Youri Lenquette
Annette Boutellier
N°39 Do., 25.9., bis Mi., 1.10.2008
Orchestra Baobab in der Mühle Hunziken
«Der Menschenfeind» von Molière im Stadttheater
Die zehn Herren des Orchestra Baobab liessen 1970 Dakars High Society mit ihrer Mischung von Latin- und Afromusik tanzen. Seit ein paar Jahren wiedervereinigt, touren die Altmeister durch die ganze Welt.
Während Alceste, der Menschenfeind, mit Frauen nichts auf die Reihe kriegt, schnappt sich sein Freund Philinte (Heiner Take, im Bild) Eliante (Milva Stark).
Gentlemen aus der Afro-Karibik
Griesgrämige Komödie
Das Orchestra Baobab ist so etwas wie der Buena Vista Social Club aus Senegal. Ein Weltklasseorchester der afrokaribischen Musik, das seine Renaissance demselben Mann zu verdanken hat wie einst seinen Untergang.
Molières «Der Menschenfeind» entlarvt geheuchelte Nettigkeiten. In den Vidmarhallen wird das zeitlos gültige Stück rund um menschliche Schwächen in die heutige Zeit versetzt.
Baobab heisst der Affenbrotbaum in fast allen Sprachen der Welt. Der Affenbrotbaum ist zugleich der Medizinschrank und das Militärsackmesser unter den Pflanzen Afrikas. In der Naturmedizin werden seine Früchte gegen Pocken und Masern eingesetzt, sie werden gegessen oder ihre Samen zu Öl verarbeitet. Der Baum lässt sich aber auch zu Kleidern, Dächern, Halsschmuck, Schnüren, Hüten, Kisten und Papier verarbeiten. Kurz: Dieser Baum ist nicht mehr aus dem Afrika südlich der Sahara wegzudenken. Ähnlich verhält es sich mit dem Orchestra Baobab aus Senegal. Zu Beginn der 70er-Jahre schuf die zehnköpfige Kapelle einen neuen Sound, der karibischer klang als Kuba und zugleich traditionelle westafrikanische Musik so selbstverständlich integrierte, als wäre dies die logische Konsequenz aus der bisherigen Weltmusikgeschichte. Die Herren eroberten mit ihrer leidenschaftlichen Musik zuerst Senegal, dann den Schwarzen Kontinent und schliesslich zahlreiche Plattensammlungen in der ganzen Welt. «Das sind Weltstars», sagt Peter «Mühle-Pesche» Burkhard, der sich freut, die Band erstmals im Programm zu haben. Son und Bolero haben sie im Blut In den 90er-Jahren drehten sie in jedem WG-Fest-Ghetto-Blaster bis zum Gehtnichtmehr ihre Runden, die Scheiben des Buena Vista Social Club. Von Kapstadt bis Reykjavik und von Santiago de Chile bis Ulan-Bator hört deshalb heute keiner mehr die Filmmusik der kubanischen Altmeister. Die selbstmörderi-
sche Popularität der Musik hat eine Lücke hinterlassen. Warum sollte nicht das Orchester Baobab diese füllen? Denn Son und Bolero haben die Senegalesen mindestens so im Blut wie Ibrahim Ferrer und seine (Alters-) Genossen. Die ergänzenden westafrikanischen Harmonien und Rhythmen machen die Musik reichhaltig wie einen Affenbrotbaum. Klassische tanzbare Latin-Tunes mit Afro-Einschlag. Rauschende Feste in Dakar Auch eine Bar in Senegals Hauptstadt Dakar hiess Baobab, und damit wären wir am Anfang der Geschichte des Orchestras. Im Club inmitten der Stadt verkehrte Anfang der 70er-Jahre die Oberschicht Senegals. Doch es herrschte keine zurückhaltende staatsmännische Atmosphäre. Minister und Staatsgäste amüsierten sich im Club unter Einfluss von grossen Mengen Champagner, das sagt die Legende. Zu verantworten hatte diese zügellose Festfreude nicht nur die westafrikanische Mentalität, sondern auch das Orchestra Baobab mit den Sängern Rudy Gomis und Balla Sidibe, dem Schlagzeuger Mountaga Koite, Barthélemy Attiso an der Gitarre und dem Saxofonisten Issa Cissoko. Denn sie hatten mit fünf weiteren Musikern 1970 das Orchester gegründet und spielten jede Woche viermal im Club Baobab. Das Orchester wurde im afrikanischen Ausland zum Botschafter Senegals. Die Band tourte erfolgreich durch Afrika, spielte wochenlang in Paris, hielt sich gut als innovative, gepflegte Tanzband, bis da einer aufs Parkett trat, der sogleich den musikalischen Zeitgeist
