Hauser & Wirth
Michael Schmelling
N°22 Do., 28.5., bis Mi., 3.6.2009
Erste Schweizer Einzelausstellung von Zhang Enli in der Kunsthalle
Bad Bonn Kilbi in Düdingen
Zhang Enli richtet seine Aufmerksamkeit auf das Unscheinbare: Eine dröge Glühbirne fasziniert ihn als Sujet mehr als ein erhabenes Glanzstück.
Seit zwanzig Jahren kurvt die New Yorker Achterbahn namens Sonic Youth durch Popmelodien und Lärmattacken. Ihr Auftritt gehört auf dem Düdinger Jahrmarkt zu den Hauptattraktionen.
Shanghaier Tristesse Miss Kittin liest die Zukunft Zhang Enli stammt aus der Provinz. Seine Gefühle für die Grossstadt Shanghai, in der er lebt und arbeitet, sind zweischneidig: Die Metropole hat für ihn etwas Verführerisches und Bedrohliches zugleich. Seine frühen Arbeiten aus den 90er-Jahren zeigen oft einfache Menschen, die voller Hoffnung vom Land in die Stadt gekommen sind und dort vor allem Härte antreffen. In einem dieser Bilder sitzen Arbeiter um einen Tisch und essen in grösster Hast. In Zhang Enlis Porträts stösst man auch auf unsympathische Gesichter und hässliche Gesichtszüge. Es sind Bilder, die sich als Antithesen zur ideologischen Kunst der Kulturrevolution lesen lassen. Mit der Zeit verschwanden die Menschen aus Zhang Enlis Bildern. Bis heute malt er vor allem alltägliche Objekte wie Kessel, Bälle oder Glühbirnen und leere Räume: Toiletten oder schwach beleuchtete Fabrikhallen. Ohne Pomp und Pop Zhang Enli ist mit seinem Stil kein typischer Vertreter der chinesischen Gegenwartskunst. Während viele seiner Künstlerkollegen kommunistische Symbolik mit Konsumkultur verbinden oder die Folklore der Kulturrevolution ins Lächerliche verkitschen, findet man bei Zhang Enli keine Spur von Pomp und Pop. Eher strahlen seine Gegenstände Tristesse aus und verursachen ein leises Unbehagen. Ein banaler, fabrikgefertigter Kessel wurde für ihn zum Sujet einer ganzen Serie, die das Objekt von allen Seiten abbildet. So schenkt man als Betrachterin oder Betrachter einem wertlosen Ding Aufmerksam-
keit, als handle es sich um etwas äusserst Wertvolles. Dabei macht Zhang Enli deutlich, wie unbekannt das allzu Bekannte in Wahrheit ist. Der Maler hält die nicht einzuschätzende Tiefe des Gegenstandes ebenso wie die Schwärze seines Schattens fest – der Pot scheint eine gänzlich vernachlässigte Gegenwelt in sich zu bergen. Kunsthalledirektor und Kurator der Ausstellung, Philippe Pirotte, erkennt gar ein magisches Potenzial in den Gegenständen, wie sie die spanischen Stillleben des 17. Jahrhunderts enthielten. Die spanischen Mönche glaubten, dass durch die Intensität der Aufmerksamkeit, die dem Unspektakulären zuteil wird, eine Art Verklärung stattfindet. Kunstlicht und Lichtkunst Zhang Enli malt nur bei Kunstlicht in einem beinahe fensterlosen Atelier. Sein dem Realismus verpflichtetes Werk erhält dadurch etwas Unnatürliches. Es sind aber auch Lichtverhältnisse, wie man sie in Shanghai, wo der Himmel oft von Dunst verhangen ist, antrifft. Auch die Lichtspender, seien es Glühbirnen oder Kronleuchter, tauchen in seiner Malerei auf. Kein helles Licht strahlt hier, sondern ein mattes, dröges Kunstlicht. Dieses versucht sich im Raum zu behaupten und leuchtet uns dabei den Weg in die Gegenwelt des Künstlers. Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Kunsthalle, Bern Vernissage: Fr., 29.5., 18 Uhr Ausstellung bis 19.7. www.kunsthalle-bern.ch
