ZVG
Annette Boutellier
N°09 28. Februar bis 5. März 2008
Mauri Antero Numminen in der Dampfzentrale
«Der Fremde ist nur in der Fremde fremd» im Stadttheater Bern
Der vielseitige Finne reiht sich – als einer der skurrilsten – ein in eine lange Schlange von Musikern, die Heinrich Heine vertont haben.
Im Rahmen des Autorenspektakels zeigt das Stadttheater eine Reihe von kurzen Uraufführungen. Im Stück «Die Wilden» der Berner Autorin Marianne Freidig spielen Matthias Brambeer, Diego Valsecchi und Ernst Siegrist (von links).
Heine, frisch gestammelt
Von Sugar-Mamis und Exil-Daddys
Der wohl schrägste Finne hat Gedichte von Heinrich Heine vertont. Am Sonntag gibt es in Bern die seltene Gelegenheit, Mauri Anteri Numminen und seinen eigentümlich gestammelten Sprechgesang live zu erleben.
Das Theaterspektakel «Der Fremde ist nur in der Fremde fremd» lässt dreizehn Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die zuvor vom Stadttheater Bern einen Werkauftrag erhalten hatten. Obwohl es in allen Stücken ums Fremdsein geht, könnten die Geschichten nicht unterschiedlicher sein: Manchmal ist es die Exfrau und manchmal der aus der Karibik importierte Ehemann die Befremden auslösen.
Wer heute einen Band von Heinrich Heine (1797–1856) in die Hand nimmt, muss wohl erst eine ziemlich dicke Staubschicht vom bildungsbürgerlichen Bücherregal pusten. Heine, dessen Todestag sich voriges Jahr zum 150. Mal jährte, war schon zu Lebzeiten ein Grosser: Als Essayist, Satiriker und Polemiker bewundert und gefürchtet, verbrachte der Dichter und Journalist einen grossen Teil seines Lebens im Pariser Exil. Seine jüdische Herkunft und seine spitze Feder haben dafür gesorgt, dass er in seiner Heimat ungeliebt war – «denk ich an Deuschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht».
«Eine lebendige Theaterszene braucht lebendige Autoren, und diese müssen gefördert werden», ist Erik Altorfer, Dramaturg am Stadttheater Bern, überzeugt. Er leitet das Autorenspektakel, in welchem Dramatiker sich zum Saisonthema Fremdsein äussern. Autoren wie Pedro Lenz, Stefanie Grob oder Raphael Urweider erhalten Gelegenheit, die Bühnentauglichkeit eines noch nie gespielten Textes zu erproben. Altorfer gab den Autoren nur wenige Richtlinien. Ausgangspunkt war das berühmte Zitat «Der Fremde ist nur in der Fremde fremd» des 1948 verstorbenen Komikers Karl Valentin. Das Zitat legt nahe, dass das, was «fremd» ist, durch gesellschaftliche Meinungen bestimmt wird. Um Konsens, Kultur und festgefahrene Codes geht es denn auch in den meisten Texten. Es sind Gegenentwürfe zu dem von Politik und Medien geführten – oftmals populistischen – Diskurs über das Fremdsein. «Das Klischee des armen Ausländers, der in der Opferrolle ist, wollten wir unbedingt vermeiden», erzählt Altorfer im Gespräch. Verfasst wurden hochdeutsche oder Mundarttexte, welche die unterschiedlichsten Geschichten erzählen, das Phänomen des Fremdseins psychologisch, soziologisch und ästhetisch untersuchen.
