Berner kulturagenda 2008 N° 38

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N°38 Do., 18.9., bis Mi., 24.9.2008

Hip-Hop-Theater im Gäbelbach

Sophie Zelmani im Bierhübeli

Laura de Wecks Theaterstück «SumSum» im Tojo Theater

Anti (Anne-Sophie Mentha) ist verzweifelt: Ihr Bruder sitzt im Gefängnis. Zwölf Jugendliche stellen ein Hip-Hop-Theater auf die Beine und fragen: Welches Recht ist rechtens?

Sie lässt sich nur ungern fotografieren und gibt kaum Interviews, sie singt lieber.

Die Schwester managt kurzerhand die Liebesgeschichte: Selina (Mona Petri, links) und ihre Schwester (Francesca Tappa) warten am Flughafen auf den Schweizer Urs-Peter.

Am Flughafen wartet die Braut

Musiktheater mit schnellen Reimen und starkem Slang: Zwölf Jugendliche versetzen eine altgriechische Tragödie nach Gäbelbach und machen sie zu ihrer eigenen Geschichte im Hier und Jetzt. «anti.gone» ist nach vier erfolgreichen Hip-HopMusicals der fünfte Streich des Jugendtheaterklubs Bern West.

Macht Musik wie eine Umarmung: die schwedische Singer-Songwriterin Sophie Zelmani. Sie spielt zum dritten Mal in drei Jahren im Bierhübeli.

Allein? Das muss nicht sein. Im Internet tummeln sich massenhaft attraktive Frauen, die auf einen Urs-Peter aus der Schweiz warten. «SumSum», das neue Theaterstück von Laura de Weck, gespielt von der Theatergruppe Marie, zeigt, auf welche Irrwege die Partnersuche einsame Menschen führen kann.

Antigone ist eine starke Frau. In der altgriechischen Mythologie muss sie ihren erblindeten Vater Ödipus in die Verbannung begleiten. Nach seinem Tod bringen sich seine Söhne im Kampf um die Herrschaft in Theben gegenseitig um. Einer der beiden darf, des Landesverrats angeklagt, nicht bestattet werden. Antigone beugt sich dem Verbot nicht. Für sie stehen die göttlichen Prophezeiungen über dem menschlichen Recht. Um ihrem Bruder zu helfen, ist sie bereit, jeden Preis zu bezahlen.

meintliche Bad Guy – hat Mist gebaut und sitzt im Gefängnis. Als der Versuch von Antis Freund Hemu scheitert, bei seinem Vater ein gutes Wort für den Jungen einzulegen (er ist lokaler Polizeichef), sieht sie sich zu drastischen Massnahmen gezwungen. In einer waghalsigen Befreiungsaktion will die junge Frau ihren Bruder aus dem Gefängnis holen – bewaffnet mit Würsten (für die Wachhunde), Nagelfeile (für die Gitter) und einer Kollegin (um die Polizisten abzulenken). Ob das gut geht?

Von Theben nach Gäbelbach Weniger blutig, aber nicht minder dramatisch als im alten Griechenland gehts im Stück des Theaterclubs Bern West zu und her. 2450 Jahre nach der Uraufführung von Sophokles' Tragödie rollen im Quartierzentrum Gäbelbach zwölf Jugendliche die Geschichte neu auf. Basierend auf den Charakteren der Sage, haben sie seit Februar getextet, gespielt, gerappt und musiziert. Nun inszenieren sie ihr eigenes Familiendrama. Was ist Recht, was ist Unrecht? Und wer bestimmt, welche Ordnung Gültigkeit hat? Es geht um Liebe, Freundschaft, Streit mit der Familie – Dinge, die die Jugendlichen in ihrem Leben beschäftigen. Musikalische Einlagen von Rap bis zum Kontrabass-Schlagzeug-Solo mischen das Hip-Hop-Schauspiel auf. Im Zentrum der Geschichte steht die willensstarke Anti. Sie ist wie alle Protagonisten nach griechischem Vorbild benannt. Mit viel Kampfgeist wehrt sie sich gegen klassisches Rollendenken und folgt ihren eigenen Ansichten und Gesetzen. Ihr Bruder Nike – der ver-

Hip-Hop ist gemeinsame Sprache 2004 fand unter dem Dach der Jungen Bühne Bern das erste Hip-Hop-Musical statt. Seither waren die Vorstellungen jedes Jahr ausverkauft. Mehrheitlich, aber nicht ausschliesslich, stammen die Jugendlichen aus Bern West. Das persönliche Engagement steht im Zentrum. «Die Jugendlichen sollen verborgene Talente entdecken und ihr Selbstbewusstsein stärken», so Christoph Hebing, künstlerischer Leiter und Initiator des Projekts. Jeder findet seinen Weg, sich auszudrücken – ob im Schauspiel, im Rap oder in der Musik. In diesem Jahr sind die jungen Künstler sogar Hauptdarsteller in einem Kino-Film. Die Regisseurin Gabriele Schärer dreht einen Dokumentarfilm über das Integrationsprojekt. Im Oktober wird das Hip-Hop-Theater auch in der Reitschule zu sehen sein. Mariana Raschke

Sophie Zelmani ist das flauschige Duvet mit Seidenanzug an einem verregneten Sonntagnachmittag im Herbst. Zu solcher Musik wird Liebe gemacht. Sich der schwedischen Singer-Songwriterin zu entziehen, fällt bei den stärksten Songs schwer. Etwa so schwer, wie an ebendiesem Sonntag gegen Abend zum ersten Mal unter der warmen Decke hervorzukriechen. «Losing you» aus ihrem 99er-Album ist so ein Song, und sie hat viele andere im Repertoire, die sich unaufdringlich, aber wohlig an die Haut schmiegen. Entspannte Songs, viele Balladen, hoher Gasverbrauch wegen unaufhörlichen Feuerzeugschwenkens im herzerwärmten Konzertsaal.

