Berner kulturagenda 2009 N° 24

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ZVG

Philipp Zinniker

N°24 Do., 11.6., bis Mi., 17.6.2009

Musical-Welturaufführung in der Cappella

«Tanz – Made in Bern 2» in den Vidmarhallen

Lässt sich von seinen verzweifelten Mikroben anbeten: der brillante Forscher «Dr. Ich» (Boris Freytag), der öfter mal in Charakterlücken parkiert.

Auf Händen getragen oder mit Füssen getreten? Das Bern Ballett tanzt sich an der Freilicht-Probe auf dem Waisenhausplatz vor traumhafter Kulisse ins Bewusstsein und in die Herzen des Publikums.

Darmspiegelung

Tanz auf dem Vulkan

Wenn ein Musical von Mikroben handelt. Und diese in einem menschlichen Darm leben. Das kann doch nur, mit Verlaub, Scheisse sein? Nein, es ist Tom van Hasselts Welturaufführung des Mikrobicals!

Für «Tanz – Made in Bern 2» übten sich sieben Tänzerinnen und Tänzer des Bern Ballett als Choreografen. Entstanden sind acht Stücke, in denen sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen konnten. Ein Potpourri von Ideen, Stilen und getanzten Geschichten.

Er ist ein Unsympath, der Dr. Ich. Brillant im Kopf, gar ein Genie, aber zum Preis von ein paar schwarzen Löchern im Charakter. Höchste Zeit also, dass er eine Macht kennen lernt, die ihm überlegen ist. Wenigstens zahlenmässig. In unserem Körper gibt es nämlich mehr Mikroben als Zellen. Und im Darm landet der Herr Doktor beim Versuch, die Hirnzelle zu extrahieren, die sein Bewusstsein darstellt. In der Pflicht der letzten Mikroben Solcherart im Sumpf, überkommt den Forscher erst das Grausen, bis er herausfindet, wie er weiter Befehlsgewalt über seinen Körper ausüben kann. Das macht ihn zum Erlöser in der Welt der Kleinteiler, auf den die letzten vier Mikroben in seinen Därmen gewartet haben. Die sind, Dr. Ich sei Dank, von einer gigantischen Hefepilzkolonie besetzt, die den Mikröbchen ans Leben will. Höchste Zeit, dass die Intelligenzbestie etwas zu ihrer Erhaltung unternimmt. Und es kommt noch besser. Der Herr Forscher lernt nicht nur viel übers Leben (Ernährung, Liebe, Fortpflanzung und ähnlich Grundlegendes), er beginnt seine Situation auch zu geniessen. Tom van Hasselt, sein Schöpfer, umschreibt es wie folgt: «Dr. Ich spielt Gott, indem er den grössenwahnsinnigen Versuch unternimmt, Geist und Körper voneinander zu trennen und göttliche Unsterblichkeit zu erlangen. Was ihm dabei widerfährt, ist, dass er in eine Situation gerät, in der er tatsächlich Gott ist.» Aufgeweckte Zeitgenossen ahnen, dogmatische Geister fürchten, was nun

folgt: Allmachtssatire in der menschlichen Kloake. «Ich halte Religion auch beim modernen Menschen für ein zentrales Thema. Nur hat sich unser Umgang damit geändert. Man kann Religion inzwischen behandeln wie andere Themen auch, nämlich mit Humor», erklärt der deutsche Kabarettist. Das kann man übrigens auch mit Unmengen von Fäkal-Comedy-Glutamat. Doch das tut van Hasselt nicht. Er hält unserer Gesellschaft mit «Dr. Ich» den ironischen Darmspiegel vor. Und was passiert, wenn der Mensch in einen Machtrausch gerät? Die elegante Antwort von van Hasselt lautet: «Dr. Ich erfährt, dass Gott sein mit Verantwortung zu tun hat. Das ist ein Problem.» Das Musical rehabilitieren Ein ganz anderes Problem war die Form. Van Hasselt entpuppt sich als einer der letzten widerständischen Liebhaber des Musicals. «Das wird seit Jahrzehnten als Geldmaschine benutzt und hat seinen künstlerischen Anspruch verloren», klagt er. Doch trotz anfänglicher Schamgefühle erfüllte er sich den Traum eines eigenen Musicals «mit Theater, Musik und Tanz». Jahrelang schrieb er Mikroben-Lieder und schuf damit das erste Mikrobical der Welt. Wie es sich gehört für kleine Besetzung. Und auch bei der Pyrotechnik muss er Abstriche hinnehmen, aber «die machen wir mit Spielfreude wett!». g Silvano Cerutti

