ZVG
Peter Radelfinger
N°27 Do., 2., bis Mi., 8.7.2009
Peter Radelfinger im Kunstmuseum
Woodrock-Open-Air in Emmenmatt
Klappe zu, Affe tot! In seinen Zeichnungen geht der Künstler Peter Radelfinger der Frage nach, von welchem Zeitpunkt an Geborgenheit in Gefangenschaft umschlägt, Sicherheit in Überwachung.
Bäumige Idylle und strahlende Gesichter beim letztjährigen Woodrock-Konzert von Tomazobi. Auch dieses Jahr wird eine reichhaltige Berner Platte serviert bei diesem musikalischen Waldpicknick, …
Im Käfig daheim
So schallt es aus dem Wald
Der Zeigefinger von Peter Radelfinger ist erhoben, aber ganz ohne moralinsaure Färbung – er ist schlicht blau. «Alle haben einen blauen Finger», so lautet der Titel der Ausstellung des 1953 in Bern geborenen Künstlers im Kunstmuseum.
Im Wald, da ist es schön. Es zwitschern die Vögel und rauschen die Blätter. Und es krachen die Gitarren, scheppern die Schlagzeuge und fiepen die Synthies. Das Woodrock gehört zu den idyllischen unter den kleinen, feinen Open-Airs.
Frühling sein drittes Album veröffentlicht, «Everything you Know is Going to Change».
Werrens Tomazobi-Kumpel Maze K. hat sie Soul-R’n’B-Pop-Songs komponiert, die mit Parolen wie «Shake your Booty» (Schwenk deinen Hintern) aus dem Wald schreien. Aare aufwärts kommt daher, was sich als Höhepunkt des Festivals anbahnt. Der künstlerische Leiter Nick Werren hat dem Thuner Gitarristen und Sänger Martin Gerber eine «Wildcard» gewährt. Er tritt an einem Konzert mit seinen beiden Bands, Parties Break Hearts und Aziz, auf. Die melodiösen Parties Break Hearts gehören zu den hellen Lichtungen im dichten Holz der Schweizer Gitarrenrockszene. Ihre Erzeugnisse treffen sich mit den härteren Songs der um ein paar Jahrringe umfangreicheren Aziz. Das Trio hat im
Gigi im Glück Eine Konstante, ja, eine alte Häsin in der Schweizer Musikszene ist Gigi Moto. Sie tourt mit ihrem neuen Album, «Lucky», durch den Open-Air-Sommer. Und damit zurück zum eingangs erwähnten Pärchengroove: Etwas weniger groovig, aber auch zu zweit tritt Gigi Moto neuerdings nur noch mit ihrem Partner Jean Pierre von Dach auf und bringt die Songs aus 15 Jahren in der intimen Kleinbesetzung auf die Bühne. Michael Feller
Selbstbildnis der Abwesenheit Lange Zeit hat sich Radelfinger mit dem Selbstbildnis beschäftigt, bis er schliesslich die Abwesenheit seines Kopfes zum Anlass der Zeichnung gemacht hat. So entstand die Serie «Kissen und Falten». Was für Spuren hinterlässt der Kopf am Morgen auf dem Kissen? Auf der Suche nach seiner eigenen Abwesenheit fertigt er direkt nach dem Aufstehen Bleistiftzeichungen von den Eindrücken, Mulden und Furchen auf seinem noch bettwarmen Kissen an. Kunstgeschichtlich
weckt das viele Assoziationen – vom Schweisstuch der Veronika über Dürers Selbstbildnis mit Kissen, Adolf Menzels ungemachte Betten bis hin zu Tracey Emins Arbeit «My Bed». Während der Dauer der Ausstellung fertigt Radelfinger nun jeden Morgen auf einem digitalen Zeichentablett eine Kopfkissenzeichnung an, die dann vom Computer des Künstlers direkt ins Kunstmuseum geleitet und auf dem dort aufgestellten Plotter ausgedruckt wird. Die mit Kissenfalten gefüllten Papierbahnen wiederum geben einen schönen Faltenwurf auf dem Fussboden vor dem Gerät. Kunst, Komik und Ernst Die dritte Werkgruppe wurde von Sigmund Freuds Untersuchung «Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten» (1905) inspiriert. In «Jokeanima» hat Radelfinger Kugelschreiberzeichnungen animiert, die hier als Projektionen gezeigt werden. Wirft die Plotterinstallation noch hintergründig die Frage nach Original und Kopie auf, so wirken die Projektionen doch ein wenig bemüht, dem Medium Zeichnung eine zeitgemässe Komponente zu geben. Oder hat sich der Vogel Radelfinger da selbst in einen digitalen Käfig begeben? Der Balanceakt zwischen Humor, Tiefsinn und Leichtigkeit ist Radelfinger trotzdem gelungen, und das, ohne je die Zeichnung an sich zu vernachlässigen.