«No priest. Nein, nein. No priest, no priest. Nein. Bitte ...» Das ging Urs-Peter jetzt aber doch zu schnell. Heiraten will er nicht. Noch nicht. Aber mal ganz von vorn: Der Schweizer Urs-Peter (gespielt von Nils Torpus) zog aus, um die Einsamkeit hinter sich zu lassen. Selina (Mona Petri) heisst die junge Frau, die er via Internet kennen gelernt hat. Sie wohnt 20 Flugstunden entfernt und spricht nicht seine Sprache. Während Urs-Peter einen Job hat und in einem der reichsten Länder der Welt wohnt, ist Selina arm und lebt in einem Land am Meer. Ihre Schwester (Francesca Tappa) begreift sofort, dass mit Urs-Peter der soziale Aufstieg in greifbare Nähe rückt. Selina muss ihn nur heiraten. Als UrsPeter sich nach zahlreichen Liebesbezeugungen per E-Mail auf den Weg macht und Selina zum ersten Mal in die Augen schaut, prallen Weltvorstellungen hart aufeinander: Während Urs-Peter mit Schweizer Schokolade und kleinen Geschenken eintrifft, hat Selina gleich den Priester mit zum Flughafen gebracht …

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Den Mythos ins Heute gerappt Ganz seidig

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Gemeinschaftszentrum Gäbelbach. Do., 18., Fr., 19., und Sa., 20.9., 20 Uhr www.hiphopmusical.ch

Erst Songs aufnehmen, dann Jobben Sie war 16, lebte in den Tag hinein, hing in Bars herum und hörte Bob Dylan, als ihre Mutter fand, sie soll sich einen Job suchen. Sophie, unmotiviert, fand einen Kompromiss: Zuerst ein paar Songs aufnehmen und dann einen Job suchen. Sie hatte noch nie vor Publikum gespielt, als der schwedische Ableger vom MajorLabel Sony sie unter Vertrag nahm. «Always you», ihre erste Single, war gleich ihr grösster Erfolg. Ihr achtes Album, «The Ocean and Me», ist eben erschienen. Sophie Zelmani scheut Interviews und alles andere Lästige, das sie daran hindert, Musik zu machen. Am liebsten verkriecht sie sich in ihr stilles Kämmerchen und schreibt Musik aus Gitarre, Klavier und einer Stimme aus Seide. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Bierhübeli, Bern. So., 21.9., 20.30 Uhr www.bierhuebeli.ch

Idee aus Fernsehdokufilm abgekupfert «SumSum» hat Barbara-David Brüesch aus Chur mit den Schauspielern vom Aarauer Theater Marie inszeniert. Klischees werden im Stück genauso wie Vorurteile bedient, aber auf eine beiläufige und amüsante Art. Genau darin sieht Laura de Weck auch ihren Erfolg begründet: im Sprachstil, der sich auf das Nötigste begrenzt. Im Alltag führt die Autorin konsequent Tagebuch. Dialoge, die sie im Taxi oder im Zug aufschnappt, notiert sie und verdichtet sie immer mehr. Was in «SumSum» passiert, kommt ei-

nem allerdings sehr bekannt vor, wenn man den Dokumentarfilm «Erich und die Frauen» gesehen hat. Der Film von Christoph Müller entstand in der Reihe «Reporter» des Schweizer Fernsehens im Jahr 2002. «Stimmt», sagt Laura de Weck, «die Doku hat mich inspiriert.» Verklemmt und höflich Laura de Weck ist selbst Schauspielerin, «aber ich brauche das Schreiben, um zu schauspielern, und umgekehrt», erklärt sie in einer Probenpause am Telefon. Aufgewachsen ist die Tochter des Publizisten Roger de Weck in Paris, Hamburg und Zürich. Jetzt lebt sie wieder in Hamburg. Wenn zwei Menschen wie Urs-Peter und Selina aus völlig verschiedenen Kulturen aufeinandertreffen, muss erst einmal eine gemeinsame Kommunikationsebene gefunden werden. «Grundgefühle werden da aufs Kleinste heruntergebrochen», beschreibt die Autorin die Dialogsprache. Das tragische und doch urkomische Stück endet, wie es enden muss. Die kulturellen Hindernisse sind unüberwindbar, das Ende kommt bald: Urs-Peter und Selina kommen über Wortlosigkeit und hilflose Annäherungsversuche nicht hinaus; der Pfarrer schafft es auch in einem zweiten Überraschungsversuch nicht, die Ehe unter Dach und Fach zu bringen, und Urs-Peter kehrt allein nach Hause zurück. «Scheisse, Scheisse, Scheisse», sagt sein bester Freund (Herwig Ursin) – und Urs-Peter pflichtet ihm bei. g Claudia Sandke sun

rlo \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \V\e\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \

Tojo Theater, Bern. Mi., 24., Fr., 26., und Sa., 27.9., 20.30 Uhr www.theatermarie.ch


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