N°26 Donnerstag bis Mittwoch 26.6. bis 2.7.2014 www.kulturagenda.be
DIE BERNER KULTURAGENDA SAGT DIR, WOS L ANGGEHT, WENNS AUSGEHT!
Wunderknabe am Klavier: Der britische Pianist Benjamin Grosvenor spielt im Zentrum Paul Klee. Seite 6
z-arts.ch
\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Der Sans-Papier Jamal (Tarig Abdalla, vorne) weckt bei Evelines Mutter Rita (Annemarie Morgenegg) ungeahnte Ängste.
Der Schrebergarten als Paradebeispiel für mustergültige Integration? In Livia Anne Richards Freilichtstück «Paradies» auf dem Gurten sorgen ein Grill und ein Sans-Papier für ungeahnte Konflikte. «Isch eso, weil isch eso.» Im MultikultiFahnenmeer des Schrebergartens Friedmoos herrschen strenge Regeln, darauf legt Präsident Giovanni (Sergio-Maurice Vaglio) Wert. Sie gelten für alle und weil Ausnahmen Regeln bestätigen, geraten sich die gärtnernden Schweizer, Serben, Türken und Österreicher mit zuverlässiger Regelmässigkeit in die Haare. Der Mikrokosmos Schrebergarten hat es Regisseurin Livia Anne Richard angetan: «Auf den ersten Blick herrscht Gleichberechtigung. Wenn man näher heranzoomt, gehen die Weltkonflikte im Kleinen weiter.» Inspiration für das Freilichttheaterstück «Paradies», das auf dem Gurten gespielt wird, fand Richard in Mano Khalils preisgekröntem Dokumentarfilm «Unser Garten Eden – Geschichten aus
dem Schrebergarten» (2010). «Ich hatte sofort das Gefühl, dass man daraus ein Theaterstück machen kann», sagt die Regisseurin. «Theater ist per se verdichtetes Leben. Ein Schrebergarten ist geografisch gesehen verdichtetes Leben.» Die Liebe als roter Faden Und so ist der Familiengarten Friedmoos auf der Gurtenbühne ein veritables Abbild der Gesellschaft. Da stört sich die Engländerin Abigail (Beatrix Castellote) an der «Schmüserei der schwülen Männer» auf der Nachbarparzelle und der neue Gemeinschaftsgrill erfüllt längst nicht alle Anforderungen. «Isch voll Schissgrill», proklamiert der Serbe Dragan (André Ilg), als er merkt, dass darauf kein ganzes Spanferkel Platz findet. Die Türken befürchten, dass ihr
Lamm das Schwein berühren könnte und die Schweizer sehen daneben keinen Platz mehr für ihre Würste. Sans-Papier im Schrebergarten Inmitten dieser witzigen und bisweilen absurden Szenen spielt sich eine Liebesgeschichte ab. Eveline (Corinne Thalmann) stellt dem Sans-Papier Jamal (Tarig Abdalla) das elterliche Gartenhäuschen als temporären Schlafplatz zur Verfügung. Die beiden verlieben sich. Während der strenge Giovanni den heimlichen Bewohner toleriert, weckt Jamal bei Evelines Mutter Rita (Annemarie Morgenegg) Ängste. Die linke Politikerin lobt zwar fleissig die integrativen Qualitäten des Schrebergartens, fürchtet jedoch, dass sich ihre Tochter durch Jamal «freiwillig zurück ins Mittelalter katapultieren lässt». Als schliesslich eine Schildkröte verschwindet, ist in Jamal rasch der Schuldige gefunden, denn «die essen komische Sachen».
