N°29 Donnerstag bis Mittwoch 17. bis 23.7.2014 www.kulturagenda.be
DIE BERNER KULTURAGENDA SAGT DIR, WOS L ANGGEHT, WENNS AUSGEHT!
Man muss die Badi nicht verlassen, um in ferne Länder zu reisen: Das Marzili-Movie geht nach Australien. Seite 3
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Hat sich majestätisch neu erfunden: Simon Hari alias King Pepe.
Der Aufschneider
Zurück aus der Wellness-Zone: Conor Oberst. g
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Der Schwerenöter
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Sprühender Sprachwitz, melancholische Miniaturen und eine grössenwahnsinnige Kunstfigur: King Pepe ist ein verlegener Charmeur mit Stil. Am Freitag spielt er mit Le Rex am Gartenfestival.
Gedichte in Liedform, gequälte Seele, berührende Stimme: Conor Oberst zerstörte sich mit seiner Band Bright Eyes fast selbst. Am Donnerstag spielt er mit neuem Solo-Album im Gepäck auf dem Gurten.
Eine Audienz bei King Pepe muss man sich in etwa so vorstellen: Die Krone stammt höchstens von einem Dreikönigskuchen, eine dickliche Katze schleicht ihm selbstgefällig um die Beine, in einem «Chörbli» stehen ein paar «Chirschi» zum Verzehr bereit und auf dem Grammophon dreht eine knisternde Schellack-Platte. Simon Hari nannte sich früher Senior Pepe, schrieb über die Frauen, die ihn mit ihren Schneckentänzen «Blöd im Chopf» machten und wünschte sich frische Socken für Jesus. Später träumte er als grössenwahnsinniger, selbst ernannter King Pepe von einer Anhängerschaft, die grösser ist, als die von Roger Federer und Brad Pitt zusammen – und hatte tatsächlich bald einmal zumindest halb Bern in der Tasche.
Mit 34 Jahren hat er schon einiges auf dem Buckel. «Der neue Bob Dylan» und «Wunderkind» sind nur einige der Etiketten, mit denen Conor Oberst aus Omaha, Nebraska bedacht wurde, als er 2002 mit dem Album «Lifted» seiner Band Bright Eyes für Furore sorgte. Er hat eine berührende Stimme und seine Texte erzählten nicht nur von gebrochenen Herzen. Oberst packte Geschichten in die Länge eines Lieds und stellte persönliche Dramen dem Weltgeschehen gegenüber. Dazu spielte er Musik zwischen Folk, Indie und Country und pflegte ein Aussehen – Schlafzimmerblick unter kunstvoll verstrubbelten, tiefschwarzen Haaren – mit dem er auch als Posterboy durchging. Musik machte Oberst schon seit er 13 Jahre alt war. Sein eigenes, heute einflussreiches, Plattenlabel «Saddle Creek» gründete er in den Neunzigern zusammen mit seinem Bruder.
Platzhirsch-Hit Das schönste Mundart-Lied über Vergänglichkeit und das, was wir nach unserem Tod zurück lassen, «Gebei», stammte aus King Pepes Feder. Und die Videos zu den Pepe-Liedern vom 2011 erschienenen Album «Tierpark» sind eine Klasse für sich. In «Büssi» versammelte sich ein illustres Grüppchen – darunter Matto Kämpf und Ariane von Graffenried – vor der Kamera und begleitete den strickenden Pepe bei seinem Platzhirsch-Hit. Live gab Pepe stets den etwas verlegenen Charmeur und seine tolle Band knallte einen Hit an den nächsten. Am besten funktionierte dies im kleinen, stickigen Klub, wo kaum Platz zum Tanzen blieb. Halluzinogenes «Hahnewasser» Aber dann erfand sich King Pepe neu. «Pepejazz» nennt sich das aktuelle Programm und Album des liebenswürdigen Aufschneiders. Das weisse Unterhemd hat er gegen einen Anzug eingetauscht, die Bierflasche gegen das Champagnerglas.
Zusammen mit den Bläsern und dem Schlagzeuger der Berner Formation Le Rex erweckt er den Jazz und Swing der wilden 20er-Jahre zu neuem Leben. Er selber nennt es «Pseudo-Jazz». Wie auch immer: Sicher ist es ein royales Vergnügen mit Brockenstuben-Grandezza. Es sind Lieder über die halluzinogene Wirkung von «Hahnewasser» und den Wunsch, gemeinsam «Chatze z bache». Aus dem bleichen König ist ein schillernder Entertainer geworden. King Pepe wird am Gartenfestival natürlich im Garten und nicht mehr wie vor drei Jahren im engen Kairo-Keller spielen – ein grosses Fest wird sein Konzert sowieso wieder werden. Sarah Sartorius \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Gartenfestival Kairo, Bern Fr., 18. und Sa., 19.7. King Pepe & Le Rex: Fr., 18.7., 20.15 Uhr www.cafe-kairo.ch Die Kulturagenda verlost je 1 × 2 Tagespässe für Fr., 18. und Sa., 19.7.: tickets@kulturagenda.be
Die Garten-Tipps Freitag Der deutsche Songwriter Nils Koppruch spielte regelmässig im Café Kairo. Vor zwei Jahren ist er unerwartet gestorben. Sein Kollege Gisbert zu Knyphausen spielt jetzt mit der Kid Kopphausen Band am Gartenfestival (22 Uhr). Samstag Der Berner Autor Roland Reichen tauft sein neues Buch «Sundergrund». An der elektrischen Gitarre begleitet ihn Patrick Abt von den Zorros (19.30 Uhr).
