N°32/33 Donnerstag, 7., bis Mittwoch, 20. August 2008
ZVG
Rolf Neeser
: e b a g s u Doppela ultur K n e h c o 2W
Zwanzig Jahre Murten Classics
Schwindelerregende Geschichten auf dem Drahtseil von Los Filonautas: der 1. Offizier Silver (Andreas Hecker, links) und Kapitän Fiore (Soledad Pietro) auf der Suche nach dem verlorenen Paradies.
Der Aufführungsort an sich ist schon eine Attraktion: der Schlosshof, dieses Jahr mit viel italienischem Flair.
Von Strassenpoetinnen und Gassenhauern
Gute Zeiten: Murtens Klassiker
Berns buntestes Sommerfest verwandelt die Altstadt während dreier Abende in eine riesige Bühne. Ob exzentrisch, skurril, poetisch, spektakulär oder subtil – mit 33 Gruppen und Soloartistinnen und -artisten aus aller Welt bietet Buskers Unterhaltung für jeden Geschmack und jedes Alter. Ob der letztjährige Publikumsrekord von 50 000 Zuschauerinnen und Zuschauern dieses Jahr übertroffen wird?
«Jenseits der Alpen» heisst das Jubiläumsprogramm der Murten Classics. Viel Italianità also zum zwanzigsten Geburtstag. Zudem betritt eine Sängerin von diesseits der Berge den Schlosshof, die man dort eigentlich nicht erwartet hätte: Mia Aegerter.
von einem Sturm heimgesucht; eine turbulente Geschichte um Liebe, Verwirrung und Streit mit Pirouetten, Akkordeon und Klarinette. Andreas Hecker lebt mit seiner Compagnia dell’Astronauta schon seit zehn Jahren vom Strassentheater. Am meisten fasziniere es ihn dabei den Alltag der Menschen für kurze Momente durchbrechen zu können, so der deutsche Strassenkünstler. Das tägliche Training sei schön, aber auch sehr anstrengend. Am meisten Nerven kosteten aber Regen, lange Autofahrten und unauffindbare Spielorte. Dass immer mehr Menschen den Reiz der Balancekunst entdecken und mit Vorliebe in Parks auf gespannten «Slacklines» (Schlappseil) ihr Gleichgewicht suchen, erstaunt ihn nicht. «In dieser turbulenten Zeit haben die Menschen das Bedürfnis nach innerer Ruhe; auf dem Seil zu stehen, ist eine optimale Situation, um diesen Zustand zu erreichen.»
«Das ist mein Kind», sagt Direktorin Jac- haben Komponisten nördlich der Alqueline Keller, lächelt und meint damit pen den Süden beschrieben: So war der nicht Mia Aegerter. Sondern die Tatsache, Franzose Hector Berlioz mit «Harold in dass die Sängerin mit dabei ist, wenn der Italien», Johann Strauss (Sohn) walzerte märchenhaft malerische Schlosshof die «Wo die Zitronen blühn», Camille SaintZuschauer entzückt. Bereits zum zwan- Saëns schwärmte vom schnellen italienischen Tanz Tarantella und zigsten Mal. Zum Jubliäum Pjotr Iljitsch Tschaikowski der Murten Classics hat sich scherzte mit dem «Capricdas Festival zum Ziel gesetzt, cio Italien». Die Sinfoniet«die üblichen Gefässe zu ta Cracovia sowie die Soverlassen», etwas Spezielles listen Alexander Besa (Vizu machen, Pop und Klassik ola), Grazyna Zbiljowska zusammenzuführen. Spezi(Flöte) und Arkadiusz ell? Popsongs, unterlegt mit Adamski (Klarinette) erStreichern, überraschen in öffnen mit diesem am ähnlichem Ausmass wie Pau15. August die Reihe der senbrote, belegt mit Salami. Klassik-Fan Mia Aegerter Sinfoniekonzerte. Doch ganz so simpel ist die Zusammenarbeit von Mia Aegerter mit Auf der anderen Seite stehen die italider Camerata Schweiz nicht. Die Ohr- enischen Komponisten im Fokus, die würmer der in Düdingen geborenen Sän- jenseits der Alpen für Furore gesorgt gerin (Keller spricht von «Lokalkolorit») haben. Zum Beispiel Ottorino Resind komplett neu arrangiert worden. spighi. Dessen Sinfonische Dichtung Der Berliner Musiker Sinisa Horn hat «Gli uccelli» wird am 21. August von die Songs in ständiger Absprache mit der der Turiner Philharmonie und dem Camerata überarbeitet. Auf der anderen Pianisten Patrizio Mazzola gespielt – Seite will die Fusion von Kammermusik einem Italo-Berner notabene. und Gitarrenpop auch klassische Stücke Sollte sich die musikalische Exotin Mia auf die Bühne bringen. Mia Aegerter hat Aegerter von ihren konzertiven Strapanicht lange gezögert, als sie von Keller zen erholen wollen: Vivaldis 9. Sonate ist angefragt wurde. «Die Verbindung von am 19. August im SommernachtskonPop und Klassik interessiert mich», sagt zert im Park des Hotels Vieux Manoir in die Sängerin und Schauspielerin («Gute Meyriez zu hören. Und um Mozart zu Zeiten – schlechte Zeiten»; «Achtung, lauschen, sei ihr das Serenade-Konzert Fertig, Charlie!»). «Ich höre oft Vivaldi am 20. August empfohlen: Das Bieler oder Mozart und entspanne mich dabei», Symphonieorchester und Thomas Demenga (Cello) spielen unter der Leitung sagt sie. von Thomas Rösner die «Posthorn-Serenade». Michael Feller Walzern, scherzen und schwärmen g sun Das diesjährige Motto in Murten heisst \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ V\ e\r\lo\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ «Jenseits der Alpen». Dabei geht es vor Murten Classics, 11.–31.8. allem um ihr Überqueren. Zum einen www.murtenclassics.ch
