Berner kulturagenda 2008 N° 30

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N°30/31 Donnerstag, 24. Juli, bis Mittwoch, 6. August 2008

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An der langen Leitung: der neue «Kulturminister» Dominik Riedo

Stephan Urwylers Caribeye am 6. BeJazz-Sommerfestival

Der 34-jährige Luzerner Lehrer, Journalist und freischaffende Autor ist das neue Sprachrohr der Kulturschaffenden.

Profilierter Kopf in der Berner Szene: Der Jazzer Stephan Urwyler hat bereits mit zahlreichen Musikerinnen und Musikern zusammengearbeitet. Die Sängerin Björk wäre eine Wunschpartnerin für ihn: «Sie fasziniert mich. Sie ist ein Mensch, der sucht – genau wie ich.»

Handstreich zum 1. August Karibik auf dem Kopfsteinpflaster Dass die Berner Kulturagenda dem im Internet gewählten «Kulturminister» Gehör verschafft, ist Ehrensache. Wir haben Dominik Riedo zum Nationalfeiertag eine Carte Blanche zugespielt. Seine 1.August-Rede entführt auf die Ebene politischer Forderungen. Meine Damen und Herren, wie angekündigt wird nun der Bundespräsident der Schweiz zu Ihnen sprechen. (Schlag neun. Es knistert in den Radioboxen. Betretene Stille. Dann ein Räuspern …) Meine Damen, meine Herren. Es ist mir bewusst, dass Sie sicher bereits bei diesen wenigen Worten bemerkt haben – sei es am falschen Akzent, sei es an meiner Stimme –, dass ich, der ich zu Ihnen spreche, nicht der Bundespräsident bin. Mein Name ist Dominik Riedo, seit September 2007 bin ich der Kulturminister der Schweiz, ein Amt, das von den Kulturschaffenden ins Leben gerufen wurde. Was soll das? werden Sie fragen. Ich mache es kurz: Der Bundespräsident ist heute Nachmittag von radikalen Kulturtätern, die sich selbst «Gruppe Edvard Kunzt» nennen, entführt worden. Alle Versuche der Polizei, die Täter ausfindig zu machen, scheiterten bislang. Vor drei Stunden sind schriftliche Forderungen eingegangen, die vom amtierenden Kulturminister, also durch mich, zu dieser Stunde am Radio öffentlich mitgeteilt werden müssen. Andernfalls würde «le Gesundheit des Bundespräsidenten Abstriche hinnehmen müssen», wie die Gruppe es formuliert. Ich habe mich daher bereit erklärt, dem nachzukommen, um die Wohlbehaltenheit des Bundespräsidenten nicht zu gefährden, und lese nun also den Forderungsbrief der «Gruppe Edvard Kunzt» vor: Bundesrat Philipp Etter hat in einer Krisensituation vom eidgenössischen Volk absoluten Gehorsam verlangt. In der heutigen Krisensituation, in der Kultur und Kulturschaffende bewusst unterdrückt

werden, in dieser fatalen Zeit verlangen wir: Das Kulturförderungsgesetz muss mit jenen substanziellen Verbesserungen vom Parlament verabschiedet werden, wie sie von Suisseculture aufgezeigt wurden (siehe dazu die Broschüre unter http://www. suisseculture.ch/doss/kfg/kfg_bro_01_ de_w.pdf). Zusätzlich muss das Urheberrechtsgesetz so angepasst werden, dass ein einmal geschaffenes Kunstwerk auf ewige Zeiten urheberrechtspflichtig ist. Das damit gewonnene Geld soll allen Künstlern vom 1. Januar 2010 an einen Minimallohn garantieren, der jenem von Angestellten entspricht. Als Künstler gilt, wer die Richtlinien der professionellen Kulturschaffendenverbände erfüllt. Wird diese Mitteilung heute um 21 Uhr vom Kulturminister Dominik Riedo am Radio öffentlich vorgelesen, so muss le Gesundheit des Bundepräsidenten keine Abstriche hinnehmen und er kann gehen. Sollten aber die Bedingungen bis Ende des Jahres 2009 nicht umgesetzt sein, werden wir den gesamten Bundesrat entführen. Gruppe Edvard Kunzt. Damit, meine Damen und Herren, habe ich meine schwere Pflicht getan. Weiter mag ich nicht sprechen, an einem Tag, an dem die Menschenrechte derart mit Füssen getreten wurden. (Einspielung: Chueglüüt und Jutze; dann abruptes Ende) Wir entschuldigen uns für die falsche Einspielung und halten Sie ab sofort über die Geschehnisse auf dem Laufenden … (Trauermusik) Dominik Riedo