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La Cappella, Bern Mi., 10., bis Sa., 13.6., 20 Uhr www.la-cappella.ch

«Plié, dreimal nach hinten, zweimal zur Seite und fünfte Position.» So tönt es um zehn Uhr morgens an einem sonnigen Tag im Juni auf dem Waisenhausplatz in Bern. Zu den Kommandos des Ballettmeisters Bruce McCormick wärmen sich die Tänzerinnen und Tänzer des Bern Ballett für ihre Freiluft-Probe auf. Die Passantinnen und Passanten staunen nicht schlecht, als mitten in der Stadt rund ein Dutzend junger Menschen in Trainer und Socken über eine Bühne tanzt. Das Ballettensemble des Stadttheaters hat seinen Proberaum kurzerhand ins Freie verlegt, um dem Publikum zu zeigen, wie der bewegte Alltag der Tänzer aussieht. Neben der Bühne werden Unterschriften für die Petition zum Erhalt des Ensembles gesammelt. Auf der Bühne betreibt das Bern Ballett nach dem Warm-up Werbung in eigener Sache, indem es unter anderem für die Produktion «Tanz – Made in Bern 2» probt, die am 11. Juni in den Vidmarhallen Premiere feiert. Keine Grenzen in den Choreografien «Für die meisten Tänzerinnen und Tänzer ist das Projekt das Highlight der Saison», verrät Bruce McCormick. Sieben Mitglieder des Ballettensembles treten dann nämlich nicht «nur» tänzerisch in Aktion, sondern durften sich für «Tanz – Made in Bern 2» auch als Choreograf­ innen und Choreografen üben. Seit Monaten widmen sie sich, meistens in der Freizeit, ihren eigenen Stücken. Ohne viele Regeln waren der Fantasie keine Grenzen gesetzt und die Tänzer konnten ihrer Kreativität freien Lauf lassen, experimentieren und sich ausprobieren.

Das Resultat, das nebst der tänzerischen Qualität auch das choreografische Können der Ensemblemitglieder unter Beweis stellt, ist ein Potpourri von Ideen, Bewegungen, Stilen und getanzten Geschichten. «Es ist eine tolle Erfahrung, die eigenen Ideen tänzerisch in die Realität umzusetzen, und gleichzeitig eine grosse Herausforderung», erklärt Ensemblemitglied Martina Langmann aus Österreich. Die Ansprüche, die sie dabei an sich selbst gestellt habe, seien sehr hoch gewesen. «Man will etwas Neues kreieren, neue Bewegungen finden, mit einer anderen Ästhetik arbeiten und Gewohnheiten durchbrechen.» Die Poesie ist unvergänglich Die Kreation der Österreicherin heisst «Amaranthine». Dabei handelt es sich

um eine mystische Blume von immerwährender Schönheit. Amaranthine heisst auch unvergänglich, ewig. Zur eigens für das Stück komponierten Musik von Dave Maric tanzen die Japanerin Izumi Shuto und Martina Langmann selbst zwei Solos. Während die eine wie vergiftet schreibt, versucht die andere das Geschriebene mit ihren Bewegungen immer wieder auszulöschen. «Doch Poesie lässt sich nicht einfach auslöschen. Sie bleibt ewig bestehen, ist unvergänglich», sagt Langmann. Ob auch das Ballettensemble bestehen bleibt, steht in den Sternen. Im Moment sieht es sich mit der Endlichkeit konfrontiert und seine Existenz ist bedroht. Ein Tanz auf dem Vulkan. Simone Tanner \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Vidmar 1, Bern-Liebefeld Premiere: Do., 11.6., 19.30 Uhr Weitere Aufführungen bis 23.6. www.stadttheaterbern.ch

In dieser Ausgabe:

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