Berner kulturagenda 2008 N° 51

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N°51 Do., 18., bis Mi., 24.12.2008

«Für Engel und Bengel»

Kassette im Café Kairo

«Tubeland» der Tanzcompany öff öff in der Dampfzentrale

Bis Weihnachten wird im Kornhausforum gebastelt, gebacken, getanzt und gestaunt.

In ihrer Musik legt sie ein gewisses Anlehnungsbedürfnis an den Tag. Laure Betris ist die Westschweizer Entdeckung der Singer-Songwriterinnen-Garde.

Verführung im Fantasieland oder Eindringlinge aus einer fremden Galaxie? Die Traumlandschaft von «Tubeland» lässt viele Assoziationen zu.

Tür auf!

Mademoiselle triste

Tanz im Plastiktunnel

Die Feen und Wichtel des Kornhausforums laufen in der Adventszeit zu Hochform auf. Der Countdown für die letzte Woche läuft.

Wie aus dem Nichts betört eine Freiburger Stimme die ganze Romandie. Kassette steht innert eines Jahres auf fast jeder Bühne, die der Westen zu bieten hat. In Bern kennt sie kaum einer, obwohl hier gewissermassen alles begonnen hat.

Brücken, Wände, Dächer – vor der Berner Tanzcompany öff öff ist kein Luftraum sicher. Nach grossen Outdoor-Spektakeln überraschen die Akrobaten in «Tubeland» mit aufgehängten Plastikschläuchen und waghalsigen Tänzen.

Hinter den Türchen eines Adventskalenders kann eine ganze Menge Schokolade lauern. Oder es stecken Bilder und Figuren dahinter, wie in den Adventskalendern in den Fenstern von Kaufhäusern, Dörfern oder Stadtquartieren.

Das Album «Chambre 4» erwacht mit einem Tagtraum. Ein feiner metallischer Rhythmus klingt wie ein alter Wecker, der nach jedem zweiten Sekundentick neu aufgezogen wird. Die Gitarre und zuletzt die Stimme von Laure Betris gesellen sich zum mechanischen Beat, «when the man daydreams». Es ist der Auftakt des schwermütigen Albums eines Tages, der sich nie richtig den Tritt in den Hintern gegeben hat, bevor es auch schon wieder dämmert. Songs, die zu anhaltenden Niederschlägen aller Art passen. Wunderschön melancholisch ist das. Ein wenig PJ Harvey schwingt mit. «Hmm, du rock intimiste?», persönlicher Rock, antwortet die Sängerin auf die Frage nach dem Stil.

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Kornhausforum, Bern. «Für Engel und Bengel», täglich bis Mi., 24.12. www.engelbengel.ch

Ein Objekt aus der Kindheit «Kassette» nennt sie sich, wegen des Tonträgers, der ihr als Objekt gefällt. «Ich bin ein Kind der 80er-Jahre», sagt die 27-Jährige. Ihr Debüt-Album, «Chambre 4», kam letztes Jahr fast aus dem Nichts. «Ich hatte schon lange an Liedern gearbeitet. Ich schrieb tagelang in meinen vier Wänden und merkte nicht, dass es Nacht geworden war.» Sie zeigte ihre Skizzen Sacha Ruffieux vom Freiburger Plattenlabel Laïko Records, und er war begeistert. Zu zweit nahmen sie die Songs auf. Weil beide nicht wirklich Schlagzeug spielen können, mussten weitere Beats her, und so flossen die Sofalehne, das Polster und einige Objekte, die im Studio herumlagen, rhythmisch in die Aufnahmen ein. Welch ein Glück: Die eigenartige, dünne Geräuschkulisse wird zu einem Markenzeichen des Albums.

Fräuleinwunder hängt im Röstigraben Das ist erstaunlich für eine Sängerin, von der man zuvor noch nichts gehört hatte. Die Hochkonjunktur der Fräuleinwunder dürfte ihr dabei geholfen haben. In der Deutschschweiz ist sie nach wie vor unbekannt. Die Abgründe der Röstikerbe sind allgemein stotzig, aber in der Kulturszene scheinen sie manchmal gar unüberwindbar. Gerade darum sind die Auftritte hier speziell für sie. Bereits zum zweiten Mal spielt sie nun im Kairo. Das erste Mal war im Oktober letzten Jahres, es war ihr allererster Auftritt. «Es war cool, aber ich hatte schreckliches Lampenfieber». Nun hat sie innert eines Jahres viele andere Bühnen gesehen, grössere, mit mehr Lampen, und dennoch bleibts im kleinen Berner Club behaglich, intim wie ihre Musik. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Café Kairo, Bern Do., 18.12., 21 Uhr www.cafe-kairo.ch