Ungeliebt, doch tausendfach vertont Heine gehört zu den meistvertonten Dichtern überhaupt. Rund 7000 Werke stehen auf der Liste. Zu den bekanntesten gehört der Zyklus «Dichterliebe» von Robert Schumann. Bis heute ist er Inspirationsquelle: 1992 wurde Günter Bialas Oper «Aus der Matratzengruft» uraufgeführt, die sich Heines letzten Krankheitsjahren in Paris widmet. Und nun kommt also M. A. Numminen aus Finnland mit vertonten Heine-Gedichten. «Ich habe ein Buch mit tausend Seiten durchgeackert, um am Ende zwölf Gedichte auszuwählen», verrät Numminen am Telefon aus Helsinki, «es war nicht einfach, die komische Seite Heinrich Heines zu finden.» Also hat er da und dort «ein bisschen nachgeholfen, um die Texte etwas komischer zu machen». Für die Musik hat Numminen, der «Erfinder» des Rustikaljazz und eine prägende Figur des finnischen Tangos, zusammengefügt, was ihm gefällt. Auf der CD kommt zu einem Streichquartett und
einem Vibrafon auch Numminens Maschinenmusik hinzu. Numminen: «Für das erste Lied hab ich die Melodie von Schuberts ‹Forellenquintett› geklaut.» Live wird Numminen übrigens begleitet von seinem Pianisten Pedro Hietanen. In Finnland kennt ihn jedes Kind Im Gepäck hat Numminen auch ein älteres Werk, das er als Student 1966 komponierte: eine Vertonung des Tractatus logico-philosophicus von Ludwig Wittgenstein. Um diesen, Marx und Marcuse in Originalsprache lesen zu können, hat Numminen Deutsch gelernt, «die wohl beste Sprache für die Philosophie», wie er sagt. Und seine Faszinantion für die Sprache lässt ihn auch die viersprachige Schweiz bewundern. «Ein Land, das mir sehr gefällt und dessen Bewohner ein wenig sind wie wir Finnen.» In unseren Köpfen gibt es viele Klischees über Finnland. Einige davon dürften sogar zutreffen. «Auf dem Land ist es oft so wie in den Filmen von Kaurismäki», sagt Numminen. Dabei könnte er mit seinem Charakterkopf und dem Spitzbart selber einem KaurismäkiFilm entstiegen sein. Der 1940 geborene Künstler, der oft mit Helge Schneider verglichen wird, ist die Inkarnation des Skurrilen, einer der letzten Universalkünstler der Gegenwart. In Finnland kennt ihn jedes Kind, und er kennt (fast) jede Bar: Für sein Buch «Der Kneipenmann» hat er in einem halben Jahr 350 Dünnbierquellen abgeklappert. Hätte Comixheld Asterix es je bis nach Finnland geschafft, er hätte wohl gesagt: «Die spinnen, die Finnen!» Christoph Hoigné \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Dampfzentrale, Bern. So., 2.3., 20 Uhr www.dampfzentrale.ch
Ein Ehemann als Souvenir Im Stück «Der Hugo isch Zucker» von Lokalmatador Pedro Lenz klagt eine in die Jahre gekommene Schweizerin über ihre Beziehung zu einem jungen Mann aus der Fremde, wobei der Autor offen lässt, ob es sich um einen Jamaikaner oder einen Kubaner hält. «Ds einzige Problem mit em Hugo isch d Mentali-
tät», klagt die bornierte Sextouristin, die ihren Liebhaber «importiert» und geheiratet hat. Sie vergleicht ihn sogar mit einer Flasche Wein aus der Toskana, die im Urlaub besser schmeckt als zu Hause, wenn man sie in den eigenen vier Wänden den Freunden serviert. Doch man spürt auch eine gewisse Verzweifelung aus der naiven Erzählung heraus. Ein Dialog, der noch fortgesetzt werden könnte. Am Ende können wir nur ahnen, dass die ungleiche Beziehung für beide Beteiligten schlecht ausgehen wird. «Die Geschichte kam mir in den Sinn, als mir in Ägypten die älteren Europäerinnen mit den jungen Männern auffielen. Auch die Naivität und Arroganz der ‹Weissen Massai› – ein Buch, das ich nicht fertiglesen konnte – hat mich inspiriert», gibt Pedro Lenz zu Protokoll. Ein beklemmendes Thema, das noch wenig bekannt ist, im Gegensatz zum viel diskutierten älteren Mann, der sich seine Frau aus Thailand holt. Ein Vater gerät in Vergessenheit Im Stück der 1984 in Bosnien-Herzegow ina geborenen und seit 1993 in der Schweiz lebenden Daniela Janjic geht es um einen Dialog zwischen einem Vater, der in der alten kriegserschütterten Heimat zurückgeblieben ist, und seinem Sohn, der mit seiner Mutter und ihrem neuen Mann sowie einer kleineren Schwester in einem reicheren Land lebt. Es geht um das «Hier» und das «Dort», um die vergessene Kultur und um die neue Identität. Anhand des Dialogs erfahren wir eine ganze Scheidungsgeschichte. Der Vater in der Fremde wird von seiner Exfrau und den Umständen zunehmend aus dem Leben der Kinder
gedrängt. Die jüngere Schwester soll nicht einmal mehr seinen Namen tragen, dem Sohn bleiben nur Erinnerungen. Dem Vater gehen die Argumente aus, er selbst glaubt: «Wie viel leichter wäre es, wenn du einfach dort wärst, mich und diese Stadt und alles, was dir wehtut und dich beschäftigt, zu vergessen.» Dieser Vater wird bald ein Fremder sein für seine in der neuen Heimat Fuss fassenden Kinder. Irgendwo in der Fremde, wo das Fremdsein besonders schmerzt. Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Der Fremde ist nur in der Fremde fremd Premiere: 1.3., 15 Uhr. Vidmarhallen www.stadttheaterbern.ch
Kulturbeutel Impressum 2 Radio Rabe Fest im Gaskessel 3 Stadttheater Bern: «Aufzeichnungen aus dem Kellerloch» 3 Renata Friederich bei BeJazz 3 Kind & Kegel 4 Hören & Sehen 5 Sang & Klang 6 Barockensemble «La passion de l'âme» 7 Hand & Herz 8 Worte & Orte 9 Hin & Weg 10 Plüsch & Plausch 11 Diplomausstellung HKB im Progr 12 CD-Taufe von «Little Venus» 12