monopolisierte: Youssou N’Dour. Er wurde mit dem knalligen Mbalax zum Superstar, mit seiner neuen Popmusik, die in Senegals Alltagssprache Wolof gesungen wird. Das Orchestra Baobab überlebte den Aufstieg des neuen Stils (der neben einer «Senegalisierung» auch auf Latin-Einflüsse baute) nicht und bröckelte auseinander. Es wurde still um die Musiker. Experte für gealterte Stars Viele Jahre später kam der vielgereiste Musikproduzent Nick Gold nach Senegal, und mit ihm tatsächlich die Verbindung zum Buena Vista Social Club. Der Nomen-est-Omen-Mann, der in den 90er-Jahren Havannas PensioniertenOrchester zu spätem Weltruhm verholfen hatte, nahm sich also des Orchestra Baobab an. Er recherchierte sich das Notizbuch voll und telefonierte sich die Finger wund, bis er fast die gesamte Band wieder zusammengetrommelt hatte. Mit alter Spielfreude gingen die gealterten Musiker ans Werk, und so entstand 2002 das Revival-Album, «Specialist in all Styles», bei dem die Musiker auf ihr riesiges Repertoire aus der ersten Baobab-Dekade bauten. Das Revival wurde zur Popularität getrimmt – mit dem Gastauftritt von keinem Geringeren als Youssou N’Dour, dem Musiker, der zu Beginn der 80er-Jahre ungewollt einiges zum Untergang der Band beigetragen hatte. Auch das letztjährige Album, «Made in Dakar», knüpft an frühere Zeiten an, mit mitreissender afrokaribischer Musik, affenbrotbäumig vielfältig. g Michael Feller sun
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Mühle Hunziken, Rubigen Sa., 27.9., 21 Uhr www.muehlehunziken.ch
Bereits in der Antike hatte die Komödie, verglichen mit der Tragödie, einen schweren Stand. Das Image der Seichtheit haftet ihr heute noch an. Das war zu Molières Zeit im 17. Jahrhundert nicht anders. Trotzdem ist es dem französischen Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker gelungen, diese Gattung aufzuwerten. Anhand von Verskomödien machte er sich über die höfische Gesellschaft lustig, mit dem Ziel, die Gesellschaft zu amüsieren, ihr aber gleichzeitig einen Spiegel vorzuhalten. So brandmarkte er Arroganz, Heuchelei und Geiz. Sein Tod mutet wie ein Scherz des Schicksals an: Er starb auf der Bühne, während er seine eigens entworfene Bühnenfigur des eingebildeten Kranken spielte. Zu einem seiner späten Stücke gehört auch «Der Menschenfeind» («Le Misanthrope»). Dabei handelt es sich um eine Satire auf die unehrliche Schmeichelei am Hof und in den Pariser Salons. Der Antiheld Alceste ist eine stark autobiografisch geprägte Figur. Sie spiegelt Molières Unvermögen und Unlust wider, sich den Regeln am Hof anzupassen. Auch die unglückliche Beziehung Alcestes zu der koketten Célimène geht auf eigenes Erlebtes zurück. Molière hatte zum Zeitpunkt, als «Der Menschenfeind» entstand, Scherereien mit seiner 21 Jahre jüngeren Frau, Armande Béjart. Mut zur Unbeliebtheit Auch Filmemacher, wie etwa der Komödiant Louis de Funès, inspirierten sich an Auf bau und Charakter dieser Figuren, die vor allem Typen sind, wie sie in jeder Gesellschaft zu jeder Zeit
vorkommen: Der Geizige, der eingebildete Kranke oder der Schwindler sind nur einige Beispiele. Regisseur Stefan Otteni will diese Typisierung umgehen und haucht den Figuren etwas Zeitgemässes ein. Er verzichtet auf historische Kostüme und lässt das Stück in einem eher abstrakten Raum spielen. Jürgen Hartmann stellt den Menschenfeind dar. Worin liegt der Reiz? «Mir gefällt der Mut dieser Figur, sich unbeliebt zu machen. Er hat keine Lust, sich anzupassen, und scheut den Kompromiss», erzählt Hartmann im Gespräch. Leben ohne Etikette Bei seiner Angebeteten Célimène (Lucy Wirth), die sich meisterhaft auf dem Gesellschaftsparkett zu bewegen weiss, stösst Alceste mit seiner Direktheit auf Unverständnis. Für den Griesgram und die Gesellschafterin ist kein glückliches Ende in Sicht. Er möchte auf einer einsamen Insel leben, fern aller Etikette. Sie hingegen trachtet danach, ihre Jugend und Schönheit in vollen Zügen zu geniessen, und sucht die Bewunderung der Gesellschaft. Dafür kommen Alcestes Freund und Célimènes Cousine zusammen. Die beiden sind bereit, ihre menschlichen Schwächen gegenseitig zu akzeptieren und Kompromisse zu schliessen. Etwas, das einem Menschenfeind nicht gelingt. Er ist zum Einsiedlerdasein verdammt, denn die anderen und ihr Verhalten sind für ihn die Hölle. Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Der Menschenfeind. Vidmar 1, Liebefeld. Premiere: Do., 25.9., 19.30 Uhr. www.stadttheaterbern.ch