ZVG
Severin Nowacki
N°14 Do., 2.4., bis Mi., 8.4.2009
«Ein teuflischer Plan» im Theater an der Effingerstrasse
Fliessender Funk als komplexe Materie: Meshell Ndegeocello in der Progr-Turnhalle
«Zum Glück ist das nicht mein Mann», denkt sich die zierliche Christine. Micheles Leiche liegt also noch immer auf dem Grund des Internat-Pools, wo sie ihn höchstpersönlich versenkt hat.
Meshell Ndegeocello hat zwar ein Talent, mit sich selbst zu hadern. Aber die hervorragende Bassistin, Songschreiberin und Bandleaderin ist besser, als sie sich in ihrem Understatement eingesteht.
Diabolische Selbsthilfe Zu vielfältig für ein Poster Mit «Les Diaboliques» verfilmte Henri-Georges Clouzot 1952 einen effektvollen Psychothriller in Hitchock-Manier. Regisseur Markus Keller inszeniert die Geschichte über eine mörderische Dreiecksbeziehung als Uraufführung für das Theater an der Effingerstrasse. Zu Besuch bei den Proben von «Ein teuflischer Plan». «War ich beim Anblick des Poststempels zu wütend?», fragt Agnieska Wellenger nachdenklich. Die junge Schauspielerin wippt mit dem Kopf. Es folgt ein PingPong-Spiel von Argumenten mit Regisseur Markus Keller. Zehn Tage vor der Premiere werden Textstellen diskutiert und Charaktere geschliffen. Geteiltes Leid ist halbes Leid Eigentlich sollten sie sich hassen, sich bis aufs Blut bekämpfen. Christina (Agnieska Wellenger), die feinfühlige Ehefrau und Leiterin eines Internats auf der einen Seite. Allein schon ihr Herzfehler ist ein Sinnbild für ihre Fragilität. Auf der anderen Seite steht die verführerische und durchtriebene Nicole (Fabienne Biever), Lehrerin für Mathemathik und Geliebte von Christinas Gatten Michele (Peter Bamler). Obwohl sie Rivalinnen und grundverschieden sind, haben sich die Frauen gleichwohl gefunden. Sie verbindet nämlich nicht nur die Zuneigung zum gleichen Mann, sie sind beide auch Opfer seiner Gewaltausbrüche. Michele ist ein widerlicher Sadist. Trotzdem gelingt es ihm, die Frauen bei der Stange zu halten. Als sie seine Peinigungen nicht weiter ertragen, schliessen sie einen Pakt: Das verachtungswürdige Exemplar soll ertränkt werden. Und dann ist da noch dieser undurchschaubare Inspektor (Helge Herwerth). Der Regisseur und begeisterte Cineast Markus Keller inszeniert das Stück in der Uraufführung, basierend auf dem Film «Die Teuflischen» von 1952. Der französische Filmemacher Henri-Geor-
ges Clouzot produzierte den Streifen unter dem Originaltitel «Les Diaboliques» mit Simone Signoret und seiner Frau Véra in den Hauptrollen. Inspirieren liess er sich dazu vom Roman «Celle qui n’était plus» des französischen Autoren-Duos Pierre Boileau und Thomas Narcejac. Das Gespann war bekannt für seine Kriminalkunst, die sich ideal als Vorlage fürs Film-Noir-Kino eignete. Man sagt, Hitchock habe die Filmrechte für das Buch nur knapp nach Clouzot verpasst. Pst! Bitte nichts verraten Die Geschichte lebt von der überraschenden Wende zum Schluss. So war im Abspann des Kinofilms eine besondere Bitte an die Zuschauer zu lesen: Bekannten soll das Ende nicht weitererzählt werden. 1996 folgte ein Remake des Thrillers mit Sharon Stone. Es liegt jedoch derart nahe am Original, dass sich die Frage nach dem Sinn der Neuverfilmung stellt. «Clouzots Werk scheint – abgesehen von der überholten Schwarz-WeissDarstellung – bis heute zu überzeugen», folgert Markus Keller in der Probe-Pause und erzählt weiter vom Kinoerlebnis während seiner Jugendzeiten: «Ich habe bei Clouzots Film fast Polster gefressen.» Ehrensache, dass nun auch bei der Bühnenfassung gilt: «Bitte nichts verraten!» Mariana Raschke \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Theater an der Effingerstrasse, Bern Premiere: Sa., 4.4., 20 Uhr Weitere Vorstellungen bis 1.5. www.dastheater-effingerstr.ch