Mit Kopf, Hand und viel Herz. Stephan Urwyler ist Musiker aus Leidenschaft. Zum Auftakt der BeJazz-Sommerkonzerte weckt er mit seiner Band Caribeye Träume von exotischen Inselwelten. Karibische Klänge, gepaart mit Jazz – erfrischend wie ein spritziger Caipirinha, gemixt von einem vielseitig talentierten Musiker. Nein, eine grosse Berühmtheit sei er nicht. Ab und zu werde er von unbekannten Leute gegrüsst, aber sonst … Als ob der Zufall seinen Worten widersprechen möchte, erklingt kurze Zeit später ein sichtlich erfreutes «Herr Urwyler!». Der Kellner unseres Restaurants in der Berner Innenstadt ist ein ehemaliger Schüler von Stephan Urwyler, der nebenbei auch als Musiklehrer in Thun tätig ist. Alter Hase im Business Der studierte Jazz-Musiker lässt sich nicht in eine stilistische Schublade stecken. Über 250 Kompositionen hat er in den Sparten Jazz, Rock, Pop und Klassik bereits veröffentlicht, darunter auch Auftragskompositionen und zwei Solo-CDs. Sein 2004 erschienenes Solo-Album «super» mit selbst geschriebenen Mundart-Songs ist ein wichtiger Meilenstein in seinem «Bergwerk» – wie er seine musikalische Entwicklung bezeichnet. Zusammengearbeitet hat er mit fast allen, die in der lokalen Szene Rang und Namen haben. Bereits als 6-Jähriger begann Stephan Urwyler Klavier zu spielen und brachte sich das Gitarrenspiel in seiner Jugendzeit selber bei. Bei gemeinsamen Auftritten zähle heute oft weniger die künstlerische Zusammenarbeit als der Versuch, sich mit berühmten Namen zu schmücken, meint er. «Wenn ich mit jemandem spiele, spüre ich schnell, wer fähig ist, auf andere einzugehen. Dafür braucht es echte Leidenschaft.» Ein Narr der Gesellschaft Als eines seiner zahlreichen Projekte hat Stephan Urwyler zur CD «Reber Rock»

den Song «narre sy frei» beigesteuert. Die Plattenfirmen hätten vielen Musikern die Beteiligung an der Neuinterpretation der Peter-Reber-Songs verboten, aus Angst vor Imageverlust, sagt Urwyler. Mitgemacht hat er trotzdem – oder gerade deshalb. »Mein Image in der JazzSzene habe ich damit nachhaltig ramponiert», erzählt er sichtlich amüsiert. Gar ein wenig stolz? Fest steht, der Text des Liedes entspricht ihm. «Als Musiker bin ich Narr der Gesellschaft. Machen zu dürfen, was ich gern tue, das ist meine ganz persönliche Narrenfreiheit, die ich sehr geniesse.» Mehr Schein als Sein? Die Frage nach Authentizität ist ein wiederkehrendes Thema in unserem Gespräch. Im Laufe seiner Karriere hat Urwyler bei zahlreichen Bands mitgewirkt, darunter auch bei This masquerade, einer Gala-Band für die Reichen und Schönen. Dem ganzen «Glamour», wie er es nennt, steht der Musiker aber kritisch gegenüber. Immer mit dem Bewusstsein, wie schnelllebig die Szene ist, habe er vor allem eines: Spass an der Sache. Urwyler ist ein Geniesser. «Es ist wie mit gutem Essen – im Moment äusserst lustvoll, aber nur von kurzer Dauer.» Seine Vielseitigkeit bezeichnet er als gros­ses Glück – sie sei ihm aber auch zum Verhängnis geworden. «Das Problem ist, dass ich meine Energien nie gebündelt habe. Hätte ich mich auf einen Stil konzentriert, wäre ich darin vielleicht richtig erfolgreich gewesen.» Musikalisches Bermudadreieck Seit 25 Jahren ist Stephan Urwyler nun

Mitglied im Verein BeJazz. Zusammen mit Reimund Gerstner (Bass), David Elias (Drums) und Steelpan-Grösse Wilbert «Junior» Gills spielt er sowohl neue wie auch altbewährte Songs ihrer gleichnamigen CD «Caribeye», allesamt Eigenkompositionen von Urwyler. «Der sommerliche Mix seiner Band Caribeye aus Jazz, karibischen Klängen und Anleihen von Schweizer Folklore eignet sich hervorragend, um den diesjährigen BeJazz-Sommer einzuläuten», meint Programmleiter Fabio Baechtold. Seit nunmehr sechs Jahren versüssen die Freiluftkonzerte den Daheimgebliebenen die Ferienzeit. Und zwar kostenlos, nicht zuletzt dank der Unterstützung des Berner Kultursommers. Nicht nur bekennende Jazzfans, sondern auch zufällig Vorbeiflanierende sollen mit dem abwechslungsreichen Programm angesprochen werden. Mariana Raschke \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Schmiedenplatz, Bern Di., 29.7., 20 Uhr www.bejazz.ch

Di., 29.7. / Stephan Urwyler, Caribeye, feat. Wilbert «Junior» Gill Mi., 30.7. / Herbie Kopf Close Contact Do., 31.7. / Chris Gall Trio, feat. Enik (20 Uhr), Christoph Grab's Science Fiction Theater (21.30 Uhr) Fr., 1.8. / Heimat ist da, wo man sich aufhängt Sa., 2.8. / Nadja Stoller Quartet (20 Uhr), Yves Reichmuth Fractal (21.30 Uhr)


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