Nina Heinzel
\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Kunstmuseum, Bern Ausstellung bis 27.9. www.kunstmuseumbern.ch
Die Grand-Slams der Open-Airs werden auf Rasen, Staub oder Schlamm ausgetragen. Derweil geht das kleine Woodrock in den Wald – nach Emmenmatt im Emmental, dort, wo Fuchs und Hase das Weite suchen, wenn etwa das Elektro-Duo Copy & Paste durch die Bäume rockt. Rockt? In der Tat, denn die Looslis schicken nicht nur elektrische Impulse durch das Geäst von Synthesizer und Computer, sondern setzen zugleich ehrliche, satte Schlagzeugrhythmen aus der Rockflora ins Unterholz. Von diesem Prinzip weichen die Pärchengroover Cheyenne und Mischu Loosli auch auf ihrem neuen Minialbum nicht ab. Während sich andere Musiker aus dem Elektrogenre live in der Höhle der Coolness verkriechen, klettert das Duo auf die Föhren. Eichhörnchen Cheyenne ist dauernd auf der Bühne unterwegs. Tout Berne ist im Emmental Die Dichte der interessanten einheimischen Arten ist an dieser Ausgabe von Woodrock augenfällig. Zum Beispiel steht die morgentaufrische Hiphop-Formation Churchhill auf dem Programm. Auf ihrem letztjährigen Debütalbum, «Mueterchue», liefert die Stadtberner Formation nicht nur soliden Rap, sondern auch Inhalte. Und weil das Ganze mit echter Musik daherkommt, dürften sich bei dieser Formation auch HiphopNasenrümpfer gut aufgehoben fühlen. Ebenfalls aus Bern, wenn auch mit Wurzeln in Montenegro und Mazedonien, ist die Sängerin Edita Shain, die mit ihrer Band Montenegra auftritt. 2007 war sie Trägerin des Förderpreises der Burgergemeinde. Mit Hilfe von Nick
\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\
Woodrock, Moosegg Do., 2., bis Sa., 4.7. www.woodrock.ch Open-Air-Übersicht in der Agenda auf Seite 6.
ZVG
Vor 15 Jahren war Peter Radelfinger für sechs Monate Stipendiat in der «Cité des Arts». Der Atelier- und Wohnkomplex in Paris hat wegen seiner Enge schon manche an Künstler in Käfighaltung denken lassen. Für Radelfinger war dieses Erlebnis aber offenbar eine gute Inspirationsquelle, denn seither beschäftigt er sich mit Vogelkäfigen der medialen Art. Ist der Vogel traditionell ein Symbol der körperlosen Seele und der freien Gedanken, so steht er für Radelfinger doch schlicht auch für den Menschen. Blaue Vögel, die in Bildschirmen wohnen, sich Handys als Käfig wählen, und sogar Vögel mit bildschirmförmigen Köpfen gibt es zu entdecken. «An welchem Punkt wird das Vogelnest zum Käfig? Wo wandelt sich Geborgenheit zu Gefangenschaft?» sind Fragen, die Radelfinger interessieren. Die Serie «Endlich komm ich in den Zwitscherraum» besteht aus etwa 300 Pinselzeichnungen auf Plotterpapier in wilder Hängung. Und in manch oberer Ecke scheinen Überwachungskameras die Betrachter zu betrachten.
… angereichert mit einem feinen Hasenpfeffer aus dem Zürcherland. Jean Pierre von Dach und Gigi Moto spielen sich zu zweit durch die Karrierehöhepunkte.