Berner kulturagenda 2008 N° 8

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Beat Schweizer

Severin Nowacki

N°08 21. bis 27. Februar 2008

Reverend Beat-Man & Guests im Café Kairo

«Die Zofen» von Jean Genet im Theater an der Effingerstrasse

Trash-Rocker, Prediger, Förderer, Frauenversteher: Der umtriebige Beat Zeller hat viele Gesichter und noch mehr Namen.

Regisseur Norbert Klassen verwandelt Genets Stück in ein bizzares Spiel mit der Travestie: Armin Köstler (als Solange) und David Imhoof (als Claire) mimen die Zofen der gnädigen Frau, gespielt von Peter Zumstein.

Der Diamantenschleifer Von Allmacht bis Ohnmacht Für seine Schützlinge legt sich Trash-Rocker Beat-Man ganz schön ins Zeug und steigt dafür auch mal in den Wohlensee. Kostproben gibts bis Ende Monat im Café Kairo.

Der Regisseur Norbert Klassen inszeniert am Theater an der Effingerstrasse «Die Zofen» des französischen Dramatikers Jean Genet. Im Stück proben zwei Dienstboten den Mord an der gnädigen Frau und steigern sich so in eine gefährliche Parallelwelt hinein.

Der 40-jährige Berner hat den Beruf des Elektromonteurs abgelegt; zuerst zugunsten eines Versuchs als Comiczeichner, später für die Musik. Was zu Beginn der 80er mit einem Piratenlabel begann, endete 1992 in Reverend BeatMans Label «Voodoo Rhythm Records», da niemand sonst gewillt war, seine Platten herauszubringen. Bis vor einem Dreivierteljahr, als die 25-jährige Frankfurter Jusstudentin Nicole Zorn als Praktikantin zu «Voodoo Rhythm Records» stiess, war Beat-Mans Label eine «One-Man Show». Mittlerweile sind zwanzig Bands in Beat-Mans Obhut. Am 8. Februar brachte er zum Beispiel das Album «Boogie the house down – Juke Joint Style» seiner Kölner Schützlinge, des Duos «The Juke Joint Pimps» heraus. Bei seinem Schaffen, sagt Zeller, «steht nicht das fertige Produkt im Vordergrund, sondern die Musik». Die Seele der Musik auf Vinyl oder CD zu bringen, hat Beat-Man zum Ziel. Aufgenommen wird in seinem «Wohnzimmerstudio», bei befreundeten Labels in Deutschland oder England. Zu 90 Prozent sind es «ungeschliffene Diamanten» jeglicher Altersgruppen, Strassenmusiker, die er anspornen und fördern will, nur selten bereits fixfertige Erzeugnisse. Lauter Stücke, «welche das Radio nicht hören will». Seiner Meinung nach «schlug das Radio einen falschen Weg ein, es passte sich der Masse an, statt sich selber zu entfalten, was dazu führen wird, dass eine ganze kreative Ader der Menschen aussterben wird».

«Jean Genet lässt mich nicht los», erzählt Regisseur und Künstler Norbert Klassen im Gespräch. Vor rund zwanzig Jahren inszenierte er «Die Zofen» bereits in der Dampfzentrale, damals mit zahlreichen Akteuren. Im Theater an der Effingerstrasse fokussiert er nun ganz auf die drei Hauptfiguren: die «Gnädige Frau» und ihre beiden Zofen, die Schwestern Claire und Solange. Die drei Frauenrollen werden in Norbert Klassens Inszenierung von Männern gespielt. Genet (1910–1986) sei mit einer weiblichen Besetzung seines Stückes, das 1947 uraufgeführt wurde, nie ganz zufrieden gewesen, begründet er diese Entscheidung. Die Travestie macht das bizarre Spiel der Zofen, gespielt von David Imhoof und Armin Köstler, noch unheimlicher: Wenn die gnädige Frau, gespielt von Peter Zumstein, die Wohnung verlässt, zelebrieren die Schwestern das Spiel «Gnädige Frau und Zofe», ein von Herrschaft und Demütigung geprägtes Ritual. In ihrer Fantasiewelt können die beiden ihrer Knechtschaft entfliehen, indem sie sich gegenseitig abwechselnd in die Rolle der Herrin versetzen. Grausamkeit und Erotik prägen das makabere Spiel. Genussvoll wird sogar der Mord an der Herrin erprobt. Sie beschliessen die Herrin mit einer Tasse vergiftetem Tee zu töten. Doch statt den Tee zu trinken, eilt die gnädige Frau aus dem Haus und lässt die Zofen allein: Das morbide Spiel nimmt erneut seinen Lauf. Können die beiden die Realität noch von der Fiktion trennen? Jean Genets Spiel um falsche Identitäten erweist sich als brandaktuell: Heutzutage ermöglicht das Internet vielen Leuten, ihrem unspektakulären Dasein dank Plattformen wie «Second Life»

