Berner kulturagenda 2008 N° 34

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Peter Moser-Kamm

N°34 Donnerstag, 21. bis Mittwoch, 27. August 2008

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378 Jahre Zirkus – «Balder Fly» in der Grossen Halle der Reitschule

Stiller Has in der Mühle Hunziken

Balder durchfliegt die Zirkusgeschichte, Episode für Episode. Die Theatergruppe Konsortium & Konsorten zelebriert die Welt der Manege.

Zum Saisonstart in Rubigen: Kapitän Endo Anaconda und Matrose Schifer Schafer …

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Traumfabrik für Trapezkünstler In der Seele ein Pirat Manege frei für die wunderbar sonderbare Welt des Zirkus. Die Welt, in der es noch einen ehrwürdigen Direktor gibt, der aus dem Zylinder Kaninchen zaubert, die Salti mortali springen, ohne mit der Wimper zu zucken, und Kindermünder, mit Zuckerwatte vollgestopft, zum Staunen bringen. «Balder Fly – 378 Jahre Artisten, Tiere, Sensationen» heisst die neuste Produktion der Theatergruppe Konsortium & Konsorten. «Eine Gelegenheitsgesellschaft von Schicksalsgenossen zur Erfüllung eines zeitlich und sachlich begrenzten Zwecks» – so beschreiben die Gründungsmitglieder ihren Zusammenschluss. Mathias Bremgartner leitet die Produktion. Gemeinsam lassen sie den kauzigen Balder durch die Geschichte des Zirkus fliegen und in dessen Traumwelten eintauchen. Sein Name ist vom germanischen Gott des Lichts, der Schönheit und der Reinheit entlehnt. Da, wo Skurriles, Kuriositäten und Raritäten dargeboten werden; der Ort, der mit der Welt des Staunens spielt und so Grenzen von Möglich und Unmöglich beim Publikum durcheinanderwirbelt: Der Zirkus wird auch zur (nicht ausschliesslich heimeligen) Heimat für Balder Bährenzahm, gespielt von André Benndorff vom Berner Stadttheater-Ensemle. Hans im Glück wird Trapezkünstler «Balder Fly» ist ein Theaterstück, in dem Zirkus gespielt und thematisiert wird – ohne ihn imitieren oder reproduzieren zu wollen. Von einem unterhaltsamen Reiseführer durch die Geschichte des Zirkus spricht der Regisseur Wolfgang Klüppel. Die erste Destination ist das späte Mittelalter, wo die Begegnung mit

zwei Gauklern den Artisten in Balder weckt. Seine neue Berufung führt ihn, den naiven Hans-im-Glück-Protagonisten, weiter nach England, die Wiege des klassischen Zirkus. In London entdeckt ihn Zirkusdirektor Mr. Astley und stellt ihn als Trapezkünstler an. Fly Balder fly, Reiseleiter, der durch die Lüfte schwebend erst nach und nach entdeckt, wohin die Reise ihn führen wird. In die Manege des russischen Staatszirkus nämlich. Und nach Hollywood für den Dreh eines Films über den legendären Buffalo Bill und seine Reit-Show. Oder abdriftend in die Welt der Träume, der Fantasien und Fantasten, wo alles möglich und gleichzeitig unmöglich ist. Zirkus ist frei, wild und echt Eine Reise, die durchaus auch den Blick über die Manege hinaus und hinter die samtenen Vorhänge, hinein in die Artistenwohnwagen und in das politische Zeitgeschehen zulässt. Episodenartig wird die Traumfabrik Zirkus zum Leben erweckt, um sie sodann wieder zu dekonstruieren. «Bilder und Text sind zwei gleichberechtigte, voneinander aber unabhängige Ebenen, mit denen wir das Thema bearbeiten», erklärt Axel Hesse, Autor des Stückes. So verspricht «Balder Fly» doppeltes Vergnügen: einen rationalen Zugang zum Wandel des Mediums Zirkus und sinnliche Bilder und Vorgänge, die den Zirkus zu der phänomenalen Flut farbiger Eindrücke machen und den kindlich staunenden Blick beim Zuschauer provozieren. Doch damit nicht genug. So-tun-als-ob und eine «naive» Metaebene sind nicht alles, was geboten wird. Wie im Zirkus folgt eine Nummer der nächsten. Bunt,

schrill, laut wird schweres Geschütz aufgefahren in der gar grossen Grossen Halle der Reitschule. Pferde, ganz in der Tradition des Hippodramas, kommen zum galoppierenden Einsatz, sprechende Bäume, Rothäute und Dadaisten. Die Zirkuskapelle der etwas anderen Art (Musik: Pascal Nater und Omar Frau) lässt den Bären tanzen, die Giraffe steppen und den Löwen rocken. Und Balder immer mittendrin, unermüdlich, 378 Jahre lang, ohne dass man ihm sein Alter anmerken würde. Vielleicht ist er nicht nur Trapezkünstler, sondern auch ein wenig Magier, und dazu noch ein freundlicher, denn er teilt seine magische Zirkuswelt mit dem Publikum. Für schauspielerische Höhepunkte sorgen neben André Benndorff Emma Murray, Markus Signer, Marie Olim, Thomas Pösse und Tom Ott. Zirkus ist frei. Zirkus ist wild. Zirkus ist echt. Und vor allem ist er nicht totzukriegen. Und weil dies so ist, lässt die Teatergruppe Konsortium & Konsorten ihn wieder zu dem werden, was er einmal war: anarchisch, archaisch, rauschhaft und ungezähmt. Anna Serarda Campell