Es gibt Stände, Buden, Bahnen, in der Luft liegt der Geruch von Magenbrot und Hotdogs, Marktschreier bieten ihre Ware an, und an allen Ecken und Enden ist es ein Gebimmel und Gedudel. Im Bad Bonn klingt die Kilbi etwas anders. Ein Spaziergang. Die Geisterbahn fährt langsam los, der Elektrokarren zieht an, quietschend schiebt sich das Tor zur Finsternis auf, und dann hebt ein gewaltiges Dröhnen an. Was die amerikanische Drone- Metal-Band Sunn O))) an Klängen fabriziert, hallt noch nach, wenn man längst wieder in die Sonne blinzelt und sich am Schiessstand versucht. Dort muss man die wilden Beat-Pferdchen von Micachu treffen – mit einem Pingpongball. Die englische Komponistin galoppiert auf bockenden Rhythmen durch alles von UK Garage über Singer/Songwriter-Pop bis zum Jazz auf selbst gebastelten Instrumenten. Ebenfalls neue Rezepte finden sich im Magenbrot von Final Fantasy. Owen Pallett, der Geiger von Arcade Fire, bäckt stark gewürzte Judy-Garland-Musik. Spätestens nach dem dritten Stück bekommt man davon einen lustigen Kopf. Wer sich lieber den Auswirkungen der Molekularküche aufs Kilbiwesen zuwendet, dem sei Tunng empfohlen. Die englischen Folkies sind nahrhaft wie Schoggiköpfe, aber elektrisch zur Zuckerwatte gesponnen. Handlesen und Seelenhobel Für den rechten Aufruhr im Magen jetzt ein Bier, und ab auf den Autoscooter. Der wird vom Rhode-Island-Duo Lightning Bolt betrieben. Ein Schlagzeug mit Viertaktmotor und ein getunter Bass auf Cellostimmung mit einer Banjosaite vollführen ein instrumentales Schleuderspektakel, von dem die Nackenmuskeln noch Tage später stöhnen. Höchste Zeit, um über den Markt zu schlendern.
Am Stand von Mogwai gibts überlange T-Shirts in dunklen, fliessenden Batikfarben. In einem abgedunkelten Zelt sitzt Miss Kittin und liest die Zukunft aus Minimal-House-Handlinien, und drei Stände weiter preist Reverend BeatMan, der Klabautermann des Gospels, seine Seelenhobel an. Das ist gut für Sophie Hunger. Sie steht gleich nebenan, taugt nicht zur Marktschreierin, braucht sich bei dem Publikumsaufmarsch aber keine Sorgen zu machen über den Absatz ihrer exquisiten Crêpes. Avantgarde-Spirale Wer noch über einen Rest Reflexe verfügt, tritt gegen den Afro-Flipperkasten von Mahjongg an, wo er 64stel-Bälle mit sechs Saiten jonglieren muss. Wer etwas
weniger Aktivismus braucht, schaut der Schwerttanz- und Feuerschluckshow von Rainbow Arabia zu: Zouk-Sound auf einem Basar voller Beats. Aber die Hauptattraktion ist natürlich diese monströse Achterbahn namens Sonic Youth, eingeschippert aus New York. Die Konstruktion ist spezialverstärkt, um den Kräften der Noisegravitation entgegenzuwirken. Das Spektakulärste sind aber die wahnwitzigen Kurven, in denen man nahtlos von den Fliehkräften des Pop gepackt und an jene der Kunst weitergereicht wird, bevor man durch die Avantgarde-Spirale schraubt. Normale Menschen brauchen danach einen Schnaps. In der Besenbeiz serviert Shantel Sliwowitz bis zum Abwing ken. Silvano Cerutti sun
o erl \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ V\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
Bad Bonn, Düdingen Fr., 29. bis So., 31.5. www.badbonn.ch
Daniel des Borough
Zhang Enli malt im Stil des sozialen Realismus alltägliche Gegenstände. Dabei geht es dem 44-jährigen Chinesen nicht um ideologische Botschaften – er lenkt den Blick auf Triviales. Die Kunsthalle zeigt sein Universum in einer Einzelausstellung.
Reverend Beat-Man, der Klaubautermann des Gospels, mit charmanter Begleitung.