Berner kulturagenda 2013 N° 48

Page 1

N°48 Donnerstag bis Mittwoch 28.11. bis 4.12.2013 www.kulturagenda.be

DIE BERNER KULTURAGENDA SAGT DIR, WOS L ANGGEHT, WENNS AUSGEHT!

Macht Unmögliches möglich: Mario Venzago lässt Schuberts «Unvollendete» komplett erklingen. Seite 3

Collection F. Guiter

\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Germaine Richier mit dem Gipsmodell ihrer Riesenskulptur «La Sauterelle», die Heuschrecke, von 1955/56.

Dekonstruierte Weiblichkeit Ameise, Frau oder Spinne? Steht man vor Germaine Richiers Bronzeskulptur «La Fourmi» von 1953, kann man diese Frage nicht abschliessend beantworten. Obwohl im Werktitel als Ameise bezeichnet, trägt das sitzende Wesen mit den langen Beinen und den ausgezehrten Armen durchaus auch Züge einer Menschenfrau. Oder wer hat schon einmal eine Ameise mit Brüsten gesehen? Merkwürdig ist zudem das Liniennetz, das die Figur mit ihren Extremitäten aufspannt. Der Sturm im Innern Im Mittelpunkt von Germaine Richiers Schaffen steht die weibliche Figur und deren Verwachsung mit der Natur. Die Künstlerin lernte bei Emile-Antoine Bourdelle, einem Schüler von Auguste

Rodin. Zeitlebens blieb sie der figürlichen Plastik treu, unterlief diese aber immer wieder auf raffinierte Art und Weise. Eine am Boden kauernde Frau etwa präsentiert sie nackt und nennt sie «Le Crapaud» – die Kröte (1940). Ebenso beeindruckend ist auch ihre lebensgrosse Sturmfrau, «L’Ouragane» (1949). Diese zeigt Richier nicht als anmutiges Wesen nach Rodin’scher Manier, sondern als Frau, die in ihrer Körperlichkeit eher an die prähistorische Venus von Willendorf erinnert. Sie ist dem Sturm nicht äusserlich ausgesetzt, dieser scheint vielmehr in ihrem Innern zu toben. Ausnahmekünstlerin «Mein Werk ist eigentlich surreal» – so äusserte sich Germaine Richier einmal zu ihrem Schaffen. Obwohl es in ihren

Arbeiten durchaus Anleihen an die von Max Ernst und André Breton ins Leben gerufene Kunstbewegung gibt, gilt die Französin nicht als typische Vertreterin des Surrealismus. «Richier entzieht sich einer Einordnung in die herkömmlichen Stilrichtungen des 20. Jahrhunderts», erklärt Daniel Spanke. Seit Oktober ist der 46-jährige promovierte Kunsthistoriker Kurator am Kunstmuseum, «Germaine Richier. Retrospektive» ist seine erste Berner Ausstellung. Zwar besitzen alle grossen Kunsthäuser der Welt mindestens ein Werk der französischen Bildhauerin, monografische Retrospektiven gab es bis jetzt aber nur zwei. Diesem Umstand wollte Kunstmuseumsdirektor Matthias Frehner entgegenwirken und wandte sich mit der Idee einer Germaine-Richier-Retrospektive an Spanke. «Ich war sofort begeistert, denn Richier war seit Langem mein persönlicher Geheimtipp.» Dass das Werk der Künstlerin nun in Bern

Seite 12 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

gezeigt wird, freut den neuen Kurator auch, weil diese während des Zweiten Weltkrieges mit ihrem Mann, dem Schweizer Bildhauer Otto Charles Bänninger, in Zürich lebte. Unverhoffte künstlerische Dialoge Innerhalb weniger Wochen organisierte Spanke die erste Germaine-Richier-Retrospektive der Schweiz. Im Kunstmuseum liess er dafür Wände herausreissen, Durchgänge erweitern und neue Sockel fertigen. «Richiers Plastiken brauchen Luft und Platz», so seine Begründung. In 7 Räumen sind nun rund 85 Arbeiten der Künstlerin zu sehen. Zwischen diesen hat Spanke Gemälde von Richiers Zeitgenossen eingestreut, die stilistische und inhaltliche Verbindungen aufzeigen. Christine A. Bloch \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Kunstmuseum Bern Vernissage: Do., 29.11., 18.30 Uhr Ausstellung bis 6.4. www.kunstmuseumbern.ch

