Berner kulturagenda 2008 N° 41

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ZVG

Severin Nowacki

N°41 Do., 9., bis Mi., 15.10.2008

«I hired a contract killer» im Theater an der Effingerstrasse

Die Happy im Gaskessel Bern

Das Leben hat auch seine guten Seiten. Durch die Begegnung mit Blumenverkäuferin Maggie (Karo Guthke) sieht der lebensmüde Henri (Oliver Stein) wieder eine Perspektive in seinem kläglichen Dasein als einsamer Verlierertyp.

Rockmusik ist manchmal auch eine Frage der Entscheidung zwischen Authentizität und Erfolg. Marta Jandová und ihre Band Die Happy starten ihre Herbsttour in der Schweiz.

Liebe auf den ersten Whisky

Zurück am Gasherd

Das Theater an der Effingerstrasse wagt den Versuch, die spartanischen Dialoge des eigenwilligen Filmemachers Aki Kaurismäki auf die Bühne zu bringen. In «I hired a contract killer – oder wie feure ich meinen Mörder» entdeckt ein Taugenichts im letzten Moment, dass das Leben auch ihm etwas zu bieten hat.

Sie haben in der Vergangenheit etwas viel gewollt. Sie holten Hit-Schreiber, hatten damit mässigen Erfolg und ziehen daraus eine Lehre: Die Happy kehrt mit dem neuen Album, «VI», und ihren eigenen Poprock-Spezereien zurück.

Entschleunigende Einsamkeit Nach der schweren Sprache in Goethes «Stella» bringt das Effinger-Theater ein sprachlich äusserst minimalistisches Stück auf die Bühne. «I hired a contract killer – oder wie feure ich meinen Mörder» ist eine Schweizer Erstaufführung nach dem Originaldrehbuch des Films von 1990. Die Geschichte zwischen Melodrama und Tragödie ist von unterhaltsamen Elementen durchzogen. «Kaurismäki ist ein grandioser Atmosphäriker», meint Regisseur Stefan Meier. Zu Hause vor dem Fernseher oder im Kino mag der sparsame Stil des Filmemachers funktionieren – wie aber siehts auf der Bühne aus? Für Meier hat die Inszenierung experimentellen Charakter. «Die Herausforderung besteht darin, sich auf die Langsamkeit und Melancholie des Stücks einzulassen», erzählt Meier im Gespräch. Einen Gang runterzuschalten, das fordert Kaurismäkis Stoff gleichermassen von Publikum und Schauspielern. Henri Boulanger (Oliver Stein, im Film gespielt von Jean-Pierre Léaud) ist ein

einsamer Verlierer. Nachdem ihm gekündigt wird, gibt es nichts mehr, was ihn in seinem Leben noch hält. Sogar die Selbstmordversuche des Taugenichts scheitern – um sich aufzuhängen, ist der Haken zu klein, als er seinen Kopf in die Backofenröhre steckt, setzt ein Gasstreik in London seinem Plan zu ersticken ein jähes Ende. Als letzten Ausweg heuert der Franzose in einer zwielichtigen Bar einen Profi-Killer an, der ihn von seinem leidvollen Dasein auf Erden erlösen soll. Dumm nur, trinkt Boulanger kurz danach seinen ersten Whisky und verliebt sich prompt in die Blumenverkäuferin Maggie (Karo Guthke). Auf einmal findet er das Leben gar nicht mehr so unerträglich. Doch der Killer ist ihm bereits dicht auf den Fersen. Den Auftrag rückgängig zu machen, scheint unmöglich … «I hired a contract killer» war Kaurismäkis erste Auslandproduktion und

Hunde statt Menschen Die Protagonisten seiner Filme sind kleine Leute am Rande der Gesellschaft. Kaurismäki betrachtet sie liebevoll, niemals spöttisch. Der Filmemacher steht der modernen Gesellschaft selbst ablehnend gegenüber. So sagte er: «Man sollte die Menschheit mögen, weil man Teil davon ist. Ich aber bevorzuge Hunde – die lügen nicht.» Mariana Raschke \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Theater an der Effingerstrasse, Bern Vorstellungen bis Fr., 31.10. www.dastheater-effingerstr.ch