Meshell Ndegeocello ist ein Star unter Stars, ein «musician’s musician». Immer wieder verpasst sie der Musikszene neue Impulse. Die Freidenkerin schafft es, unterschiedlichste Stile unter einen Hut zu bringen und dabei auch noch exzellent zu grooven. Sie hätte ein Popstar sein können. Sie war bei Madonnas Plattenfirma Maverick unter Vertrag, bei MTV auf dem Bildschirm, fuhr einen Range Rover, und sie sieht gut aus. Aber Mary Johnson war nicht zu dieser Sorte Star geboren. Man hätte es schon am Künstlernamen erkennen können, den sie sich gab. Meshell Ndegeocello. Da verdreht jeder Marketingverantwortliche die Augen, auch wenn es poetisch «frei wie ein Vogel» bedeutet. Halt einfach auf Swahili, der im (plattenkaufenden) Westen ungeläufigen Bantusprache. Der Name ist Programm, und als Meshell Ndegeocello ihrer damaligen Plattenfirma erklärte, ein reines Jazzalbum ohne ein gesungenes Wort aufzunehmen, schmiss man sie raus. Keine Rampensau Meshell Ndegeocello ist ein Star, obwohl sie den Range Rover verkaufte und ein neues Label suchte. Sie ist nur eine Künstlerin von jener talentierten Sorte, die sich schlecht vermarkten lässt in einem Umfeld, das auf Limousinen besteht, auf garantierten Wiederholungen des immer Gleichen und auf den Willen, am Bühnenrand vorn die Rampensau zu geben. Wenn es Ndegeocello nicht drum ist, singt sie einen ganzen Abend lang keinen Ton. Dann steht sie im Kollektiv ihrer stets hochkarätig besetzten Band, lässt die anderen solieren und konzentriert sich auf ihren Bass. Aber wie sie spielt! Die Rolling Stones, Prince, Madonna, Alanis Morissette, John Mellencamp und Lenny Kravitz haben sie alle schon ins Studio geholt.
Während sich die neuste Staffel von Music Star über die Bildschirme wälzt, scheint es völlig unverständlich, wie jemand ein Leben als Popstar verweigern kann. Das wollen doch alle. Und wie kann man jemanden als Star bezeichnen, der es in diesem System eben nicht geworden ist? Kurz gesagt: Ndegeocello ist zu vielfältig für den plakativen Glamour eines Popstars – musikalisch und persönlich. Sie ist zu scheu, ihre Persönlichkeit hat mehr Facetten, als auf ein Poster passen, und ihre Musik umfasst ein einschüchternd weites Feld. Ndegeocello ist ein Fan von Miles Davies, wurde von Prince als Seelenverwandte verstanden, als der Mann noch scharfe Musik machte, und sie gilt als Wegbereiterin für Neo-Soulerinnen wie Erykah Badu und Alicia Keys, also für «reguläre» Popstars. Nebenbei geniesst sie höchsten Respekt von New Yorker Jazzcracks. Nagende Zweifel Der renommierte Bassist Marcus Miller beispielsweise erklärte schon mit einer Mischung aus Bedauern und Bewunderung, Ndegeocello mache sich das Leben schwer, müsse dauernd alles hinterfragen. Aber sie alle profitierten von ihren nagenden Zweifeln, entstünden so doch inspirierende Alben. Da erstaunt es nicht, dass die Künstlerin auch in ihren Songtexten schwere Themen behandelt: Gender, Rasse, Identität, Emanzipation. Doch, ein paar traurige Liebeslieder waren auch dabei. Das liest sich jetzt wie ein vertontes Seminar und wenn man dazu schreibt, dass diese Themen mu-
sikalisch mit Country, Blues, Hip-Hop, Drum&Bass, Jazz, Soul, R&B, Fusion, Folk, Funk und einer Handvoll Stile mehr angegangen wurden, herrscht schnell der Verdacht: Kopfmusik. Unterschiedliche Interpretationen Das stimmt natürlich nur zur Hälfte. Ndegeocello ist zwar anspruchsvoll, nicht nur in Bezug auf sich selbst, aber sie groovt, groovt, groovt. Ausserdem verfügt sie über die nötige Portion Humor. Ihr neues Album heisst «The World has Made me the Man of my Dreams». Die bekennende Bisexuelle hatte einfach genug vom ständigen Ärger mit Männern, die vom Umgang mit einer selbstständigen Frau überfordert sind. Und selbstverständlich hat sie einen neuen musikalischen Haken geschlagen. Mit irrer Geschmeidigkeit und Gästen wie Pat Metheney saust sie aktuell durch Drum&Bass, Pop, Postpunk, Soul und Weltmusik. Hingehen und selber heraushören. Warum, als letzte Frage, ihre Musik nicht beliebig klingt in ihrer Vielfalt? Vielleicht, weil Ndegeocello mindestens so talentiert ist, wie ihr Künstlername verlangt. Vielleicht aber auch, weil sie als zum Islam konvertierte Christin mit Vorliebe für Buddhismus eine einfache Formel für die Komplexität gefunden hat. Religion, diktierte sie einem Interviewer, bedeute, dass alle versuchten, dieselbe Melodie zu spielen, aber halt mit unterschiedlichen Interpretationen. Ndegeocello ist die Künstlerin, die das Einende aller Interpretationen im Ohr behält. Silvano Cerutti \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Turnhalle im Progr, Bern So., 5.4., 20.30 Uhr www.bee-flat.ch