Polyvinylchlorid – kurz PVC – steckt in so profanen Dingen wie Bodenbelägen, Fensterprofilen und Wasserbetten. Man kann PVC aber auch aufhängen und darin tanzen, schliesslich ist es ein KunstStoff. Das vielseitige Material entdeckte Heidi Aemisegger, künstlerische Leiterin der Berner Tanzcompany öff öff productions, bei der Entwicklung des Stücks «Twins ahead» (2001) – einer Neuinterpretation des doppelten Lottchens. Sie setzte PVC damals in Form eines transparenten Schlauchs ein. «Ich kann damit in die dritte Dimension vordringen», erzählt Aemisegger, die mit ihren Tänzerinnen und Tänzern gerne in die Luft geht. Geborgen in der Transparenz Die transparenten Plastikhüllen haben es der öff-öff-Leiterin so angetan, dass sie daraus ein Gruppenstück geschaffen hat. Gemeinsam mit der Regisseurin Mirella Weingarten entwickelte sie «Tube­land», eine dreidimensionale Bühne, bestehend aus fünf aufgehängten zehn Meter langen PVC-Tunneln. Die darunterliegende dunkle Wasserfläche spiegelt das Geschehen. Die drei Tänzerinnen und Tänzer, allesamt langjährige öff-öff-Mitstreiter, ertasten sich ihren Weg durch die transparenten Hüllen. Mit Händen, Ellenbogen, Schultern, Füssen und Gesäss stemmen sie sich gegen die elastische Innenwand. Sie kauern, krabbeln, klettern, steigen auf, lassen sich fallen oder hängen kopfüber. Allein, zu zweit oder sogar zu dritt. «Von aussen gesehen, könnte man meinen, wir würden uns blossgestellt Rene Richter

Süsse Kleckserei Auch in Bern gibt es einen speziellen Adventskalender, jedoch ohne Schoggi, Spielzeug und dergleichen, dafür aber u.a. mit Schtärneföifi. Denn das Kornhausforum lädt mit dem Adventskalender «Für Engel und Bengel» jeden Nachmittag Kinder zwischen sechs und elf Jahren ein mitzumachen, wenn ein neues Adventstürchen geöffnet wird. Dabei ist für die Englein und Benglein alles gratis. Das Team des Kornhausforums um Urs Rietmann hat viele Berner Kolleginnen und Kollegen für das Gemeinschaftswerk eingeladen. So stiftet das Kindermuseum Creaviva des Zentrums Paul Klee den Nachmittag «Wenn Engel tanzen» (Do., 18.12.), an dem Lichter, Hinterglasmalerei und Engel gebastelt werden. Wer zu Hause noch keine Lebkuchen gebacken hat, kann zum Knusperknusperknäuschen-Nachmittag (Fr., 19.12.) mit dem Chinderchübu einen Lebkuchen mit Zuckerguss beklecksen. Der grösste Knaller des Adventskalenders steckt nicht im Türchen des 24., sondern betört grosse und kleine Ohren schon am 20. Dezember: denn da heizt die beliebte Band Schtärneföifi den Dreikäsehochs ein. Claudia Sandke

Die welsche Presse nahm die Platte mit Begeisterung auf. Und so tingelt Betris seither durch die Westschweizer Clubs, mit einer wechselnd formatierten Band. Derzeit besteht sie neben Sacha Ruffieux aus einem Schlagzeuger und einer Freundin von ihr, die für die Hintergrundstimme und einige Querflötenparts verantwortlich ist. «Wir waren eigentlich schon überall», sagt sie. Letzten Sommer spielte sie am verträumten Rock’oz’Arènes-Festival in Avenches und am Paléo in Nyon, dem weitaus grössten Schweizer Open Air.

fühlen, aber ich empfinde Geborgenheit im Schlauch», erzählt Tänzer Tae Peter während der Probe. «Wenn wir zu dritt in einem Tube sind, wird die Luft allerdings etwas dünn.» Die Choreografie hat Aemisegger gemeinsam mit den Tänzern entwickelt – der sehr begrenzte Raum engt die Bewegungsfreiheit ein, was kleinen Gesten grosse Wirkung verleiht. Poesie aus dem Anatomiebuch «Tubeland ist kein Fantasieland», nimmt Heidi Aemisegger im Gespräch gleich vorweg. Es handle sich auch nicht um ein Sciencefiction-Szenario, obwohl die Tubes einen durchaus an Reagenzgläser erinnern können. Die öff-öff-Gründerin hat sich vielmehr vom menschlichen Körper inspirieren lassen. «Wir bestehen aus unzähligen Tubes – Venen, Luftröhre, Darm»: Sie zeichnet Formen in die Luft. Sie wolle nicht den Moralapostel spielen, bekräftigt sie, dennoch gibt es ihr zu denken, wie gewisse Menschen mit ihrem Körper umspringen und zum Beispiel literweise Kaffee oder Coca-Cola in sich hineinkippen. Die Tänzer sind also nichts anderes als Eindringlinge in unser System. Was klingt wie aus dem Anatomiebuch ist faszinierend anzuschauen: wenn die waghalsigen Tänzer mit dem Plastik verschmelzen, in magisches Licht getaucht, untermalt von Mich Gerbers meditativen Klängen. Nadine Guldimann \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Dampfzentrale, Bern Do., 18.12., bis So., 21.12., 19 Uhr Weitere Vorstellungen bis 29.12. www.oeffoeff.ch


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