: Lesung und Piano im Ono (Mi., 4.1., 20 Uhr ) Ich mag es, wenn man mir vorliest und vorspielt. Sie etwa nicht?

Bei der Plattentaufe im Progr kann Dimlite auf die Dienste eines Verwandten in Geist und Rhythmus zählen. Der Thuner Schlagzeuger Julian Sartorius hat sich nach seinem Abgang aus der Band von Sophie Hunger auf kleinere musikalische Projekte spezialisiert. Er geht vom Jazz aus und kennt sowohl die groovige Seite wie auch das klangliche Experiment jenseits von Taktmass und herkömmlichen Instrumenten. Das Zusammentreffen der beiden verspricht ein Feuerwerk zum Jahresbeginn. mfe

Matthias Günter

3. «Drei Nüsse für Aschenbrödel» im Kino Kunstmuseum (Mo., 2.1., 16.30 Uhr) Diesen tschechisch-ostdeutschen Klassiker sollte man (vor allem aber frau) sich von Zeit zu Zeit wieder zu Gemüte führen – einfach so.

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Turnhalle im Progr, Bern. Mi., 4.1., 20.30 Uhr www.bee-flat.ch

von Jamie Wong-Li

1. Sternstunde-Konzerte in der Kirche Oberbalm (So., 1.1., 17 Uhr) Klassische Musik trägt zum inneren Frieden bei. Ebenso das Land. Besonders dieses 888-Seelen-Dorf in der voralpinen Hügelregion zwischen Bern und Schwarzenburg.

Treffen der Tüftler «Grimm Reality» ist eine Märchenwelt. Das neue Album von Dimlite pendelt zwischen mitreissendem Groove und Abstraktion. Elektro und PsychedelicRock finden sich neben Widertaktigem in den Instrumentalstücken. Hinter dem Pseudonym Dimlite steckt der 31-jährige Berner Computermusiker Dimitri Grimm. Mit seiner ebenso ausufernden wie vielgestaltigen Musik hat er sich über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Kürzlich listete die W.a.s.t.e.-Central, der Musikexpertisen-Blog der englischen Band Radiohead, «Kitty Cradle Fog» von Dimlite als einen der besten Songs des Monats auf.

3 Kulturtipps

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Wenn die Ehe zur Hölle fährt

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Dimlite in seinem Land der eigenen musikalischen Gesetzmässigkeiten.

Meinen Vater würde ich zum AschenbrödelFilm überreden, … … weil wir damit das Kino Kunstmuseum unterstützen, das dafür sorgt, dass die wahren Werte der Filmkultur nicht untergehen.


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