«Surreal Folk Blues Gospel Trash» Mit seiner Band The Monsters stand BeatMan 1986 im Berner Graffiti zum ersten

Mal auf der Bühne, und in der «One-Man Band Formation» tourte er zu Beginn bis zu 300 Mal pro Jahr durch ganz Europa, knüpfte Kontakte. Kontakte, welche stets zu neuen Zusammenarbeiten führten. Die teils noch in den Kinderschuhen steckende, im Frühjahr erscheinende Video-DVD «Surreal Folk Blues Gospel Trash 3», zu der zwei gleichnamige Alben gehören, ist eine 60-minütige multikulturelle Zusammenarbeit. In 19 Clips setzen Filmschaffende von Südafrika über die USA, England und Polen bis nach Basel, Beat-Man gestalterisch um. Die Mitwirkenden wurden bereits eigenhändig vom Reverend in wohlenseeischen Gewässern getauft. Bis Ende Februar erfreut er sein Publikum noch mit einem «Beat-Manschen Programm» im Café Kairo. Politik und eine Strasse ohne Ampeln Beat-Man betitelt die Schweizer Politik mit «härzig», unsere Probleme als gering, den Gang an die Urne spart er sich. «Politik könne nur im Kleinen, zum Beispiel in der Familie, funktionieren», sagt er. «Denn die wichtigen Grundregeln habe der Mensch in sich» und «würde man all die Signale und Zeichen von der Strasse nehmen, selbst dann würde der Verkehr funktionieren». Sprichts und zieht, die Skier seines 7-jährigen Sohnes auf dem Rücken, als selbsternannter «Clown of the town», ohne auf die Ampeln zu achten, von dannen. Die Venen voller Kreativität, ein Ende seines Schaffens glücklicherweise nicht in Sicht. Isabelle Haklar \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Café Kairo, Bern. Fr., 22.2., Reverend Beat-Man & Gäste, Fr., 29.2., Stinky Lou And The Goon Mat

zu entfliehen, sich ein zweites Leben und eine neue Identität zu erfinden. Die Blumen des Bösen Norbert Klassen musste bei den Folterspielen der Zofen an die Medienbilder aus dem irakischen Gefängnis von Abu Ghraib denken. Dieser Gedanke wird durch militärische Tarnnetze versinnbildlicht, welche die Bühne umspannen. Das Bühnenbild besteht aus einer Installation der bildenden Künstlerin Diana Dodson. Diese «Bühne auf der Bühne» evoziert ein Niemandsland, bestehend aus vielen übereinandergestapelten und beleuchtbaren Lampenschirmen. «Das können Blumen sein, welche die Zofen ihrer Herrin gebracht haben, oder auch etwas ganz anderes», erörtert Klassen. Kann man für die drei Protagonisten Sympathie empfinden? «Ich sympathisiere mit den Zofen», meint Norbert Klassen dazu. Jean Genet selbst sagte über diese: «Die Zofen sind Ungeheuer wie wir selber, wenn wir dies oder jenes träumen.» Der 1986 in Paris verstorbene Autor hatte ein Leben, wie es nicht aufregender hätte sein können, und liess in seinen autobiografisch gefärbten Werken hauptsächlich Randexistenzen auftreten. Er selbst befand sich als Pflegekind, Homosexueller, Dieb und Deserteur oftmals am Rande der Gesellschaft. Seine Texte wurden immer wieder zensiert wegen «Jugendgefährdung» und «pornografischen Charakters». Persönlichkeiten wie Albert Camus setzten sich wiederholt für sein Werk ein, bis sein Stück «Le balcon» sogar in das Repertoire der Académie française aufgenommen wurde. Anhänger von Jean Genet loben seine bildhafte Sprache und das virtuose Dar-

stellen von Seelenzuständen. Norbert Klassen, dem es bei seiner Inszenierung um «Eine Begegnung mit Genet» geht, lässt seine Zofen anfangs die berühmte Ouvertüre von Wagners Tristan und Isolde singen. Darin ist alles enthalten, was sowohl für dieses weltberühmte Liebespaar, als auch für die Zofen gilt: Den realen Verhältnissen entkommen die Unterdrückten höchstens durch den Tod. Ob der vergiftete Tee zuletzt doch noch ausgetrunken wird? Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Die Zofen. Das Theater an der Effingerstrasse. Premiere am 26.2., 20 Uhr. Bis 20.3. www.dastheater-effingerstr.ch

Kulturbeutel Impressum 2 «Al Maslakh Festival» 3 «Die Schwarze Kammer» 3 Editorial 3 Kind & Kegel 4 Hören & Sehen 5 Sang & Klang 6 Getroffen: Benedikt Reising 7 Hand & Herz 8 Worte & Orte 9 Hin & Weg 10 Getroffen: Pascal Hugentobler 10 Plüsch & Plausch 11 «Koexistenzen» in Thun 12 «Heimspiel» in der Dampfzentrale 12


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