Der norwegische Saxofonist Jan Garbarek ist berühmt für seine musikalischen Experimente mit anderen Künstlern. Am Montag spielt er mit seiner Band und dem indischen Perkussionsmeister Trilok Gurtu im Kulturcasino.

In seinem Dokumentarfilm «Altstadtlüt» hat Regisseur Alberto Veronese verschiedene Seniorinnen und Senioren porträtiert, die seit eh und je in der Berner Altstadt wohnen. Indra Spuler ist Teil des Brunngasse-26-Produktionteams und wird auch das «Altstadtfräulein» genannt. (Kellerkino, Bern. So., 1.12., 20.30 Uhr, und Mo., 2.12., 16.30 Uhr)

2. Lenny White and Friends im Marians Jazzroom, Bern (Mi., 27., bis Sa., 30.11., 19.30 Uhr) Der Drummer brachte sich das Spielen selbst bei, arbeitete schon in den 60ern mit Miles Davis und sagt von sich: «When I play live ... anything can happen and usually does.»

beherrscht verschiedene Perkussionsinstrumente, und ebenso geschickt setzt er seine Stimme ein. Beide Künstler haben sich neben der Musik ihrer jeweiligen Heimat und dem Jazz auch anderen Stilrichtungen veschrieben. Seit über dreissig Jahren kreuzen sich ihre Wege zudem immer wieder in verschiedenen Weltmusikprojekten.

3. Perido Gerber und Angelo Lochmatter, Künstlerhaus, Bern (Ausstellung bis 8.12.) Zwei äusserst vielfältige Künstler aus dem Breitsch zeigen ihre neuen Werke in der Altstadt.

cab

ZVG

\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Kulturcasino, Bern. Mo., 2.12., 20 Uhr www.bejazz.ch g un 2 ×2 Tickets zu gewinnen: los r e V tickets@kulturagenda.be

von Indra Spuler

1. «Die Physiker» im Theater an der Effingerstrasse, Bern (Vorstellungen bis 6.12.) Dieser brillanten Theaterklassiker spiegelt den Menschen als kluges, aber groteskes Wesen mit abstrusen Denk- und Handlungsweisen.

Norwegisch-indisches Wechselspiel

Bei seinem letzten Besuch in Bern vor zwei Jahren erfüllte Jan Garbarek zusammen mit dem Hilliard Ensemble die Heiliggeistkirche mit mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Klängen. Sein Saxofon nahm dabei die Rolle der fünften Stimme neben dem vierköpfigen britischen Vokalensemble ein. Am Montag nun entführt Garbarek in die Gefilde der Weltmusik. Der Norweger, der neben Sopran-, Tenor- und Basssaxofon auch Klarinette und Flöte spielt, begegnet dabei seinem langjährigen Freund, dem Inder Trilok Gurtu. Genau wie Garbarek ist auch der Tablaspieler ein Multiinstrumentalist: Er

3 Kulturtipps

ZVG

Germaine Richier (1902–1959) war eine der herausragenden Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts. Das Kunstmuseum Bern widmet ihr nun die erste Retrospektive in der Schweiz. Daniel Spanke hat die Schau kuratiert.

Regisseur Simon Baumann verrät im Gespräch, wie er für den Film «Zum Beispiel Suberg» sein Dorf neu kennengelernt hat.

Klangvirtuose mit Weitsicht: der Saxofonist und Komponist Jan Garbarek.

Büromenschen würde ich zum Besuch der Skulpturen- und Bilderausstellung raten, … … damit sie sehen, dass harte Arbeit auch sinnvoll sein kann.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.