Berner kulturagenda 2008 N° 52

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: e b a g s u Doppela ultur K n e h c o 2W

ZVG

Christoph Hoigné

Karin Scheidegger

N°52/1 Do., 25.12.2008, bis Mi., 7.1.2009

Electric Blanket tauft ihr zweites Album in der Turnhalle

Ein Theaterabend mit Szenen von Loriot in der Cappella

Morellis Atelierfestival

Das Duo ist zum Quartett angewachsen. Keyboarder Oli Kuster fehlt auf dem Bild mit Helenka Danis, Patrick Lerjen und Julian Sartorius. Eine verlässliche Heizdecke.

Silvia Jost und Andreas Berger schlüpfen je in etwa zehn Rollen aus dem grossen Sketch-Fundus von Victor von Bülow. Die Figuren von Loriot sind uns erschreckend ähnlich.

«Philosoph, Dummer August, Musikant – ich mache den morellschen Spagat», sagt Morelli.

Elektro-Pärchengroove

Zündstoff im Panoptikum Heimkasper

Bei der Teilrevision von Electric Blanket sind Schlagzeugmaschine und Laptop auf der Strecke geblieben. Dafür haben Helenka Danis und Patrick Lerjen zwei Könner aus Berns Musikszene aufgegabelt.

Das Schauspielerpaar Andreas Berger und Silvia Jost präsentiert in der Cappella Szenen aus Loriots Repertoire. Musikalisch begleitet wird ihr Spiel von Rainer Walker, der mit diversen Instrumenten für die angemessene Geräuschkulisse sorgt.

18 Vorstellungen, 3 Programme, 34 Sitzplätze: Marco Morelli unterhält im Alleingang drei Generationen.

view-Sketch «Der sprechende Hund», in dem eine Hundepädagogin einem Journalisten seinen angeblich sprechen­ den Bello präsentiert. Auch «Der Lotto­ gewinner» gehört zu diesem Themen­ kreis. Herr Lindemann aus Wuppertal ist mit seinem Lottogewinn überfordert, denn Medienleute stürmen sein Haus und verlangen eine Stellungnahme, die mit jedem Dreh abstruser ausfällt. Auch das Interview mit einem Schauspieler aus Hollywood, der immer das Monster spielt, gerät ausser Kontrolle. Die Jour­ nalistin bittet ihn, seine Maske abzuneh­ men, die dummerweise keine ist.

Nicht in einem urbanen Kulturkeller, nein, in der Gemeinde Zimmerwald zwi­ schen Feuerwehr und Schneepflug wird die schrägste Weihnachtsgeschichte ge­ boten. Im Postgebäude lädt Marco Mo­ relli zum zweiwöchigen Atelierfestival. Man platze direkt in seine Privatsphäre, so der Berner Tausendsassa – in sein Atelier, das irgendetwas zwischen Turn­ halle, Wohnstube und Galerie sei. Letz­ ten Winter lud er erstmals das Publikum zu sich nach Hause ein. Ein guter Mix aus Gwundernasen und Kulturgängern, Längenberger und Städter, habe den Weg zu ihm gefunden, erzählt der 54-Jährige.

Völlig Wurst Im zweiten Teil schlüpfen die Schau­ spieler in Rollen, mit denen sich wohl viele Zuschauer identifizieren können. Sie spielen Ehepaare. Und das bietet Zündstoff. Sie, vor dem Spiegel stehend, möchte wissen, ob ihr das Kleid stehe, er möchte nichts Falsches sagen und sagt natürlich das Kreuzverkehrte. Bis sie ihn wutentbrannt anschnaubt, es sei ihm wohl völlig Wurst, was sie trage. Eine Si­ tuation, wie sie sich jederzeit abspielen könnte, tragisch, wenn man selbst drin­ steckt, zum Schreien komisch, wenn man sich darin wieder erkennt, wenn andere das zugespitzt auf der Bühne für uns nachspielen. «Trotz seiner ent­ larvenden Darstellung der Wirklichkeit geht Loriot nie unter die Gürtellinie», schwärmt Silvia Jost vom feinsinnigen Humor Vicco von Bülows. Helen Lagger

Durchgeknallt und warmherzig Als Ein-Mann-Show interpretiert der eigensinnige Entertainer Programme für jede Generation: «O sole mio», die Bühnenausgabe seines Solo-Open-AirZirkus «Circo Morelli», eine kinderge­ rechte Version frei von Politik und Mid­ lifecrisis mit dem schlichten Titel «Mo­ relli: Clown» sowie «Die Weihnachtsge­ schichte». Letzteres ist ein skurriles Fi­ gurentheater, mit dem er seit mehreren Jahren durch die Beizen tingelt und zu dessen Personal Yassir Arafat genau so gehört wie ein Hotelier und der schwule Engel Gabriel. Ein Kasperlitheater, mit dem er sich nicht nur Freunde macht, doch den Vorwurf der Blasphemie weist er von sich: «Es ist eine warmherzige, lebensbejahende Geschichte – so liebe­ voll wie mein Joseph geht kein anderer mit seiner Frau um.» Nadine Guldimann

\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ o\ s\u\n\g\ \ \ l La Cappella, Bern. Fr., 26.12., Ver