Sufimusik aus Pakistan, Folk-Punk aus dem Tessin, Tango aus Argentinien oder Trash-Balladen aus Deutschland: das Buskers ist in erster Linie ein Musikfestival. Doch die 120 Artistinnen und Artisten aus 24 Ländern singen und musizieren nicht nur. Zwischen Kornhaus und Nydegg wird auf insgesamt 30 Plätzen auch getanzt, Theater gespielt, in luftiger Höhe balanciert und wild herumgehüpft. Buskers Publikumslieblinge wie die Puppentruppe Trukitrek sind dabei ebenso vertreten wie Bern-Neulinge. Stossgebet und Metalsong vor der Show Drei, die zum ersten Mal Schweizer Boden betreten, pardon: behüpfen, sind The Leaping Loonies («Die hüpfenden Spinner»). Die Comedy-Akrobaten wirbeln seit über zehn Jahren durch die Luft, als wärs ein Kinderspiel. Mit übersteigerter Gestik und Mimik im Stil der Stummfilmära erobern sie das Publikum im Sturzflug. Ob sie vor ihren waghalsigen Slapstick-Einlagen besondere Rituale pflegen? «Oh ja, nach dem Aufwärmen beten wir zu unseren jeweiligen Göttern, und kurz vor der Show putschen wir uns mit dem Metal-Song ‹Trogdor!‹ auf», erzählt Loony Tim Freeman. Einen liebsten Auftrittsort haben die Leaping Loonies – die ihre Shows auf der ganzen Welt zeigen – nicht; das Wichtigste sei die Begeisterungsfähigkeit und die Wertschätzung des Publikums. Reizvoll am Herumreisen sei es, Leute kennen zu lernen, «selbst wenn sie sich im Nachhinein als Idioten entpuppen», so Freeman. Von ihrem ersten Schweizer Auftritt erhoffen sie sich nebst Spass vor allem viel Hutgeld in Schweizer Franken, obwohl sie Euro bevorzugen würden, so
Freeman mit dem typisch trockenen Humor aus Down Under. Poetisches Wasserfeuerwerk Leisere Töne schlägt Mädir Eugster an. Vor dreissig Jahren hat der St. Galler den Rigolo Nouveau Cirque gegründet, den er heute mit seiner Frau Lena Roth und der ältesten Tochter führt. Der Nouveau Cirque – eine Mischung aus Zirkus, Theater, Tanz, Musik und bildender Kunst – stammt aus Frankreich. Das Genre geniesst in der Deutschschweiz noch den Status eines Geheimtipps, «doch das Publikum liebt es», so Mädir. Auf dem Münsterplatz führt er sein «Tausendwasser-Spektakel» auf, das er 2003 im Uno-Jahr des Wassers entwickelte. Der ehemalige Kunstturner ist von der Ästhetik des Elements Wasser fasziniert: «Denken Sie nur an Schneeflocken, Wasserfälle und Fontänen, das war unsere Inspiration – es entstand das Wasserfeuerwerk!», erzählt er. Mit Spezialanzug und Hochdruck-Hydrant zaubert der Wassermagier eine spektakuläre Performance: hüllt sich in eine Wasserkugel, huscht durch Fontänen, sprüht Wasser aus allen Körperteilen und schickt tausende Seifenblasen in den Nachthimmel hinaus. Seiltanz mit Haifisch und Akkordeon Schwindelerregende Poesie hoch über den Pflastersteinen fabrizieren Los Filo nautas. Im Seiltanz-Theater suchen Kapitän Fiore (gespielt von der Argentinierin Soledad Pietro) und der 1. Offizier Silver (interpretiert von Andreas Hecker) mit ihrem Schiff «Promola Rossa» nach dem verlorenen Paradies. Auf hoher See werden sie von Haifischen attackiert und
Ohne Moos nix los Nebst den insgesamt 300 Shows kann das Publikum am Aktionsmarkt Bizaar Kuriositäten entdecken, sich an den Jugend- und Talentbühnen, beim Kinderprogramm oder im Partyhaus vergnügen. Als Teil des Berner Kultursommers bezahlt Buskers den Artisten Transport, Kost und Logis. Der Kauf des Festivalbändels mit Programmheft und Hutgeld für die Künstlerinnen und Künstler (ihre einzige Gage) sind freiwillig, werden dem Publikum jedoch wärmstens ans Herz gelegt. Nadine Guldimann \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Do., 7., bis Sa., 9.8., 18–24 Uhr www.buskersbern.ch
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Das 5. Buskers-Strassenmusik-Festival vom 7. bis 9. August in der Berner Altstadt