Jamals Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. «In Berlin hat sich ein Sans-Papier ein halbes Jahr lang in einem Schrebergartenhäuschen versteckt», erklärt Richard. Als der Sudanese Tarig Abdalla, der bereits in mehreren Theaterprojekten mitgewirkt hat, Interesse an Richards Stück bekundete, schrieb sie ihm die Rolle auf den Leib. Für die Musik zeichnet Christian Brantschen verantwortlich. Der Musiker (u. a. Patent Ochsner) hat zwar bereits früher Theatermusik gemacht, auf dem Gurten steht er jetzt zum ersten Mal live auf der Theaterbühne. Mit seinen Akkordeonklängen gelingt es ihm, die verschiedenen Stimmungen und Nationen wunderbar zu erfassen. Nelly Jaggi \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Gurten, Wabern Premiere: Fr., 27.6., 20.30 Uhr Vorstellungen bis 21.8. www.theatergurten.ch Wir verlosen 2 x 2 Tickets für die Vorpremiere vom Do., 26.6.; tickets@kulturagenda.be
Die Sommerakademie fand dieses Jahr zum Thema «Literatur und Religion» statt. Den Abschluss bildet der öffentliche Vortrag «Nietzsches Regenschirm» von Thomas Hürlimann in der Nationalbibliothek.
Der Künstler Konrad Gruber ist Mitglied des Vereins «Sattelkammer». An der Zähringerstrasse in der Länggasse sind eine Ateliergemeinschaft und ein öffentlicher Kulturort entstanden (Ausstellungsvernissage von Ramon Trachsel, Philipp Strahm und Martin Schupp: Do., 26.6., 17 Uhr).
3. «Riesenkristalle. Der Schatz vom Planggenstock» im Naturhistorischen Museum, Bern (Dauerausstellung) Die realen Objekte aus der «Schatzkammer» des Berges zu betrachten, stelle ich mir eindrücklich vor.
ZVG
Franziska Burger Schweizerische Nationalbibliothek, Bern Do., 26.6., 18 Uhr www.nb.admin.ch
von Konrad Gruber
2. «Tony Weiss & Folgejunge. Kleingeister & Grossstadtgespenster» in der Galerie Talwegeins, Bern (Ausstellung bis Sa., 28.6.) Kleingeister und Grossstadtgespenster sind in der Kunst allgegenwärtig.
warum Nietzsche seinen Regenschirm verloren hat, und ob der Verlust des Regenschirmes in direktem Zusammenhang mit dem Verlust seines Verstandes steht. Hürlimann geht auf eine Gedankenreise rund um das Thema Regenschirm, Schutz und dessen Verlust und beweist, dass am Anfang grosser Erkenntnisse meist kleine Dinge stehen.
\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
3 Kulturtipps
1. «Feuer und Flamme» im Kino Kunstmuseum, Bern (Vorstellungen bis So., 29.6.) Als Künstler kommen einem oft die verrücktesten Ideen. Die Kunstgiesserei St. Gallen hilft, die utopischsten Visionen in Tat bzw. in Skulpturen umzusetzen.
Der philosophische Regenschirm
Der in Berlin lebende Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann hält den Abschlussvortrag der Sommerakademie. Die Sommerakademie, mit Seminaren und Vorträgen, wird vom Schweizerischen Literaturarchiv und dem Centre Dürrenmatt Neuchâtel organisiert und hatte dieses Jahr «Literatur und Religion» zum Thema. Hürlimann fand Inspiration in einer Aufzeichnung von Friedrich Nietzsche, in der der deutsche Philosoph den Verlust seines Regenschirmes festhält. Dieser eigenartige Satz, der scheinbar völlig zusammenhangslos in der Aufzeichnung steht, lässt spekulieren, wo und
Seite 12 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
ZVG
Im Multikulti-Fahnenmeer
ng
osu
l Ver
Gelebte Utopie: Eine Ausstellung im Kornhausforum beleuchtet den alternativen Lebensentwurf der Kooperative Longo maï.
Geht mit Nietzsches Regenschirm auf Gedankenreise: Der Autor Thomas Hürlimann.
Meinen Freundeskreis würde ich überreden mit mir die Kristalle anzuschauen, ... ... um vorgängig das kristalline Wissen zu erweitern und danach in meinem Atelier im Progr an den Kunstobjekten abzugleichen.