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Die zwei und das Paar Wenn die Sängerin auf die Bühne tritt, mutiert Helena zu Helenka, mit k. Aus der eher zurückhaltenden Gesangsleh­ rerin der Musikschule Biel wird eine wagemutige Elektropopsängerin. «Ich bin nicht voll der Showmaster», be­ schwichtigt Helena Danis, doch wenn sie vor dem Publikum steht, erlaubt sie sich was, trägt extravagante Sachen, zeigt Seiten von sich, die Unbekannten gewöhnlich vorenthalten bleiben. Ihr Bühnenpartner Patrick Lerjen teilt mit ihr auch sonst viel im Leben. Die beiden wurden ein Paar, bevor die ge­ meinsame Band entstand. Der Pärchen­ groove auf der Bühne war eigentlich un­ geplant, es hat sozusagen ungewollt ein­ geschlagen in musischen Sphären, aber das passiert halt schnell mal, wenn bei­ de Musik machen. «How Much Peanut Butter» ist quasi die zweite Geburt der beiden. Mit Schlagzeuger Julian Sartori­ us (auch Sophie Hunger) und Keyboar­ der Oli Kuster (Ex-Züri-West) ergänzen zwei hervorragende Berner Musiker das Paar zum Quartett. Nebst den per­ sonellen Änderungen hat sich seit dem

letzten Album auch musikalisch etwas getan. Patrick Lerjen hat die Gitarre ins Zentrum gestellt und den Laptop in die Abstellkammer. Durch den Zuzug von Julian Sartorius sind auch die Rhyth­ men organischer geworden. Faszination an der Technik war schon grösser Lerjen und Danis haben das Song­ schreiben anders angepackt, «wir woll­ ten, dass die Songs funktionieren, wenn man sie zu zweit spielt». Die Faszina­ tion am Computer und der Elektronik ist gehörig verflogen. Und darum sind die neuen Songs direkter und teilweise von Effekten entrümpelt. Es sind mit­ telschnelle Pop-Nummern, die durch­ aus zum Tanzen gut sind, aber auch im Auto funktionieren, wenn sich die Ka­ rosserie früh morgens durch den frisch gefallenen Neuschnee pflügt und das Pulver unter den Rädern knirscht. Kei­ ne Angst, Elektronisches ist bei Electric Blanket noch immer drin, es kommt allerdings vom Synthesizer statt vom Laptop. Mit «My Eyes My Heart» ist ein veritabler Ohrwurm entstanden, in «It’s written in Your Eyes» legt die Band Raf­ finesse in der Komposition an den Tag. Andere Tracks eröffnen sich einem erst beim zweiten oder dritten Mal Hören. Dass die Plattentaufe auf den ungelieb­ ten Sonntag fällt, ist natürlich Pech. «Wobei so ein Konzert eine ganz gute Beschäftigung für einen Sonntag ist», findet Helena Danis. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Turnhalle im Progr, Bern So., 28.12., 22 Uhr www.bee-flat.ch

«Ich wohnte zwischen dem Irrenhaus, dem Zuchthaus und dem Friedhof. Al­ lein die Lage wird es gewesen sein», ant­ wortete der 1923 in Brandenburg gebo­ rene Humorist Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot, auf die Frage, was ihn geprägt habe. Seine Figuren sind allerdings weder krankhaft irre noch kriminell, nur erschreckend aus dem Leben gegriffen. Das Absurde der zwi­ schenmenschlichen Kommunikation, die nicht so funktioniert, wie sie sollte, und die Entlarvung des oftmals skurri­ len Alltags sind seine Themen. Seine Fernsehsketches, Filme und auch die knollennasigen Männchen, die er in Trickfilmen einsetzt, sind längst Kult. «Ich bin immer wieder erstaunt, dass ei­ nige Leute ganze Szenen auswendig kön­ nen», erzählt Regisseur und Schauspie­ ler Andreas Berger im Gespräch. Dabei sei es gar nicht so einfach, diese schein­ bar locker dahingesprochenen Texte, die viel Sprachakrobatik enthalten, zu lernen. Gemeinsam mit seiner Frau, der Berner Schauspielerin Silvia Jost, steht er zurzeit auf der Bühne der Cappella. Schrullige Typen Die beiden interpretieren je etwa zehn verschiedene schrullige Typen aus dem Panoptikum Loriots. Der Musiker Rainer Walker kreiert die passende Geräuschku­ lisse zum jeweiligen Moment. Ehestreite­ reien untermalt er mit Tango, Unheimli­ ches mit der Maultrommel, Badeszenen mit Geblubber aus dem Synthesizer. In einem ersten Teil des Theaterabends in­ terpretieren Berger und Jost vor allem Texte, die im Fernsehen spielen. So prä­ sentieren sie etwa den berühmten Inter­ Rene Richter

«I hate Sundays», singt Helenka auf dem neuen Album von Electric Blanket, «How Much Peanut Butter». Was macht denn einen Sonntag so schlecht? «Es sind wohl die Kindheitserinnerungen an erzwungene, traumatische Familien­ spaziergänge», sagt die 36-jährige Tochter slowakischer Einwanderer. Der Sonntag ist aber auch der Tag vor dem Montag und der Folgetag des Samstags, und das kann, je nach Lebenswandel, fast noch schlimmer sein.

19.30 Uhr, weitere Vorstellungen bis 10.1.2009. www.la-cappella.ch

Morellis Atelier Theater, Zimmerwald Do., 25.12., bis So., 4.1.2009 (täglich) www.marcomorelli.ch


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