Selbstzerstörerische Konzerte Live waren Bright Eyes eine Wucht. Eine spielfreudige Band, die zusammen hielt, wie eine grosse Familie und ein Sänger, der sich die Seele aus dem Leib schrie oder sie ganz leise nach aussen kehrte. Mit dem Doppelalbum «I’m Wide Awake, It’s Morning» / «Digital Ash in a Digital Urn» gelang ihm 2005 ein grosser Wurf. Das Lied «First Day of My Life» wurde zur Hymne für alle frisch Verliebten und gerade Verlassenen gleichermassen. Conor Oberst war mit seinen 25 Jahren im Zenit seines Erfolges angekommen. Dann wurden die Konzerte immer selbstzerstörerischer, die bewusstseinserweiternden Substanzen schienen wichtiger als die Erwartungen des Publikums. Schon befürchtete man ein Ende à la Kurt Cobain.
«Die grosse Knochenschau» im Naturhistorischen Museum hält, was sie verspricht. Ein gefundenes Fressen für Beat-Man. Seite 7 \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
3 Kulturtipps von Martin Beutler
Aber irgendwie fasste sich Oberst wieder. Er verliebte sich in Mexiko, driftete eine Zeit lang in esoterische Gefilde aber er schrieb wieder Songs. Als Bright Eyes and Conor Oberst veröffentlichte er eher mittelmässige Alben und performte zivilisierte, ja fast schon zu unaufgeregte Konzerte. Der Berg steht Kopf Jetzt ist seine neue, tolle Platte «Upside Down Mountain» erschienen, die an den Zauber der ersten Bright-Eyes-Alben erinnert. «Es gibt 100 Möglichkeiten, den Tag durch zu stehen» singt er im Song «Hundreds of Ways». Ihn mit Conor Oberst auf dem Gurten zu beenden, ist sicher eine der besten. Sarah Sartorius \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Gurten Festival, Bern Do., 17. bis So., 20.7. Conor Oberst: Do., 17.7., 19.15 Uhr www.gurtenfestival.ch Die Kulturagenda verlost 1 × 2 Tagespässe für Do., 17.7.: tickets@kulturagenda.be
Die Gurten-Tipps DO: Für Kleinstadtgangster: Cypress Hill (20.30 Uhr) und zum vorletzten Bier: Bubi Eifach (00.45 Uhr). FR: Für melancholische Rapper: Skor (17.15 Uhr) und für Brit-PopNostalgiker: The Kooks (21.45 Uhr). SA: Für die Massendisco: Franz Ferdinand (19 Uhr) und für Seefahrer: Seasick Steve (20.30 Uhr). SO: Für Rüpelrocker: Jake Bugg (14 Uhr) und etwas heimisches zum letzten Drink vor dem Abstieg: Lo & Leduc (21 Uhr).
ZVG
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Der Berner Künstler Martin Beutler ist geprägt vom Konstruktivismus. Der besagt, dass das, was wir «die Welt» nennen, eine Erfindung unseres Gehirns ist. Praktisch im Alltag zwar, untauglich aber für Rückschlüsse auf die Wirklichkeit. Um aus diesem Wissen Gestaltungsraum zu eröffnen, führt Beutler «soziale Plastiken» durch. Etwa das Café «Neuer Raum» zwischen Progr und Kunstmuseum (Fr., 18.7., 17.30 Uhr). 1. Bill Viola «Passions», Ausstellung im Kunstmuseum Bern und Münster (bis So., 20.7.) Viola eröffnet auch nicht an moderner Kunst Interessierten einen Zugang. 2. «Ein Blick ins Weltall», Sternwarte Muesmatt, Bern (Do., 17.7., 22 Uhr) Dazu Beckett: «Wir werden doch nicht im Begriff sein, Bedeutung zu erlangen!». 3. Beatrice Zingg «Indigo», Ausstellung in der Privatklinik Wyss, Bern (bis 7.9.) Ihre Gedichte hatten mich bei einer Ausstellungen in einer Waschküche gefunden. Es war eine Wohltat, eine richtige Begegnung mit jemandem zu erleben. Denen, die sich lieber an eine Diagnose halten, als sich auf etwas einzulassen, nur soviel: «Normalität» ist eine Diagnose ohne InFrage-Stellung. Wer sich verunsichern lässt, ist auf dem Weg der Besserung!