Grosse Halle in der Reitschule Bern Sa., 23.8., Preview Teil 5: «Ein Phantasma» und Konzert von Tomazobi Mi., 27.8., Premiere «Balder Fly» und Konzert von Pastor Leumund mit Micromops Weitere Vorstellungen: 28., 29., 30. und 31.8., jeweils 20.30 Uhr Sa., 30., und So., 31.8., Reiten in der Grossen Halle (gratis, Kollekte), jeweils 14–18 Uhr www.grossehalle.ch www.konsortium-konsorten.org

Er war gesundheitlich etwas aus dem Rhythmus, hat sich aber gefangen und feiert nun die 33. Saisoneröffnung bei einem alten Freund: Endo Anarconda über die neue Band, Uhren als Kapitalanlage und tapfere Bundesrätinnen. «Das hie isch e geili Uhr», sagt Endo Anaconda und zeigt auf die schwarze «Glashütte» in der Gübelin-Auslage. «Du investierst besser in Uhren als in Alkohol», rät er, «eine Uhr kannst du wieder verkaufen, wenn du pleite bist, das Bier ist weg.» Dem 53-Jährigen ist vor kurzem bei einer Herzrhythmusstörung bewusst geworden, dass das Herz auch mal anders tickt, ja, sogar aus dem Takt fallen kann wie ein Schlagzeuger, wenn es zu arg beansprucht wird. «Ich bin bekannt fürs Herzflattern», sagt er. Das Herz ist untersucht und unbeschadet und Endo Anaconda wieder auf den Beinen. Ganz der Pirat, der im gleichnamigen Hasen-Song in See sticht, leicht lädiert, aber ohne daran zu denken, die Piraterie aufzugeben, denn «Pirat sy isch e Zuestand vo dr Seel». Neuerdings zwei Altbekannte Mangelndes Rhythmusgefühl ist nicht der Grund, dass in seinem wilden Quartett Markus Fürst Martin Silverberg am Schlagzeug abgelöst hat und Salomé Buser anstelle von Samuel Jungen nun die Bass-Saiten zupft. «Die Auffassungen waren auseinandergegangen», will der Lorraine-Berner nicht zu tiefe Einsicht

Peter Moser-Kamm

Mittelalterliche Gaukler, marxistische Löwen, sprechende Bäume und Buffalo Bill – sie begleiten die 378 Jahre alte Artistenlegende Balder Bährenzahn durch die Geschichte des Zirkus. Raus aus dem Zelt, rein in die Grosse Halle!

… und die Neuen, Salomé Buser und Markus Fürst.

geben. Überraschend ist die neue Vergabe der Rhythmus-Jobs nicht, denn sowohl Buser als auch Fürst haben schon seit den 1990ern bei Studioproduktionen mitgewirkt. Derzeit werkelt die Band an einer neuen Platte, die nächsten Frühling erscheinen soll. Hase in diplomatischem Dienst Wie es sich für den «Wanderzirkus Stiller Has» (Endo Anaconda) gehört, spielt die Band während des Sommers auch Konzerte, an denen die ersten neuen Songs bereits zu hören sind. Zum Beispiel in Deutschland. Stiller Has feierte am 1. August den Nationalfeiertag in der Schweizer Botschaft in Berlin. Evelyne WidmerSchlumpf hörte sich das ganze 90-minütige Konzert in der zweiten Reihe an. «Sie ist nicht nur politisch tapfer», findet Endo. Auch ohne magistrales Publikum gefallen ihm die Auftritte im deutschsprachigen Ausland. Die dialektbedingten Verständnis-Tücken trickst er mit kurzen Ansagen während der Songs aus. In der Mühle Hunziken wird das nicht nötig sein. Stiller Has spielt dort zum Beginn der 33. Konzertsaison in der vielleicht schönsten Konzertstätte des Landes. Eine beeindruckende Schnapszahl. «Für mich ist es schön, mit alten Freunden die Saison zu eröffnen», sagt Mühle-Betreiber Peter Burkhart. Die beiden verbindet mehr als jede Menge Hasenkonzerte. «Pesche bleibt dir auch treu, wenn du einmal nur auf Platz 24 der Hitparade stehst und nicht auf der 4 oder der 1», sagt Endo Anaconda. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Mühle Hunziken, Rubigen Fr., 22., und Sa., 23.8., 21 Uhr www.muehlehunziken.ch


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