Pandorrafilm

In jungen Jahren erteilte ihm die finnische Filmschule eine Absage. «Zu zynisch» lautete die Begründung. Heute macht Aki Kaurismäki international erfolgreiches Kino abseits der massentauglichen Grossproduktionen. Sich als Zuschauer auf seinen reduzierten Stil einzulassen, ist nicht einfach. Die Komik seiner Filme liegt in der Trocken­ heit der Dialoge. Seine skurril-lakonische Art als Humor zu bezeichnen, mutet beinahe übertrieben an.

spielt im London der 80er-Jahre. Viel Retro prägt das Bühnenbild und auch die Musik. Mit der schwermütigen Stimmung kontrastieren bei Meiers Aufführung auch mal äusserst rockige Töne. Alte, fast schon versiffte Sachen dienen als Requisiten – «Dinge, die etwas zu erzählen haben», so Regisseur Meier. Kaurismäki pur eben. Der «ChefMelancholiker des europäischen Autorenkinos», wie ihn das Feuilleton einst betitelte, ist kein Freund grosser Gestik. Allem voran verabscheut er den Pomp.

Hat ein Auge für die kleinen Leute: der finnische Filmemacher Aki Kaurismäki.

Die Happy ist absolut das Gegenteil von hip. Die Rockmusik hat seit Jahrzehnten graue Schläfen – wer dennoch hip sein will damit, hat die Wahl: Entweder er schmeckt die Songs mit einem Synthesizer und anderen Elektronika ab, oder er schaut sich in der Kinderabteilung um: Ein Fisher-Prize-Xylophon ist der Renner in der Kategorie «Irgend», die derzeit immer dann bemüht wird, wenn der Originalität der Musik etwas nachgeholfen werden soll. Fleissige Musiker mit Pfeffer Das macht Die Happy nicht, denn die Band ist ein alter Hase, der nicht originell sein will. Nicht Stones-alt, eigentlich fast noch jung, aber erfahren. Sängerin Marta Jandová wurde dieses Jahr 34 und hat bereits 15 Jahre ihres Lebens mit der deutschen Band verbracht. Balladen und flott gepoppte Rocknummern der Marke Gitarre-Bass-Schlagzeug ziehen sich durch das Leben der in Tschechien geborenen Musikertochter. Bereits seit 1993 besteht die Band – ihre Mitglieder sind mit ihr gewachsen. Nach drei selbst eingespielten Platten in den 1990er-Jahren konnte Die Happy erstmals 2001 ein Album, «Supersonic Speed», professionell aufnehmen und vertreiben. Das diesjährige Album ist bereits das sechste seit 2001 und heisst «VI». Wir wollen der fleis­sigen Band nicht unrecht tun, vielleicht ist der Name ja das Resultat eines zweiwöchigen Albumtitelsuch­ seminars – doch der Titel ist demonstrativ banal, als hätte sich die Band gesagt: Wir wollen zurück an eine floskelfreie Basis. Zurück zum selbst gebeizten

Pfeffer, zur Hausmannskost statt Haute Cuisine. Zu viele Köche verderben den Style Da hat die Band auch einiges wiedergutzumachen. Nichts gegen Ohrwürmer, aber auf «Bitter to better» (2005) hat Die Happy mit dem Streben nach dem Smash-Hit die Suppe etwas versalzen. Gleich zwei Hitbrauer mit BritneySpears-Vergangenheit, Jörgen Elofsson und Peter Kvint, steuerten ein Stück mit etwas gar abgerundeten Kanten bei, fast schon in Bon-Jovi-Manier. Und mit Diane Warren wurde gar die erfolgreichste Hitproduzentin aller Zeiten (Joe Cocker über Céline Dion bis Pussycat Dolls) für einen Beitrag («I Am») angeheuert... Das war sicher des Glutamats zu viel. Mit dem neuen Album sind die Pop­ rocker zwar nicht härter geworden, aber authentischer. Leider verstecken sich in den englischen Texten da und dort «Bravo»-Parolen wie «Ich möchte nicht ein Möchtegern sein wie du, ich möchte ich selbst sein». Nichtsdestotrotz klingt «VI» nach dem soliden und herzhaften Songwriting von Thorsten Mewes (Gitarre), Ralph Rieker (Bass) und Jürgen Stiehle (Schlagzeug). Die zwei härteren Songs, «Hysteria» und «New York – Tokio», sind die besten des Albums. Dennoch: Die Happy gehört definitiv zu den Bands, die im Studio immer auf kleinem Feuer kochen. Die Bühne ist ihr Gasherd, erst da wird auf grosser Flamme gebraten. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Gaskessel, Bern. Fr., 10.10., 21 Uhr www.gaskessel.ch


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